Ein Porträt von Konstantin Rau


Weder elf schweren Jahre in der Trudarmee, noch all die späteren Heimsuchungen des Schicksals zwangen Konstantin Rau in die Knie.

Konstantin Rau wurde am 1. September 1926 im Dorf Bacharewka unweit der Stadt Rasskasowo, Wolgagebiet, geboren. In den 1930er Jahren zog die Familie zuerst ins Gebiet Woronesh und später ins Gebiet Tambow um. Hier bewohnten sie ein geräumiges Zweifamilienhaus und führten eine große Hauswirtschaft. Als Kostja neun Jahre war, und er zur Schule musste, kehrte die Familie ins Wolgagebiet zurück. Der Vater, von Beruf Bauarbeiter, arbeitete hier als Brigadier in der Maschinen-Traktoren-Station der Siedlung Seelmann. Kostja besuchte die deutsche Schule, konnte jedoch nur sieben Klassen meistern. Die achte Klasse fiel aus, denn es begann der Krieg. Im Jahre 1942 gab es in der Familie schon neun Kinder, zusammen mit ihnen wohnte außerdem auch der Großvater.

Hart traf die Familie, wie auch alle ihre Landsleute der Erlas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Aussiedlung der Russlanddeutschen aus dem Wolgagebiet. Man durfte nur Lebensmittel mitnehmen, doch die Mutter sagte: „Wir nehmen alles mit, was wir tragen können. Es ist einerlei, ob ich das hier oder auf der Bahnstation zurücklasse.“ Bis Saratow ging es der Wolga entlang mit dem Schiff. Zielstation war die Stadt Engels. Weiter ging es mit dem Zug bis zu Nowosibirsk. An Knotenpunkten hielt der Zug und die Aussiedler bekamen ihr Essen.

Als der Zug Sibirien erreichte wurden die Waggons einer nach dem anderen an verschiedenen Stationen abgehängt. An der Station Rybjewo musste auch die Familie Rau aussteigen, denn weiter ging es 35 Kilometer zu Fuß. Gut noch, dass wenigstens ihre Habseligkeiten auf einem Wagen transportiert wurden. Es stand später Herbst, wobei die Aussiedler sommerlich gekleidet waren, war es doch beim Aufbruch aus dem Wolgabiet noch warm gewesen. Die Mutter erkrankte unterwegs an Thyphus und musste sofort ins Krankenhaus. Die Familie Rau wurde bei den Einheimischen Bulgakows untergebracht. Die Neuankömmlinge wurden freundlich aufgenommen. Man heizte die Banja ein und bewirtete sie mit dem, was es gab: Brot, Kartoffeln, Milch. Schon am nächsten Morgen konnte der Vater als Chefbuchhalter in der Sowchose einspringen. Es fand sich auch für Kostja Arbeit. Er half bei der Kartoffelernte. Es war nicht leicht, aber es lohnte sich, denn jeden elften Eimer der Kartoffeln bekam man als Lohn. Da Kostja ein arbeitsamer Bursche war, brachte er jeden Abend bis zu zehn Eimer Kartoffeln nach Hause.

Am 23. November wurden Kostja und sein Vater ins Militärkommissariat vorgeladen. Der Vater wurde zwar vom Militärdienst freigestellt und durfte wieder nach Hause fahren. Für Kostja gab es leider kein Zurück. Er und die anderen Deutschen wurden in Viehwaggons verfrachtet und ins Gebiet Perm abtransportiert. Bei der Stadt Kisill mussten sie, an die 600 Personen, aussteigen. Am nächsten Tag wurden ihre kärgliche Habseligkeiten auf Wagen geladen, wobei sie selbst an die 60 Kilometer zu Fuß gehen mussten. Am Bestimmungsort brachte man sie in zwei langen Baracken unter. Ihnen stand die Arbeit auf dem Waldabschnitt Dolginskij bevor. Zweimal am Tag bekamen sie heißes Essen. Die Ration bestand aus Kohl- und Futterrüben, roten Beten, selten gab es Fisch und noch seltener etwas Fleisch. Im November und Dezember gab es noch 800 Gramm Brot. Der Holzschlag lag in etwa zehn Kilometern vom Wohnort, und diese mussten jeden Tag hin und zurück zu Fuß im kniehohen Schnee zurückgelegt werden. Die Arbeitsnorm galt vier bis fünf Kubikmetern Holz, was mit jedem Tag unmöglicher wurde, denn die Männer wurden unter der kärglichen Kost und der schweren Arbeit immer schwächer. Da die Norm nicht erfüllt wurde, verringerte man noch die Brotration bis auf 450 Gramm pro Tag.

Die Leute starben einfach weg. Bis zum Frühling waren von den 600 Männern nur noch 200 am Leben. Darunter auch Kostja. Er arbeitete bis die Kräfte es erlaubten beim Holzfällen, später war er Trinkwasserfuhrmann. Das Wasser musste er aus einem Eisloch holen und die Wassertonne füllen. Das war keineswegs leicht und das Peinlichste war dabei, dass seine Kleidung in dem herrschenden Frost immer vereist war. Eines Tages schlug man ihm vor, die Toten aus dem Lager wegzubringen. Er weigerte sich und musste von nun an zur Strafe Holz für die Bäckerei, Speisehalle und Krankenstation hacken. Doch Kostja sah es nicht als Strafe an. Es war zwar nicht leicht, aber dafür war seine Kleidung immer trocken und da er sehr hilfsbereit war, spendeten ihm die Köche und Bäcker oft etwas Essbares. So kam er irgendwie über die Runden.

Am 28. Mai 1943 brachte man die wenigen überlebten Deutschen über den Wolgafuss nach Tula, wo sie für die Arbeit in Kohlengruben eingesetzt wurden. Im Herbst desselben Jahres wurden sie ins Gebiet Perm versetzt. Hier arbeiteten sie im Ziegelwerk Perwomajskij. Diese Arbeit war einfacher, auch war man nur 12 Stunden täglich im Werk beschäftigt und die Brotration betrug 800 Gramm. Kostja verrichtete verschiedene Arbeiten, und weil er jung und kräftig war wohl auch die schwersten. Hier erlebte er auch das Ende des Krieges, aber nach Hause durften die Trudarmejzy noch nicht zurückkehren, sonst hätte der Betrieb still gelegt werden müssen. Viele wagten eine Flucht, aber dann kam Stalins Erlass, laut dem für die Flucht 25 Jahre Freiheitsentzug drohte.

Seit Ende des Krieges arbeitete Kostja im Maschinenbauwerk namens Woroschilow. Hier meisterte er die Berufe Graveur und Dreher. 1953 bekam er einen Abruf vom Vater. Eine Woche später kam die ofizielle Ablehnung des Abrufes. Kostja wandte sich an den Kommandanten und dieser entließ ihn trotz der Ablehnung. Am 23. November, genau nach elf Jahren Trennung, war Kostja bei den Eltern. In den Altai kam Konstantin Rau am 15. Mai 1959. Man hatte ihn als Dreher in die gerade gegründete Neulandsowchose „Zelinnyj“ eingeladen. Später war er im Sägewerk, dann 12 Jahre in der Gaswirtschaft tätig. Die letzten 15 Jahre seiner Berufstätigkeit war er Dreher.

Für seine hingebungsvolle Arbeit wurde er mehrmals mit Medaillen ausgezeichnet. Seit 1986 ist er Rentner, was ihn jedoch nicht hinderte noch bis 2005 in der Wirtschaft als Dreher zu arbeiten. Heute ist er 90, legt aber seine schwielige Arbeits- hände nicht in den Schoß. Zusammen mit der Ehegattin führt er eine kleine Hauswirtschaft, arbeitet im Garten und sorgt für Ordnung und Sauberkeit in seinem Hof. Beide strahlen trotz allen Schicksalsschlägen Optimismus und Zuversicht aus. Sie haben zwei Töchter und einen Sohn zu tüchtigen Menschen erzogen und helfen jetzt bei der Erziehung ihrer sechs Enkel und fünf Urenkel wo sie nur wissen und können tatkräftig mit.

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