Wollen wirklich eine halbe Million Russlanddeutsche nach Russland?

Der ehemalige SPD-Politiker Dmitri Rempel, heute Vorsitzender der Migranten- und Aussiedlerpartei Die Einheit, behauptete unlängst, dass 500 000 Russlanddeutsche Deutschland verlassen wollten. Damit stieß er in Russland auf große Resonanz, in Deutschland wird wieder ein böses Spiel des Kreml vermutet. Die MDZ hat einen Soziologen um eine Einschätzung der Zahl gebeten.

Seit Ende der 1990er Jahre lässt sich ein Trend zur Rückkehr von Spätaussiedlern nach Russland und Kasachstan beobachten. Russlanddeutsche kehren in den postsowjetischen Kulturraum zurück. Dies hat unterschiedliche Gründe, hat aber ganz wesentlich auch mit enttäuschten Erwartungen an den privilegierten Status gegenüber anderen Migranten zu tun: Viele Integrationsprobleme im Alltag sind vergleichbar wie etwa die Sprachprobleme sowie die lange fehlende Anerkennung ausländischer Bildungs- und Berufsabschlüsse. Nicht vergleichbar waren dagegen die Erwartungen, von Beginn an „als Deutsche unter Deutschen zu leben“, die von den landsmannschaftlichen Vereinigungen und zu Beginn auch von der Politik nach Kräften geschürt wurden.

Die Integration von (Spät- ) Aussiedlern verläuft gegenüber anderen Migrantengruppen atypisch – von einer anfänglichen staatsbürgerlichen Vollintegration bei gleichzeitiger kultureller Inklusionsunterstellung als ehemals Deutsche in der Sowjetunion über die Ernüchterung des eigenen kulturellen Andersseins und teilweiser Exklusionserfahrungen („Russen“; „den Deutschen gleichgestellte Ausländer“) bis hin zur sozialen Isolation, die ihrerseits zu einer endgültigen Entscheidung zur Rückkehr führen kann. Der Wunsch von Russlanddeutschen zur Rückkehr – und diese meint Dmitri Rempel zu kennen – wurde als erstes in Berlin erhoben.

Im Jahr 2006 wurde in Berlin-Marzahn eine Studie durchgeführt, wo rund 23 000 Spätaussiedler leben. 20 Prozent von ihnen wollten danach ihre Bleibeentscheidung von der weiteren Entwicklung in Deutschland abhängig machen. Die jüngste Entwicklung der hohen Flüchtlingszahlen wird sicher von dem tendenziell konservativeren Milieu der Russlanddeutschen skeptisch aufgenommen und viele geben an, gerade aufgrund der Personen mit Migrationshintergrund aus islamisch geprägten Gesellschaften nicht das Deutschland ihrer Erwartungen angetroffen zu haben. Dennoch gibt es keine seriösen Studien, die derart hohe Zahlen an Rückkehrwilligen belegen.

Die tatsächlichen Zahlen sind weitaus niedriger. Da remigrierenden (Spät -) Aussiedler als Statusdeutsche Deutschland verlassen, weist keine Statistik sie gesondert aus, die Zahl dürfte aber inzwischen bei mehr als 15 000 Personen liegen. Die Zahl erscheint bezogen auf die Millionen seit 1993 eingereisten Spätaussiedler zwar gering, zahlenmäßig gehören sie aber zur größten Gruppe rückkehrender Migranten aus der BRD: 13 666 im Zeitraum 2000 bis 2006. Man kann von einer „Re remigration“ sprechen, da mittlerweile weniger einreisen (im Jahr 2011 nur noch 2148 Personen).
Bei der Wahl des Rückkehrortes spielt vor allem die noch im Herkunftsgebiet vorhandene soziale Netzwerkstruktur eine große Rolle, die die Rückkehr vorbereitet, unterstützt und die Reintegration erleichtert. So zeigen unsere Forschungsergebnisse, dass die gewählten Rückkehrorte von (Spät -) Aussiedlern keinem einheitlichen Muster folgen. Bevorzugte Gebiete sind allerdings neben den urbanen Zentren die ehemaligen deutschen Gebiete wie Halbstadt (im Altai), Asowo (bei Omsk), Nowosibirsk und Omsk. Im Jahr 2008 sind nach Angaben der örtlichen Verwaltung aus Deutschland vierzig Familien nach Halbstadt zurückgekehrt.

In der Region Asowo ließen sich 2008 neunzehn Rückkehrerfamilien aus Deutschland nieder. Allerdings haben die sozioökonomischen Schwierigkeiten in Russland sowie in Kasachstan diesen Trend nach 2008 nun auch ihrerseits wieder abgebremst. Aktuell überlegen beispielsweise in Almaty wieder mehr ethnische Deutsche nach der Währungsabwertung ihre Option der Übersiedlung zu nutzen – die Papiere sind fertig.

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