Fata Morgana im Pferdeland


Eine „deutsche“ Siedlung im Kaliningrader Gebiet verliert ihre deutschen Bewohner Ostpreußen. Trakehnen. 200 Jahre Pferdezucht. Dann der Krieg. Seit 1945 gehört die Gegend zum Kaliningrader Gebiet, einer russischen Exklave. Im ehemaligen Trakehnen, das heute Jasnaja Poljana heißt, wollte der rechtslastige Kieler Verleger Dietmar Munier nach dem Ende der Sowjetunion Russlanddeutsche ansiedeln – für eine „deutsche Perspektive“ der Region. Zwölf Zweifamilienhäuser wurden gebaut, sieben alte Häuser saniert. Doch die Landidylle ist brüchig: Ein neuer Besitzer setzt die Russlanddeutschen an die Luft. Die Wirtschaftsanlagen stehen leer.

Eine „deutsche“ Siedlung im Kaliningrader Gebiet verliert ihre deutschen Bewohner

Ostpreußen. Trakehnen. 200 Jahre Pferdezucht. Dann der Krieg. Seit 1945 gehört die Gegend zum Kaliningrader Gebiet, einer russischen Exklave. Im ehemaligen Trakehnen, das heute Jasnaja Poljana heißt, wollte der rechtslastige Kieler Verleger Dietmar Munier nach dem Ende der Sowjetunion Russlanddeutsche ansiedeln – für eine „deutsche Perspektive“ der Region. Zwölf Zweifamilienhäuser wurden gebaut, sieben alte Häuser saniert. Doch die Landidylle ist brüchig: Ein neuer Besitzer setzt die Russlanddeutschen an die Luft. Die Wirtschaftsanlagen stehen leer.

Es ist gerade fünf Jahre her, da wurde Aussiedlern in Deutschland von einer „kleinen Siedlung mit großer Zukunft“ vorgeschwärmt. In Jasnaja Poljana, 120 Kilometer von Kaliningrad in der Nähe der litauischen Grenze gelegen, seien mit deutschen Spendengeldern Häuser für Deutsche aus den GUS-Staaten errichtet worden, hieß es in einer Veröffentlichung. Außerdem gebe es Werkstätten und ein Hotel. Gesucht würden Fachleute, die anpacken können.

Über ihre Eltern in Deutschland erfuhren auch die Ljamzews von dem Angebot. Tatjana, Jurij und ihre beiden Kinder lebten damals im Deutschen Nationalkreis Asowo bei Omsk, das die deutsche Bundesregierung in den 90er Jahren mit enorm viel Geld unterstützt hatte. 1995 hatte man ihnen dort ein Haus zur Verfügung gestellt, als sie aus Kasachstan nach Russland zogen. „Die Miete war rein symbolisch und ein späterer Kauf nicht ausgeschlossen“, erzählt Jurij Ljamzew (siehe Foto).

Doch seine Schwiegereltern, die Ehrhardts, reisten 1998 von Kasachstan nach Deutschland aus. Sibirien war weit, die Kinder und Enkelkinder sah man selten. Als die Ehrhardts von Jasnaja Poljana hörten, glaubten sie an ein zweites Asowo – nur vergleichsweise ganz in der Nähe. Bedenken hatten sie keine.

Die Ljamzews bezogen in Jasnaja Poljana ein zweistöckiges Haus, das sie aus eigener Kraft und aus eigener Tasche bewohnbar machten. Dass sie nicht unter ihrer Wohnadresse, sondern unter der Anschrift der Deutschen Schule angemeldet wurden, machte sie zwar stutzig. Doch von der „Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen“ (GST), die hinter dem gesamten Projekt steht, wurden sie nach eigenen Worten immer wieder beschwichtigt. „Richtet euch ein! Die Häuser sind eure Häuser, es handelt sich um Hilfe für Umsiedler“, habe es geheißen. Wer bei der GST arbeitete, musste noch nicht einmal Miete zahlen und wohnte kostenlos. Jurij Ljamzew fand bei der GST sofort Arbeit.

Von Zeit zu Zeit wurden ehemalige Bewohner von Ostpreußen in die Neu- und die Altbausiedlung gefahren. Dann hatten die Mieter besonders glücklich auszusehen. Die Heimweh-Touristen sollten anschließend nicht mit Spenden geizen, die auf das Konto der GST-Inhaber flossen. Das Konzept ging auf. Die Summen sollen in machen Fällen Tausende Euro betragen haben. Den Banküberweisungen nach zu urteilen, wurden von den Deutschen in einigen Fällen auch Häuser erworben.

„Bis kurz nach dem Jahr 2000 gab es einen Wohnungsbauboom, das Unternehmen GST beschäftigte bis zu 100 Mitarbeiter, hatte mehrere Dutzende Fahrzeuge und Bautechnik“, sagt Viktor Horn, zwischen 2004 und 2006 Geschäftsführer der GST. „Von 2002 bis 2004 gingen die Bauarbeiten deutlich zurück, wurden Technik und Maschinen verkauft, Arbeiter entlassen.“ Viktor Horn gründete 2004 in Jasnaja Poljana zunächst seine eigene Firma, begann mit der Produktion, übergab ein Hotel, heuerte Fachleute an – und warb später auch um neue Bewohner. Das bereut er heute, aber: „Ich wollte alles super machen.“
Im Jahr 2006 verkaufte der GST-Gründer Dietmar Munier, deutscher Verleger mit rechtsextremer Weltsicht, seinen Anteil an den Russlanddeutschen Alexander Mantai, der ursprünglich aus Kasachstan stammte.

Mantai richtete das Unternehmen nach rein finanziellen Gesichtspunkten aus und machte sich daran, die Häuser zu verkaufen. Die Wirtschaftstätigkeit der GST stellte er ein. Die Mieter wurden aufgefordert, ihre Häuser zu räumen und darüber hinaus massive Schulden für Kommunalabgaben zu begleichen, deren Tarife Mantai selbst berechnet hatte. Wer wollte, konnte das eigene Haus kaufen. Das taten zum Beispiel die Familien Gorobtschenko und Pogorelow. Doch sie wohnen in Häusern, die noch vor dem Krieg gebaut wurden, deshalb war auch die Kaufsumme vergleichsweise erschwinglich. Das Geld konnten sie irgendwie auftreiben.

Die Ljamzews müssten für ihre Haushälfte mehr als eine Million Rubel auf den Tisch legen, umgerechnet rund 25 000 Euro. „Wo sollen wir so viel Geld hernehmen?“, fragt Tatjana Ljamzewa. Vor Gericht bekam jedoch Mantai Recht. Im Sommer 2009 wurde den Bewohnern eine letzte Gnadenfrist von einem Jahr eingeräumt, binnen derer sie ihre Häuser zu verlassen hätten. Sie fechten die Entscheidung bis heute an.

„Wenn es ein Gesetz gäbe, das es zuließe, die Leute hinauszuprügeln, dann würde ich das gern tun“, sagte Alexander Mantai im Dezember einem Fernsehreporter des Regionalsender „Kaskad“. Der Beitrag wurde einen Tag vor Silvester gesendet. Der Moskauer Deutschen Zeitung erklärte Mantai, er handele im Rahmen der Gesetze. Häuser, die einst für Russlanddeutschen aus den ehemaligen Sowjetrepubliken gebaut wurden, seien heute für „gewöhnliche Leute“ zu haben, die „hier gern leben möchten“, so Mantai. Einige „gewöhnliche Leute“ haben sich die zum Verkauf stehenden Häuser schon angeschaut.

Dietmar Munier behauptet auf Anfrage, die Häuser seien gar nicht mit Spendengeldern errichtet worden, sondern aus seinem Privatvermögen und mit Mitteln von „Freunden“. Alles andere sei eine „Chimäre“. Für den langjährigen GST-Chef gibt es keinen Skandal in Jasnaja Poljana, sondern nur eine „Kampagne“, angezettelt von Viktor Horn, den er einst gefeuert habe. Mantai ist für Munier ein „braver Mann“.

Die Verwaltung des Landkreises Nesterowo, in dem Jasnaja Poljana liegt, mischt sich ungern ein. Dreimal hat sie zu vermitteln versucht, Treffen beider Seiten organisiert, um einen Kompromiss zu finden. „Doch es hat nicht geklappt“, berichtet der stellvertretende Landrat Anatolij Klotschko.

Familie Ljamzew will nun zumindest die rund 1 200 Euro erstattet bekommen, die sie in ihr Haus investiert hat. Und sie findet, dass private Initiativen mit humanitärem Charakter einer Staatskontrolle unterliegen müssten. Damit Stabilität herrsche – so wie in Asowo.

Inzwischen lockt das Kaliningrader Gebiet erneut Russlanddeutsche, diesmal aus Kirgisien. Sie sollen in Ostsseenähe angesiedelt werden. Diesmal ist der russische Staat mit im Boot. Die Aktion erfolgt im Rahmen eines Programms zur Umsiedlung von Russen aus den GUS-Staaten nach Russland.

Von Olga Silantjewa und Tino Künzel
(Moskauer Deutsche Zeitung/ Moskowskaja Nemezkaja Gaseta)


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