Experten aus Deutschland und Russland diskutierten Fragen der Zivilgesellschaft

Am 19. Oktober fand im Deutsch-Russischen Haus in Moskau die deutsch-russische Konferenz „Herausforderungen und Möglichkeiten für Strukturen der Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen bei der Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen“ statt. Die Veranstaltung wurde von der Gesellschaft „Russland – Deutschland“ zusammen mit der russischen Zweigstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Internationalen Verband der deutschen Kultur organisiert.

Die Gastgeber der Konferenz waren Anatolij Blinow, Vizepräsident der Gesellschaft „Russland – Deutschland“, und Vladimir Fomenko, Koordinator des Projekts der russischen Zweigstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Begrüßt wurden die Teilnehmer von Vladimir Grinin, Präsident der Gesellschaft „Russland – Deutschland“ sowie ehemaliger außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Russischen Föderation, Olga Martens, erste stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur sowie Herausgeberin der „Moskauer Deutschen Zeitung“, und Kerstin Kaiser, Leiterin der russischen Zweigstelle der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

„Die derzeitige politische Situation, einschließlich der rein deutsch-russischen Beziehungen, erfordern geduldige und abgewogene Ansätze und Bewertungen.

Es ist schwer vorherzusagen, wie lange die Bildung der neuen Machtgefüge der Bundesrepublik Deutschland dauern und wie sie enden wird – im politischen und philosophischen Sinne.

Dennoch möchte ich glauben und hoffen, dass der gegenseitige Zusammenhalt von Deutschen und Russen bis zu einem gewissen Grad bestehen bleibt“, meint Vladimir Grinin.

Dass die Konferenz in den vier Wänden des Deutsch-Russischen Hauses stattfindet, spricht laut Olga Martens für sich, denn dieses Haus ist für diese Art von Veranstaltung besonders geeignet. „In den letzten Jahren haben wir erlebt, wie sich die deutsch-russischen Beziehungen verändern und die einst erklärte strategische Partnerschaft in die Brüche geht. Aber ich glaube nicht, dass man hier von der Zivilgesellschaft sprechen kann.

Die politische Gesamtsituation hat einen gewissen Einfluss auf unsere öffentlichen Organisationen und die Zusammenarbeit zwischen den Zivilgesellschaften. Diese kritischen Momente machen uns als öffentliche Organisationen einerseits das Leben schwer, andererseits motivieren sie uns, uns noch stärker für die Aufrechterhaltung freundschaftlicher Beziehungen zwischen unseren Ländern einzusetzen.

In einer Woche treffen sich die Gewinner des Wettbewerbs ‚Freunde der deutschen Sprache‘, den wir bereits seit über zehn Jahren durchführen. Tausende von Schülern, Studenten und Lehrern aus dem ganzen Land nehmen an diesem motivierenden Projekt teil. Als Deutschlehrerin bin ich der festen Überzeugung, dass wir nur dann ein besseres gegenseitiges Verständnis erreichen können, wenn wir dieselbe Sprache miteinander sprechen, auf Russisch und auf Deutsch und wenn wir die Sprache des anderen kennen“, sagt Olga Martens.

„Heute ist es zu einer Art Herausforderung oder Abenteuer geworden, deutsch-russische Projekte zu unterstützen und zu organisieren. Die Bedingungen für die bilateralen Beziehungen sind nicht gerade ideal, und sie verändern sich zunehmend zum Schlechteren. Wir möchten dafür sorgen, dass diese Beziehungen erhalten bleiben. In diesem Zusammenhang sind Kontakte, Zusammenarbeit und Erfahrungsaustausch sehr wichtig. Wir alle brauchen das Vertrauen und die Unterstützung unserer Politiker und unserer Gesellschaft“, sagt Kerstin Kaiser.

Die Konferenz umfasste Sitzungen zu folgenden Themen: „Wo befinden sich heute die deutsch-russischen Beziehungen? Was kann zu öffentlicher / ‚Volks-‘ Diplomatie führen?“, „Zivilgesellschaftliche Institutionen und nicht gewinnorientierte Organisationen für die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen und den Aufbau von Vertrauen zwischen Deutschland und Russland“ und „Öffentliche / ‚Volks-‘ Diplomatie: Effektivität, Status und Perspektiven“.

Laut Professor Alexandr Sucharjow von der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst beim Präsidenten der Russischen Föderation ist das Konzept der „Volksdiplomatie“ nicht nur veraltet, sondern entspricht auch nicht der aktuellen Situation der modernen Welt.

„Über welche Art von Volksdiplomatie können wir sprechen, wenn wir uns auf der niedrigsten Stufe des Vertrauensverhältnisses zwischen unseren Ländern befinden?“, fragt der Sprecher. Laut Sucharjow „muss nachhaltiges Vertrauen aufgebaut werden. Und Vertrauen lässt sich nun mal nicht durch Konfrontation aufbauen. Daher sollten die Probleme, bei denen es Differenzen gibt, vorerst in den Hintergrund gestellt werden. Ernste Probleme, die alle betreffen, sollten in den Vordergrund gerückt werden“, meint der Experte.

Laut Martin Hoffmann, Exekutivdirektor und Vorstandsmitglied des Deutsch-Russischen Forums, gibt es viele Themen, die Russland und Deutschland miteinander verbinden. Darunter auch Themen, die auf globaler Ebene angegangen werden müssen, wie der internationale Terrorismus, der Klimaschutz und der Kampf gegen die globale Erwärmung.

„Die sozialen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern werden nächstes Jahr genau 100 Jahre alt.

Die wichtigsten Leitlinien für uns, die Mitglieder der Gesellschaft ‚Russland – Deutschland‘, die bereits 1972 festgelegt wurden, sind auch heute noch gültig: Einvernehmen, gegenseitiges Verständnis und gutnachbarschaftliche Beziehungen, Partnerschaft, Überwindung der negativen Vergangenheit, konstruktive Interaktion und Zusammenarbeit zum gegenseitigen Nutzen.

Heute kommt leider die Aufgabe hinzu, die negative Gegenwart zu überwinden“, sagt Vladimir Polenow, Vizepräsident der Gesellschaft „Russland – Deutschland“, außerordentlicher und bevollmächtigter Gesandter sowie Lektor am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen. Laut dem Sprecher brauchen die NGOs in Russland und Deutschland einen Zustrom von jungen Leuten. Dies wird jedoch nicht passieren, solange die ältere Generation nicht für die Generation Z interessant wird. Zumindest was die Wahl der Themen für die Diskussionen und die klugen und etwas kontroversen Leitmotive von heute angeht. „Wenn wir das nicht tun, laufen wir Gefahr, im eigenen Saft zu schmoren. Wenn wir zusammenarbeiten, können wir der Zivilgesellschaft eine stärkere und hörbarere Stimme verleihen“, sagte Polenow.

Die Teilnehmer der Konferenz sprachen von der Notwendigkeit, den Dialog fortzusetzen, und wiesen darauf hin, wie wichtig die Stärkung der zivilgesellschaftlichen Bewegung ist, die ohne die Unterstützung des Staates nicht möglich ist.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

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