Ein Haus spricht sich aus: In der Deutschen Botschaft ist schon am 21. November Weihnachten


Die Deutsche Botschaft war in den letzten Wochen eine einzige Baustelle. Über 40 Lebkuchenhäuser wurden für den Weihnachtsbasar am 21. November in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Normalerweise passiert das hinter verschlossenen Türen. Deshalb hat MDZ-Autorin Jennifer Pahlke so ein kleines Kunstwerk – zwinker, zwinker – selbst zu Wort kommen lassen (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 22 (413), November 2015). 

Die Deutsche Botschaft war in den letzten Wochen eine einzige Baustelle. Über 40 Lebkuchenhäuser wurden für den Weihnachtsbasar am 21. November in aufwändiger Handarbeit hergestellt. Normalerweise passiert das hinter verschlossenen Türen. Deshalb hat MDZ-Autorin Jennifer Pahlke so ein kleines Kunstwerk – zwinker, zwinker – selbst zu Wort kommen lassen (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 22 (413), November 2015).

Ich kann es kaum erwarten. Jetzt, wo ich fast fertig bin und nur noch der Zuckerguss trocknen muss, will ich unter die Leute und bestaunt werden. Ich finde, genau so wie ich muss ein Lebkuchenhaus aussehen: klassisch, aber mit viel Liebe zum Detail gebaut, stabil und fast zu schade zum Essen. Aber bis Weihnachten ist es ja auch noch ein Weilchen hin. Wer mich beim Weihnachtsbasar in der Deutschen Botschaft kauft, der kann sich nach Lust und Laune an meinem Anblick erfreuen, bevor er es sich schmecken lässt.

Dass ich auch ein Gaumenschmaus bin, steht außer Frage. Dafür haben die Frauen von Botschaftsmitarbeitern gesorgt, allesamt große Backexpertinnen, und erlesene Zutaten wie Honig, Muskat und Zimt aus hiesigen Supermärkten. Der Teig, aus dem ich gemacht bin, ist ein Kapitel im Kochbuch für sich. Ordentlich durchgeknetet, hatte er sich einen halben Tag Ruhe verdient, dann wurde er plattgedrückt und mit chirurgischer Präzision in Einzelteile zerschnitten – meine Wände und mein Dach, anschließend im Backofen goldbraun gebacken.

Ortswechsel. Vom Herd in einer Wohnung ging es in die Botschaftsküche. In der Luft lag ein süßer Geruch, es herrschte geschäftiges Treiben. Jemand nahm einen Pinsel und bestrich mich mit Karamell. Das hat vielleicht gekitzelt!

Langsam habe ich Form angenommen. Nachdem alle meine Teile zusammengeklebt waren, wurde ich in einen Nebenraum gebracht, „zum Verzieren und Verschönern“, wie es hieß. Klar, ich war ja noch ganz nackt. Aber Haribos, Streusel und andere Köstlichkeiten standen schon bereit. Dann ertönte der Ruf nach mehr Puderzucker und kurz darauf meldete jemand: „Der Zuckerguss ist fertig.“ Wie in Zeitlupe bewegte sich ein Spritzbeutel auf mich zu. Bevor ich wusste, wie mir geschah, war mein Dach voller Zuckerguss. „Etwas flüssig, oder?“, hörte ich eine Stimme sagen. Ich dachte, die Frauen hätten schon Lebkuchenhäuser gebacken und wüssten, wie das geht! Als hätte sie meine Zweifel vernommen, lachte eine Frau: „Da backen wir nun jedes Jahr, aber jedes Jahr wie beim ersten Mal.“

Das sollte vermutlich ein Witz sein. Denn nach einer Weile stellte sich heraus, dass alles in bester Ordnung war. Der Zuckerguss verteilte sich nicht nur über das Dach, sondern bedeckte auch Tür und Schornstein. Nichts tropfte, die Masse wurde fest. Dann schnappte sich eine der Frauen eine Tüte mit rosa Mäusespeck und bastelte daraus einen „Zaun“ auf der silbernen Pappe, die mein Fundament bildet. Auf meine Dachspitze wurden Sterne gestreut, Streusel und Bonbons fanden ihren Platz. Ich strahle förmlich. Jetzt kann Weihnachten kommen.

Jennifer Pahlke
Moskauer Deutsche Zeitung

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