Zwei deutsche Fleckchen sibirischer Erde


In der russischen Föderation gibt es zwei Gebiete, die als Deutsche Nationalkreise bekannt sind. Anfang der 1990er Jahren wurden diese als vollständig bebaute Siedlungsräume inklusive Infrastruktur an die Russlanddeutschen übergeben. Dank der Bewohner, dem russischen Staat als auch der Bundesrepublik Deutschland existieren sie noch bis heute.

Der deutsche Nationalkreis Halbstadt ist ein städtisches Gebilde in der Region Altai mit Verwaltungszentrum im Dorf Halbstadt, 430 Kilometer von Barnaul entfernt. Die ersten deutschen Siedler kamen bereits Ende des 19. Jahrhunderts hierher. Der Deutsche Nationalkreis wurde 1927 auf Verordnung des Gesamtrussischen Zentralen Exekutivkomitees gebildet. Er wurde der erste deutsche Rayon im zeitgenössischen Russland. Seine Bewohner waren zu 96 Prozent Russlanddeutsche.

Der Kreis existierte elf Jahre, bis er später infolge der Staatspolitik gegen Deutschstämmige aufgelöst wurde. Mit der Zeit änderte sich das Verhalten zu den Russlanddeutschen und somit wurden der deutschen Bevölkerung Perspektiven in Russland gezeigt sowie die Möglichkeit zum Erhalt der einzigartigen Kultur gegeben.

Der Deutsche Nationalkreis wurde auf Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 1. Juli 1991 wiederhergestellt. Zum Verwaltungszentrum wurde das Dorf Nekrassowo, das seinen Ursprungsnamen Halbstadt wieder erhielt. Heutzutage umfasst er zwölf ländliche Siedlungen mit einer Bevölkerungszahl von ca. 17000 Personen. Im Kreis gibt es Viehzucht und Pflanzenzucht, elf große und mittelständische Agrarunternehmen sowie sechs Kleinunternehmen. Mit Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland wurden im Dorf Halbstadt eine leistungsfähige Mühle und ein modernes Fleischverarbeitungskombinat der „Brücke“ GmbH errichtet, dessen hochwertige Produkte das Vertrauen von Handelsketten weit über die Grenzen der Region hinaus genießen.

Ferner entstand im Februar 2012 im Dorf Kussak ein Viehzuchtkomplex mit einer Molkereiproduktionseinheit. In mehreren Dörfern entstanden auf Anregung der Zentren der deutschen Kultur Museen und Privatsammlungen, in denen Gegenstände des täglichen Gebrauchs aus dem Alltagsleben der Russlanddeutschen aus den 19.–20. Jahrhunderten ausgestellt sind. In den Dörfern Nikolajewka und Redkaja Dubrawa erhielten die Museen einen offiziellen Status. In den meisten Schulen und vorschulischen Bildungseinrichtungen wird der Vermittlung der deutschen Sprache und Kultur viel Aufmerksamkeit gewidmet.

Den ganzen Stolz des Rayons bilden nationale Kunstkollektive. Im Dorf Podsosnowo, gibt es auch ein eigenes deutsches Liederensemble namens „Morgenrot“. Es gibt also vieles zu sehen im Kreis. Man kann z.B. traditionelle deutsche Brötchen kosten, die in einem alten langen Straßenofen gebacken werden, in dem früher Brot für eine große Familie für die ganze Woche zubereitet wurde. Heute macht man das eher an besonderen Tagen, nicht samstags wie es früher üblich war. Und die alten Öfen sind mittlerweile eine Sehenswürdigkeit für viele Touristen. Im Nationalkreis wird in vielen Dörfern nicht nur Hochdeutsch gesprochen, sondern auch Plautdietsch – einen niederdeutschen Dialekt.

Der Deutsche Nationalkreis Asowo im Gebiet Omsk feierte 2017 sein 25. Jubiläum: Er entstand am 17. Februar 1992 als Ergebnis eines Referendums, an dem über 70% der Bewohner des damals künftigen Kreises teilnahmen. 83% von ihnen stimmten für den Nationalkreis. Die Basis der Wirtschaft des heutigen Kreises Asowo bildet die Agrarproduktion. Hier arbeiten fünf große Agrarunternehmen mit entwickelter Viehzucht: eine Geflügelfarm, ein Schweinezuchtkomplex für 10000 Tiere, ein Gewächshauskombinat, zwei Milchverarbeitungsfabriken.

Neben den bereits etablierten Betrieben entstehen in Asowo jedes Jahr neue Unternehmen. So wurde 2013 in Asowo durch den bekannten Omsker Unternehmer Jakow Wagner die Brauerei Nika errichtet. 2015 wurde der Bau eines Kombinats für Schnellbausysteme des deutschen Unternehmens Wolf System in Angriff genommen. In seiner ersten Ausbaustufe hat es bis 200 montierbare Häuser mit hohem Vorfertigungsgrad produziert. Große Aufmerksamkeit wird im Kreis der Förderung und dem Erhalt der deutschen Sprache als Muttersprache gewidmet. Zurzeit wird in allen Kindergärten und in 19 von insgesamt 27 Schulen des Kreises Deutsch unterrichtet.

Seit 1992 erscheint im Kreis die Wochenzeitung „Ihre Zeitung“ und deutsche Kulturfestivals wie „Phönix“ und „Nachtigall“ werden regelmäßig durchgeführt. Hier sind unter anderem deutsche Volkskunstkollektive wie „Heimatland“ und „Maiglöckchen“, ein Chor der Arbeitsveteranen, das Ensemble „Monika“ und das Muster-Tanzensemble „Bächlein“ entstanden. Das einzigartige Volkstheater ART pflegt die Theaterkunst der Russlanddeutschen, wobei es die Aufführungen in deutscher Sprache auf die Bühne bringt. Die Bewohner vergleichen ihren Kreis mit einem Freilichtmuseum und meinen, dass man über ihre Heimat viel lernen kann. Besucher können für einen kleinen Betrag bei russlanddeutschen Familien untergebracht werden, die auf typischen deutschen Bauernhöfen leben.

Natürlich kann man auch Museen besuchen. Im ältesten und authentischsten Dorf Alexandrowka des Nationalkreises findet man das heimatkundliche Museum, das den Namen von Alexander Wormsbecher trägt, einem einheimischen Lehrer und Dorfhistoriker. Außerdem gibt es das Museum für Geschichte und Heimatkunde in Asowo, das heimatkundliche Museum in Prischib, das Museum in der allgemeinbildenden Schule im Dorf Blumenfeld und viele mehr. In Alexandrowka kann man das leckere Brot der Deutschen Bäckerei kosten, das nach deutschem Rezept gebacken wird. Blumenfeld ist ebenfalls einen Besuch wert: Hier gibt es die einzige Straußenfarm im gesamten Gebiert. Obwohl im Alltag meist Russisch gesprochen wird, gehört Deutsch nach wie vor zur Muttersprache. Es gibt sogar kleine Dörfer, in denen deutscher Dialekt gesprochen wird.

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