Hartmut Koschyk: „Sprache ist das zentrale Merkmal kultureller Identität“

In Moskau wurde heute die 4. Internationale wissenschaftlich-praktische Sprachkonferenz feierlich eröffnet. Hartmut Koschyk MdB, der zum ersten Mal in seiner Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten die deutsche Minderheit in Russland besuchte, verwies in seiner Eröffnungsrede auf die besondere Rolle der Sprache als zentrales Merkmal kultureller Identität nicht nur für die Russlanddeutschen, sondern auch für alle anderen Volksgruppen der Welt. 

In Moskau wurde heute die 4. Internationale wissenschaftlich-praktische Sprachkonferenz feierlich eröffnet. Hartmut Koschyk MdB, der zum ersten Mal in seiner Funktion als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten die deutsche Minderheit in Russland besuchte, verwies in seiner Eröffnungsrede auf die besondere Rolle der Sprache als zentrales Merkmal kultureller Identität nicht nur für die Russlanddeutschen, sondern auch für alle anderen Volksgruppen der Welt.

Nachfolgend sehen Sie den Vortrag des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB:

Es gilt das gesprochene Wort

Für die Einladung zur heute beginnenden Sprachkonferenz danke ich. Mein Dank richtet sich an den gesamten Vorstand des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, insbesondere auch an Frau und Herrn Martens.
Verbinden darf ich meinen Dank mit Grüßen:
Ihnen allen im Namen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland herzliche Grüße.

Als die Koalitionsparteien, die die heutige Regierung der Bundesrepublik Deutschland bilden, im Herbst 2013 das Programm ihrer Regierungspolitik für die laufende Legislaturperiode ausgehandelt haben, waren sich die Parteien in einem Punkt schnell einig: Die deutsche Regierung wird die Hilfen für die deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten der Aussiedler fortsetzen und sie verpflichtet sich weiterhin zur Förderung der deutschen Minderheiten in Mittelost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion.

Diese Verpflichtung gilt heute genauso wie zum Zeitpunkt der Regierungsbildung Ende 2013.

Ich stelle diese Aussage ganz bewusst an den Anfang meiner Ausführungen, weil ich weiß, dass es unter den Russlanddeutschen in der Russischen Föderation Befürchtungen gibt, die deutsche Seite könnte angesichts der aktuell belasteten Beziehungen zwischen Deutschland und Russland eine Einstellung oder zumindest zeitweise Aussetzung ihrer Fördermaßnahmen erwägen.

Insoweit stelle ich klar:
Die deutsche Seite wird ihr Förderprogramm fortführen - und zwar wie bisher. Das bedeutet, sie stellt auch in diesem Jahr rund 9,2 Millionen Euro durch das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt zur Finanzierung von Projekten aus den bekannten Förderbereichen zur Verfügung. Die Einzelheiten der diesjährigen Förderung sind erst vor wenigen Tagen durch die Mitglieder der gemeinsamen Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Deutsch-Russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen hier in Moskau abgestimmt worden.

In Anbetracht des besonders tragischen Schicksals der deutschen Volksgruppe in der Sowjetunion während und infolge des Zweiten Weltkriegs möchte die Bundesregierung eines auf jeden Fall vermeiden: Dass die Russlanddeutschen im heutigen Russland erneut zum Spielball und Opfer der sogenannten "großen Politik" werden! Die Bundesregierung verbindet mit dieser Haltung allerdings auch die Erwartung an die politische Führung der Russischen Föderation, ihrerseits alles zu unternehmen, dass dies nicht geschieht.

Nach diesen mir wichtigen allgemeinen Vorbemerkungen nun zur eigentlichen Thematik dieser Konferenz: die Spracharbeit zugunsten der Russlanddeutschen und ihre künftige Ausrichtung.

Zu meinem Bedauern habe ich die gestern Nachmittag durchgeführte Ehrung der Sieger Ihres Wettbewerbs "Freunde der deutschen Sprache" nicht persönlich miterleben können. Ich möchte es aber nicht versäumen, den Gewinnern wenigstens nachträglich noch meine herzlichen Glückwünsche auszusprechen. Ich freue mich über die große Resonanz dieser schon fast traditionellen Veranstaltung, mit der ganz sicher ein positives Bild der deutschen Sprache in der Russischen Föderation vermittelt und an die 250jährige Präsenz deutscher Kultur in diesem Land erinnert wird. Abgesehen davon passt dieser Wettbewerb hervorragend in den Kontext des aktuell begangenen Jahres der deutschen Sprache und Literatur in der Russischen Föderation.

Diese Konferenz wird sich den Strategien der Vermittlung der deutschen Sprache für die und mit den hier lebenden Russlanddeutschen widmen und dabei auf eine fünfjährige Erfahrung eigenverantwortlicher Spracharbeit zurückschauen.

Welche Rolle nimmt die Sprache allgemein und insbesondere im Kontext der besonderen Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen ein?

Auf dieser Erde werden etwa 6000 Sprachen aktiv gesprochen. Diese Sprachenvielfalt verteilt sich aber auf lediglich rund 200 Staaten. An diesem Verhältnis wird offensichtlich, dass die Sprachen nicht nur als Amtssprachen, das heißt nicht allein als offizielle Verständigungsmittel von und in Staaten existieren. Daraus folgt, dass man die Existenz einer Sprache nicht allein damit erklären kann, dass die Menschen irgendein Verständigungsmittel brauchen. Wenn Sprache nur Mittel zur Verständigung wäre, dann wäre die große Sprachenvielfalt überflüssig. Möglicherweise hätte sich die Menschheit auch schon längst auf eine Weltsprache geeinigt.
Sprache ist offenkundig mehr: Sie existiert auch als Identitätsmerkmal, als kultureller Ausweis einer Herkunftsbindung, einer bestimmten ethnischen Herkunft. Sprache ist also auch ein wesentliches Merkmal von Identität.

Was sind die Merkmale ethnischer Identität?

Eine Antwort darauf findet sich beispielsweise im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates. Dort heißt es in Artikel 5 Abs. 1 dieses Abkommens, dass zum Schutz nationaler Minderheiten die Bewahrung der wesentlichen Bestandteile ihrer Identität, nämlich ihrer Religion, ihrer Sprache, ihrer Tradition und ihres kulturellen Erbes gehört.
Von diesen Identitätsmerkmalen hat die Sprache eine hervorgehobene, weil besonders prägende Rolle - denn die Prozesse der kulturellen Entwicklung und Wandlung werden insbesondere durch Sprache begleitet, zum Ausdruck gebracht und somit wiederum beeinflusst. Die Sprache ist zudem das beständigste Merkmal einer Volksgruppe - denn ohne die Bindung an die Sprache ist der Fortbestand der Volksgruppe als solche insgesamt gefährdet.

Diese Erkenntnis trifft auf die Volksgruppe der Russlanddeutschen in besonderem Maße zu. Noch in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wiesen etwa 95 % der Deutschen in der damaligen Sowjetunion eine Bindung an die deutsche Muttersprache auf. Heute wird dieser Anteil auf höchstens 20 % geschätzt. Die Gründe für diesen rapiden Sprachbindungsverlust innerhalb von weniger als einhundert Jahren sind bekannt. Schon in den 1930er Jahren wurde die starke Sprachbindung innerhalb der deutschen Volksgruppe durch die staatliche Politik der Kollektivierung aufgeweicht. Sie beendete die Jahrhunderte alte Tradition der geschlossenen Siedlungsweise der Deutschen in Kleingemeinden. In den Kolchosen kam es zur Durchmischung der Bevölkerung. Schon zur einfachen Verständigung mussten auch die Deutschen sich des Russischen bemächtigen. Zur gleichen Zeit wurde Russisch obligatorisch zur Unterrichtssprache in den nationalen Republiken und Verwaltungsgebieten verfügt. Lehrer wie Schüler waren gezwungen, den bisher auf Deutsch geführten Unterricht von einem zum anderen Tag in Russisch abzuhalten. Die bisherigen Unterrichtsmaterialien waren nicht mehr verwendbar und wurden vernichtet.

Die einschneidenden Folgen des Zweiten Weltkriegs und vor allem Hitlers Überfall auf die Sowjetunion, die im unmittelbaren Zusammenhang damit vollzogenen Deportationen und die über viele Jahre aufrecht erhaltenen Repressionsmaßnahmen zulasten der deutschstämmigen Bevölkerung sind sicher das maßgebliche Schlüsselereignis für den bis heute nachwirkenden Verlust der Sprachbindung. Insbesondere die über riesige Entfernungen zerstreute Wiederansiedlung der Wolgadeutschen, die Unterdrückung und Diskriminierung des Gebrauchs der deutschen Sprache in Wort und Schrift haben ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt:

Im Zeitraum von 1942 bis 1955 erschienen in der Sowjetunion kein einziges Buch und keine einzige Zeitung in der Muttersprache eines Volkes von 1,5 Millionen Menschen! Das Bildungsniveau der Deutschen sank vom einst zweitbesten Platz in der Rangliste aller Völker der Sowjetunion auf den 18. Platz zum Ende der 1980er Jahre.

All diesen äußeren Widrigkeiten zum Trotz ist die deutsche Muttersprache aber nicht völlig untergegangen. Warum nicht?

Die Antwort findet sich in den zahlreichen Schilderungen und Dokumentationen aus der schweren Zeit der Repressionen. Sie sind Beleg dafür, dass die von Geburt an erlernte Sprache mehr beinhaltet als nur Kommunikationsfähigkeit:
Sie ist die Sprache des Herzens, die selbst dann noch Halt und Orientierung gibt, wenn sich um einen herum Hoffnungslosigkeit breit macht.
Besonders eindrücklich kommt diese Dimension in dem sicher allseits bekannten Gedicht von Erna Hummel „An meine Muttersprache“ zum Ausdruck.
[…]
Wenn ich im Staub auch deinetwegen lag,
bliebst du die Kraft, die neue Hoffnung gab,
wenn ich auch tausendmal durch dich verlor,
ein Hoch dem Glück, das ich durch dich erkor!“

Man kann sich unschwer vorstellen, welche emotionale Kraft und Unerschrockenheit hinter solchen Zeilen stehen - insbesondere, wenn man sich vor Augen führt, dass die deutsche Sprache während des Krieges und lange Zeit danach als Sprache der Faschisten, der Staatsfeinde, galt; ein Makel, der ihr zuweilen bis heute noch anhaftet.

Sprache ist somit eindeutig mehr als nur Verständigungsmedium. Sie ist das zentrale Merkmal kultureller Identität und spiegelt die enorme Vielfalt dieser Identitäten auf unserer Erde wieder. Das erklärt auch, warum die Anzahl der lebendigen Sprachen den Gesamtbestand von etwa 200 Nationalstaaten um das 30fache übersteigt. Diese Vielfalt ist eine Bereicherung und für uns alle ein Ansporn zu ihrer Bewahrung.

Wie kann das gelingen?

Wenn wir über die Vermittlung der deutschen Sprache für die Volksgruppe der Russlanddeutschen in der Russischen Föderation und deren strategische Ausrichtung sprechen, dann gilt es, zunächst die Ausgangslage zu berücksichtigen.
Nicht das Lernen und Unterrichten der deutschen Sprache als Basis der Verständigung steht hierbei im Vordergrund. Diesem Feld ordne ich die Methoden und Instrumente der Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache zu, sei es in Gestalt staatlicher russischer Bildungsprogramme oder auch über die verdienstvolle Arbeit der Goethe-Institute und ihrer Sprachlernzentren.

Es geht vielmehr um die Übermittlung der Sprache als Träger kultureller Eigenart und damit auch als ein Ausdruck geschichtlicher und kultureller Erfahrung.

In diesem Sinne bietet das bereits zitierte europäische Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten gleichermaßen Rückendeckung wie Orientierung. Ziel der staatlichen Minderheitenpolitik muss danach der Erhalt der Minderheitensprache sein und ihre Förderung sollte sich eng an den Bedürfnissen der Minderheit orientieren.

Idealerweise sind es Institutionen der Minderheit selbst, die die Bestandteile und Vorgaben eines muttersprachlich fundierten Bildungswesens entwickeln und eine authentische Vermittlung von Sprache und Kultur sicherstellen. Denn wer sonst könnte treffender definieren, welchen Stellenwert der Gebrauch der überlieferten Muttersprache für das Begreifen und Leben der eigenen Identität hat, als die Vertreter dieser Identität selbst?

Das "Kopenhagener Dokument" vom Juni 1990, das von allen Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterschrieben wurde, beschränkt allerdings die Identität einer nationalen Minderheit nicht nur auf die Sprache, sondern formuliert viel weiter: "Angehörige nationaler Minderheiten haben das Recht, ihre ethnische, kulturelle, sprachliche und religiöse Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln [..]". Die religiöse Dimension der Frage der nationalen Minderheiten hatte kurz zuvor auch Papst Johannes Paul II in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag am 1. Januar 1989 "Um Frieden zu schaffen, Minderheiten achten!" deutlich gemacht, indem er ausführte, dass sich die Heimat der Minderheiten "mit [deren] Identität selbst, mit den eigenen […] kulturellen und religiösen Traditionen verbindet".

Die Achtung der Minderheiten, so Papst Johannes Paul II. "muss als der Prüfstein für ein harmonisches gesellschaftliches Zusammenleben und als Beweis für die von einem Land und seinen Einrichtungen erreichte gesellschaftliche Reife angesehen werden." Weiter formulierte der Heilige Vater: "In einer wirklich demokratischen Gesellschaft den Minderheiten die Teilnahme am öffentlichen Leben zu gewährleisten, ist ein Zeichen für einen gehobenen gesellschaftlichen Fortschritt. Er gereicht all jenen Nationen zur Ehre, in denen allen Bürgern in einem Klima wirklicher Freiheit eine Teilnahme garantiert ist."

Mein verehrter Vorgänger im Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Staatssekretär Dr. Horst Waffenschmidt, der wie nur wenig andere ein Beispiel für politische Gestaltung aus christlicher Verantwortung heraus geboten hat, hat bei der Hilfenpolitik der Bundesregierung immer auch die kirchlichen Strukturen im Auge gehabt und sich für die Unterstützung der Gemeinden eingesetzt. Auch ich suche bei meinen Reisen zu den Angehörigen der deutschen Minderheiten immer auch den Kontakt zu Vertretern der Kirchen. Schon früher war ich auf gemeinsamen Reisen mit Dr. Horst Waffenschmidt mit Erzbischof Joseph Werth aus Nowosibirsk zusammengetroffen. Im August letzten Jahres hatte ich bei meinem Besuch in Usbekistan eine Begegnung mit dem dortigen evangelischen Bischof Cornelius Wiebe. Bei meinem jetzigen Besuch in Moskau werde ich ein erstes Gespräch mit dem neugewählten Erzbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Russlands, Dietrich Brauer, haben, auf das ich mich schon sehr freue.

Die deutsche Bundesregierung erhielt im Zuge der Perestroika und Öffnung der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre die Gelegenheit, die Deutschen in der damaligen Sowjetunion bei deren Ringen um die Bewahrung der kulturellen und muttersprachlichen Identität zu unterstützen. Ihnen, die am längsten und nachhaltigsten unter der Aggressionspolitik des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und den Folgen des Krieges in Europa zu leiden hatten, konnte dringend benötigte Unterstützung gewährt werden. Deutschland hat diese Gelegenheit ergriffen und seit Beginn der 1990er Jahre jedes Jahr erhebliche Summen als Beitrag zur „Wiedergeburt“ der deutschen Volksgruppe in der Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten bereitgestellt.

Diese Hilfestellung erfolgte in Wahrnehmung der historischen Mitverantwortung für den gewaltsam erlittenen Heimat- und Gemeinschaftsverlust und stand in den ersten Jahren ganz im Zeichen einer Mitwirkung an der Sicherstellung elementarster Bedürfnisse wie Wohnraum und Arbeit. Gleichzeitig sollte aber bereits dem erkennbaren Verlust der Bindung an die deutsche Sprache entgegengewirkt werden. Dies geschah seit Mitte der 1990er Jahre mit einem breit angelegten Angebot an Deutschsprachkursen.

Als junger Abgeordneter des Deutschen Bundestages hatte ich damals selbst Gelegenheit, den ersten Aussiedlerbeauftragten und Parlamentarischen StaatssekretärDr. Horst Waffenschmidt auf seinen zahlreichen Reisen in die Siedlungsgebiete der Russlanddeutschen zu begleiten. Sehr gerne denke ich an die dabei gewonnenen Erfahrungen und Eindrücke zurück. Wie Sie sehen, haben diese Erfahrungen mich und meine langjährige Arbeit als Bundestagsabgeordneter nachhaltig geprägt. Dies so nachhaltig, dass ich heute selbst als Beauftragter der Bundesregierung Ihre Interessen mit wahrnehmen darf.

Die Spracharbeit für die Russlanddeutschen ist nach dem Dargelegten von Anfang an ein zentraler Schwerpunkt der deutschen Förderpolitik gewesen. Und sie ist es bis heute.

Die aktuellen Förderschwerpunkte zielen im Wesentlichen darauf ab, zum Fortbestand einer eigenständigen und zukunftsfähigen deutschen Volksgruppe mit eigener kultureller Identität in der Russischen Föderation beizutragen. Dabei spielt die außerschulische Sprachvermittlung in den Begegnungsstätten - insbesondere zur Wiedererlangung und zum Erhalt muttersprachlicher Kenntnisse - nach wie vor eine tragende Rolle. Sie prägt weitere Förderfelder entscheidend mit, wie z. B.gemeinschaftsfördernde Aktivitäten zur Stärkung und Entwicklung der Identität oder die Jugendarbeit.
Unterstützt werden ferner der Ausbau und die Konsolidierung der Selbstorganisation der Russlanddeutschen sowie die Herausbildung und Förderung junger Führungskräfte aus den eigenen Reihen. Gegenstand unserer Fördermaßnahmen bleiben ebenfalls gesundheitlich und sozial motivierte Hilfestellungen insbesondere für bedürftige Vertreter der Erlebensgeneration.

Die Förderung der Spracharbeit umfasst von Beginn an neben dem Angebot an außerschulischen Kursen zum Erwerb bzw. Wiedererwerb einfacher Sprachkenntnisse für die Alltagsanwendung auch die didaktische Entwicklung und Bereitstellung des Lehr- und Lernmaterials sowie die Ausbildung der Deutschlehrer. Wertvolle Pionierarbeit hat in diesem Zusammenhang die als Mittlerorganisation eingesetzte Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit geleistet, der ich an dieser Stelle einmal ausdrücklich danken möchte. Das von ihr ins Leben gerufene Bildungs- und Informationszentrum (kurz: BIZ) mit seinen qualifizierten Fachkräften ist nach wie vor fester Bestandteil der Spracharbeit der Russlanddeutschen.

Dabei erfolgte immer auch eine Abstimmung der mit Mitteln des Bundesinnenministeriums geförderten und umgesetzten Sprachkonzepte. Sie orientieren sich gezielt am Bedarf der Russlanddeutschen. Sie waren abzustimmen mit den allgemeinen Sprachlernangeboten der vom Außenministerium unterstützten Einrichtungen im Ausland, wie den Goethe-Instituten und Sprachlernzentren. Mir ist wichtig, dass hier auch eine gegenseitige Unterstützung und ein Erfahrungsaustausch stattfinden. Das funktioniert nach meinem Kenntnisstand gut.

Die vom Bundesinnenministerium finanzierten und an den Begegnungszentren und Deutsch-Russischen Häusern gebührenfrei angebotenen Sprachkurse sind in erster Linie für russlanddeutsche Interessenten konzipiert und berücksichtigen sowohl deren ethnokulturellen Hintergrund als auch die häufig nur sehr geringen Ausgangskenntnisse. Ziel ist hier die Vermittlung des Sprachniveaus A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Das vom Auswärtigen Amt unterstützte Sprachkursangebot der Goethe-Institute und der Sprachlernzentren beinhaltet dagegen nach meiner Kenntnis mindestens das Sprachlern-Niveau A 2 sowie weitere, darauf aufbauende Kompetenzstufen und richtet sich grundsätzlich an alle am Erlernen der deutschen Sprache Interessierte.
Es freut mich besonders zu hören, dass das Goethe-Institut 90 Stipendien für die kostenlose Teilnahme an weiterführenden Sprachkursen für interessierte Russlanddeutsche zur Verfügung stellt. Ich freue mich auch darüber, dass das Goethe-Institut nicht nur heute an der Konferenz teilnimmt, sondern auch ständiges Mitglied des Sprachrates der Selbstorganisation der Russlanddeutschen ist, der die entsprechenden Sprachkonzepte erstellt und permanent weiterentwickelt. Dafür gebührt den Mitarbeitern des Goethe-Instituts unser herzlicher Dank!

Die gerade skizzierte Sprachförderpolitik konnte allerdings bei allem guten Willen lediglich an den äußerlich erkennbaren Defiziten ansetzen. Sie konnte und sie kann daher nicht die durch eigene Erfahrungen und Empfindungen der Betroffenen definierten Bedürfnisse in vollem Umfang abdecken.
Hier bedarf es der aktiven Mitwirkung der Zielgruppe selbst. Dies ist in der Russischen Föderation mit der vor etwa fünf Jahren eingeleiteten schrittweisen Übertragung der inhaltlichen Verantwortung für die Entwicklung und Umsetzung der aus Deutschland finanzierten Fördermaßnahmen auf eine eigene Organisationsstruktur der Russlanddeutschen geschehen.

In diesen Zeitraum fällt auch die Durchführung der ersten praktisch-wissenschaftlichen Sprachkonferenz im Jahr 2009, die unter dem Titel stand "Aktuelle Fragen des Lernens und Lehrens der deutschen Sprache: Sprache als Grundlage für die Identitätssicherung der Russlanddeutschen". Diese Konferenz hatte insofern eine historische Dimension, als sie den ersten Versuch darstellte, gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren und Institutionen den Zustand und die Perspektiven der Spracharbeit für die Russlanddeutschen und die Bedeutung für ihre Identität zu diskutieren. Sie war somit eine wichtige Zäsur in den bisherigen Bemühungen, den Russlanddeutschen den Gebrauch der Sprache der Väter und Mütter wieder neu zu vermitteln.
Eine stärkere Gewichtung der identitären Komponente in den Deutschsprachkursen, insbesondere für Kinder und Jugendliche, eine gezielte Entwicklung und Ausweitung von Sprachangeboten für Kinder im Vorschul- bzw. Kindergartenalter, und eine engere Verzahnung und Abstimmung aller an der Vermittlung der deutschen Sprache in der Russischen Föderation beteiligten staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte waren hervorzuhebende Ziele für die künftige Spracharbeit im Ergebnis der Konferenz von

2009. Inwieweit mit diesem neuen Ansatz in der Zwischenzeit die gewünschten Erfolge erzielt werden konnten, kann und möchte ich an dieser Stelle nicht bewerten. Dies zu beurteilen und zu diskutieren, ist vielmehr Aufgabe der hier versammelten Experten.

Ganz sicher aber ist es richtig, in regelmäßigen Abständen die vorhandenen Konzepte zu hinterfragen, die damit gemachten Erfahrungen kritisch zu überprüfen und gegebenenfalls die eigenen Bedürfnisse neu zu justieren oder neue Anforderungen zu berücksichtigen. Zu diesem Zweck haben Sie sich hier versammelt.
Dabei begrüße ich die internationale Ausrichtung des Meinungsaustausches. Auch wenn die Lebens- und Rahmenbedingungen für nationale Minderheiten in anderen Staaten selten vergleichbar sind und insbesondere die Historie der Russlanddeutschen eine einmalige bleiben wird - es lohnt sich immer, auch einmal über den Tellerrand zu schauen und möglicherweise doch von Beispielen anderer deutscher Minderheiten zu lernen.

Mit einer weiteren Anregung möchte ich meinen Beitrag hier schließen:
Nutzen Sie die Möglichkeiten, die Ihnen das digitale Zeitalter mit Internet und schnellen Übertragungswegen bietet. Gerade hinsichtlich einer engen Vernetzung Ihrer Informationsarbeit über die in diesem Land zu überwindenden Entfernungen hinweg, aber auch für den Blick "über den Tellerrand" auf Organisationen deutscher Minderheiten in anderen Herkunftsstaaten ist der Rückgriff auf die neuen Kommunikationsmöglichkeiten praktisch unerlässlich. Hier sehe ich noch großes Nutzungspotenzial auch zur Verbesserung der Spracharbeit.

Ich bin aber sehr gespannt, welche Erkenntnisse Sie in den kommenden Tagen bilanzieren und welche Strategie die Spracharbeit von und für die Russlanddeutschen in der Russischen Föderation die kommenden Jahre prägen wird.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen regen Gedankenaustausch, lebhafte Diskussionen und bereichernde Begegnungen.

Quelle: www.aussiedlerbeauftragter.de

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