Kleines Theater, große Geschichte: Russlanddeutsche hofften auf eine Autonomie, heute schauspielern sie in Deutschland


Im kleinen Kreis wird das Russland-Deutsche Theater Niederstetten am 21. November 20 Jahre seines Bestehens feiern. Auch das Theater ist klein: Es besteht aus nur drei Schauspielern. Aber die haben schon die halbe Welt bereist (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 22 (413), November 2015). 

Im kleinen Kreis wird das Russland-Deutsche Theater Niederstetten am 21. November 20 Jahre seines Bestehens feiern. Auch das Theater ist klein: Es besteht aus nur drei Schauspielern. Aber die haben schon die halbe Welt bereist (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 22 (413), November 2015).

Wenn das ein Theaterstück wäre, würden alle sagen, der Autor habe viel Fantasie, vielleicht sogar im Übermaß. Der russlanddeutsche Schauspieler Peter Warkentin wurde in Kasachstan geboren, ein Nachfahre plattdeutscher Mennoniten aus der Ukraine. Seine Lebensplanung war darauf ausgerichtet, in der Sowjetunion Theater zu machen, am besten in seiner Muttersprache. Der Traum ging 1980 in Erfüllung, als im kasachischen Temirtau ein deutsches Theater gegründet wurde. Doch dann zerfiel die Sowjetunion, Warkentin siedelte nach Deutschland über und lebt heute im baden-württembergischen Niederstetten, wo er mit seiner Frau wieder ein Theater unterhält, das Russland- Deutsche Theater. Man ist leidlich angekommen in der „historischen Heimat“. Der Sohn seines Bruder, so Warkentin, spreche statt des Plattdeutschen, das in der Familie über viele Generationen gepflegt wurde, schon Pfälzer Dialekt. Warkentin erzählt das mit Staunen in der Stimme, so als müsse er sich selbst manchmal zwicken beim Gedanken, was mit ihm und den Seinen in den letzten Jahrzehnten passiert ist.

Die Schauspielkollegen aus Kasachstan, mit denen er in Deutschland zunächst die gemeinsame Tätigkeit fortsetzte, sprangen nach und nach ab. Ein professioneller Theaterbetrieb ließ sich nicht länger finanzieren. „Die Kunst allein ernährt einen nicht“, sagt Warkentin. In der Sowjetunion zahlte der Staat die Gehälter, in Deutschland ist das Theater auf sich allein gestellt. Die Gemeinde Niederstetten stellt immerhin die Räumlichkeiten für eine Kleinkunstbühne mit 90 Plätzen zur Verfügung, wofür der 56-Jährige sehr dankbar ist. Und das Innenministerium steuerte 1995 das Geld für eine Licht- und Tonanlage bei, so dass man richtig loslegen konnte.

Doch ihren Lebensunterhalt müssen die drei verbliebenen Schauspieler und die Ex-Kollegen heute anderweitig verdienen. Warkentin ist Sozialpädagoge geworden, ein anderer sogar russisch-orthodoxer Geistlicher. Es ist für alle ein Erlebnis, wenn man sich manchmal noch für Theaterprojekte trifft.

Das Repertoire des Russland- Deutschen Theaters ist nur noch zum Teil russlanddeutsch gefärbt. „Das Interesse an dem Thema war bis vor zwei Jahren in der Bevölkerung sehr groß. Jetzt, wo alles über Flüchtlinge redet, ist es durch.“

Das Theater reist viel, gibt die Mehrzahl seiner Vorstellungen außerhalb von Niederstetten. Damit knüpft es an eine Tradition an, die schon zu Sowjetzeiten existierte, um ein größeres Publikum zu erreichen. Weil die Russlanddeutschen im ganzen Land verstreut lebten und viele das Theater in Temirtau und später in Alma- Ata nicht besuchten konnten, kam das Theater eben zu ihnen.

Hoffnung verband man damals mit der Aussicht auf eine Wiederherstellung der Wolgadeutschen Republik, die bis 1941 existierte. „Wir haben schon vor der Perestrojka an die Türen des Kreml geklopft“, sagt Warkentin. Wäre er geblieben, wenn es die Autonomie auch heute gäbe? „Definitiv. Und nicht nur ich.“


Von Tino Künzel
Moskauer Deutsche Zeitung

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