Olga Strasser über den Führungsstil von Frauen, Fachwissen und Liebe


Wie wird man eine weibliche Führungskraft, wie bleibt man im Management flexibel und ist es möglich, ein Gleichgewicht im Leben zu finden? Wir sprachen mit Olga Strasser, einer Expertin für Außenwirtschaft sowie Export- und Importmanagerin bei der in Tomsk ansässigen Öko-Fabrik „Sibirski kedr“ (dt.: Sibirische Zeder), die köstliche Produkte aus Wildpflanzen der Taiga in ganz Russland und in mehr als 20 Ländern der Welt verkauft.

Olga arbeitet auch als Beraterin und hilft Geschäftsinhabern bei der Expansion ihres Unternehmens und der Erschließung ausländischer Märkte. Sie ist vor kurzem nach Moskau gezogen und hat die meiste Zeit ihres Lebens in Tomsk gelebt, wo sie erst im Erwachsenenalter die russlanddeutsche Gemeinschaft kennenlernte. Der seltene Familienname „Strasser“ hat ihr immer gefallen und ihr Großvater Erich war für sie ein Beispiel für den Charakter eines echten Mannes.

Alle Tätigkeiten von Olga sind mit großer Verantwortung, ständiger geistiger Anstrengung und dem Umgang mit verschiedenen Situationen höherer Gewalt verbunden. Ist es möglich, dies mit einer sanften Weiblichkeit zu verbinden und wie findet man dabei Zeit für Ruhe? Diesen Fragen sind wir gemeinsam mit Olga während des Online-Meetings nachgegangen. All dies – vom internationalen Handel bis zur Liebe – ist in diesem Artikel zu lesen.

Olga, bitte erzähle uns mehr über Deinen beruflichen Werdegang, damit die Leser verstehen können, wer genau Olga Strasser ist.

Ich bin Expertin für außenwirtschaftliche Tätigkeiten.

Im Allgemeinen steht mein ganzes Leben unter der Ägide der Transformation. Wahrscheinlich habe ich diese Tätigkeit gewählt, weil sich alles ständig verändert: Die Welt selbst verändert sich und die Geschwindigkeit der Veränderungen nimmt jedes Jahr zu. Außerdem muss man ständig flexibel denken, denn es ist eine kontinuierliche Entwicklung.

Eine solche Entwicklung bedeutet, dass man sich nicht immer wohlfühlt. Zeitweise ist es äußerst unangenehm und schwierig.

Wenn alles einfach ist, dann entwickelt man sich auch nicht weiter.

Momentan bist Du die Leiterin der Exportabteilung des ziemlich großen und bekannten Unternehmens „Sibirski kedr“. Für mich sieht das von außen betrachtet recht romantisch aus: Geschäftsreisen, Reisen und internationale Ausstellungen. Aber von innen betrachtet ist es sicherlich äußerst stressig. Bitte erzähle uns von dieser beruflichen Erfahrung.

„Sibirski kedr“ ist derzeit meine Haupttätigkeit. Der Umzug in eine andere Stadt hat das nicht beeinträchtigt, sondern sogar noch verstärkt: Wenn man etwas Neues macht, bilden sich neue neuronale Verbindungen und man beginnt, neue Lösungen für seine aktuelle Tätigkeit zu finden.

Von außen betrachtet sieht es ja wirklich romantisch und schön aus: Gespräche mit Ausländern und Geschäftsreisen, die übrigens nicht so häufig stattfinden. Aber dahinter steckt eine Menge Arbeit, Geduld und Charakterstärke. Wenn man sich anschaut, wie ich vor zehn Jahren gearbeitet habe und wie ich jetzt arbeite, dann ist es ein völlig anderer Ansatz. Aber die Arbeit ist dadurch nicht leichter geworden: Es gibt höhere Gewalten und Meinungsverschiedenheiten mit Kollegen oder Partnern, wie wahrscheinlich in jeder Tätigkeit.

Meine Einstellung dazu hat sich geändert: Ich selbst bin flexibler und weicher geworden. Genau das ist der weibliche Ansatz im Management. Aber wenn wir darüber sprechen, wie man ein Gleichgewicht findet, würde ich sagen: „gar nicht“.

Hierbei geht es nicht um Weiblichkeit und Leichtigkeit, hierbei geht es im Gegenteil um Härte, klare Grenzen und ständige innere Anspannung. Im Allgemeinen bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es kein Gleichgewicht im Leben gibt, zumindest habe ich es noch nicht gefunden, sodass alles zu gleichen Teilen präsent ist: zwei Stunden Arbeit, zwei Stunden körperliche Tätigkeiten, zwei Stunden kreative Freizeit. Wenn man sich ständig weiterentwickelt und die nächste Stufe erreicht, muss man sich sehr anstrengen und das ist sehr zeitaufwändig. Zumindest ist das bei mir so.

Glaubst Du aus Deiner Erfahrung als weibliche Führungskraft, die auch andere Führungskräfte anderen Geschlechts kennt, dass es wirklich einen Unterschied gibt? Wie drücken sich männliche und weibliche Führungskräfte aus? Oder gibt es hier im übertragenen Sinne kein Geschlecht?

Das ist ein heikles Thema. Egal, was man sagt, es wird immer Leute geben, die anderer Meinung sind.

Ich glaube dennoch, dass wir, Männer und Frauen, unterschiedlich sind. Deshalb können wir auch unterschiedliche Führungsstile haben. Aber hierbei gibt es keine klare Einteilung von „das ist der Führungsstil einer Frau, und das ist der eines Mannes“. Es ist auch möglich, dass der männliche Führungsstil zu einer Frau passt und sie sich damit wohlfühlt.

Das, was ich als weiblichen Führungsstil bezeichne, ist in Wirklichkeit mein eigener Stil, der mir nahe und für mich passend ist. Für mich bedeutet eine Frau Flexibilität. Ich will das nicht als einzige Regel ausgeben. Es fällt mir leichter, flexibel zu sein und es fällt mir emotional schwer, viel Aggression und Härte zu zeigen. Obwohl dies auch in meiner Tätigkeit seinen Platz hat.

Ich bin von Natur aus eine Diplomatin und immer für Aushandlungen in allem, sowohl in Beziehungen als auch in der Arbeit. Ich bin mir sicher, dass jedes Problem durch ein offenes und ehrliches Gespräch gelöst werden kann. In der Führungstätigkeit braucht man Stärke und Härte, aber man kann beides auf verschiedene Weise zeigen. Man kann sie durch direkte Aggression oder listige Manipulationen zeigen, man kann sie aber auch durch innere Stabilität und Stärke zeigen. Wenn man als Mensch und als Führungskraft stabil ist, wird man auch auf diese Person hören.

Was gefällt Dir an Deiner Tätigkeit?

Ich bin auf jeden Fall zufrieden mit den Ergebnissen meiner Tätigkeit. Vor allem wenn wir Ergebnisse erzielen, dank derer wir in Wettbewerben anerkannt und ausgezeichnet werden.

Mir gefallen und mich inspirieren Gespräche mit den Menschen. Alles im Leben kommt von den Menschen. Und was man genau zurückbekommt, hängt davon ab, wie man kommuniziert. Es spielt keine Rolle, ob man introvertiert oder extrovertiert ist, meiner Meinung nach sind das lediglich Konventionen. Wir alle sind soziale Wesen und ein Mensch braucht einen Menschen.

Kommunikation gibt einer Person alles, was sie braucht: Informationen, Inspiration, erweitert das Denken und gibt einfach menschliche Herzlichkeit.

Lass uns unser Gespräch mit dem Thema Familie und Familienname abschließen. Du sagtest, dass Strasser ein seltener Familienname ist und dass Du durch den Film „Der deutsche Familienname“ von Anna Jaroslawzewa und Evgenij Wagner zur russlanddeutschen Gemeinschaft gekommen bist. Erzähle uns etwas über Deine deutsche Abstammung in Deiner Familie.

Ich habe meinen Familiennamen von meinem Vater.

Der Name meines Großvaters war Erich Strasser. Er war für mich immer ein Vorbild an männlichem Charakter und Verhalten, denn er war sehr fleißig und jeder im Dorf respektierte ihn für seinen Fleiß.

Als Kind habe ich nicht viel darüber nachgedacht, wer die Russlanddeutschen waren und wie sie nach Russland kamen. Diese Erkenntnis kam erst im Erwachsenenalter, obwohl ich mich schon immer für meinen deutschen Familiennamen interessiert habe. Gleichzeitig will ich den anderen Teil der Familie nicht geringschätzen: mütterlicherseits sind wir Russen.

Als ich von dem Film „Der deutsche Familienname“ hörte, hat mich schon der Titel angesprochen. Mir wurde klar: „Es geht um mich! Ich habe einen deutschen Familiennamen und ich muss bei der Präsentation dabei sein“.

Nachdem ich den Film gesehen hatte, verstand ich, dass es Menschen mit einem ähnlichen Schicksal gibt und Familiengeschichten, die uns vereinen. Danach habe ich das Projekt „Schule der Identität“ der Deutschen Autonomie in Tomsk besucht. Das ist ein wunderbares Projekt für erwachsene Russlanddeutsche, die noch nicht viel darüber nachgedacht haben, woher ihr Familienname kommt und wer Russlanddeutsche sind.

Dann habe ich an ein paar weiteren Projekten teilgenommen. Nun ist es ein Teil meines Lebens. Ich habe von vornherein eine herzliche Einstellung und ein Gemeinschaftsgefühl gegenüber Menschen mit deutschem Familiennamen und deutschen Wurzeln. Mit diesen Menschen möchte man sich unterhalten und Veranstaltungen organisieren.

Als ich im Jahr 2018 zum ersten Mal in Deutschland war, habe ich mich in die deutsche Sprache verliebt. An meinem zweiten Tag dort traf ich jemanden mit demselben Familiennamen. Das war wie ein Donnerschlag! Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie eine Person mit dem Familiennamen Strasser getroffen, schon gar nicht persönlich.

Nach der Reise belegte ich einen Deutschkurs im Russisch-Deutschen Haus in Tomsk, wofür ich sehr dankbar bin. So ein schönes Gefühl beim Lernen hatte ich schon lange nicht mehr.

Du befindest Dich also immer noch in diesem Bereich und bist mit der Gemeinschaft der Russlanddeutschen so gut wie möglich verbunden.

Ja, auf die eine oder andere Weise. Ich habe nicht an so vielen Projekten teilgenommen, aber jede Veranstaltung ist wertvoll und es sind immer interessante Bekanntschaften. Die Menschen aus der Gemeinschaft haben mir viel gegeben.

Ich möchte Dich bitten, unser Gespräch mit herzlichen Worten zu beenden. Was würdest Du Dir für unsere Leser wünschen?

Ich würde ihnen gerne Verständnis wünschen. Das ist ein Wunsch für uns alle: sich gegenseitig zu verstehen. Das ist heutzutage superaktuell. Alles, was zwischen den Menschen schiefläuft, ist auf Missverständnisse zurückzuführen, auf die Unfähigkeit oder den Unwillen den anderen zu verstehen. Wir alle sind anders, aber uns geht es um eine Sache, und zwar um die Liebe.

Deshalb wünsche ich allen Verständnis und Liebe.

Sie können sich den Film „Der deutsche Familienname“ von Anna Jaroslawzewa und Evgenij Wagner ansehen, indem Sie hier klicken.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

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