Erklärung des Internationalen Verbands der deutschen Kultur


In der letzten Zeit wird in den Massenmedien und sozialen Netzwerken immer öfter über Gewalttaten gegen Frauen in Deutschland berichtet. Dies geschieht vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Spannungen im Zusammenhang mit dem unkontrollierten Strom der Flüchtlinge nach Europa.

Letzte Woche erfuhr der Fall der „russischsprachigen Lisa“ aus der Familie russlanddeutscher Spätaussiedler in Berlin eine besondere Brisanz. Im Zuge der Ereignisse wurden auf russischsprachigen Seiten der sozialen Netzwerke Aufrufe an die Russlanddeutschen in Deutschland verbreitet, sich zu massenhaften Demonstrationen zu versammeln. Auch an einige Verbände der Russlanddeutschen in Russland wurden Aufrufe unter dem Titel „Achtung! Es ist Krieg!“ verschickt.

Aktives Schüren der Gerüchte führte dazu, dass die Lage sich immer mehr zuspitzte und es in der Folge zu Demonstrationen in einigen Städten kam. Unter den Demonstrierenden waren auch russlanddeutsche Spätaussiedler. Nun werden in der deutschen Presse die Spätaussiedler aus Russland in einem Atemzug mit Neonazis und Ultrarechtsradikalen erwähnt, weil diese sich zum Teil den Demonstrationen angeschlossen haben.

Das Aufbauschen von Skandalen als billige PR-Maßnahme wird von kleinen marginalen Gruppen benutzt, die schon seit einigen Jahren für ihre nationalistischen Parolen bekannt sind, aber keine Unterstützung bei der Mehrheit der Russlanddeutschen in Deutschland und in Russland finden. Es ist bezeichnend, dass diese Gruppen nach den erschreckenden Gewalttaten gegen Frauen in der Silvesternacht still blieben, jetzt aber auf eine zynische Art und Weise aus der Herkunft des Mädchens politisches Kapital schlagen wollen. Auf diese Weise wurden die Russlanddeutschen in Deutschland, die friedlich gegen Gewalt demonstrieren wollten, unwissentlich in einen gemeinsamen Kontext mit rechtsradikalen Kräften hineingezogen.

Als Interessenvertreter der Russlanddeutschen in Russland ist der Internationale Verband der deutschen Kultur über diese Lage zutiefst besorgt.

Wir schließen uns der Haltung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, des legitimierten Interessenvertreters der Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in Deutschland, an. In ihrer Stellungnahme vom 26.01.2016 lehnt die Landsmannschaft jegliche Radikalisierung ab und bekennt sich ganz klar zur Rechtsstaatlichkeit und freiheitlich-demokratischen Werten.

Gemeinsam mit allen Bürgern Deutschlands, unter welchen sich auch unsere Landsleute befinden, fühlen wir mit den Opfern der Gewalt mit und sind um sie besorgt. Bei jeder erwiesenen Straftat müssen die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Gewaltverbrechen müssen unabhängig von der Herkunft, dem Alter oder Geschlecht der Täter oder der Opfer gesetzlich verfolgt werden.

Wir wenden uns an die Massenmedien mit der Bitte, nur überprüfte Informationen zu vermitteln und auf Spekulationen über diesen Fall und auch über eine politische Ausrichtung und zivilgesellschaftliche Position aller Russlanddeutschen zu verzichten.

Alle Russlanddeutschen pauschal mit Rechtsradikalen gleichzusetzen ist nicht legitim. Bedauerlicherweise mussten wir gerade dies in einigen deutschen Massenmedien beobachten.

Unüberprüfte Informationen können von rechtsradikalen Kräften jederzeit als Anlass für fremdenfeindliche Hetze und gesellschaftliche Konfrontationen benutzt werden. Wir wollen nicht, dass Russlanddeutsche in einem gemeinsamen Kontext mit diesen Kräften erwähnt werden, was leider derzeit geschieht.

Wir haben keinen Zweifel daran, dass die zuständigen Rechtsbehörden Deutschlands für eine detaillierte Aufklärung dieses Falls Sorge tragen und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.

Wir sind fest davon überzeugt, dass wir alle die Weisheit und die nötige Geduld besitzen, und bitten alle, die sich um ihre Landsleute, Freunde und Kollegen in Deutschland sorgen, sich nicht für fremdenfeindliche Stimmungsmache in unseren Gesellschaften instrumentalisieren zu lassen.

Pressedienst des IVDK

www.rusdeutsch.eu


Olga Martens

Erste stellvertretende Vorsitzende

des Internationalen Verbands der deutschen Kultur (IVDK)

Aussiedler ist nicht gleich Flüchtling

Mit Besorgnis und großer Aufmerksamkeit verfolgten wir, wie auch sehr viele andere Menschen, die Ereignisse im „Fall Lisa“. Aufgrund der vielen Unklarheiten hielten wir uns jedoch bis jetzt mit vorzeitigen Kommentaren zurück.

Gestern hat Martin Steltner, Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, die Ergebnisse der Ermittlungen bekannt.

Erst einige Stunden davor hat unser Pressedienst die Stellungnahme des IVDK veröffentlicht.

Ich möchte meine persönliche Meinung hierzu auch gern mitteilen.

Erst vor einigen Jahren ließ in der deutschen Presse der Trubel um Spätaussiedler nach. Heute sind sie sozial aufgestiegen, sind echte deutsche Bürger geworden, sind in der Politik auf allen Ebenen, auch im Bundestag, vertreten, sie weisen ein hohes Bildungsniveau auf und werden auch in der deutsch-russischen Geschäftswelt aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und ihres bikulturellen Hintergrunds hoch geschätzt. Und nun kommt es plötzlich dazu, dass einige skandalöse Ereignisse der letzten Monate, die im Zusammenhang mit den nach Deutschland kommenden Flüchtlingen stehen, einen Anlass für erneute Anschuldigungen der Russlanddeutschen gaben – diesmal wird ihnen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit vorgeworfen.

Skandal als billiger PR-Trick: Zu solchen Mitteln griffen einige Organisationen in Deutschland, die aus unklaren Gründen meinten, im Fall des „russischsprachigen Mädchens Lisa“ im Namen der Deutschen aus Russland sprechen zu dürfen, tatsächlich aber nicht im Geringsten dazu legitimiert sind. Die Handlungen dieser Organisationen und die mehrfache Weitergabe ihrer Aussagen in den deutschen und russischen Massenmedien führten zu zahlreichen Demonstrationen der russischsprachigen Bevölkerung Deutschlands am 24. und 25. Januar 2016.

Die ganze Angelegenheit weist zwei gefährliche Tendenzen auf: Einerseits wird dieser in seinen Details erschreckende Fall aktiv in den Massenmedien und sozialen Netzwerken diskutiert, für viele steht dabei jedoch nicht die Gewalttat im Vordergrund, sondern die Herkunft des Mädchens. Vor dem Hintergrund der Gewalttaten gegen Frauen in der Silvesternacht ist dieser Umstand besonders entrüstend. Damals nämlich zeigten diejenigen, die jetzt aktiv Interviews geben und nach Gerechtigkeit rufen, nicht mal annähernd vergleichbares Engagement. Hinzu kommt, dass die Quelle, die von vielen deutschen und russischen Massenmedien in dem „Fall der russischsprachigen Lisa“ ohne Bedenken und Zweifel zitiert wurde, eine marginale Organisation ist, die weder in Deutschland noch in Russland dazu ermächtigt ist, die Interessen der Russlanddeutschen zu vertreten!

In dieser Situation ist es deshalb absolut unzulässig, ja es ist sogar verbrecherisch, allen Russlanddeutschen das Etikett der Nationalisten und Rechtsradikalen pauschal zu verpassen.

Freilich gingen russischsprachige Bürger Deutschlands auf die Demonstrationen. Und es gab unter ihnen auch Russlanddeutsche: gesetzestreue, geduldige und fleißige Menschen, die von ihrer Angst, ihrem Gerechtigkeitssinn, und auch von den extrem widersprüchlichen Informationen in den Medien und sozialen Netzwerken dahin getrieben wurden. Ja, man kann jetzt davon reden, dass Russlanddeutsche sich für die fremdenfeindliche Stimmungsmache instrumentalisieren ließen, dass sie sich nicht aus deutschen Qualitätsmedien informierten. Doch es lässt sich an dieser Stelle eben diese Qualität der deutschen Presse in diesem konkreten Fall in Frage stellen. In den 90er Jahren wurde die Integration der russlanddeutschen Aussiedler aktiv in der Presse diskutiert, jedoch meist im negativen Kontext. Nach 2000 änderte sich der Ton – die deutschen Massenmedien wurden wohlwollender ihren Mitbürgern gegenüber, die alle Schwierigkeiten der Integration überstanden und eine junge, gebildete und zielstrebige Generation der Aussiedlerkinder großgezogen haben. Auf die öffentliche Bühne traten Politiker, Geschäftsleute, Musikstars und herausragende Sportler aus den Reihen der Spätaussiedler. Ihre Erfolgsgeschichten wurden zum festen Bestandteil gesellschaftlich-politischer Diskurse auf den Konferenzen und bei bundesweiten Treffen der Landsleute. In offiziellen Reden und in privaten Gesprächen sagten die Menschen, sie seien stolz darauf, dass sie sich, nachdem sie auf Grundlage des Bundesvertriebenengesetzes als Deutsche nach Deutschland kamen, fest an die Gesetze hielten und dass ihr Erfolg aus ihrem deutschen Fleiß und ihrer Gesetzestreue, die sie auch durch die Jahrhunderte ihrer Siedlungsgeschichte in Russland hindurch bewahrt haben. Im letzten halben Jahr hat die deutsche „Qualitätspresse“ diese Illusion zunichte gemacht, indem sie erneut, vielleicht auch unbeabsichtigt, die Russlanddeutschen beleidigte und sie als Flüchtlinge abstempelte, weil sie sich darum bemühte, das komplexe Thema des unkontrollierten Stroms der Flüchtlinge nach Deutschland positiv zu beleuchten. Als bestes Beispiel der Integration der Flüchtlinge haben viele Massenmedien Helene Fischer genannt, und gingen so weit, dass sie die Königin des deutschen Schlagers auch als Flüchtling bezeichneten (Helene Fischer war auch ein Flüchtling)*.

Ob und inwieweit Helene Fischer sich selbst als Flüchtling sieht, muss sie selbst entscheiden. Unabhängig davon bleibt die Tatsache bestehen, dass Russlanddeutsche sowohl rechtlich als auch ihren Beweggründen nach nicht als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Es lässt sich schwer sagen, welche Entwicklung die Ereignisse jetzt nehmen werden. Tatsache bleibt jedoch auch, dass es nicht zulässig ist, so unsensibel mit dem Selbstverständnis der Russlanddeutschen umzugehen.

Kriegsgeisel sind die Russlanddeutschen schon einmal gewesen. Diese bittere Erfahrung sollte ihnen helfen, die Vernunft und den gesunden Menschenverstand zu bewahren.


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