„Wir drängen uns nicht mit Ratschlägen auf“: Berlin und Moskau sprechen wieder offiziell über die Russlanddeutschen

Sie gehören zu beiden Ländern: Die Russlanddeutschen sind sowohl eine der Volksgruppen Russlands als auch eine der deutschen Minderheiten im Ausland. Für Berlin vertritt Hartmut Koschyk als Beauftrager für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ihre Interessen auch gegenüber Moskau. Jetzt ist es erstmals seit Jahren wieder zu offiziellen Gesprächen mit der russischen Seite gekommen (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 8 (399), April 2015). 

Sie gehören zu beiden Ländern: Die Russlanddeutschen sind sowohl eine der Volksgruppen Russlands als auch eine der deutschen Minderheiten im Ausland. Für Berlin vertritt Hartmut Koschyk als Beauftrager für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ihre Interessen auch gegenüber Moskau. Jetzt ist es erstmals seit Jahren wieder zu offiziellen Gesprächen mit der russischen Seite gekommen (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 8 (399), April 2015).

Herr Koschyk, Sie haben jetzt bei Ihrem ersten Moskaubesuch nach über einem Jahr im Amt auch erstmals mit russischen Vertretern der Minderheitenpolitik gesprochen. Um was geht es in diesem Bereich, grob gesagt, eigentlich?

Es kommt immer auf den ehrlichen Willen einer Regierung an, Bürgern, die nicht zur Mehrheitsbevölkerung gehören und die sich als ethnische Minderheit definieren, alle Rechte einzuräumen, um als Minderheit mit einer eigenen Kultur, Sprache und religiöser Identität zu überleben. Unser Verständnis dabei ist, dass der Staat minderheitenbedingte Nachteile durch eine Art positive Diskriminierung ausgleicht. Und dass das Land, in dem sie leben, und das Land, mit dem sie kulturell verbunden sind, möglichst gut zusammenarbeiten.

Braucht Russland hier überhaupt Ratschläge? Es ist doch, anders als Deutschland, seit Jahrhunderten ein Vielvölkerstaat.

Wir drängen uns nicht mit Ratschlägen auf. Russland hat das europäische Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten unterzeichnet und ratifiziert. Ob Russland seine entsprechenden Verpflichtungen erfüllt, das sollen die Experten des Europarates überprüfen. Für jeden Staat ist es wichtig, dass die eigenen nationalen Minderheiten zufrieden sind.

In der deutsch-russischen Zusammenarbeit auf diesem Gebiet dient noch immer das Regierungsprotokoll von 1992 als Grundlage. Darin ist auch von einer eigenen Republik der Deutschen in Russland die Rede, was man hier für illusorisch hält. Die Russen wünschen sich eine Neufassung des Protokolls.

Wir sind bereit, darüber zu reden, was davon überholt ist und was vielleicht neu bedacht werden muss. Dabei lassen wir uns von unseren Erfahrungen und unseren Prinzipien leiten, wie sie in anderen bilateralen Vereinbarungen betreffend deutscher Minderheiten festgelegt sind.

Der Knackpunkt für das neue Protokoll scheint zu sein, dass sich Moskau für alle Russland- deutschen im Ausland zuständig sieht.

Wir haben ja nicht nur mit Russland eine Zusammenarbeit über russische Bürger deutscher Herkunft, sondern auch zum Beispiel mit Kasachstan. Natürlich kann man argumentieren, dass die Deutschen, die heute in Kasachstan leben beziehungsweise von dort nach Deutschland ausgesiedelt sind, einst auf dem Gebiet der heutigen Russischen Föderation ansässig waren. Und dass man deswegen eine Art der Verantwortung oder Zuständigkeit für sie ableitet. Ich teile diese Argumentation nicht. Vielleicht ist nämlich für die Betroffenen selbst ihre Familiengeschichte in Kasachstan wichtiger als die im früheren Russland.

Was ist der deutsche Standpunkt?

Wir unterstützen jeden Deutschen, der zu uns kommt, bei seiner Integration, egal aus welchem Teil der ehemaligen UdSSR. Sie sollen ihre Identität behalten können, wie auch immer diese von ihnen verstanden wird. Das ist kaum vereinbar mit der Sichtweise, dass jeder Bürger, der aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu uns gekommen ist, eine russische Identität hat und daher auch von Russland „betreut“ werden muss.

Wenn diese Menschen aber die russische Sprache und Kultur als wesentlich für ihre Identität ansehen, ist dann nicht tatsächlich eher Russland der Ansprechpartner als etwa Kasachstan?

Diese Frage müssen die Menschen für sich selbst beantworten, sie muss nicht Teil des Regierungsprotokolls sein. Ich weiß um die große Strahlkraft der russischen Sprache und Kultur. Wir könnten uns darüber Gedanken machen, was wir in Deutschland für die Verbreitung der russischen Sprache und Kultur machen können, wenn wir die kulturelle Dimension unserer Beziehungen etwa in einem Kulturabkommen definierten.

Das Interview führte Bojan Krstulovic.


Hintergrundinformation:

Das noch geltende Protokoll von 1992

Bis heute ist das Protokoll „zur stufenweisen Wiederherstellung der Staatlichkeit der Russlanddeutschen“ von 1992 die Grundlage für die Zusammenarbeit von Berlin und Moskau in Fragen der deutschen Volksgruppe in Russland. Die „Staatlichkeit“ bedeutete damals die Wiederherstellung der „Republik der Wolgadeutschen“ in der Gegend um Saratow. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Versuche, ein neues Protokoll zu formulieren, die aber bisher an zwei Fragen scheiterten: ob Moskau die Russlanddeutschen wirklich vollständig rehabilitiert hat und ob es der Ansprechpartner für die Bundesregierung für alle Aussiedler aus der ehemaligen UdSSR sein kann.

Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 8 (399), April 2015.

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