Die erklärte Liebe der AfD zu Putin


Russen? Deutsche? Russlanddeutsche? Auf dem Online-Meinungsmedium "der Freitag" geht es in folgendem Artikel um die Einbeziehung Russlanddeutscher in die Politik der Alternative für Deutschland, sowie um Auslandskontakte der Partei nach Moskau. Die erste stellvertretende Vorsitzende des IVDK, Olga Martens, wurde dazu befragt.

AfD Die rechtspopulistische Partei wirbt um die Stimmen von Russlanddeutschen und pflegt Kontakte nach Moskau. Strategie oder Ideologie?

Die erklärte Liebe der AfD zu Putin
"Ich fühle mich deutsch. Als ich mit 16 Jahren meinen Pass ausgestellt bekam, hatte ich keinen Zweifel, was ich in die Spalte "Nationalität" schreiben muss", sagt die Russlanddeutsche Olga Martens, Vorsitzende des Internationalen Verbands der Deutschen Kultur in Moskau.

Das Asylrecht im Grundgesetz darf nicht zu Masseneinwanderung führen, findet die AfD. Gleichzeitig setzt sie aber auf eine der größten Masseneinwanderungen der deutschen Geschichte und wirbt um Stimmen bei russlanddeutschen Wählerinnen und Wählern. Die sind schließlich Deutsche, sagen die Rechtspopulisten, die damit das Recht hier zu leben verknüpfen. Was sie Menschen aus Syrien, mit türkischen Wurzeln oder anderer Hautfarbe verweigern, war auch für Russlanddeutsche lange nicht selbstverständlich. „Russlanddeutsch ist so eine Kultur dazwischen, weder komplett deutsch, noch komplett russisch“, sagt die russlanddeutsche Journalistin, Literatur- und Kunstwissenschaftlerin Larissa Mass. Sie ist in Deutschland aufgewachsen, in der Nähe von Hannover und versteht sich selbstverständlich als Deutsche – viele in Russland lebende Menschen, die deutsch gar nicht mehr sprechen, allerdings auch. Das hat historische Gründe.

Die Idee der Bundesrepublik in den 1950er Jahren, „Gastarbeiter“ anzuwerben, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen, hatte die russische Zarin Katharina die Große so ähnlich schon 200 Jahre früher. Das damals noch weitgehend unbesiedelte russische Reich sollte landwirtschaftlich erschlossen werden. Viele Deutsche folgten ihrer Einladung, gründeten deutsche Siedlungen im Gebiet der Zarin, in denen sie selbstverwaltet leben konnten, ohne sich integrieren zu müssen, was für die meisten anderen Einwanderer selbstverständlich ist – die nationale Identität blieb deutsch, für die meisten Familien bis heute. Deshalb ist auch der Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK) in Moskau vertreten. „Ich fühle mich deutsch. Mein Gehirn ist deutsch, meine Seele deutsch-russisch“, sagt die Vorsitzende Olga Martens, außerdem Herausgeberin der Moskauer Deutschen Zeitung. Das habe mit ihrer deutschen Muttersprache und Kultur zu tun, die sie als Kind von ihrer Familie in Sibirien erworben habe.

Fühlen Russlanddeutsche sich „deutscher“ als die Deutschen? „Das ist ein Stück der Identität“, erklärt Larissa Mass. Für die Russen seien die Deutschen eben die Deutschen gewesen. Im zweiten Weltkrieg, unmittelbar nach dem Angriff auf die Sowjetunion, wurde ihnen das zum Verhängnis. Aus Angst davor, dass sie zum „Feind“ überlaufen könnten, ließ Stalin sämtliche deutsche Siedlungen zerstören und schätzungsweise 900.000 Russlanddeutsche in den Osten deportieren, nach Westsibirien, in den Nordkaukasus und nach Kasachstan, wo auch Larissa Mass' Familie lebte. Die Chance, neue autonome Siedlungen zu gründen, gab es nicht und mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion bald auch keine ideale Lebensgrundlage mehr. So wurden die Deutschen zu Flüchtlingen.

Dass die Bundesrepublik schon immer ein Einwanderungsland war, ist kein Geheimnis. Unmittelbar nach dem Krieg fanden hier über zehn Millionen Vertriebene aus dem Sudetenland und den ehemaligen Ostgebieten des Deutschen Reiches eine neue Heimat. Und 1990 ermöglichte Helmut Kohl mit dem Bundesvertriebenengesetz auch Russlanddeutschen „zurückzukommen“. Hier galten die dann aber als Russen. „Das war ein ganz starker Identitätsbruch. Sie mussten sich erst mal wieder erkämpfen, deutsch zu sein“, sagt Larissa Mass. Ihre, die jüngere Generation hat das geschafft; Russlanddeutsche gelten als Beispiel für gelungene Integration. Zumindest schrieben das viele Zeitungen in der guten Absicht, den derzeitigen „Flüchtlingszustrom“ positiv zu beleuchten. „Das war ein Fehler,durch den auch einige meiner Bekannten in Deutschland zu Demonstrationen der AfD gingen“, sagt Olga Martens. Schließlich hätten sie sich nie integrieren, sondern einfach als deutsch anerkannt werden wollen – da das nicht funktionierte, haben sich vor allem ältere Russlanddeutsche, die keine Arbeitsmarkt- und Sprachförderungen mehr bekamen, im Gegenzug isoliert, so der russlanddeutsche Historiker Alfred Eisfeld. Und die erste Partei, die ihnen nach der CDU in den 90ern gerade offensiv die Anerkennung als Deutsche gibt, ist die für Rassismus bekannte AfD. Schon vor zwei Jahren hat die ihr Parteiprogramm auf russisch übersetzt.

Beflügelt wurde das Bedürfnis, sich von Flüchtlingen abzugrenzen – zumindest medial – durch den Fall Lisa. Das russlanddeutsche Mädchen, das im Januar einen Tag lang verschwunden war, hatte behauptet, von „südländischen“ Unbekannten vergewaltigt worden zu sein. Das war gelogen, wie sich hinterher herausstellte. Lisa hatte den Tag bei ihrem älteren Freund verbracht. Doch das Stigma „guter Flüchtling – böser Flüchtling“ lag in der Luft, wurde auch von russischen Medien weiter verbreitet und genau wie AfD und Pegida erregten nun Russlanddeutsche Aufsehen, indem sie gegen Einwanderer protestierten, auch um die eigene „deutsche“ Identität zu betonen. Ironischerweise sind das vermutlich diejenigen, die deutsche Kultur und Sprache am wenigsten kennen.

Trotzdem sei nicht abzustreiten, so Larissa Mass, dass einige in das Raster der „Alternative“ fallen. Geprägt von der Sowjetunion hätten sie eine sehr konservative Gesinnung, würden sich stark auf Familie und einen guten Arbeitsethos als Wertmaßstäbe berufen und sich beispielsweise vom AfD-propagierten Familienschutz angesprochen fühlen. Viele ihrer Landsleute seien auch sehr stolz darauf, ihren Erfolg in der Bundesrepublik aus „deutschem Fleiß“ und Gesetzestreue zu ziehen, so Olga Martens.

Trotzdem wehrt sie sich dagegen, alle Russlanddeutsche in die rechte Ecke zu stellen und fordert eine differenziertere Betrachtung. Der größte Teil ihrer in Deutschland lebenden Bekannten sei unpolitisch und fühle sich keiner Partei zugehörig. „Das ist das sowjetische Erbe. In die kommunistischen Parteien wurden wir viele Jahre gar nicht aufgenommen wegen unserer Nationalität. Das sitzt ‚genetisch‘ sehr fest im Gedächtnis.“ Klingt, als wäre mit dem Gefühl, weder deutsch noch russisch zu sein, auch eine kollektive Vorsicht vor Parteien vererbt worden. Unter Martens jüngeren Bekannten, die als Kinder nach Deutschland kamen, sind aber auch viele CDU- und SPD-Mitglieder. Die seien gut integriert – haben mit dem Begriff auch scheinbar kein Problem – und würden aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und deutsch-russischen Beziehungen sogar sehr geschätzt. Die wenigsten, die sie „einfache Leute“ nennt, würden auf die AfD-Werbung reagieren. „Ich finde es verbrecherisch, wenn man meiner Volksgruppe deshalb pauschal das Etikett des Nationalismus und Radikalismus anhängt.“ Tatsächlich sind vermutlich nur ein Bruchteil der Rechtspopulisten russlanddeutsch.

Dafür sympathisieren viele von ihnen offen mit der russischen Regierung, mit Putins harten politischen Kurs gegenüber den USA, der NATO und vor allem der Europäischen Union. Seit April diesen Jahres pflegt auch die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" Kontakte zur „Jungen Garde“ der Putin-Partei „Einiges Russland“. Sie wollen ein überregionales Bündnis eurokritischer und souveränistischer Bewegungen gründen, die zwar jeweils nationale Interessen vertreten, von denen aber beide Seiten profitieren. Viele Russlanddeutsche, um die die AfD wirbt, informieren sich nur über russisches Fernsehen – dort positiv dargestellt zu werden, ist für die Partei „ein Hebel der Beeinflussung“, wie der Politologe und Autor Sergej Sumlennij, der unter anderem für die ARD tätig war, dem russischen Dienst der BBC im März sagte. Die Russlanddeutschen hierzulande sind immerhin 2,5 Millionen Wahlberechtigte. Umgekehrt fördert der Kreml die AfD, um die deutsche Innenpolitik unter Druck zu setzen, vermutet Sumlennij. In russischen Medien gibt es Berichte darüber, dass die beiden Parteien enger zusammenarbeiten wollen. Finanzielle Unterstützung, wie sie für den französischen Front National nachgewiesen sei, lässt sich für die AfD jedoch nicht bestätigen; Sumlennij hält das für wahrscheinlich, doch die Partei selbst bestreitet solche Vermutungen.

Während JA-Chef Markus Frohmaier möchte, dass Deutschland außenpolitisch aufhört, „Kindergärtner der Welt“ zu sein, wie er vom SPIEGEL zitiert wird, benutze Putin rechte Parteien in ganz Europa, um die EU „von innen zu sprengen“, so Marcus Bensmann von der investigativen Journalistengemeinschaft CORRECTIV. „Es ist offensichtlich, dass die rechtsradikalen Parteien von Le Pen in Frankreich über die österreichische FPÖ bis hin zur AfD den Kontakt zum Kreml suchen und umgekehrt.“

Die versuchte Annäherung der Alternative für Deutschland an die russlanddeutsche Bevölkerung ist also nur ein Symptom einer größeren Strategie im Namen autoritärer Politik. Und das obwohl Putins Beteiligung am Syrien-Krieg und die entstehende Konvergenz zur Türkei mit für die derzeitige Masseneinwanderung verantwortlich sind. Der Widerspruch scheint den Rechtspopulisten noch nicht aufgefallen zu sein.

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