Der scheidende Chef des größten Euro-Minderheiten-Verbands über europäisch-russische Sorgen. Ende Mai wählte die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) einen neuen Präsidenten. Die Union, zu der auch die Russlanddeutschen in Russland gehören, wird künftig vom ungarischen Rumänen Loránt Vincze geleitet. Die MDZ bat den bisherigen langjährigen Präsidenten, Hans Heinrich Hansen, um Antworten auf einige dringende Fragen.
Herr Hansen, können Sie sich eigentlich noch an ein Europa erinnern, das nicht gerade in irdendeiner existenziellen Krise steckt? Die Flüchtlingskrise dürfte dabei die weitreichendsten Folgen für die nationalen Minderheiten in Europa haben …
Ja, die Flüchtlingskrise hat eine weitreichende Bedeutung, weil die Frage im Raume steht, wie die verschiedenen Staaten auf sie reagieren werden. Werden sie sagen „Das sind Minderheiten“ und diese dann in einen Topf mit den alten, also mit den autochtonen Minderheiten werfen? Dann werden wir schlecht bedient sein. Wenn der Schutz der alten Minderheiten gesichert ist, können uns die Staaten natürlich gerne als Brückenbauer für die neuen Minderheiten benutzen.
Kommen wir zu Russland. Seit einiger Zeit schweißt der Patriotismus die Bürger Russlands zusammen: Moskauer, Sibirer und Kaukasier wähnen sich auf einmal im selben Boot, statt wie früher übereinander die Nase zu rümpfen. Beobachter sprechen schon davon, dass Russland erstmals zu einem normalen Nationalstaat wird. Wie beurteilen Sie eine solche Entwicklung aus der Sicht der ethnischen Minderheiten? Wird die Nation zur Gefahr für die Volksgruppen?
Ich bin sicher kein Experte für Russland. Aber Nationalismus ist immer eine Gefahr für ethnische Minderheiten, weil dann natürlich der „Ursprungsbürger“ den anderen Völkern vorgezogen wird. Aber Russland ist ein Vielvölkerstaat. Es steht in Frage, ob eine Person wie Putin das ganze Land wirklich zusammenschweißen kann – oder ob es nicht doch so ist, dass es zurzeit zusammengeschweißt wird, weil man nach außen hin Feindbilder schafft. Was wird die Völker Russlands künftig zusammenschweißen, wenn die Konflikte wie jetzt zum Beispiel in Syrien einmal gelöst sind? Putin hat nach meinen Begriffen einen äußeren Feind geschaffen. Ich halte ihn aber für so intelligent, dass er auch wieder an den Verhandlungstisch kommt.
Um die Krimtataren sorgen sich gleich drei Staaten: außer der Ukraine und Russland auch die Türkei. Wählt sich eine Volksgruppe ihre „Schutzmacht“ selbst?
Die Krimtataren sprechen eine Turksprache, und wenn sich die Türkei als Schutzmacht fühlt, dann kann man ihr das wahrscheinlich nicht verbieten. Ich habe vollstes Verständnis für die Krimtataren, die eine böse Vergangenheit und schlechte Erfahrungen mit den Russen beziehungsweise der Sowjetunion gemacht haben. Die Ausweisung führender Persönlichkeiten der Krimtataren durch Russland ist absolut inakzeptabel.
In Russland spricht man immer noch viel über den diesjährigen Eurovision Song Contest. Wurde da denn nicht die Lage der Krimtataren von der Ukraine instrumentalisiert?
Eigentlich dürften politische Lieder ja nicht teilnehmen und ich halte das Lied der Ukraine für ein ausgesprochen politisches. Es ist schon eine Werbung für die Situation der Krimtataren, deren Geschichtserzählung da vor 200 Millionen TV-Zuschauern verbreitet wurde.
Wird sich Europa bis zum nächsten Jahr am Schopf aus dem Schlamm ziehen können?
Es muss es einfach können. Wenn die EU nicht dazu im Stande ist, sich darauf zu besinnen, welche Zielsetzung sie hat – als ein friedenserhaltender Zusammenschluss, der auch humanistische Fundamente hat – wenn das nicht gelingt, sind wir in einer sehr schweren Situation. Ich hoffe auch, dass Großbritannien sich noch besinnt und in der EU bleibt. Ansonsten wäre das ein schlechtes Signal.
Und womit werden Sie nach Ihrem Ausscheiden aus dem Amt dann beschäftigt sein?
In erster Linie will ich mein eigenes Leben wieder ordnen. Nach den vielen Jahren bei der FUEV muss ich mir erst mal einen gewissen Abstand erarbeiten.