Wo Kreativität keine Grenzen kennt

Hüte werden nur noch in wenigen deutschen Städten von Hand gemacht, so ist auch der Modist-Beruf nicht gerade verbreitet. Die junge russlanddeutsche Unternehmerin Julia Schneider-Koch (35) gehört zu denen, die diesem selten gewordenen Beruf leidenschaftlich nachgeht. Vor über vier Jahren hat sie die Manufaktur übernommen, in der sie gelernt hat. In ihrem Hut-Atelier „Schneiders Hutmanufaktur“ mitten im bayerischen Bamberg entsteht Klassisches und Ausgefallenes – Julia Schneider-Koch ist bei jedem Hut mit Herzblut dabei.

Die Hüte, die sie selbst entwirft, haben – ob schlicht oder ausgefallen – ein geschmackvolles Design und sind stets der Hingucker: im Alltag, bei einem anspruchsvollen Empfang oder auch als auf einer Pferderennbahn. Zu ihrem beruflichen Erfolg ist Julia Schneider-Koch nicht nur durch Fleiß und Talent gelangt, sondern auch durch ein bisschen Glück im „Unglück“. „Ich wollte eigentlich das Schneiderhandwerk erlernen, zu dieser Zeit gab es aber keine Lehrstelle. Die Agentur für Arbeit bot mir eine artverwandte Ausbildungsstelle als Modistin an“, erzählt Julia. Sie hat es nie bereut.

Mit 13 Jahren kam sie mit ihren Eltern im Februar 1996 aus dem deutschen Dorf Podsosnowo bei Slawgorod in der Altairegion nach Deutschland. Seit Beginn der 1990er Jahre sind die Bewohner von Podsosnowo („Klein-Deutschland in Sibirien“ titelte das westdeutsche Magazin „Stern“ 1978) kontinuierlich in das Land ihrer Vorfahren abgewandert. Vermehrt haben sich Familien ehemaliger Podsosnowoer in verschiedenen Orten in Baden-Württemberg und Bayern, aber auch in anderen Bundesländern, niedergelassen. Der erste Wohnort der Schneiders war Schlüsselfeld im Landkreis Bamberg, der ebenfalls etliche ehemalige Podsosnowo-Bewohner beherbergt.

Zuerst besuchte Julia die Berufsschule für Bekleidung in München. Den praktischen Teil der Ausbildung absolvierte sie im Bamberger Hutgeschäft Christl Wagner und machte 2009 ihre Meisterschule in Stuttgart. 2013 wagte sie den Sprung in die Selbstständigkeit und übernahm Laden und Hut-Atelier, wo sie zuvor eine Lehrstelle hatte, unter dem neuen Namen „Schneiders Hutmanufaktur“ – auch die Kollegen blieben. Heute bietet sie selbst Ausbildungsplätze an.

In „Schneiders Hutmanufaktur“ gibt es noch richtige Handarbeit. Julia selbst hat den Beruf der Modistin von der Pike auf gelernt und legt nach wie vor gerne selbst Hand an – sie entwirft nicht nur Kreationen, sie schneidert, näht und formt die jeweils geeigneten Materialien. Zwischen zwei Stunden (für ein schlichtes Herren-Modell aus Stroh) und mehreren Tagen für eine extravagante Damen-Kreation aus anspruchsvollen Materialien dauert die Einzelanfertigung. Julia vertraut dabei unter anderem auf altbewährte Technik. „Keine andere näht so gut Stroh wie die alte, mechanische PedalMaschine“, lobt sie die „Pfaff 30“, die bereits ein Alter von 80 bis 90 Jahren auf dem „Buckel“ hat.

Julia Schneider-Koch nimmt regelmäßig an Messen und Ausstellungen teil – ihre Kreativität kennt keine Grenzen. Sie entwirft immer neue Designs an Hüten aus verschiedensten Materialien. Zu den klassischen Pelz, Filz, Seide, Leinen, Wolle oder Stroh gehört seit neulich auch Metall, das sie als Material verwendet. So mancher Hutträger bevorzugt Federn als Hutschmuck, und so hat die Modistin schon mal Dreispitze für Barocktänzer oder ausgefallene Freizeithüte damit ausgeschmückt. Federn, Blüten, Bänder, sogar ganze Vögel aus Stoff und Deko-Material hat Julia ihren Kundinnen bereits an den Hut gezaubert. So mancher bringt seine liebgewonnene Kopfbedeckung in die Manufaktur und lässt sie instand setzen oder umarbeiten.

Beim Entwurf kommt es ihr nicht nur auf die ausgefallene Form an, die Gestaltung soll auch die Persönlichkeit hervorheben und zum Stil der bevorzugten Kleidung der jeweiligen Kundin passen – mal frech, poppig, flippig und mal klassisch-elegant. Passend zu den Hüten hat Julia auch immer die richtigen Accessoires: Spazierstöcke, ausgefallene Regenschirme. „Die besonderen Arbeiten lege ich immer mal wieder zur Seite, überdenke sie neu. Solche Sachen kann man nicht in allen Fällen hintereinanderweg machen“, erklärt sie gegenüber der „Fränkischen Tageszeitung“.

Neben der Stammkundschaft hat Julia Schneider-Koch auch viele Gelegenheitskäufer, da macht sich der Flusskreuzfahrttourismus auch in Bamberg bemerkbar. „Es sind zum Beispiel Australier darunter, die bei sich zu Hause Pferderennen besuchen. Da darf es dann gern mal ein ausgefallenes Hutmodell sein, das sie als Souvenir aus Bamberg mitnehmen“, erzählt Julia Schneider-Koch.

Sie arbeitet auch für Ascot-Besucherinnen – auch „Royal Ascot“ genannt: Das traditionsreiche Rennen in der Grafschaft Berkshire/England wird bereits seit 1711 ausgetragen und jedes Mal von der königlichen Familie eröffnet. Neben den flinken Pferden bietet der Event noch etwas Sehenswertes, nämlich die extravaganten Hüte der Besucherinnen. Manche Kundinnen – aber nicht nur die, die zum berühmten Rennen nach England fahren – bringen auch das Kleid mit, zu dem sie einen Hut brauchen.

Gut „behütet“ kann jeder sein, davon ist die junge Unternehmerin überzeugt: „Allerdings muss man sich auf das Huttragen einlassen“ und Mut beweisen. „Huttragen ist so etwas wie ein Statement. Mit der Aufmerksamkeit, die man dabei erregt, muss man erstmal klarkommen“, meint Julia Schneider-Koch.

* Dieser Artikel erschien zuerst in der „Zeitung für Dich“, vorbereitet von Maria Alexenko

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