Glaubensfrage in deutscher Gemeinde

Durch die evangelische St.-Peter-und-Paul-Gemeinde Moskaus geht ein Riss (gelesen in der Moskauer Deutschen Zeitung, Nr. 10 (305), Mai 2011) Das Schloss an der Kirchentür wurde ausgewechselt. Der Pfarrer, der 14 Jahre in der Gemeinde gedient hat, kommt nicht mehr hinein. Die Miliz ist eingeschaltet, der Staatsanwalt auch. Was ist passiert? Die evangelisch-lutherische Gemeinde Moskaus, St Peter und Paul, ist gespalten. Den bisherigen Pfarrern wird amoralisches Verhalten vorgeworfen. Ein Teil der Gemeinde steht hinter ihnen, der andere nicht.

Durch die evangelische St.-Peter-und-Paul-Gemeinde Moskaus geht ein Riss
(gelesen in der Moskauer Deutschen Zeitung, Nr. 10 (305), Mai 2011)

Das Schloss an der Kirchentür wurde ausgewechselt. Der Pfarrer, der 14 Jahre in der Gemeinde gedient hat, kommt nicht mehr hinein. Die Miliz ist eingeschaltet, der Staatsanwalt auch. Was ist passiert? Die evangelisch-lutherische Gemeinde Moskaus, St Peter und Paul, ist gespalten. Den bisherigen Pfarrern wird amoralisches Verhalten vorgeworfen. Ein Teil der Gemeinde steht hinter ihnen, der andere nicht.

Ein Brief als Auslöser
Die einen nennen den Brief eine Verleumdung, Teil einer Verschwörung. Die anderen sehen darin ein wichtiges Beweisstück. Fest steht, dass dieser Brief am 18. Oktober vergangenen Jahres die Spaltung der Moskauer St.-Peter-und-Paul-Gemeinde einleitete. Er wurde übergeben an Dietrich Brauer, damaliger bischöflicher Visitator in Moskau, im März dieses Jahres zum Bischof geweiht.

Der Brief wurde von zwei jungen Frauen unterzeichnet. Enthalten waren Anklagen gegen die beiden Pfarrer der Gemeinde, Dietrich von Bülow-Sternbeck, der hauptsächlich die deutschen Gläubigen betreute, und Dmitrij Lotow, der für die russischen Kirchgänger da war. Laut Brauer soll Bülow-Sternbeck Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben. Lotow wird ein außereheliches Verhältnis mit einer jungen Frau vorgeworfen.

Die beiden Pfarrer äußern sich zu diesen Vorwürfen nicht. Dietrich von Bülow-Sternbeck ist untergetaucht und reagierte auf keine der Anfragen der Moskauer Deutschen Zeitung. Dmitrij Lotow will sich öffentlich nicht äußern. Er verweist auf seinen „Pressesprecher“ und auf eine Homepage, die die Ereignisse der vergangenen sieben Monate minutiös dokumentiert. Die Gegenseite arbeite mit Lügen, Denunziationen, Provokationen und Fälschungen, heißt es dort. Am 23. Oktober wendete sich Dietrich Bülow-Sternbeck mit einem „geistlichen Wort vor dem Konzert“ an die Gemeinde. Er zitiert aus dem 3. Buch Mose: „Du sollst nicht als Verleumder umhergehen unter deinem Volk.“

Bischof Dietrich Brauer sagt, der Vorfall im Oktober sei nicht das erste Mal gewesen, dass der Führung der Evangelisch-Lutherischen Kirche Europäisches Russland (ELKER) Vorwürfe gegen Dmitrij Lotow erreichten. Seit dem Jahr 1998 seien mehrere Fälle dokumentiert. Jedes Mal soll der verheiratete Lotow ein Verhältnis mit sehr jungen Frauen aus der Gemeinde eingegangen sein. „Allerdings wurde diesen Vorwürfen nie bis zum Ende nachgegangen“, räumt Brauer ein. Warum es dieses Mal anders war? „Irgendwann ist eine Grenze erreicht. Es lag einfach zuviel auf dem Tisch.“

Die Spaltung der Gemeinde
Dass die ELKER den Brief dieses Mal ernst nimmt, wird schon wenige Tage nach seiner Einsendung deutlich. Bereits am 26. Oktober beschließt die Kirchenleitung, die beiden Pastoren für die Dauer der Untersuchung der Vorwürfe zu suspendieren. Das ist der Moment, in dem die Gemeinde auseinanderrückt. Unterstützer der Pastoren und Skeptiker bilden zwei Lager. Noch am Abend der Suspendierung gründet sich eine so genannte Initiativgruppe bestehend aus etwa 30 Personen zur Unterstützung der Pastoren. Sie schreiben Unterstützerbriefe. Für Lotow unterschreiben 118 Kirchgänger, für Bülow-Sternbeck 88.

Sie akzeptieren die Entscheidung der Synode nicht, sagen sie, wollen ihre Pastoren behalten. Lotow kommt trotz der Suspendierung weiter zur Kathedrale und nimmt an Gemeindesitzungen teil. Er spricht in dieser Zeit oft von Luther, der sich auch gegen die Obrigkeit aufgelehnt habe. Laut Zeugen sagt er seinen Anhängern, sie seien keine Christen, sondern Lutheraner.

Die Atmosphäre in den Gottesdiensten wird ungemütlich. Ein Gemeindemitglied berichtet, Chormitglieder seien angewiesen worden, nicht mitzusingen, wenn Dietrich Brauer predige – und hielten sich daran. Vor dem Eingangsportal zur Peter-und-Paul-Kathedrale versammeln sich allsonntäglich Mitglieder der Initiativgruppe, um Kirchgänger von ihrer Position zu überzeugen. „Die Gottesdienste waren eine Prüfung“, sagt Dietrich Brauer. Als die Gremien der ELKER schließlich beschließen, die beiden Pfarrer zu entlassen und ihnen die Ordinationsrechte zu entziehen, kommt es zum offenen Bruch.

Auf einer Gemeindratssitzung am 10. April fasst ein bedeutender Teil der Gemeinde erneut den Beschluss, die Entscheidungen der Synode nicht zu akzeptieren. Am 16. April kommt die Synode zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen. Die Mitglieder beschließen, die Peter-und-Paul-Gemeinde wegen Ungehorsams aus der ELKER auszuschließen. Gleichzeitig wird die Gemeinde neu gegründet. Anträge für die Aufnahme in diese „erneuerte Gemeinde“ werden derzeit entgegengenommen, sagt Dietrich Brauer. Anträge der Initiativgruppe und weiteren Kirchgängern werden wohl nicht darunter sein. Dmitrij Lotow ist gegangen und hat etwa 50 bis 60 ehemalige Gemeindemitglieder mitgenommen.

Dass so viele der Gläubigen hinter Dmitrij Lotow stehen, verwundert selbst Dietrich Brauer nicht. Es genügt ein Blick in die jüngste Geschichte, um zu sehen, dass Lotow die Gemeinde während eines bedeutenden Wandels begleitet hat. Deutsche Siedler brachten ihren Glauben einst mit nach Russland. Das war der Kirche lange Zeit deutlich anzumerken. Als Lotow Mitte der 90er Jahre seine Arbeit aufnahm, scharte er kaum eine Handvoll russischer Gläubige um sich.

Doch viele Russlanddeutsche haben inzwischen Russland verlassen, trotzdem verzeichnet die evangelische Kirche in Russland einen langsamen aber stetigen Anstieg der Mitgliederzahlen. Zuletzt kamen zum russischen Gottesdienst in der Moskauer Kathedrale über 100 Besucher, zum deutschsprachigen etwa 30. Dmitrij Lotow hat die neuen Mitglieder in der Kirche begrüßt. Er hat sie empfangen, nachdem sie sich enttäuscht von der Orthodoxie abgewandt hatten, hat sie konfirmiert und ihre Kinder getauft. Es gibt mehrere Unterstützerbriefe an den Erzbischof, in denen Gemeindemitglieder schreiben, sie glaubten nicht, dass ihr Pastor Lotow die ihm zur Last gelegten Taten begangen habe. Das Vertrauen ist groß. Auf der anderen Seite steht eine Kirchenleitung, die den Vorgängen in Moskau in den vergangenen Jahren bevorzugt aus der Ferne zusah und ein mit 28 Jahren sehr junger Bischof Dietrich Brauer, der zwar in der Moskauer Kirche getauft wurde, aber viele Jahre im Seminar in St.Petersburg und au einer Pfarrstelle im Gebiet Kaliningrad verbrachte.

„Geistiger Terror“
Der Unterschied zwischen Brauer und Lotow könnte nicht größer sein. Auch ihre Wahrnehmungen der Ereignisse unterscheiden sich immens. So erzählt Dietrich Brauer, er habe an der außerordentlichen Gemeindeversammlung am 10. April teilnehmen wollen, sei aber von „vier sehr starken Männern“ am Eintritt gehindert worden. Ein Artikel auf der Homepage der Lotow-Unterstützer besagt genau das Gegenteil. Man habe Brauer zum Dialog eingeladen, er sei dem – wie schon oft zuvor - nicht gefolgt. Auf der Homepage stehen auch die Worte „geistiger Terror“, es steht dort, dass eine Frau aus der Initiativgruppe von Gegnern geschlagen wurde und dass die Vorwürfe gegen Lotow nicht untersucht worden seien.

Brauer dementiert, es sei gründlich nachgeforscht worden. Eine Mutter sei mit ihrer Tochter zu ihm gekommen, um über die Vorfälle zu berichten. „Das Verhalten Lotows ist nicht mehr mit der Verantwortung eines Pastors vereinbar“, sagt der Bischof. „Wie glaubwürdig wären wir als Kirche denn noch, wenn wir so etwas unter dem Deckel halten würden.“ Brauer sagt aber auch, dass bei der Entlassung Lotows dessen aggressives Verhalten eine Rolle gespielt habe. „Wir versuchten ihn zu verstehen, haben ihm seelsorgerische Hilfe angeboten, er ist auf nichts eingegangen.“

Glaube oder Geld?
In der Diskussion um die Spaltung der St.-Peter-und-Paul-Gemeinde sind die ursprünglichen Hintergründe jedoch längst in den Hintergrund gerückt. Beide Seiten spekulieren über die wahren Gründe des Zwistes. Dass Lotow und Bülow-Sternbeck als konservative Vertreter ihrer Zunft längst nicht auf einer Linie mit der Mehrheit der Kirchenführung lagen, ist ein offenes Geheimnis. Beide Pastoren lehnten beispielsweise die Frauenordination ab, die in der evangelischen Kirche in Deutschland als selbstverständlich gilt. So wollten sie beispielsweise nicht, dass Christina Schnepel, Pfarrerin der evangelischen Emmaus-Gemeinde, die an der deutschen Botschaft wirkt, in der Kathedrale predigt. Ganz anders Dietrich Brauer, der als liberal gilt. Die Zusammenarbeit der Emmaus- und der Peter-und-Paul-Gemeinde laufe bestens, heißt es nun von beiden Seiten.

Auf der anderen Seite werden die Lotow-Anhänger Brauer vor, er interessiere sich mehr für das Geschäft als für das Seelenheil der Gläubiger. In den vergangenen Jahren wurden die Kathedrale und die Gemeinderäume saniert. Der Bischof wolle vermieten und Geld machen, heißt es.

Dass die beiden Teile der Gemeinde noch einmal zusammenfinden, scheint unwahrscheinlich. Brauer schließt kategorisch aus, dass die ELKER Lotow jemals wieder als Pfarrer einsetzt. Der Geschasste führt unterdessen weiterhin Gottesdienste durch, an Ostern versammelte sich seine Gemeinde in der Baptisten-Kirche, 89 Gläubige kamen zum Abendmahl. Die Gemeinde wolle zurück in die ELKER, sagt Pressesprecher Denis Schalnin, aber nur mit ihrem Pfarrer. Man werde nun ein weltliches Gericht bemühen. Den Glauben an das Jüngste Gericht haben die meisten Mitglieder der Peter-und-Paul-Gemeinde offenbar inzwischen verloren.

Von Diana Laarz und Yulia Abdullaeva

Rubriken: Verschiedenes