Kindheit in Baracken


Ein kleines Museum der Novodvinsker Schule, wo auch Platz für die örtliche deutsche Ausstellung ist, ist ein Anziehungspunkt für die heranwachsenden Kinder der deutschen Aussiedler, ein Treffpunkt, wo die seine Geschichte und ihr Schicksal nicht verheimlichen müssen.

Man kann sagen, dass die Stadtgeschichte von Novodvinsk Gebiet Archangelsk mit den Baracken der deutschen Zwangsaussiedler begonnen hat. Heute sind fast alle Deutschen aus dem nördlichen Novodvinsk nach Deutschland umgezogen. Aber die wenigen, die noch geblieben sind, kommen in das Schulmuseum, um die Ausstellung über den dritten Bereich der Siedlung namens Klim Voroschilov zu besichtigen. Die Exponate der Ausstellung wurden von den Nachfahren der Einwohner der Zwangssiedlung übergeben. „Das Hauptexponat der Ausstellung ist ein Modell der Baracken Siedlung, das von den Elternkindern gebastelt wurde“, erzählt die Leiterin des Museums der Schule Nr. 2 der Stadt Novodvinsk Vera Sverlova.

Der Nord-Gulag

Jahrzehnte trug die Siedlung den Namen Klim Voroscholov, 1977 wurde aus der Siedlung eine Mono-Stadt, die nur ein einiges Werk bediente - die Archangelsker Zellstoff- und Papierfabrik. Die Eröffnung der Fabrik wurde in den 30er Jahren mehrmals verschoben, danach wurde jedoch entschieden, dass man Gefangene auf dem Bau arbeiten zu lassen, um die Eröffnung zu beschleunigen. Somit ist auf dem Bau ein Gulag entstanden. Die Gefangenen wohnten in Baracken, und nach der Eröffnung der Fabrik sind in diese Baracken repressierte Deutsche „eingezogen“ – Trudarmisten und Repatriierte nach dem Zweiten Weltkrieg. „Wir wohnten in der Baracke Nummer 18. Im Zimmer gab es außer Pritschen sonst nichts. Können Sie sich vorstellen, wie in so einem Zimmer Eltern mit sieben Kindern untergebracht wurden?“, erinnert sich Hilda Rudolfovna Duchovitsch (geborene Reimus).

Die Familie Reimus wurde aus dem Dorf Micheilovka Gebiet Zhitomir nach Deutschland vertrieben. In die Sowjetunion kamen sie schon als „Volksfeinde“ wieder zurück. Der Vater wurde in die Kohlengrube nach Vorkuta geschickt und die Mutter landete im Gebiet Archangelsk in den III. deutschen Bereich der Siedlung namens Klim Voroschilov. Alle Deutschen arbeiteten in der Zellstoff- und Papierfabrik. Männer sowie auch Frauen mussten die schwersten Arbeiten erledigen. Zum Beispiel Holz fällen und aufladen. Die Bedingungen der Spezialsiedlung unterschieden sich kaum von Bedingungen eines Gefangenenlagers. In der Siedlung herrschte Kommandatur: man muss sich immer melden. Die Zimmer wurden nicht beheizt, es gab nicht genug Essen. Für die Arbeit hat man Brotbons bekommen. „Denken Sie nicht, dass wir das Brot gegessen haben“, erzählt Hilda Rudolfovna. "Nein! Meine Mutter hat meiner Schwester eine Scheibe gegeben und der Rest wurde in das Dorf gebracht – sie tauschte das Brot gegen Kartoffeln ein. Sie kochte für uns Suppe. Es war ein ganz einfaches Rezept: Wasser und Kartoffeln. Die Kartoffeln wurden gestapft, damit die Brühe überhaupt eine Farbe bekam“. Trotz des schweren Lebens lebten die Deutschen in Frieden zusammen, unterstützten sich gegenseitig und haben abends sogar Kunstabenden mit Theatervorführen organisiert. Ekaterina Jakovlevna Gubar, geborene Epp (Mennoniten Epp wohnten in Saporozhje), erzählt, dass sie immer Weihnachten gefeiert haben.

„Wir sind alle in einer Baracke zusammengekommen und haben Lieder gesungen. Die Eltern haben es sogar immer geschafft, für uns kleine Geschenke zu machen und es gab immer was Süßes“. Es wurde in dem Bereich nur Deutsch gesprochen. Bis zur ersten Klasse konnte Hilda Rudolfovna kein Russisch und wäre aufgrund dessen fast nicht zur Schule zugelassen, wenn der stellvertretende Schulleiter Vladimir Ivanovitsch Sacharov nicht wäre. Im Dorf gab es eine Schule, die später als „deutsche“ Schule genannt wurde, die die Kinder der Zwangsaussiedler besuchen durften. Vladimir Ivanovitsch besuchte den deutschen Bereich und erfasste alle Schulkinder, die im Schulalter waren. So kam es vor, dass es in der ersten Klasse Kinder im Alter von 7 und 13 Jahren gab.

Die russische Schulbank

Die Schulzeit war nicht einfach. Die russischen Kinder mochten die deutschen Schüler nicht. „Sie haben uns auf dem Schulweg abgefangen und haben uns verprügelt. Ich bin den Kindern nicht böse, es war damals so eine Zeit“, sagt Hilda Rudolfovna. Die Schlägereien hörten erst dann auf, als der stellvertretende Schuldirektor Vladimir Ivanovitsch die Kindern persönlich nach Hause gebracht hat. Die Kinder der Zwangsaussiedler konnten keine Berufsausbildung machen und mussten nach der Schule auf der Fabrik arbeiten. „Meine Mutter war sogar froh, dass sie nicht weiter lernen konnte. Sie meinte es ist besser, wenn man ein einfacher Arbeiter ist. Sie hatte ein sehr schweres Leben“, erinnert sich Hilda Rudofovna. Nach der Aufhebung der Zwangssiedlung durften die Deutschen nicht wieder an die Orte zurückkehren, an denen sie vor dem Krieg gewohnt haben. Hilda Duchivitsch und Ekaterina Epp wissen bis heute noch nicht, was aus ihren Häusern in der Ukraine geworden ist. Mit der Zeit wurden die Baracken abgerissen und die „deutsche Schule“ hat in den 80er ein neues Gebäude bekommen, das ist jetzt die Schule Nummer 2 der Stadt Novodvinsk. Heute erinnert an die III. Deutsche Siedlung nur noch Fotos und das Modell im Schulmuseum.

Im April empfang das Museum Studenten des Instituts für Ethnokulturelle Bildung BiZ, die nationale Staatspolitik studieren und sich in Archangelsk weiterbilden.