Wer warf das Tintenfass auf den Teufel? Offenes Treffen „Luther-Dostojewski-Thomas Mann“ im DRHM


Am 15. April hat im Deutsch-Russischen Haus in Moskau ein offenes Treffen mit Doktor der Sprachwissenschaften und Professor der Staatlichen Universität Tomsk, Alexei Kasakow, stattgefunden. Bei dem Treffen erfuhren die Gäste, welche Rolle in den Werken von Fjodor Dostojewski die Ideen Martin Luthers gespielt haben, wie diese Idee von Thomas Mann transformiert wurde und was Iwan Karamasow und Doktor Faustus gemeinsam haben.

„Wir haben versucht, über verschiedene komplexe, unvorhersehbare Themen der kulturellen Interaktion zu sprechen, wenn Autoren, die nach einem originellen Weg suchen und sich einigen fremden Traditionen entgegensetzen, den Dialog jedoch nicht ablehnen und sich nicht weigern, die künstlerische Erfahrung anderer Menschen genauer zu betrachten.

Wir haben über Autoren gesprochen, die keine Scheu haben, einen Blick auf Erfahrungen zu werfen, die sich von ihren eigenen unterscheiden, und diese zu untersuchen. Das sollten auch wir immer tun!“, sagte Alexei Kasakow.

Zu Beginn des Treffens beschrieb der Professor die Situation im literarischen Umfeld Thomas Manns. „In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand ganz Europa unter dem Einfluss Dostojewskis.“ Laut Kasakow erwies sich Dostojewski für die von Faust erzogene deutsche Seele als nahe und relevant. „Trotzdem stellte sich der deutsche Leser auf die eine oder andere Weise Fjodor Dostojewski entgegen“, betonte er dennoch.

Professor Kasakow ging zum Hauptthema des Treffens über und sprach über die Verbindung zwischen Iwan Karamasow und der berühmten Martin-Luther-Legende.

Im Kapitel mit dem Traum wirft Iwan Karamasow wütend auf seinen Gesprächspartner – den Teufel, ein Glas Tee, woraufhin der Teufel ausruft: „Ich erinnerte mich an Luthers Tintenfass!“

Die Legende vom Tintenfass, das Luther auf den Teufel warf, sei, wie der Professor erklärte, nicht nur Dostojewski bekannt gewesen, der in verschiedenen Konfessionen nach Antworten auf ewige Fragen gesucht habe, sondern auch dem protestantisch erzogenen Thomas Mann. In Manns Roman „Doktor Faustus“ wirft ein anderer Held Gegenstände auf den Teufel – der Theologielehrer Kumpf. Kasakow erklärte: „Thomas Mann las neben der Originalquelle auch Dostojewski. Er gab zu, dass Iwan Karamasows Gespräch mit dem Teufel zu seiner Lektüre gehörte.“

Die „Luther-Faust“-Verbindung schließt die Kette kultureller Interaktionen. Obwohl in Dostojewskis Werken dieser Zusammenhang nicht näher erläutert worden sei, habe er sich für den deutschen Leser als offensichtlicher erwiesen. Professor Kasakow wies darauf hin, dass Luthers Schüler Druck auf die Autoren von Faustbüchern ausüben müssten, indem sie sie aufgefordert hätten, die Handlung des Romans von Wittenberg auf andere Städte zu übertragen. „Der Faust-Archetyp steht im Mittelpunkt des Romans Doktor Faustus“, so Alexei Kasakow.

Bei der Beschreibung seiner Arbeit habe Thomas Mann von einer ständigen Bezugnahme auf Luthers Briefe und Kommentare gesprochen. Allerdings erkannte Mann Kasakow zufolge zwar die besondere Rolle des Dialogs zwischen Iwan Karamasow und den Teufel für sein Werk an, berücksichtigte aber auch die für den deutschen Leser grundsätzlich wichtige Distanz zu Dostojewski.

Sollten wir alle Unterschiede zwischen den Ideen der beiden Autoren beiseite lassen, könnte man von einem unglaublich bedeutsamen philosophischen Dialog sprechen. Die Verbindung zwischen den Helden von Fjodor Dostojewski und Thomas Mann bestätige die ständige Kommunikation zwischen zwei Kulturen. Die Vielfalt der bei dem offenen Treffen angesprochenen Themen und Autoren ermöglichten den Zuhörern, die Literatur aus einem neuen, unerwarteten Blickwinkel zu betrachten.

„Wenn wir den Kontext untersuchen, erkennen wir das ergänzende und sich gegenseitig bereichernde Zusammenspiel dieser sehr unterschiedlichen Stimmen“, resümierte der Professor.


Das Netzwerkprojekt „Offene Treffen“ wurde mit Unterstützung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur im Rahmen des Unterstützungsprogramms für Russlanddeutsche in der Russischen Föderation realisiert.

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