Freunde vor Ort: „Wegweisend - Grenzenlos“


Auch in diesem Jahr wieder – und bereits zum fünften Mal, - bereisen die SprachassistentInnen die Siedlungsgebiete der Deutschen in Russland. Worum aber geht es eigentlich in diesem Projekt „Freunde vor Ort“? Wer und wie sind die Deutschen in Russland und was erwarten sie von dem Besuch der SprachassistentInnen?

Diese Fragen bewegten uns alle im Zuge der Planung und der Durchführung unserer Reisen. Wir dachten über das Thema Heimat nach und die Zerrissenheit derselben, wenn man sich an den oft vernommenen Satz erinnert: „In Russland ein Deutscher und in Deutschland ein Russe“. Was bedeutet den Deutschen in Russland ihre Nationalität beziehungsweise, inwiefern haben sie sich im Laufe der Jahrhunderte assimiliert. „Viele sind nicht mehr da“, erzählt Tatjana Schmidt, die Organisatorin des deutsch-russischen Kulturzentrums in Kamyshin, einer Region im Wolgograder Gebiet in die es einst viele Deutsche verschlagen hatte. Von ihr erfahren wir auch noch einiges mehr, über die bewahrten, die modifizierten und die vergessenen Traditionen ihrer Gemeinschaft.

Zum Beispiel stellt die deutsche Gemeinschaft vor Ort momentan eine Sammlung alter Rezepte zusammen, mit denen sie ein deutsches Kochbuch gestalten möchten. „Das Osterlamm lieben wir besonders“, sagt sie und serviert uns köstlichen Käsekuchen. Als wir dann zum Programm übergingen und im Marathon mehrere Schulen und Kultureinrichtungen besuchten, war auffällig, wie uns besonders die Schüler, mit deutschen Wurzeln vorgestellt wurden. Haben sie einen Sonderstatus, oder war es der Besonderheit unseres Treffens geschuldet? Entlang dem längsten europäischen Flüsses, der Wolga, haben sich in der 2.Hälfte des 18. Jahrhunderts, von Katharina der Großen angelockt, viele Deutsche niedergelassen. Über 100 Dörfer entstanden in kurzer Zeit und in der ehemals weitgehend unbesiedelten Steppe florierte Landwirtschaft und Handel.

In den folgenden Jahrzehnten wurden weitere Siedlungsgebiete in Sibirien, hier vor allem in der Omsker Region, aber auch in Zentralasien erschlossen. Es wurden Städte und autonome Regionen gegründet, in denen deutsch als Verwaltungssprache anerkannt war. Durch Zwangsumsiedelungen in der Sowjetära verstreute sich die deutsche Gemeinschaft weiter und so gibt es bis heute Nachfahren im Altai, in Kasachstan, in Kirgistan und in vielen anderen Gebieten der ehemaligen Sowjetunion. Die Besonderheit des Projekts „Freunde vor Ort“ ist also auch seine Mobilität. Jedes Jahr reisen bis zu 13 SprachassistentInnen in die oft völlig entlegene Dörfer der Russlanddeutschen und bringen ein Programm mit, das den Deutschinteressierten spielerisch Sprache und Kultur vermitteln soll.

Andererseits sind sie aber auch sehr neugierig und offen dafür, was sie von den ansässigen Menschen erfahren werden: welche Geschichten sie haben, wie viel deutsch (und evtl. Dialekt) sie sprechen und in wie Weit sie sich nach wie vor als Deutsche fühlen. Man trifft sich also in einem Umfeld, das gewöhnlich nicht allzu viel Abwechslung bietet und in dem sich der kulturelle Austausch, wenn überhaupt, eher auf virtuelle Begegnungen reduziert. Es geht also vor allem auch um einen Austausch, bei dem beide Seiten voneinander Neues erfahren können. Ausgearbeitet haben die SprachassistentInnen in diesem Jahr ganz unterschiedliche Programme, wobei in den meisten Fällen die „kulturelle Reise durch Deutschland“ und „Bewegung macht Spaß“, gebucht wurden. Die Erfahrungen, die sie in diesem Zusammenhang gesammelt haben, sind überwiegend positiv. Auch wenn Niveau und Gruppenstärke oft stark variieren und die Durchführung des Programms dadurch ein enormes Maß an Flexibilität und Improvisation bedeutet sind es doch zumeist die Teilnehmer selbst, die durch ihr großes Interesse, nicht zuletzt vor allem an der willkommenen Abwechslung im normalen Lernalltag, die Veranstaltung für beide Seiten zu einem besonderen Erlebnis machen.

Die Frage „wann kommt ihr denn wieder“ konnte am Ende zwar leider nur mit: „hoffentlich im nächsten Jahr“ beantwortet werden, dennoch motivierte auch der einmalige Besuch die Teilnehmer sichtlich. Insgesamt entstand das Gefühl, dass man heute nur noch schwerlich von einer homogenen Gruppe der Russlanddeutschen sprechen kann. Zu unterschiedlich sind die Entwicklungen in den Regionen, zu groß der Abstand zu ihren Vorfahren. Auf der anderen Seite ist es aber interessant, wie viel gerade in Anbetracht der geschichtlichen Distanz doch noch konserviert wird, dass man zum Beispiel nach wie vor alte deutsche Volkslieder singt, überlieferte Rezepte oder auch Dokumente von Zeitzeugen sammelt und nicht zuletzt, so gut es geht die deutsche Sprache pflegt.

In diesem Jahr sind insgesamt zirka 20 – 25 Schulen und Begegnungszentren besucht worden und somit bis zu 700 Menschen erreicht worden, die russlanddeutsche Wurzeln haben oder sich aus anderen Gründen für die deutsche Sprache und Kultur interessieren. Wir hoffen, dass das Projekt auch in Zukunft bestand haben wird und die SprachassistentInnen weiterhin bis in die entlegensten Ecken reisen, denn das Interesse und die Begeisterung für die deutsche Sprache und Kultur, die man dort vorfindet, ist wirklich einzigartig und wundervoll.

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