Neue Kirche für die „neue Kirche“: Lutheraner im mehrheitlich muslimischen Kasachstan

Im von Minaretten dominierten Astana, der Hauptstadt Kasachstans, haben bald auch die Lutheraner ein Gotteshaus, das sich sehen lassen kann. Noch ist es gar nicht eröffnet, doch der deutsche Bundespräsident war schon da. Nach dem Exodus der deutschen Spätaussiedler schaut die Gemeinde wieder nach vorn.

Als die Vertreter des Protokolls anrückten, um wegen des Besuchs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten Hartmut Koschyk vorzufühlen, trafen sie Jurij Nowogorodow mit dem Spaten auf der Baustelle an. Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Kasachstan greift umstandslos mit zu, wo Hand angelegt werden muss. Und das neue Kirchengebäude an einer breiten Straße in der weiteren Innenstadt von Astana wird mit vielen helfenden Händen erbaut. Am 17. September ist Einweihung. Doch schon Mitte Juli schaute Steinmeier vorbei, der die Expo 2017 in Astana zum Anlass für diverse Begegnungen nahm, darunter auch mit dem kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew.

Das Treffen mit Steinmeier hat Nowgorodow, dem Gastgeber, gefallen, es sei vor allem „sehr menschlich“ gewesen. „Die Leute, die solche Dinge organisieren, vergessen ja gern, dass der Bundespräsident nicht nur ein Amt ausfüllt, sondern auch Mensch ist.“ Unter Anspielung auf die Sache mit dem Spaten habe Steinmeier geflachst, das werde er den Bischöfen in Deutschland erzählen.

Aber es gab auch ernste Töne. Die Aussiedlerwelle nach dem Ende der Sowjetunion, als ein Großteil der deutschen Minderheit Kasachstan in Richtung Deutschland verließ, hat nicht nur die verbliebenen Deutschen hart getroffen, sondern auch die lutherische Kirche, deren Gemeindemitglieder damals zum ganz überwiegenden Teil deutscher Nationalität waren. Steinmeier sagte dazu am Rande eines Gottesdienstes, das sei „keine besonders ermutigende, eher eine traurige Situation“ gewesen, die sich nach seinem Eindruck jedoch inzwischen konsolidiert habe, so dass mit neuem Selbstbewusstsein in die Zukunft geschaut werde. „Die Kasachstandeutschen, die in Deutschland und in Kasachstan leben, helfen uns, einander zu verstehen“, so Steinmeier. Und: „Dass wir uns in einer lutherischen Kirche im Jahr des Reformationsjubiläums treffen, ist ein besonders schönes Zeichen.“

Die Geschichte der Lutheraner in Kasachstan reicht bis ins 18. Jahrhundert und zur Angliederung der Steppengebiete an Russland zurück. Mit der von Stalin befohlenen Deportation der Wolgadeutschen nach Osten wuchs 1941 die Zahl der Gläubigen sprunghaft an. Nach dem Ende der Sowjetunion zählte die lutherische Kirche in Kasachstan 300 Gemeinden, heute sind es noch 50.

Ortswechsel: Jurij Nowgorodow empfängt in seinem Büro. Aber noch spricht er am Telefon. Schweigt lange, hört zu, dann sagt er in den Hörer: „Junger Mann, ich will Ihnen einen kleinen Denkanstoß geben. Nicht mal Luther hat die Liturgie angetastet. Und Sie wollen alles verändern?“ Aber der 61-Jährige klingt selbst in diesem Moment eher väterlich als schroff. Seit zwölf Jahren ist er Bischof und hat überhaupt zu viel erlebt, um bei jedem Anlass laut zu werden.

Das Büro befindet sich in einem der älteren Stadtteile von Astana. Hier konnten die Lutheraner bauen, nachdem die Verfolgungen der Stalinzeit hinter ihnen lagen und sie 1957 offiziell von den Behörden registriert wurden. Hier finden bis heute die Gottesdienste statt, in einem Hinterhofgebäude. Wenn man das den Leuten draußen erzähle, so Nowgorodow, dann schauten viele verunsichert und fragten bisweilen skeptisch: „Ihr seid wahrscheinlich eine Sekte, oder?“

Dabei werde es durchaus wehtun, diesen Ort aufzugeben, der so viel Historie atme und mit seiner Intimität einen eigenen Charme habe. Aber es gebe ohnehin keine Wahl: Das Viertel werde früher oder später abgerissen.

Mit der neuen Kirche stehe man dann ganz anders im Rampenlicht. Nur zwei Jahre sind von der Planung bis heute vergangen. Neben dem eigentlichen Kirchenbau wurde ein dreistöckiges Gebäude für die Verwaltung, die Sonntagsschule und eine Herberge hochgezogen.

Im Eingangsbereich der Kirche sind zwei Spendertafeln angebracht: Es stehen ein paar deutsch klingende Namen darauf, mit Albert Rau an der Spitze. Der deutschstämmige kasachische Parlamentsabgeordnete leitet das Kuratorium und sei „die treibende Kraft beim Kirchenbau“ gewesen, sagt Nowgorodow. Auch deutsche Kirchenorganisationen und deutsche Firmen sind auf den Tafeln zu finden. Doch es überwiegen kleine und mittlere kasachische Unternehmen. Rund zehn Prozent der Mittel seien aus Deutschland gekommen, so Nowgorodow, und 70 Prozent von einheimischen Muslimen. So ein Umgang der Konfessionen miteinander zeichne Kasachstan aus, er hoffe sehr, dass die Jugend dieses Kapital zu bewahren wisse. Den Unterstützern sei er sehr dankbar.

Zu den Gottesdiensten an gewöhnlichen Sonntagen kommen heute um die 40 bis 60 Gläubige. Das ist nicht wenig und sorgt für ein vitales Gemeindeleben. Dabei hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten vieles, nahezu alles verändert. Man habe es quasi mit einer „neuen Kirche“ zu tun, so Nowgorodow. Waren die Gemeinden früher praktisch mononational deutsch, so sind die Deutschen inzwischen in der Minderheit. Die Gottesdienste werden heute hauptsächlich auf Russisch abgehalten. Auch der Bischof selbst ist Russe.

Doch den Umständen kann er durchaus positive Seiten abgewinnen. Lutheraner werde man heute nicht mehr per Geburt. Stattdessen kämen Leute, die auf der Suche seien, wie er sich ausdrückt. Aber dann muss sich Nowgorodow verabschieden, es sind bewegte Zeiten. Vielleicht nimmt er ja gleich wieder den Spaten in die Hand. Es wäre ihm zuzutrauen.

Quelle: Moskauer Deutsche Zeitung