Gedenkbuch Altai und Omsk Vor kurzem erschien das "Gedenkbuch Altai und Omsk" - der siebte Band der Reihe Russland-Deutsche Geschichte des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland. Das Buch behandelt den Staatsterror an den Deutschen in den Regionen Altai und Omsk in den Jahren 1919-1953. Versehen mit zahlreichen Tabellen, Karten der Ansiedlung der Deutschen in den beiden Regionen, einer Dokumentensammlung und Namenslisten von Opfern des staatlichen Terrors befasst sich das Buch auf 300 Seiten mit folgenden Schwerpunkten: Das Leben der deutschen Kolonisten in Sibirien vor 1917, die Zwangskollektivierung und ihre Folgen in den Jahren 19229-1933, die Deutschen in Sibirien in den Jahren des Politischen Terrors der Jahre 1937-1953.
"Wie Eine entscheidende Bedeutung bei der Arbeit an diesem Buch hatte die Frage: War das Schicksal der Russlanddeutschen etwas Besonderes oder haben sie dasselbe erlebt, was Russen und nationalen Minderheiten in der UdSSR auch widerfahren ist? Diese Frage ist in den letzten Jahren sowohl in öffentlichen Diskussionen als auch unter Wissenschaftlern sehr aktuell geworden. Eine eindeutige Antwort steht noch aus", schreibt der Autor Dr. Viktor Bruhl im Vorwort zum Buch. Russlanddeutsche hatten schon im zaristischen Russland Schwierigkeiten, die überwiegend durch Spannungen in den deutsch-russischen Beziehungen ausgelöst wurden. Es gab aber auch andere Gründe, darunter die Tatsache, dass Russlanddeutsche nicht bereit waren, sich zu assimilieren (russifizieren). Sie wollten ihre nationale, religiöse und wirtschaftlich-kulturelle Lebensart nicht aufgeben, sondern pflegten und entwickelten sie weiter.
Auch die kommunistischen Machthaber waren nicht bereit, die Sonderrolle der Deutschen zu tolerieren. Sowohl im zaristischen Russland als auch zur Sowjetzeit waren die Besonderheiten im Verhältnis der Machthaber gegenüber den Russlanddeutschen offensichtlich. Nach Hitlers Machtergreifung 1933 wurden die nationalen Merkmale zum wichtigsten Bestandteil der Einstellung der Sowjetmacht gegenüber den Russlanddeutschen. Unter den Erwachsenen führte man Säuberungen und Repressalien durch, um die Deutschen einzuschüchtern und zur Unterwerfung zu zwingen. In den Jahren des großen Terrors 1937-1938 beschloss das Politbüro des ZK der VKP(b) zielgerichtete Maßnahmen gegen eine Reihe von Nationalitäten entsprechend deren nationalem Merkmal durchzuführen. Und auch hier waren Deutsche wieder am härtesten betroffen. Infolge des 2. Weltkrieges wurden Tausende und Abertausende Deutsche in die Region Altai und das Gebiet Omsk deportiert - als Personen deutscher Nationalität. Bemerkenswert ist, dass auch nach dem Krieg Russlanddeutsche als "Nationalitäten anderer Länder" ("Fremde") geführt wurden. Die Russlanddeutschen, die während des Krieges in Deutschland waren (repatriierte Deutsche), standen obendrein unter doppeltem Verdacht und stärkerer Überwachung.
"Nach angestrengter Archivarbeit und guter Zusammenarbeit mit den Memorial-Gesellschaften von Odessa, Nikolajew und Cherson konnten wir das erste Kapitel unserer Arbeit beenden. 2006 kam das Trauerbuch Odessa mit 8739 Opfern aus den Gebieten Odessa, Nikolajew und Cherson heraus. Die erste Auflage von 500 Exemplaren war in sechs Monaten vergriffen. Der HFDR bekam viele Dankesbriefe. Zahlreiche Landsleute hatten in unserem Buch Daten über Urteile und den Tod ihrer Verwandten gefunden, die von früheren schriftlichen Angaben sowjetischer Behörden auf ihre Anfragen abwichen. Es kamen auch Briefe, in denen Betroffene den HFDR baten, ihre Verwandten im nächsten Opferbuch zu berücksichtigen. Dadurch sah sich unser Verein ermutigt, 2007 eine zweite Auflage mit insgesamt 10246 Personen zu veröffentlichen", schreibt Michael Wanner unter anderem in seinem Vorwort.
Erst 1989 gab das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR offiziell zu, dass die Deportation der Deutschen entsprechend dem Ukas vom 28. August 1941 gesetzeswidrig war. Zwei Jahre später wurden Russlanddeutsche endlich als Opfer politischer Repressalien rehabilitiert. Nach Schätzungen sowjetischer Menschenrechtler wurden durch den Terror zwischen der Oktoberrevolution 1917 und Stalins Tod 486.000 Deutsche in den Tod getrieben."Die Opferzahlen in den Regionen Altai und Omsk sind zweifellos viel hцher, als wir sie in diesem Buch unseren Lesern vorlegen. Es ist auch bekannt, dass viele Verhaftete ohne Gerichtsverfahren und ordentliche Registrierung umgebracht wurden. Ein Teil der Akten wurde vom Geheimdienst beim Zerfall der Sowjetunion vernichtet. So bleibt das Schicksal vieler Opfer auch weiterhin unbekannt. Wir können aber nicht länger warten und wollen wenigstens den 5158 Opfern des Terrors in den Regionen Altai und Omsk eine letzte Ehre erweisen. Der amerikanische Präsident der Jahre 1981 bis 1989, Ronald Reagan, sagte: Die ganze Welt weiß alles über die Verbrechen der Deutschen, aber nichts über die Verbrechen an Deutschen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzurugen. Der Historische Forschungsverein der Deutschen aus Russland sieht einen wichtigen Auftrag darin, die Geschichte unserer Volksgruppe an die Menschen der ganzen Welt und insbesondere an die kommenden Generationen der Russlanddeutschen weiterzugeben", so Michael Wanner.