Russlanddeutsches Theater in Niederstetten feiert Premiere ihres neuen Stückes

Das Russlanddeutsche Theater in Niederstetten um Maria und Peter Warkentin feierte Anfang März Premiere ihres neuen Stückes "Kleine Eheverbrechen". Die "Fränkischen Nachrichten" berichten darüber in ihrem Artikel.

Wer in einer Paarbeziehung lebt, muss dieses Stück sehen. Unter begeisterten Bravo-Rufen feierte das Russland-Deutsche Theater mit "Kleine Eheverbrechen" eine glänzende Premiere.

Nach einem merkwürdigen Unfall erleidet Gilles einen Gedächtnisverlust. Unter Amnesie stehend, sich selbst fremd geworden und reichlich verwirrt, kehrt er zu sich nach Hause zurück, um wieder mit Lisa, mit der er seit vielen Jahren verheiratet ist, zusammenzuleben. Doch wer ist er? Wer ist Lisa? Wie haben die beiden als Ehepaar zusammengelebt?

Sie sind an einem Point Zero angelangt: Ausgangspunkt für eine Neudefinition einer ausgelaugten Beziehung möglicherweise. Doch schnell wird klar: Irgendwo gibt es da einen blinden Fleck, einen großen Abgrund, der am Ende alles zu verschlingen droht.

Maria und Peter Warkentin vom Russland-Deutschen Theater Niederstetten spielen bei der Premiere im Oberstettener Amtshaus vor ausverkauften Reihen. Kein Wunder eigentlich, denn nach einer ganzen Serie dichter Zwei-Personen-Stücke haben sie sich einen riesigen Fankreis in der weiten Region erspielt.

Jetzt ein skurriles Ehedrama, das im luftigen Gewand einer Komödie daherkommt? Wir finden ein klassisches Krimi-"Whodunit", das aber über einen schier unglaublich breiten doppelten Boden verfügt, das sämtliche Beziehungsmuster ausbreitet, diskutiert, bis in die finstersten Konsequenzen auslotet. Gleichzeitig bleibt alles charmant und anrührend, gibt Raum zum Lachen, wo es eigentlich längst nichts mehr zu lachen gibt.

"Die Philosophie will Welterklärung, das Theater Weltdarstellung sein. Indem ich beides miteinander verbinde, auch meine ganz persönlichen Fragen einfließen lasse und meiner Verzweiflung ebenso wie meiner Hoffnung Ausdruck gebe, versuche ich die Situation des Menschen in der Welt auf der Bühne zu reflektieren - freilich immer mit dem leichtfüßigen Humor, den wir angesichts unseres oft paradoxen Menschenloses entwickeln", sagt Erfolgsautor Eric-Emmanuel Schmitt über seine Stücke.

Und das wird in Oberstetten als Kammertheater hautnah eingelöst: Analytisches, auch erklärendes Spiel einerseits - keine billigen Patentlösungen andererseits. Es bleibt am Ende dem Zuschauer überlassen, ob er seinem Mitgefühl mit den beiden Protagonisten den Vorzug gibt. Oder die Beziehung als gescheitert ansehen will. Letztlich geht es - natürlich - um jeden einzelnen Beziehungsmenschen im Publikum selbst. Und um das Ende jeglicher Illusion über sich und den anderen.

Zentrale Aussagen kann jeder, je nach aktuellem Beziehungsstatus, für sich finden. Vom alttestamentarischen Schuld-und-Sühne-Denken bis zum post-romantischen Suchen nach Erfüllung von Subjektivität in der Beziehung, Geschlechtlichkeiten, der Spannung zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft, der Sehnsucht nach Authentizität - all das prallt aufeinander. Unglaublich brutal und im Verlauf des Stücks auch mit großer Sanftheit und Verständnis. Oder zumindest dem Versuch des Verstehens. Ob danach noch so etwas wie Liebe möglich ist? Wir verraten nur so viel: Das Scheitern bei aller Zuneigung ist ein weiteres großes Thema von "Kleine Eheverbrechen".

Liebesgeflüster, Selbstverliebtheit, Lust und totaler Krieg: Maria und Pater Warkentin ziehen im Lauf des Abends alle Register. Wunderbar herausgespielt die Aufsitzer-Szenen in der kleinen Schriftsteller-Wohnung: Sie als linealschwingende Domina, er als männchenmachendes Hündchen - so schön könnte Beziehung doch funktionieren. Doch immer wieder brechen die Figuren ihre Spielchen mit dem anderen. Paare als "Gemeinschaft von Mördern", Mann und Frau als Erbfeinde? Das "Reptil tief in mir" - auch evolutionsbiologische Aspekte des Menschseins kommen aufs Tapet, psychoanalytische Sichtweisen sowieso.

Vergnügliches Pflichtstück

Trotzdem, und das mag das Besondere an Werk wie Inszenierung sein, kommt alles mit leichter Hand. Obwohl das Stück an sich quasi bildungsbürgerlicher Hardcore ist - es nervt nie mit seinen Einschätzungen, Botschaften und scheinbaren Lösungsansätzen. Und die kleinen Textunsicherheiten der Premiere werden sich schnell wegspielen.

Was bleibt, ist nichts weniger als ein vergnügliches Pflichtstück für Paare - wenn man die Nerven fürs Zuschauen bei Wahnsinn und Wahrheit in einem Akt hat. Wer noch mitten im Verliebtheitsirresein steckt, wird es nicht mögen. Oder, besser gesagt, er (sie) wird es nicht für möglich halten, was sich nach einigen Jahren des Zusammenlebens alles einstellen wird.

Es ist (trotz einem gewissen Pathos in den artifiziellen Monologen) das echte Leben, das hier gezeigt wird: Nichts ist so, wie es scheint, und bis zum Schluss bleiben die Zuschauer wie auch die handelnden Personen selbst im Ungewissen, was geschehen ist und was geschehen wird. Der Zuschauer verbündet und ärgert sich, lässt sich täuschen und enttäuschen und bangt und hofft auf ein gutes Ende. Wird die Türe zugeschlagen? Nunja, Gründe genug gäbe es. Aber "wir" sind ja verheiratet...

Fazit: Klasse, unbedingt (auch mehrfach) sehenswert!

von Michael Weber-Schwarz

© Fränkische Nachrichten, Dienstag, 01.03.2016

http://www.fnweb.de/region/main-tauber/niederstetten-creglingen/wo-es-langst-nichts-mehr-zu-lachen-gibt-1.2665206