Mahnwache in Kotlas


Die deutsche national-kulturelle Autonomie Kotlas, (Gebiet Archangels) organisierte Veranstaltungen anlässlich des 75. Gedenktages der Trudarmee.

Vor dem Denkmal der Trudarmisten fand eine feierliche Kundgebung statt. Eröffnet wurde diese von der Organisatorin des deutsch-russischen Begegnungszentrums Galina Petrova. Sie teilte mit, dass in Moskau auf dem Sacharov-Prospekt ein Denkmal aller Repressions-Opfer vorgestellt wurde. Das Monument stellt 500 sechs Meter hohe gesichtslose Figuren dar. Zwischen einigen Figuren gibt es kleine Lichtblicke – eine Warnung, dass niemand mehr Repressionen ausgesetzt werden soll.

Bei der Kundgebung berichtete Galina Petrova über die Entstehungsgeschichte der Trudarmee. Mit dem Erlass vom 28. August 1941 wurde die Republik der Wolgadeutschen aufgelöst und alle Russlanddeutschen wurden nach Kasachstan, in den Altai und nach Sibirien deportiert. Später, 1942 wurden aus der gesamten UdSSR alle Sowjetdeutschen in die Arbeitsarmee mobilisiert, alle Männer zwischen 15 bis 55 Jahren und Frauen zwischen 16 und 45 Jahren. Ausgenommen waren nur schwangere Frauen und Mütter mit Kleinkindern. Aus den Mobilisierten bildete man Arbeitskolonnen mit jeweils 1000 Menschen, die in Arbeitslagern und im Gulag untergebracht wurden.

„In Kotlas mussten die Trudarmisten auf dem Bau des strategischen Objektes Nummer 10, der Brücke über die Nordliche Dwina, arbeiten“, erzählt Galina Pavlova. „Die Arbeitsbedingungen ähnelten einem Gefängnis. Strenge Kälte, schwache Arbeitskleidung und Hunger sorgen für eine sehr hohe Sterbequote. Mehr als 25.000 Russlanddeutsche starben auf diesem schrecklichen Bau.“

Über das tragische Schicksaal der Trudarmisten berichteten auch die Leiterin des Museums der Schule Nummer 17, Militina Klapiuk, Schriftstellerin und Dichterin Galina Sergejeva sowie Vladimir Petuchov, der als Kind die Arbeitsarmee miterlebte.

Danach gingen alle Teilnehmer der Gedenkveranstaltung zum Gedenkfriedhof für Opfer politischer Repression Makaricha. 1929 bis 1956 war Makaricha der schrecklichste Ort der Repressionen in der damaligen UdSSR. Darunter waren nicht nur Russlanddeutsche, sondern auch andere Opfer der Stalin-Repressionen.

Die Gedenkwache ging im deutsch-russischen Begegnungszentrum Kotlas weiter. Beim Teetrinken erinnerten sich die Teilnehmer an die Menschen, die durch die Hölle der Repressionen gehen mussten. Schriftstellerin und Dichterin Galina Sergejeva stellte ihr neues Werk „Der Deutsche“ vor. Schüler der Schule Nr. 17 führten ihre literarische Komposition über die Bauarbeiter der Brücke über die Nördliche Dwina auf. Galina Petrova stellte die Literaturausstellung, die der Arbeitsarmee gewidmet wurde, vor. Danach schauten sich alle Beteiligten die Dokumentation „Trudarmisten des Waldstückes Berjosovyj“ von Georgij Gleich, der in dieser Zwangssiedlung geboren wurde, an.

Russlanddeutsche, die vor Beginn des Krieges für die Armee mobilisiert wurden und bereits an der Front waren, wurden zurückgeholt und sofort in die Arbeitsarmee geschickt. Auf diese Art und Weise gelangen auch Ernest Huber, Michael Hermann, Gustav Gleich, Alexander Propp, Gottlieb Welsch und viele andere in die Arbeitsarmee. Leonard Baal wurde aus der Militärschule geholt und zum Bau der Brücke über die Nördliche Dwina geschickt. Seine Erinnerungen hat Leonard Leonardovitsch bereits in seinem Buch 1985 „Festigkeitsprüfung“ niedergeschrieben. Und erst vor zwei Jahren erschien das Buch dank der Bemühungen der national-kulturelle Autonomie Kotlar sowie der Söhne von Herrn Baal. Nach dem Bau der Brücke über die Nördliche Dwina wurden die Überlebenden zu Holzfällarbeiten sowie Brückenbau in den Norden deportiert. Sie wohnten in Zwangssiedlungen unter Kommandantur.

Leonard Baal scheibt in seinem Buch: „1943 wurde unsere Brigade zur Station Berjosovyj zur Stärkung des Holzfällerteams gebracht. Auf der Station Berjosovyj wurden wir in Baracken untergebracht, die mit einem hohen Holzzaun, einer Wache und einem Tor umgeben waren. Ein bewaffneter Soldat hat uns rein gelassen. Erst später war uns klar, dass wir überwacht werden. Wir wurden wie Gefangene behandelt.“

„Wie es mir gelangt, in dieser Hölle zu überleben, weiß ich nicht“, erinnert sich Arnold Bastel. „Vielleicht hat mich mein Alter gerettet, da ich damals erst 17 war. Überlege sie mal: Als wir 1942 nach Kotlas gebracht wurden, befanden sich in dem Arbeitslager 16.000 Trudarmisten. Am 1 Mai 1942 waren es nur noch nicht mehr als 5.000“.

Teilnehmer des Brückenbaus Alexander Kern führt das schwere Gespräch fort: „Wir sind zusammen mit Eduard Weber nach Kotlas 1942 gekommen. Wir wurden in dem Gemüselager untergebracht. Das war unsere Unterkunft. Das waren Baracken mit zweistöckigen Kojen. Das Essen war sehr schlecht, wir waren immer hungrig. Zur medizinischen Untersuchen mussten wir uns komplett ausziehen. Der Zustand des Gesäßes bestimmte den Grad der Unterernährung. Aufgrund dieser Untersuchung wurden wir in unterschiedlichen Baracken untergebracht. Wir wurden von Hunden bewacht, hinter Stacheldraht. Die Wachmänner waren in Pelzmäntel und wir hatten kaum Klamotten an. Unsere Schuhe waren Gummigaloschen aus alten Autoreifen. Wir trugen die Kleidung der Verstorbenen. Nach der Arbeit mussten wir wieder in die Baracken zurück. Wir wurden gezählt. Viele kamen von der Arbeit nicht zurück – sie starben auf der Arbeit. Deshalb war nach Nachzählen so wichtig.“

Die Veranstaltungsreihe ist dem 75. Jahrestag gewidmet. Das deutsch-russische Begegnungszentrum führt Exkursionen zu Orten der Repression durch und stellt die Ausstellung zum Brückenbau der Nördlichen Dwina vor, die von der Leiterin des Museum der Schule Nr. 17, Militina Klapituk, und ihren Schülern vorbereitet wurde.

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