Boris Rauschenbachs Gedanken


Das Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften Boris Rauschenbach gehörte zu den Vätern der Raumfahrt und den Begründern der wissenschaftlichen Schule der Raumfahrtnavigation.

Boris Rauschenbach war die letzte Person, mit der sich Gagarin vor dem Flug unterhalten hatte. Später schilderte Rauschenbach diesen Moment folgendermaßen: „Ich war gedanklich damit beschäftigt, dass kein Gerät absagt, dass kein System ausfällt … das war das, was mich in erster Linie beschäftigte, und ganz und gar nicht, dass gerade Geschichte geschrieben wird. Beruhigt habe ich mich erst, nachdem die Telemetrie-Geräte des Schiffes aus dem Weltraum mitteilten, dass die Systeme ordnungsgemäß funktionierten. Als mir klar wurde, dass alles gut gegangen war, dann stand ich auf und bekreuzigte mich. Zur großen Verwunderung aller Anwesenden in dem Kontrollraum des Raumfahrtzentrums.“

AUSZÜGE AUS BORIS RAUSCHENBACHS ERINNERUNGEN „MÜSSIGE GEDANKEN“

Übersetzung aus dem Russischen von Olga Fachretdinowa. Original: B. W. Rauschenbach „Праздные мысли“.

NOTIZ 2

Ich lebe mit dem Gefühl der verlorenen Zeit, bin mir bewusst, wie oft ich sie für Kleinigkeiten verschwendete. Ich denke, dass ich sehr wenig gemacht habe im Vergleich zu dem, was mir von Gott gegeben wurde. Das liegt an den Umständen meines Lebens: Zuerst ging ich auf die falsche Universität, dann kam das Lager, wohin ich zu Beginn des Krieges vertrieben wurde, Zerstreuung hin und her. Ich tat nicht das, was ich hätte tun können. Obschon ich immer zugebe, dass das Schicksal mich hütete. Ich überlebte im Lager, obwohl die Hälfte der Russlanddeutschen während des Kriegs gerade dort ums Leben kam. Glück hatte ich auch mit der Ausbildung. Vor dem Lager arbeitete ich im Forschungsinstitut für Raketentechnik, und als man mich deportierte, war ich in die Arbeit an selbststeuernden Flak-Geschossen bereits so vertieft (Es war damals nicht klar, ob sie fliegen können oder nicht, gelenkt werden sollen oder nicht), dass ich diese Arbeit im Lager fortsetzte. <…> Mein Leben wurde also von einer Reihe von Zufällen gestaltet, die auf eine unerwartete Weise meine Lage immer wieder verbesserten. Wenn man das alles rückblickend analysiert, denkt man: So ein Unsinn. Doch gerade diese Zufälle spielten eine entscheidende Rolle. Eine höhere Macht führt mich durch das Leben. Schauen wir uns mal meine berufliche Laufbahn an: Ich habe meinen Beruf keineswegs zufällig gewählt. Seit meiner Kindheit wollte ich mich mit allem, was fliegt, beschäftigen. Als ich in der Oberstufe war, fand ich, dass alle schon mit den Flugzeugen fliegen, aber mit den Raketen noch keiner, und das faszinierte mich. Schon zum Ende des Studiums war ich für meine Artikel zu Luftfahrt-Themen ziemlich bekannt. Doch dass mein Schicksal mir die Möglichkeit gab, genau das zu tun, was ich wollte, und noch mehr als das – Schulter an Schulter mit Keldysch und Koroljow zu arbeiten, das geschah sicherlich nicht ohne Eingreifen der höheren Mächte.

NOTIZ 53

Die Raumfahrtproduktion hat meiner Meinung nach nichts mit der Umsiedlung der Menschen in den Weltraum zu tun. Dennoch bin ich überzeugt, dass die Menschheit sich im Weltall verbreiten wird, obwohl ich nicht genau weiß, aus welchen Gründen. Ich denke jedoch, das wird bestimmt nicht wegen des Raummangels oder anderer Mängel auf der Erde passieren. Selbst wenn die Bevölkerung der Erde sich stabilisiert und alle grundlegenden sozialen Probleme gelöst werden, wird die Menschheit immer danach streben, etwas zu suchen und zu überwinden, etwas zu bauen und zu verbessern. Und dann wird die Menschheit immer mehr in den Weltraum vordringen. Das ist vergleichbar mit dem aktuellen Drang der Jugend, auf Expeditionen in die entferntesten Ecken unseres Planeten zu gehen. Oder mit dem plötzlichen Wunsch, den Ozean in einem zerbrechlichen Kleinboot zu überqueren. Als der Neuseeländer Hillary gefragt wurde, warum er auf den Gipfel des Mount Everest geklettert war, antwortete er: „Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich, weil er existiert.“ Sobald die Menschheit einen extrem hohen materiellen Wohlstand erreichen wird, wird es ihr nicht mehr ausreichen, sich ausschließlich der Suche nach den geistigen Wahrheiten zu widmen. Wenn das passiert, kann das meiner Meinung nach den Fortschritt wiederum stoppen und unsere Zivilisation zum Tod führen, weil ihr sozusagen das Interesse an weiterer Entwicklung abhandenkommt… <…> Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Siedlungen, sagen wir, auf dem Mond, auf dem Mars oder auf interplanetaren Planetenbahnen realistisch sind und dass Menschen nach und nach in den Weltraum umsiedeln werden. Ich denke, dass in spätestens 200 Jahren die künstlichen Lebensbedingungen auf dem Mars nicht schlechter, ja vielleicht sogar besser, als die irdischen sein werden. Schon Ziolkowski machte die treffende Bemerkung, dass die Menschheit heute schon zu etwa 80 Prozent in einer künstlichen Umgebung lebt.

NOTIZ 77

Ich habe einen schrecklichen Charakter, so meine Frau. Ich bin in der Tat sehr menschenscheu. Das bedeutet aber nicht, dass ich nicht kontaktfreudig wäre. Es ist nur so, dass ich kaum jemanden brauche. Um Freunde zu haben, muss man mit ihnen regelmäßig kommunizieren. Das finde ich langweilig. Ich muss um elf Uhr ins Bett gehen, da sind mir alle Arten von Einladungen egal. In der Jugend haben meine Frau und ich oft gestritten, hatten so viel Ärger, denn Vera ist sehr kontaktfreudig, sie liebt es, Menschen zu treffen, und wir werden auch gern eingeladen. „Gehen wir?“, fragt sie. „Aber um neun sind wir weg da“, antworte ich. „Na, hör mal, das ist doch ein Unding, um neun Uhr zu gehen! Ich kann das nicht!“ Und stellen Sie sich vor, da sitzen wir dann bei jemandem und um neun Uhr abends werden meine Augen rot wie bei einem Kaninchen, weil ich mir Mühe gebe nicht einzuschlafen, und nicht, weil die Wut in mir tobt. Und schließlich muss man dann doch gehen.

NOTIZ 80

Es ist erstaunlich, dass ich ziemlich früh auf den Gedanken gekommen war, dass Flugzeuge zu bauen viel interessanter sei, als nur zu fliegen. Ich erinnere mich daran, wie mich ein Mädchen auf dem Nachhauseweg aus der Schule (das war, glaube ich, in der siebten Klasse) fragte, was ich nach dem Schulabschluss machen will. Wir hatten oft darüber gesprochen, weil wir einen Teil des Weges immer zusammen gingen. Dann musste sie nach links und ich nach rechts, wie es bei Schülern so ist. Da fragte sie mich also: Was willst du werden? Ich sagte, dass ich mich für die Luftfahrt interessierte. Sie grinste und fragte spöttisch: „Wirst du ein Pilot?“. Damals schwärmten alle Jungen von diesem Beruf, sie alle wollten fliegen. Ich antwortete: „Nein, gar nicht!“. Da sah sie mich mit einer solchen Überraschung an und ich fügte hinzu: „Ich werde Flugzeuge bauen.“ Ich weiß noch, wie verblüfft sie war.

NOTIZ 82

Ich mag kein Fleisch, in keiner Form. Fisch ist besser. Und noch besser sind Pfannkuchen oder Wareniki. Mit Kartoffeln, Quark oder Kirschen. Als Vera und ich heirateten, fragte sie mich: „Was wollen wir kochen?“ – „Wareniki!“, sagte ich. Sie wollte los, um Kirschen zu holen, aber ich sagte, dass ich Wareniki mit Quark essen will. Sie machte einen Teil mit Kirschen und einen mit Quark. Ich aß meine auf und schielte auf ihren Teller. Sie sagte: „Probier´ mal!“ Ich probierte und … nahm sie ihr alle weg. Bis heute werden bei uns oft Wareniki gemacht. Mit Kirschen.

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