Anerkennung der Berufsabschlüsse von Aussiedlern weiterhin auf der politischen Tagesordnung


Aussiedler sind verglichen mit anderen Zuwanderungsgruppen bereits vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Regel beruflich gut qualifiziert. Allerdings stellt die notwendige Anerkennung der Berufsabschlüsse in Deutschland eine Hürde, so dass gut ausgebildete Aussiedler in der Vergangenheit vielfach keinen oder nur einen Beruf mit geringeren Qualifikationsanforderungen fanden.

Aussiedler sind verglichen mit anderen Zuwanderungsgruppen bereits vor ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Regel beruflich gut qualifiziert. Allerdings stellt die notwendige Anerkennung der Berufsabschlüsse in Deutschland eine Hürde, so dass gut ausgebildete Aussiedler in der Vergangenheit vielfach keinen oder nur einen Beruf mit geringeren Qualifikationsanforderungen fanden.

Dadurch wurde wertvolles Potenzial verschenkt. Die Anerkennung beruflicher Abschlüsse von Aussiedlern wurde in bestimmten Fällenbereits in der Vergangenheit durch einschlägige Bestimmungen des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) erleichtert. Spätaussiedler profitieren seit April 2012 auch vom Gesetz zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen, das sich allerdings nur auf die Berufe bezieht, die durch rechtliche Vorgaben des Bundes geregelt sind.

Betreffend die konkrete Umsetzungen der gesetzlichen Vorgaben haben der Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Hartmut Koschyk MdB, Vertreter des Bundes der Vertriebenen und besonders betroffener Landsmannschaften und der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Stefan Müller MdB zu einem Fachgespräch mit Vertreterinnen und Vertretern zuständiger Behörden, Fachexperten und Verbänden ins Bundesministerium des Innern eingeladen.Bundesbeauftragter Koschyk wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass er seit seinem Amtsantritt als Aussiedlerbeauftragter immer wieder auf praktische Probleme bei der Berufsanerkennung hingewiesen wordensei , und dankte dem Staatssekretär Müller für dessen spontane Zusage für ein entsprechendes Fachgespräch. Gerade vor dem Hintergrund wieder wachsender Zuzugszahlen [Verlinkung auf Pressemeldung] habe dieses Thema zusätzliche Aktualität gewonnen. Aber nicht nur die neu hinzuziehenden Spätaussiedler stellten für das zunehmend unter Fachkräftemangel leidende Deutschland eine große Chance dar. Auch die hier bereits seit längerem lebenden Aussiedler verfügten häufig noch über nicht genutzte Qualifikationen. „Wir können es uns nach wie vor nicht leisten, auf dieses teilweise brachliegende Potenzial von Spätaussiedlern zu verzichten, vor allem im Bereich der pädagogischen Berufe!“, so Bundesbeauftragter Koschyk.

Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Stefan Müller MdB, unterstrich zu Beginn seines Einführungsvortrages, dass das Anerkennungsgesetz vom 1. April 2012 einen Paradigmenwechsel markiert, nämlich weg von der Perspektive, dass Migranten grundsätzlich Unterstützung bräuchten, und hin zum Blick auf deren Fähigkeiten und Potenziale. Ziel des Anerkennungsgesetzes sei es, den Menschen mit ausländischen Qualifikationen die Chance zur Nutzung derselben auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu geben. Durch das Anerkennungsgesetz wurde im Bereich der Dualen Berufsausbildung ein Anspruch auf individuelle Prüfung der Gleichwertigkeit von ausländischen Berufsabschlüssen mit inländischen Referenzqualifikationen geschaffen. Die genauen Vorgaben für diese Gleichwertigkeitsverfahren, die durch die zuständigen Kammern – Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern – durchzuführen sind, finden sich im gleichzeitig verabschiedeten Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz. Zudem änderte der Bund 60 Berufsgesetze für die Berufe, in denen der Berufszugang durch den Bund geregelt wird. Zu diesen zählen beispielsweise die Gesundheitsberufe. Eine wichtige Neuerung des Anerkennungsgesetzes ist weiter, dass auch Berufserfahrung berücksichtigt werden kann, um ein festgestelltes Qualifikationsdefizit auszugleichen. Außerdem müssen in den reglementierten Berufen die konkreten Qualifizierungsmaßnahmen aufgezeigt werden, die für eine vollwertige Anerkennung notwendig sind.

Für Spätaussiedler bringt das Anerkennungsgesetz keinen Nachteil, im Gegenteil: Der einschlägige § 10 des BVFG bleibt ausdrücklich weiterhin anwendbar, Spätaussiedler können im nicht reglementierten Bereich zwischen beiden Verfahren wählen. Seit dem Inkrafttreten des Anerkennungsgesetzes wurden allein nach diesem bis Ende 2014 insgesamt rund 44.000 Anträge gestellt. Von den beschiedenen Verfahren endeten rund 78 % mit einer vollen Gleichwertigkeit, nur 3,6 % wurden abgelehnt, in den übrigen Fällen wurde eine teilweise Gleichwertigkeit festgestellt. Das Bundesinstitut für Berufsbildung in Bonn erstellt im Auftrag des BMBF jedes Jahr einen Bericht über die Umsetzung des Anerkennungsgesetzes. Dieser Monitoringprozess dient dazu, Stärken und Schwachstellen der Umsetzung frühzeitig zu ermitteln und weitere Verbesserungen anzustoßen.

Die Ergebnisse des Monitorings hätten gezeigt, dass gute Informations- und Beratungsstrukturen eine zentrale Bedeutung für das Anerkennungsverfahren besitzen. Zentral für den Erfolg des Anerkennungsgesetzes sind außerdem Qualifizierungsmaßnahmen. Häufig benötigen die Antragstellenden weitere Qualifikationen, um die volle Anerkennung zu erreichen. Im Rahmen des Förderprogramms IQ (Integration durch Qualifikation) wird der Ausbau eines angemessenen Angebots von Qualifizierungsmaßnahmen gefördert. Hierfür und für die Ausweitung des Beratungsangebots werden während der nächsten vier Jahre aus Mitteln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds insgesamt 188 Mio. Euro bereitgestellt. Rund 120 Maßnahmen werden bundesweit gefördert. Nicht zuletzt ist der effiziente und einheitliche Vollzug der Anerkennungsregeln ein zentrales Erfolgskriterium. Besonders bewährt hat sich dabei eine Bündelung der Strukturen wie etwa durch die IHK FOSA (Industrie- und Handelskammer Foreign Skills Approval) in Nürnberg.

Auch bei der Zusammenarbeit der Bundesländer, die für die Mehrzahl der Fälle der Anerkennung von Berufsabschlüssen zuständig sind, tut sich etwas: 2016 wird eine zentrale Gutachtenstelle für die Gesundheitsberufe bei der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) eingeführt. Staatssekretär Müller sprach sich auch dafür aus, auch die Anerkennungsverfahren für pädagogische Berufe bei der ZAB zu bündeln.

Von den angereisten Fachexperten stellte zunächst Daria Braun von der Zentralen Erstanlaufstelle Anerkennung Berlin (ZEA) der Otto-Benecke-Stiftung die Anerkennungsberatung in der Praxis vor. Die Leistungen der ZEA umfassen die Erstinformation und Erstberatung für Personen, die einen Antrag auf Anerkennung einer im Ausland erworbenen Qualifikation stellen möchten. Weiterhin ist sie eine Servicestelle für Beratungsfachkräfte der Regelinstitutionen und von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, die bei Bedarf Schulungen und Informationsveranstaltungen wahrnehmen können. Außerdem vertritt die ZEA das IQ (Integration durch Qualifizierung) Netzwerk Berlin in der IQ Fachstelle Anerkennung und sichert so den Wissenstransfer zu den Teilprojekten, die Verfahrensbegleitung und Anerkennungscoaching leisten. Sie baut mit zuständigen Stellen und anderen relevanten Institutionen, beispielsweise Jobcentern im Hinblick auf Beratung von Anerkennungssuchenden, Kooperationsstrukturen auf. Dokumentation und Auswertung der Erstberatungen und Verfahrensbegleitungen bei der beruflichen Anerkennung sowie von Unterstützungsleistungen nach Verfahrensabschluss sind Teil eines professionellen Monitorings, das der Prozessgestaltung dient.

Daria Braun stellte die beiden Hauptgruppen unter den Spätaussiedlern vor, für die jeweils unterschiedliche Beratungsansätze gefunden werden müssten. Die eine Gruppe ist in ihrer Mehrzahl 35 bis 55 Jahre alt und ihre Berufsausbildung liegt schon längere Zeit zurück und ist oftmals dem deutschen Referenzabschluss nicht völlig adäquat. Dieses wird jedoch oft durch Erfahrungen, die während der Berufstätigkeit erworben werden konnte, zumindest teilweise ausgeglichen. Die zweite Gruppe ist unter 35 Jahre alt und hat erst kürzlich erworbene Berufsabschlüsse, die deutschen gleichwertig sind. Oftmals mangele es hier jedoch an der Berufserfahrung, die aber in Praktika nachgeholt werden könne. Speziell zur Unterstützung der Spätaussiedler schlug Daria Braun eine enge Kooperation mit der Landsmannschaft der der Deutschen aus Russland vor, was deren Geschäftsführer Ernst Strohmaier, der Bundestagsabgeordnete kasachstandeutscher Herkunft, Heinrich Zertik, und Gisela Schewell vom Bund der Vertriebenen ausdrücklich unterstützten.

Auf besonders große Schwierigkeiten stößt immer wieder die Anerkennung von Abschlüssen in pädagogischen Berufen. Elisabeth Sonnenschein von der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen in Bonn (ZAB) stellte hierzu zunächst die diesbezüglichen Ausbildungssysteme in der früheren Sowjetunion und in deren Nachfolgestaaten dar. Obwohl dort im Lehramtsstudium der Fokus auf die pädagogische Ausbildung und nicht auf die wissenschaftliche Qualifikation gelegt wird, unterrichteten die Lehrer zumeist nur in einem Fach. Dieses macht die Anerkennung in Deutschland schwierig, da zumeist mindestens zwei Fächer gefordert sind. Die Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler der Hessischen Landesregierung, Margarete Ziegler-Raschdorf, warb für eine pragmatische Handhabung in dieser Frage. Auch viele in Deutschland ausgebildeten Lehrer würden de facto nur ein Fach unterrichten. Die Nutzung dieses dringend benötigten Potenzials müsse im Vordergrund stehen. Der aus Kasachstan stammende Bundestagsabgeordnete Heinrich Zertig warb dafür, Spätaussiedler mit pädagogischen Berufsabschlüssen bei der schulischen Eingliederung der jetzt ankommenden Flüchtlinge verstärkt einzusetzen.

Andreas Dieckmann vom Ministerium für Wissenschaft und Wirtschaft des Landes Sachsen-Anhalt, gab für die deutschen Bundesländer einen Erfahrungsbericht über die Anerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse ab. In den letzten Jahren hätte eine Umorientierung von der Defizitorientierung zu Chancenorientierung stattgefunden. Selbst wenn das Anerkennungsverfahren keine oder nur eine teilweise Gleichwertigkeit mit der für einen deutschen Referenzberuf erforderlichen Qualifikation ergibt, sind sofort die Möglichkeiten zum Ausgleich aufzuzeigen. Dieser könne etwa durch Berufserfahrung und/oder durch sonstige Qualifikationen oder aber durch Anpassungs- bzw. Ausgleichsmaßnahmen wie Praktika oder Weiterbildung erfolgen.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt des Fachgesprächs bildete der Bereich der handwerklichen und gewerblichen Bildung.

Daniel Wörndl vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln stellte die Berufsausbildung in Deutschland und in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion vergleichend vor. Im Unterschied zu Deutschland mit seiner betrieblich basierten Berufsausbildung, die durch Berufsschulunterricht ergänzt wurde, herrschte in der Sowjetunion eine vollzeitschulische Berufsausbildung mit Betriebspraktika vor. Zudem gab es keine geregelte Aufstiegsfortbildung, sondern nur innerbetriebliche Weiterbildungen.

Daike Witt vom Zentralverband des Deutschen Handwerks sprach über die Anerkennungspraxis speziell im Handwerk. Gerade für das Handwerk mit seiner hohen Kundenorientierung seien gute Deutschkenntnisse bei den Beschäftigten sehr wichtig. Der Anerkennungswunsch seitens der Spätaussiedler sei nicht nur durch verbesserte Chancen bei der Arbeitssuche bestimmt, die Anerkennung des erlernten und ausgeübten Berufsstärke auch das Selbstwertgefühl. Bemerkenswerterweise seien ältere Berufsabschlüsse im östlichen Europa und in der Sowjetunion wegen ihrer besseren Dokumentation leichter auf Gleichwertigkeit zu prüfen. Problematisch hingegen seien neuere Abschlüsse, hier müssten Informationen über neue Ausbildungsgänge eingeholt werden, zudem fehle wegen der starke Verschulung der Ausbildungsgänge häufig die Berufspraxis Das Handwerk habe sog. „Leitkammern“ bestimmt, die jeweils für eine bestimmte Region die Prüfung der Abschlüsse übernehme.

Die Anerkennung in den gewerblich-technischen Berufen der IHK-FOSA (Foreign Skills Approval) stellte deren Geschäftsführerin Heike Klembt-Kriegel vor. Den Spätaussiedlern käme bei der Anerkennung ihrer Berufe zugute, dass die Ausbildungsordnungen in der Sowjetunion relativ gut beschrieben worden sind und sowohl der Ausbildungs- als auch der berufliche Werdegang i.d.R. durch das Arbeitsbuch sehr gut dokumentiert seien.

Nach einer ausgiebigen Diskussion der Vorträge fasst Bundesbeauftragter Koschyk resümierend zusammen, dass insbesondere bei pädagogischen Berufen angesichts des großen Bedarfs, aber auch aus Respekt vor der Lebensleistung der zugezogenen Fachleute ein großer Handlungsbedarf bestehe. Der Staat sollte den Pädagogen noch mehr konkrete Angebote machen.

Hartmut Koschyk brachte den Wunsch zum Ausdruck, dass bei der mit der Berufsanerkennung verbundenen Beratung noch mehr als bisher auch der Weg in die Selbstständigkeit aufgezeigt wird. Er habe als Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten mittlerweile viele erfolgreiche Unternehmeraus den Reihen der Spätaussiedler kennengelernt, die mit ihren Aktivitätenheute lebendige Brücken von Deutschland in ihre Herkunftsländer sind.

Bundesbeauftragter Koschyk sicherte zu, dass das Thema „Berufsanerkennung bei Spätaussiedlern“ weiterhin ein wichtiger Schwerpunkt in seiner Arbeit als Aussiedlerbeauftragter sein wird.

Eine Pressemitteilung von Bundesbeauftragten Hartmut Koschyk MdB vom 3.7.2015 zum Thema „Zuzug von Spätaussiedler trägt zur Abfederung des Demographischen Wandels bei“ finden Sie hier

Quelle: www.koschyk.de

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