Ein deutscher Baumeister im Zarenreich: Carl Schmidt prägte das St. Petersburg der Jahrhundertwende

Für die Stadtplaner St. Petersburgs war von Anfang an auch Berlin ein Vorbild. Neben anderen Westeuropäern wurden denn Baumeister aus Deutschland zum Aufbau der Stadt gerufen. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten und arbeiteten mehr als 300 deutsche Architekten in der „Nördlichen Hauptstadt“. Zum Beispiel Carl Schmidt (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 18 (409) vom 29. September 2015).     

Für die Stadtplaner St. Petersburgs war von Anfang an auch Berlin ein Vorbild. Neben anderen Westeuropäern wurden denn Baumeister aus Deutschland zum Aufbau der Stadt gerufen. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten und arbeiteten mehr als 300 deutsche Architekten in der „Nördlichen Hauptstadt“. Zum Beispiel Carl Schmidt (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 18 (409) vom 29. September 2015).

Carl Schmidt als Person ist wenig bekannt. Seine Bauten dagegen umso mehr. Seinen Werdegang untersucht seine Enkelin Erika Voigt bis heute. Mit Begeisterung erzählt die 80-jährige Historikerin in ihrer Berliner Neubauwohnung vom Leben ihres Großvaters in Russland und Deutschland.

Carl Schmidts Vater kommt 1863 als Schiffsbauer aus der norddeutschen Kleinstadt Anklam auf Arbeitssuche nach St. Petersburg. Der 1866 geborene Carl besucht die renommierte, deutschsprachige Petri-Schule und gleichzeitig Kurse an der Stieglitz‘schen Zeichenschule. „Der Carl war kein Träumer“, erzählt die Historikerin Voigt, „Er wusste immer, wohin er wollte, tat alles dafür.“ So knüpft er schon als Schüler Kontakte zu Professoren der Zeichenschule sowie der Akademie der Künste, wo er dann sein Architekturstudium absolvierte.

Anfänge als Architekt

Seine ersten praktischen Erfahrungen sammelt er beim russischen Architekten Pomeranzew und dem Bau des GUM in Moskau. Das Studium beendet er mit Auszeichnung und reist zu Studienzwecken durch Europa. Sein Vater fand derweil eine feste Anstellung in Twer. Hierher kehrt Carl Schmidt von seiner Europareise zurück und lernt seine zukünftige Ehefrau Erika aus dem Hause des evangelisch-lutheranischen Pastors Johansen kennen. Gemeinsam werden sie fünf Kinder großziehen. Obwohl Schmidt vornehmlich in und um St. Petersburg arbeiteten wird, hinterlässt er auch in der Heimatstadt seiner Frau an der Wolga Spuren: Zwischen 1901 und 1905 realisiert er Mietskasernen und Fabrikgebäude der Berg‘schen Textilfabriken im zeitgenössischen und kostengünstigen Ziegelstil.

Sein erster großer Auftrag als selbstständiger Architekt liegt derweil bereits einige Jahre zurück: das Alexandrinische Frauenhaus in Petersburg, eine der evangelischen Gemeinde angegliederte gynäkologische Klinik. In seinen Tagebüchern berichtet Schmidt von seiner folgenden Tätigkeit im Kuratorenrat des Hauses, die er bis zum Ende des Ersten Weltkrieges ausführen sollte. Bei der Auftragsvergabe konkurrierte er als Neuling mit den bereits gestandenen Petersburger Architekten Küttner und Schröter. Und gewann.

Form und Funktion

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt auch in Russland die Industrialisierung richtig in Gang. Das beeinflusst die Architektur: „Die Form folgt der Funktion“ – dieses Prinzip gilt auch für Schmidts Bauten. Er verbindet die in Russland bereits populäre Ziegelbauweise mit den Stilen der aufkommenden Moderne.

Der bis heute berühmteste Bau Schmidts ist das Geschäfts- und Wohnhaus des Goldschmieds Fabergé, mit dessen Familie Schmidt eine enge Freundschaft verband. Später baut er ebenso ihr Sommerhaus in Pawlowsk. Bis 1914 projektiert er Wohn- und Mietshäuser für die Geschäftsleute Forostowskij, König und Lenz, die Telefonfabrik des Schweden Ericsson, den Neubau des Mädchengymnasiums von Emilie Schaffe. Die Bauten zeugen von zunehmendem Pragmatismus und lebenspraktischen Erwartungen an die Architektur, als auch von Schmidts buntem Kundenkreis.

Er sei ein geselliger Mensch gewesen, erzählt seine Enkelin: „Wenn er einmal jemanden als sympathisch kennengelernt hatte, ließ er diese Bekanntschaften nicht mehr los.“ Er habe zu allen ein gutes Verhältnis gehabt, zu Russen und Deutschen. Er besaß beide Pässe, sprach beide Sprachen, engagierte sich für die Belange der Einwohner von Pawlowsk, wo er sich und seiner Familie eine Heimstätte baute. Er war gut integriert.

Berlin und Briefmarken

Mit dem Ersten Weltkrieg und der Oktoberrevolution 1917 kam der Bruch: Das Klima gegenüber den Deutschen wurde rau. Ihre Institutionen wie die Petri-Schule wurden geschlossen. Wer blieb, „russifizierte“ sich. Die Schmidts entschieden sich, wie eine Reihe anderer Vertreter der Petersburger Deutschen, 1918 für die Ausreise. Ihre Besitztümer in Russland wurden komplett konfisziert. Die Familie kam zunächst nach Jena, lebte dann bis zum Tode Schmidts 1945 in Kleinmachnow bei Berlin. Als Architekt war Schmidt in Deutschland nicht gefragt. Er widmete sich darum seinem langjährigen Hobby: dem Sammeln wertvoller Briefmarken. Heute ist er in Westeuropa weitaus bekannter als Philatelist denn als Architekt.

Deutsche Architekten realisierten seit der Stadtgründung Prestigebauten im zaristischen St. Petersburg. Eine kleine Auswahl der prominentesten Vertreter.

Andreas Schlüter (1660 – 1714)

Als Baumeister unter Kurfürst Friedrich III. gestaltet Schlüter die Außenfassade des Berliner Schlosses und baute für die Stadt eine Reihe Standbilder der Fürstenfamilie. 1701 entwirft er das berühmte Bernsteinzimmer. Seine Berliner Karriere endet mit einer Unglücks- reihe und Schlüter kommt auf Einladung Peters des Großen als Baudirektor nach St. Petersburg. Hier vollendet er, gemeinsam mit Johann Friedrich Braunstein, den Großen Palast in Peterhof.


Leo von Klenze (1784 – 1864)

Der neben Karl Schinkel bedeutendste Vertreter des Klassizismus, von Klenze, bekam von Zar Nikolaus I. den Auftrag zur Errichtung der Neuen Eremitage. Es war der letzte Teil des in Russland ersten ausschließlich als Museumsgebäude geplanten Komplexes.


Hieronymus Küttner (1839 – 1929)

Der Russlanddeutsche Küttner war von 1905 bis 1917 Vorsitzender der Petersbuger Architektengesellschaft. Er errichtetet die früheren Markthallen am Sennaja-Platz sowie das Landwirtschaftliche Museum in St. Petersburg. Wie Schmidt emigriert Küttner 1918 nach Deutschland und stirbt in Leipzig.


Victor Schröter (1839 – 1901)

Schröter stammte aus einer baltisch-deutschen Familie, machte am russischen Zarenhof mit seinen Theaterbauten von sich reden, dar- unter die Nationaloper in Kiew, die Stadttheater Irkutsk und Nischnij Nowgorod und das Petersburger Mariinskij-Theater. Seine Nachfahren arbeiten bis heute als Architekten in St. Petersburg.

Literatur:

Die Historikerin und Carl Schmidts Enkelin Erika Voigt recherchiert seit über 20 Jahren zu ihrer Familiengeschichte. Über den Architekten Carl Schmidt veröffentlichte sie ihre Ergebnisse in beiden Ländern:

„Carl Schmidt – ein Architekt in St. Petersburg 1866-1945“ erschien 2007 in deutscher Sprache in Zusammenarbeit mit dem gebürtigen Nowosibirsker, heute in Stuttgart lebenden Architekten Heinrich Heidebrecht.

„Der Architekt Carl Schmidt. Leben und Werk“ wurde auf Russisch 2011 mit einer Ergänzung des Petersburger Architekten Boris Kirikow publiziert.


Von Peggy Lohse
Moskauer Deutsche Zeitung

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