„Tolles Diktat“ mit Wurzeln in Tomsk: Wie aus der Idee eines 13-jährigen Mädchens gesamtrussische Aktion wurde

Bald werden alle ihre Deutschkenntnisse bei der gesamtrussischen Offenen Aktion „Tolles Diktat“ testen. Heute ist dies eine groß angelegte gesamtrussische Aktion: 2022 schrieben mehr als 70.000 Menschen das Diktat in ganz Russland und in 35 anderen Ländern. Wir erzählen die Geschichte der Initiative aus Tomsk.

Der Anfang war bescheiden und spontan. Vor zehn Jahren fragte eine junge Aktivistin der sozialen Bewegung der Russlanddeutschen, ein 13-jähriges Mädchen, auf einer Veranstaltung in Tomsk: „Warum schreiben wir kein Diktat auf Deutsch?“ Gesagt – getan. Zum ersten Mal fand die Aktion in Tomsker Schulen zu Ehren des 20-jährigen Jubiläums des örtlichen Deutsch-Russischen Hauses statt.

Dieses Jahr findet „Tolles Diktat“ zum 11. Mal statt, und das Deutsch-Russische Regionalhaus Tomsk feiert sein 30-jähriges Bestehen. Einer der Texte des bevorstehenden Diktats wird die Teilnehmer mit der Geschichte und Tätigkeit des DRH von Tomsk bekannt machen.

Und in diesem Artikel machen wie Sie mit der Geschichte der Aktion „Tolles Diktat“ vertraut. Wie ist die Idee entstanden? Wer unterstützte die Aktion und half ihr, sich auf eine gesamtrussische und dann internationale Ebene zu entwickeln, damit die Geografie jetzt Deutschland, die Schweiz, Spanien, Australien und andere Länder umfasst? Und wie schafft es die Aktion, das Interesse für die deutsche Sprache aufrechtzuerhalten?

Geburt

Die Idee, ein Diktat auf Deutsch zu schreiben, wurde erstmals im Frühjahr 2013 auf dem Jugendseminar „Russlanddeutsche Jugend – Suche nach Entwicklungswegen“ geäußert, das im Tomsker Regionalen Deutsch-Russischen Haus stattfand. Die Organisatoren der Veranstaltung haben es sich zur Hauptaufgabe gemacht, Wege der Zusammenarbeit zwischen dem DRH und dem Jugendverband „Jugendblick“ aufzuzeigen, um die Kontinuität der Generationen zu wahren und gemeinsame Veranstaltungen zum Thema Traditionen der Russlanddeutschen durchzuführen. Als Ergebnis dieses Seminars stellten junge Aktivisten 25 Projekte vor. Unter ihnen klang schon die Idee: „Warum schreiben wir nicht ein deutsches Diktat?“.

„Die Idee wurde von Ljuba Glinkina vorgeschlagen, sie war damals 13 Jahre alt. Sie sagte: „Es gibt ein Diktat auf Russisch, machen wir es auf Deutsch.“

Wir haben es nicht aufgeschoben und noch im Herbst ein Diktat geschrieben“, erinnert sich Alexander Geier, Direktor des DRH Tomsk. „Wir waren die zweiten, die ein Diktat organisierten. Zuerst die russische Sprache, und dann sind wir bei der deutschen Sprache. Und heute gibt es schon dreißig verschiedene Diktate: musikalisches, geographisches, ethnographisches.“

Das erste Diktat in deutscher Sprache wurde von 130 Schülern aus fünf Tomsker Gymnasien und Lyzeen verfasst. Damals eröffnete die Aktion das Programm zum 20-jährigen Jubiläum des Deutsch-Russischen Hauses, und beim abschließenden Galakonzert wurden die Gewinner ausgezeichnet – die besten Kenner der deutschen Sprache.

Thema der Texte des allerersten Diktats war das Manifest von 1762, in dem Kaiserin Katharina II. Ausländer zur Ansiedlung im Russischen Kaiserreich einlud und von dem aus die Massenumsiedlung von Deutschen nach Russland begann. So konnten die Schülerinnen und Schüler nicht nur ihre Deutschkenntnisse und ihre Schreibkompetenz testen, sondern auch sich mit der Geschichte der Russlanddeutschen vertraut zu machen.

„Wir hoffen, dass die Durchführung einer solchen Veranstaltung im nächsten Jahr fortgesetzt wird, außerdem zählen wir auf die Unterstützung der Aktion durch Partner in anderen Regionen“, so lautete eine Zeile aus einem Nachrichtenartikel über das erste Diktat, der auf der Webseite des Tomsker DRH am 18. September 2013 veröffentlicht wurde.

Und die Aktion wuchs tatsächlich. In den folgenden Jahren wurde die Aktion von Partnern nicht nur in anderen Regionen Russlands, sondern auch in verschiedenen Ländern unterstützt, die Zahl der Teilnehmer wuchs von 130 Personen auf 72.000, und die ersten fünf Schulen in Tomsk wurden auf rund 1.600 Schreibstellen auf der ganzen Welt erweitert. Solche Ergebnisse erzielte „Tolles Diktat“ im Jahr 2022.

Aber zunächst wuchs die Aktion allmählich und erweiterte jedes Jahr den Kreis der Unterstützung und Größe. Im Jahr 2014 boten die Tomsker ihren Nachbarn an, sich dem deutschen Diktat anzuschließen - der Oblast Nowosibirsk und der Region Altai.

Im nächsten Jahr wurde beschlossen, die Aktion am 21. Februar zu starten. An diesem Datum wird nach dem Beschluss der UNESCO der Internationale Tag der Muttersprache begangen, der die Bedeutung der sprachlichen Vielfalt und der Bildung in den Muttersprachen betont. Die Werte dieses Feiertages stimmen perfekt mit den Zielen des Diktats überein - die deutsche Sprache und die Kultur des literarischen Schreibens auf Deutsch zu popularisieren, um eine große Anzahl von Menschen mit der Muttersprache und Kultur der Russlanddeutschen vertraut zu machen. Larissa Glinkina, die Mutter des Mädchens, aus dessen Idee das Diktat geboren wurde, schlug gerade vor, die Aktion mit dem Internationalen Tag der Muttersprache zu verknüpfen.

Im Jahr 2015 wurde die Aktion gesamtrussisch und fand neben Tomsk in den Deutsch-Russischen Häusern in Moskau, Nowosibirsk, Barnaul und in den Zentren der deutschen Kultur im Gebiet Omsk statt.

Ein Jahr später wurde die Aktion vom russischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft unterstützt. Dann zog sie mehr als 24.000 Menschen zur Teilnahme an, und die Geographie wuchs bereits auf 62 Regionen des Landes an und ging sogar über seine Grenzen hinaus - das Diktat wurde in Kasachstan und im Kanton Aargau in der Schweiz geschrieben.

„Mit der Schweiz war es eine einfache Geschichte. Eine der ehemaligen Mitarbeiterinnen des Deutsch-Russischen Hauses zog dorthin um. 2015 kam sie im Urlaub nach Tomsk und besuchte uns natürlich. Ich sagte ihr: „Olja, wir haben so eine Aktion!“. Und ihr Mann arbeitete gerade im Bereich der Bildung. Und so kam es, dass sich 2015 ein Gymnasium in der Schweiz und Kasachstan der Aktion anschlossen. Das heißt, seit diesem Jahr ist die Aktion international geworden“, erinnert sich Direktor des Tomsker DRH Alexander Geier. „Dann bin ich 2017 zu einem Studium nach Berlin gegangen, da waren Vertreter deutscher Volksgruppen aus Europa: Polen, Slowakei, Tschechien, Ungarn. Und wir haben auch Informationen über das Diktat an alle verteilt. Ich sage nicht, dass sich europäische Länder der Kampagne dank meines Newsletters angeschlossen haben, nein! (lacht). Wir haben über unsere Kanäle gehandelt, die Partner über ihre.

So begann sich die Aktion mit Unterstützung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft und einfach Freunden, Bekannten und Kollegen zu erweitern.“

Im Jahr 2017 führte das Deutsch-Russische Haus in Moskau erstmals eine Online-Übertragung der Aktion durch. Damit war es möglich, ein Diktat in deutscher Sprache für alle Wünschenden auf der ganzen Welt zu schreiben und auch für Menschen mit Behinderungen.

Dann wuchs die Aktion weiter und bezog immer mehr Liebhaber der deutschen Sprache, neue Orte und Länder mit ein. Im Laufe der Jahre schrieben Teilnehmer aus Deutschland, Kasachstan, Weißrussland, Kirgistan, Moldawien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Norwegen, Griechenland, Australien und anderen Ländern das Diktat auf Deutsch.

In diesen zehn Jahren befasste sich „Tolles Diktat“ mit den unterschiedlichsten Themen. Das waren Texte über deutsche Literatur und russischdeutsche Schriftsteller, über Fußball im Jahr der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland, über die Jugendzeitschrift „Schrumdirum“, Theater, Volkskunst, immaterielles Kulturerbe und vieles mehr.

2023 wird einer der Texte dem Deutsch-Russischen Haus in Tomsk gewidmet sein, das in diesem Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert. Diktatteilnehmer aus verschiedenen Regionen Russlands erfahren beispielsweise die Geschichte eines alten Kaufmannsgutes in Tomsk, wo sich die Organisation heute befindet.

„Der erste Funke wurde hier in Tomsk geboren. Dann haben wir natürlich nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen würde“, sagt Alexander Geier.

„Die Aktion wächst und erweitert ihre Geografie. Dazu schlossen sich Universitäten, Schulen, einfach Menschen an, die die deutsche Sprache lieben. Viele Menschen und Organisationen haben sich an dem Prozess beteiligt. Es ist klar, dass wir selbst kaum eine solche Welle ausgelöst hätten. All dies ist den gemeinsamen Anstrengungen der gesamten Selbstorganisation der Russlanddeutschen zu verdanken. Und ich freue mich sehr darüber!“

Teilnehmer

Während in den Anfangsjahren sich die Aktion vor allem an Schülerinnen und Schüler richtete, um das Interesse von Jugendlichen für die deutsche Sprache und die Entwicklung einer kompetenten schriftlichen Rede durch die Teilnahme an einem Wettbewerb zu unterstützen, so hat man im Laufe der Zeit die Zielgruppe der Aktion wesentlich erweitert: mittlerweile alle Wünschenden können sich an einen Schreibtisch setzen und ein Diktat schreiben. Kinder, Studenten, Familien, Mitglieder der Sprachklubs der Deutsch-Russischen Häuser und Begegnungszentren und alle Liebhaber der deutschen Sprache kommen zu den Tolles-Diktat-Standorten.

Es gibt diejenigen, die seit mehreren Jahren Diktate schreiben. Als Veteranin von Tolles Diktat kann man beispielsweise Maria Suslowa bezeichnen. Das Mädchen kommt aus Tomsk und nahm neun Jahre in Folge an der Aktion teil. Als Schülerin schrieb sie 2013 das allererste Diktat. Jetzt lebt Mascha in Moskau und plant, in diesem Jahr bereits an einem Standort in Moskau ein Diktat zu schreiben.

„Jedes Jahr bot uns die Schullehrerin an, an der Aktion teilzunehmen, und ich war daran interessiert, meine Kenntnisse zu testen. An der Uni habe ich dann Sprachwissenschaften studiert, da gab es auch einen Anreiz, Wortschatz und Hörkompetenz zu checken. Und ich kam jedes Jahr in das Deutsch-Russische Haus, um ein Diktat zu schreiben.

Von Jahr zu Jahr habe ich gemerkt, dass es viel einfacher ist, den deutschen Text nach Gehör wahrzunehmen, und irgendwann war auch schon ein sportliches Interesse da, sich stetig an der Aktion zu beteiligen“, teilt Maria mit.

„Im Jahr 2021 hat man mir im Deutsch-Russischen Haus angeboten, den Text für das Niveau A1 zu lesen. Es war eine sehr interessante und verantwortungsvolle Erfahrung! Es ist schön, nach so vielen Jahren der Teilnahme an der Aktion Vorleserin zu werden. In diesem Moment fühlte ich mich wirklich wie eine „Älteste“ des Diktats: So nannte man mich in einem Bericht eines Tomsker Fernsehsenders. Im selben Jahr gewann ich einen Preis im C1-Niveau. Tolles Diktat bietet eine wunderbare Möglichkeit an, Kenntnisse zu testen, Hörkompetenz zu entwickeln, neue Wörter und Redewendungen auf Deutsch zu lernen!“

Und wie ist es, ein Diktat für die Teilnehmer zu schreiben, die vierzig Jahre nicht an der Schulbank gesessen haben? Alexander Geier, Direktor des DRH Tomsk, teilte seine Erfahrungen in Bezug auf seine Teilnahme an Tolles Diktat, mit:

„Ich habe das Diktat mehrmals geschrieben. Einmal haben wir es direkt auf einer Tagung des Interregionalen Koordinierungsrates der Sibiriendeutschen geschrieben. Und letztes Jahr nahm ich an der Aktion im Deutsch-Russischen Haus in Moskau teil. Aber... ich konnte mit dem Vorlesen nicht mithalten, und irgendwie hat es bei mir nicht geklappt. Natürlich kann ich sagen, dass ich weit weg gesessen habe, ich konnte nicht gut hören. Aber es ist nur so, dass ich schon lange nicht mehr in der Schule bin und wahrscheinlich die Fähigkeit verloren habe, ein Diktat zu schreiben. Aber ich beneide immer freundlich diejenigen, die fehlerfrei schreiben und alles rechtzeitig erledigen!“ lacht der Direktor des Deutsch-Russischen Hauses in Tomsk.

Seit zehn Jahren zieht „Tolles Diktat“ viele bedeutende Persönlichkeiten aus den Bereichen Kultur, Bildung, Politik und Wirtschaft an. Zum Beispiel begrüßten Teilnehmer des Diktats zu verschiedenen Jahren Volkskünstler Russlands Georgi Schtil und Vertreter der Föderalen Agentur für Nationalitätenangelegenheiten. Die Texte wurden von russlanddeutschen Schriftstellern und Autoren aus Deutschland sowie von Professoren führender Universitäten vorgelesen. Die Live-Übertragung des Diktats wurde von Fernseh- und Radiomoderatoren, Theater- und Filmschauspielern durchgeführt. Und dies ist nur ein kleiner Teil einer großen Liste von Menschen, die bei der Entwicklung der Aktion helfen und das Diktat echt „toll“ machen!

Gedanken für Zukunft

Die Idee zu „Tolles Diktat“ entstand aus einer problematischen Anfrage heraus: Wie kann man die deutsche Sprache und die Kultur des literarischen Schreibens auf Deutsch popularisieren? Wie das stetige und stetige Wachstum der Aktion zeigt, bewältigt das Diktat diese Aufgaben erfolgreich und leistet einen wertvollen Beitrag zur Bewahrung der sprachlichen Traditionen der Russlanddeutschen.

„Tolles Diktat hat sich zu einer der größten Veranstaltungen in Russland zur Förderung der deutschen Sprache entwickelt. Wenn die Aktion weiter ausgebaut wird, dann wird dies vielleicht dazu beitragen, dass die deutsche Sprache wieder aktiver an unsere Schulen und Hochschulen zurückkehrt. Das bedeutet, dass mehr Fachkräfte in dieser Sprache ausgebildet werden“, überlegt Alexander Geier. „Nun prognostizieren Lehrer vorsichtig und optimistisch, dass das Interesse an der deutschen Sprache zurückkehrt. Natürlich ist es in unserer Zeit schwierig, etwas vorherzusagen.

Aber alles ist zyklisch. Und ich denke: Das Interesse für Deutsch wird zurückkehren. Auch dank einer Aktion wie Tolles Diktat“.

Nun geht „Tolles Diktat“ in das zweite Jahrzehnt seines „Lebens“. Welche neuen Formate können genutzt werden, um die Aktion zu erweitern und in die nächste Entwicklungsrunde zu bringen? Jekaterina Barsagajewa, eine regionale Tolles-Diktat-Kuratorin in der Region Tomsk, die seit Beginn der Aktion im Jahr 2013 das Diktat koordiniert und Texte überprüft, teilte ihre Gedanken mit:

„Um das Interesse eines neuen Publikums zu wecken, kann man verschiedene moderne Funktionen nutzen: Gamification-Elemente, vielleicht ein App zur Vorbereitung von Diktaten. Man kann auch mit bekannten Bloggern von den Russlanddeutschen zusammenarbeiten“.

Und natürlich wird sich die Aktion weiterentwickeln und mit jedem neuen Teilnehmer am Diktat das Interesse an der deutschen Sprache wiederbeleben. Hast du dich schon für Tolles Diktat angemeldet?

Nehmen Sie an der Online-Übertragung des Diktats teil! Details auf der offiziellen Website der Aktion.

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