„Ich erinnere mich oft daran, wie mein Bruder und ich von unseren Eltern erzogen wurden“: Denis Lochtatschjow in einem Interview zum Gedenken an seine Mutter


In diesem Jahr verstarb Nina Lochtatschjowa (Lützow), Verdiente Künstlerin Russlands, Mitbegründerin der Werkstatt „LiK“ in Slatoust, Russlands erste Waffenschmiedin sowie Preisträgerin des Gesamtrussischen Wettbewerbs „Russlands herausragende Deutsche – 2018“ in dem nach Anna German benannten Bereich der Kunst. In einem Gespräch mit RusDeutsch sprach ihr Sohn Denis Lochtatschjow, Generaldirektor der Werkstatt „LiK“, über seine Mutter, die Bedeutung des kulturellen Erbes und der Erinnerung der Familie sowie die Herausforderungen, denen sich Familienunternehmen stellen müssen.

Am 10. September fand in der Tawritscheski Halle des Großen Palastes im Museumsreservat „Zarizyno“ in Moskau die zwölfte feierliche Preisverleihung des Gesamtrussischen Wettbewerbs „Russlands herausragende Deutsche“ statt. Jeder der Preisträger in den fünf Haupt- und einer Sondernominierung wurde mit einem persönlichen Zierteller aus Messing mit galvanischer Vergoldung und Gravur ausgezeichnet. Diese Auszeichnungen, für die es weltweit keine vergleichbaren Exemplare gibt, werden in der Werkstatt für dekorative und angewandte Kunst „LiK“ in Slatoust geschaffen, die von Nina Lochtatschjowa, der Verdienten Künstlerin der Russischen Föderation und Mitglied der Künstlervereinigung Russlands, mitbegründet wurde.

Heute sind die Werke der Werkstatt „LiK“ in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau und Nikolai-Marinekathedrale in Kronstadt ausgestellt. Außerdem werden sie im Zentralmuseum des Großen Vaterländischen Krieges und in Sammlungen anderer Museen in Russland und im Ausland sowie in Privatsammlungen aufbewahrt.

Nina Lochtatschjowa nahm auch aktiv am sozialen Leben der Russlanddeutschen teil; daher wurde der Abschied von Nina von ihrer Familie und der gesamten sozialen Bewegung der Russlanddeutschen einschließlich der Künstlervereinigung der Russlanddeutschen, deren Vorsitzende Nina Lochtatschjowa von 2010 bis 2018 war, schwer empfunden. Sie war auch Mitglied des Rates des Internationalen Verbandes der Deutschen Kultur und des Rates der Föderalen National-kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen und hat ein Buch über die Geschichte der Familie Lützow geschrieben und veröffentlicht.

In einem Interview zum Gedenken an die Künstlerin sprachen wir mit ihrem Sohn und dem Nachfolger ihres Familienunternehmens, Denis Lochtatschjow (Generaldirektor von „LiK“). Wir haben Denis gefragt, welche Wertvorstellungen Nina an ihre Kinder und Enkel weitergegeben hat, welche Spuren sie in der Geschichte und Kunst hinterlassen hat, welche Rolle die ethnische Identität im Leben eines modernen Menschen spielt und wie es war, in einer Familie von kreativen Intellektuellen aufzuwachsen und ein Familienunternehmen zu leiten.

Erzählen Sie uns, wie es war, in einer kreativen Familie aufzuwachsen?

Als ich aufwuchs, dachte ich natürlich nicht einmal an die Möglichkeit, auf eine andere Weise aufzuwachsen. Künstlerfamilien der Sowjetzeit hatten eines gemeinsam: einen chronischen Geldmangel. Mein Bruder und ich sind also nicht verzogen aufgewachsen. Aber unsere Eltern haben unsere verschiedenen kreativen Impulse immer wahrgenommen und sie so gut wie möglich unterstützt. Ich liebte es, in das Bildhaueratelier meines Vaters zu gehen.

Ich wollte Dreher werden, damit ich nicht so arm leben musste wie meine Eltern. Aber ich wurde an eine Universität geschickt, um Werk- und Zeichenlehrer zu werden. Ich arbeitete ein Jahr lang in einer Schule auf dem Land, dann musste ich im Jahr 1990 zurück nach Slatoust ziehen, wo mein Vater gerade mit dem Aufbau einer Werkstatt begonnen hatte.

Sie haben ein Familienunternehmen. Es muss wohl manchmal schwierig sein, ein Unternehmen gemeinsam zu führen, weil man eine sehr persönliche und enge Beziehung hat. Verraten Sie uns, wie sie es geschafft haben, ihr Berufs- und Privatleben zu trennen? Welchen Rat würden Sie denjenigen geben, die ein Familienunternehmen gründen?

Im Jahr 1990 begann alles zusammenzubrechen, und es gab nur noch wenige Arbeitsmöglichkeiten. Also fingen wir an, zusammen mit meinem Vater und meiner Mutter zu arbeiten, die ebenfalls ihren Job in der Fabrik aufgeben musste. Von diesem Moment an begann meine kreative und handwerkliche Entfaltung.

Ich stand manchmal sogar rund um die Uhr mit meinen Eltern in Kontakt. Nie zuvor, nicht einmal als Kind, habe ich mit meinen Eltern so viel gesprochen. Es war zeitweise schwierig und ich habe meinem Vater sogar fünfzehn Mal ein Kündigungsschreiben geschrieben. Aber allmählich gewöhnten wir uns daran und lernten, zwischen persönlichen und unternehmerischen Angelegenheiten zu unterscheiden.

Meine Eltern haben mir ein Gefühl der Verantwortung für das Kollektiv vermittelt. Es hat eine Weile gedauert, aber ich hatte den Wunsch, meine Arbeit fortzusetzen, egal was passiert.

In der Werkstatt hatte ich ständig mit kreativen Menschen zu tun, und ich beobachtete mit Interesse, wie meine Mutter und mein Vater neue Künstler ausbildeten. In der Tat erhielt ich von ihnen eine persönliche und professionelle Kunstausbildung, während sie ihren eigenen erkennbaren und unverwechselbaren Stil entwickelten.

Ein Rat an alle, die ein Familienunternehmen führen: Wenn sie nach Hause kommen, sollten sie alle Gespräche über die Arbeit einstellen und bei der Arbeit niemals über private Themen sprechen.

Sie sind der Generaldirektor von „LiK“. Wie fühlt es sich an, für Ihre Familienmitglieder verantwortlich zu sein, die ebenfalls aus einem kreativen Umfeld stammen?

Es ist wirklich nicht schwer, meine Familie zu managen, denn sie hat mich dazu auserkoren.

Und nicht alle meine Verwandten haben es mit der Kunst zu tun. Das Wichtigste dabei ist, dass jeder seine Aufgaben eindeutig erfüllt und die Aufgaben des anderen nur dann übernimmt, wenn dies erforderlich ist. Aber natürlich kann die Kreativität von den ursprünglichen Aufgaben abdriften.

Ihre Mutter hat ein Buch über Ihre Familie geschrieben. Sicherlich hat nicht jede Familie so viel Zeit und Mühe darauf verwendet, die Geschichte ihrer Familie zu erforschen und zu dokumentieren. Was bedeutet das für Sie? Wie hat Sie das geprägt?

Ich bin sehr froh, dass meine Mutter diese Aufgabe auf sich genommen hat. Auch ich habe aus diesem Buch viel Interessantes für mich gelernt. Manchmal geraten erzählte Geschichten über Vorfahren in Vergessenheit oder werden in der Erinnerung verfälscht, aber jetzt gibt es dieses Buch, das an Enkel, Urenkel usw. weitergegeben werden kann und so die Erinnerung an unsere Familie für sie bewahrt.

Welchen Rat hat Ihre Mutter Ihnen mit auf den Weg gegeben? Vielleicht etwas aus ihrer persönlichen Erfahrung, das Sie heute noch verfolgen?

Meine Mutter hat uns von Kindheit an Geduld beigebracht, nicht zu lügen, nicht zu jammern, angesichts von Schwierigkeiten nicht aufzugeben, Probleme zu lösen, ohne sie aufzuschieben, sich nicht zu scheuen, „schmutzige“ Arbeit zu übernehmen, andere durch ihr Beispiel dazu zu bringen, Gutes zu tun, und vieles mehr.

Wenn ich meine Kinder erziehe, erinnere ich mich oft daran, wie mein Bruder und ich von unseren Eltern erzogen wurden.

In meiner kreativen Arbeit verwende ich oft ihre Methoden, um künstlerische Probleme zu lösen.

Welche Dinge hat Ihnen Ihre Mutter mit auf den Weg gegeben, die Sie sicher an Ihre Kinder weitergeben werden?

Das Wichtigste von allem ist, den Kindern Fleiß und Ausdauer zu vermitteln, damit sie ihre Ziele erreichen. Denn niemand weiß, mit welchen Problemen sie in Zukunft konfrontiert werden und was sie tun müssen.

Was bedeutet es für Sie, ein Russlanddeutscher in der heutigen Welt zu sein? Welche Rolle spielt die ethnische Identität in Ihrem Leben?

Ich habe nicht nur deutsche Wurzeln von meiner Mutter, sondern auch finnische, ukrainische und russische von meinem Vater.

Aber manchmal kommen in meiner Arbeit und meiner Lebenseinstellung, vor allem wenn ich älter werde, deutsche Züge ziemlich stark zum Vorschein.

Manchmal tue ich etwas, und meine Freunde sagen dann zu mir: „Bist du ein Deutscher, oder was?“.

Ordentlichkeit, Konzentration und Sorgfalt sind Dinge, die im Leben sehr hilfreich sind.

In einem Interview mit RusDeutsch sagte Ihre Mutter, sie habe es geschafft, ihren Kindern zu zeigen, dass ein Familienunternehmen ein großer Segen ist. Glauben Sie, dass es Ihnen gelungen ist, Ihre Kinder für diese eine gemeinsame Sache zu begeistern?

Ein Familienunternehmen ist in der Tat ein großer Segen.

Ich möchte ein würdiger Nachfolger des von meinen Eltern gegründeten Unternehmens sein und es an meine Kinder weitergeben.

Bislang arbeitet nur Alexandr, der Sohn meines Bruders, bei uns. Meine Töchter leben nicht mehr hier und mein Sohn ist noch in der Schule. Aber ich denke, dass mit der Zeit mindestens eines meiner vier Kinder unser Unternehmen weiterführen wird. Wir werden sehen.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

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