Am 13. November fand im Deutsch-Russischen Haus Moskau das Kammerkonzert „Musik außerhalb der Zeit. Nikolai Medtner“ statt. Gemeinsam mit den Interpreten tauchten die Gäste in die labilen Liebeswelten des russischen Komponisten deutscher Herkunft ein.
Der musikalische Abend wurde von Maria Kladowa-Stokmann, Dozentin am Maimonid-Institut der Russischen Staatlichen Textiluniversität A.N. Kosygin, Gewinnerin gesamtrussischer und internationaler Wettbewerbe, Künstlerin der Stiftung „Musikalischer Pokal“, moderiert. Für das Publikum des Deutsch-Russischen Hauses bereitet Maria Repertoires vor, die mit den Namen der deutschen und russischen Komponisten verbunden sind. So wurden beispielsweise beim Konzert „Musik ohne Grenzen“ am 7. November Werke von Johann Strauss anlässlich des 200. Geburtstags des österreichischen Komponisten sowie Romanzen von Pjotr Tschaikowski nach Gedichten deutscher Komponisten aufgeführt. Laut der Moderatorin war es an diesem Novemberabend auch unmöglich, Johannes Brahms’ bewegende Violinsonate Nr. 3 zu verpassen:
Obwohl ein solches Meisterwerk der deutschen klassischen Musik häufig aufgeführt wird, reagiert das Publikum immer sehr positiv darauf.
Das Programm für das Konzert, das dem Werk des russischen Komponisten deutscher Abstammung Nikolai Medtner gewidmet war, wurde seit langen geplant. „Wahrscheinlich kennt nicht jeder seinen Namen. Vor einigen Jahren gaben wir hier das erste Konzert mit Musik von Nikolai Medtner. Danach kamen Gäste auf mich zu und baten mich, eine ganze Reihe von Konzertabenden zu Ehren dieses Komponisten vorzubereiten“, erzählt Maria Kladowa-Stokmann über die Konzertvorbereitungen.
„Nikolai Medtner nimmt einen besonderen Platz in der Geschichte der russischen und der Weltmusikkultur ein. Der Komponist ist unglaublich originell: Er hat seinen eigenen, unverwechselbaren Stil und hat sich keinem der für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts charakteristischen Musikstile angeschlossen“, begann Maria dem Publikum die Persönlichkeit des Komponisten vorzustellen.
Nikolai Medtner war ein feinsinniger Romantiker, der außergewöhnliche musikalische Linien miteinander verbinden konnte.
„Jeder der bedeutenden russischen Romantiker, die ihr Leben und Werk dem Klavier widmeten, hat sein eigenes, für ihn einzigartiges Genre von Klavierminiaturen geschaffen: Sergei Rachmaninow – Bilder-Etüden, Alexander Skrjabin – Poeme und Nikolai Medtner – Märchen“, bemerkte der Pianist Andrei Neganow, Mitglied des Jugendopernprogramms des Bolschoi-Theaters und Gewinner gesamtrussischer und internationaler Wettbewerbe. Er spielte im Konzert zwei Märchen von Medtner: „Ophelias Lied“ und „Marsch des Paladins“.
Die vorgetragenen Werke zeigten deutlich die für das Schaffen des deutschstämmigen Komponisten charakteristischen Kontraste. Das erste Stück war ursprünglich als Violinstück konzipiert, doch der Komponist entschied sich später für Klavierfassung. Inspiriert von Shakespeares Heldin entwarf er das vielschichtige Bild eines singenden Mädchens – rein und zugleich melancholisch. Mit einer rhythmisch einfachen und gleichmäßigen Melodie gelang es Nikolai Medtner, die Verbindung zur literarischen Vorlage zu wahren und beim Publikum Erinnerungen an das mittelalterliche Dänemark zu wecken. Die rollenden Akkorde des „Marsches des Paladins“ entführten die Zuhörer in die heldenhafte Welt des antiken Archaismus und des Mittelalters.
Andrei Neganow gab zu, die Musik von Nikolai Medtner schon lange zu lieben: „Nikolai Medtner wurde mir unter allen russischen Komponisten fast unmittelbar nach meiner ersten Begegnung mit seinem Werk derjenige, der mir am nächsten stand. Ich war fasziniert von seinem unglaublichen, wohl perfekten Formgefühl und seinen erstaunlichen, unverwechselbaren Harmonien. Diese Talente gingen einher mit persönlicher Bescheidenheit und einem unerschütterlichen Festhalten an seinen gewählten ästhetischen Idealen.“
Der Experte für das Schaffen von Nikolai Medtner erklärte, warum der Komponist nicht nur von der breiten Masse, sondern auch von einem Großteil seines engeren Kreises – selbst von jenen, die sein Werk zweifellos schätzten – schlecht verstanden wurde: „Manche hielten ihn für zu deutsch, andere für zu trocken oder im Gegenteil für prätentiös. Und vor allem: Während seiner Schaffenszeit erlebte die Moderne, eine Medtner völlig fremde Kultur, ihre Blütezeit. Der Komponist kokettierte nie mit der Moderne; all seine Innovationen und Experimente bewegten sich innerhalb der musikalischen Sprache der Spätromantik, im Bereich der tonalen Musik. Folglich hielten ihn die meisten seiner Zeitgenossen für hoffnungslos überholt.“ Laut Andrei zeigt ein genauerer Blick auf den schöpferischen Erben von Nikolai Medtner, dass der Komponist, obwohl er den äußeren Einflüssen und atonalen Experimenten der Musik der Moderne fremd war, innerhalb der traditionellen tonalen Musik völlig neue Horizonte in den Bereichen Melodie, Harmonie und Form eröffnete und eine ihm eigene Schönheit und Klangfarbe fand.
Der Pianist betonte: „Da ich mein ganzes Leben lang hauptsächlich deutsche und österreichische Komponisten gespielt habe, fühlte ich mich sofort von der etwas ‚deutschen‘ Qualität von Medtners Musik angezogen.“
Obwohl er sich selbst immer als russischen Komponisten bezeichnete, bildet das Erbe von Beethoven und Brahms die Grundlage seiner musikalischen Sprache.
Heute erfreuen sich Nikolai Medtners Werke für Klavier und Gesang großer Beliebtheit bei Interpreten. Am musikalischen Abend im Deutsch-Russischen Haus präsentierte Anastassia Kulakowa, Gewinnerin gesamtrussischer und internationaler Wettbewerbe, sowie des Medtner-Gedächtniswettbewerbs, Solistin des „ConLucia-Theaters“ und Künstlerin der Stiftung „Musikalischer Pokal“, Vokalisen und Romanzen nach Gedichten von Alexander Puschkin und Johann Wolfgang von Goethe.
Zum Abschluss des Musikprogramms charakterisierte Anastassia das Werk des Komponisten aus der Perspektive einer Sängerin: „Nikolai Medtner wird von Pianisten sehr geschätzt, aber von Sängern nicht besonders bevorzugt. Aus der Sicht eines Sängers schrieb dieser Komponist komplexe Werke, weil er sich in seinem Werk sozusagen auf allgemeine Prinzipien der menschlichen Fähigkeiten stützte, ohne sich auf eine bestimmte Art von Stimme und die Stimmlage zu verlassen.“
Die ungewöhnliche Harmonie seiner Liedtexte erfordert lange und sorgfältige Arbeit.
Die Zusammenarbeit mit einem Pianisten hilft der Sängerin, komplexes musikalisches Material zu meistern. „Die Werke von Nikolai Medtner sind Kammermusik, die keinen oberflächlichen Zugang zulässt. Eine Melodie enthält immer mehr als nur das, was in den Noten steht. Selbst die bereits in den Noten angelegten Nuancen bergen immer tiefere Bedeutungen. Ich stelle fest, dass die gesamte Musik dieser Zeit von einem verstärkten kreativen Schaffen und einem erweiterten Ausdruck geprägt ist“, erklärte Anastassia.
Im Vergleich zwischen der Arbeit an einer Vokalise und einer Romanze räumte die Sängerin ein, dass bei ersterer die Suche nach übergeordneten Bedeutungen ein integraler Bestandteil der Aufführungsvorbereitung wird: „Die Worte sind, obwohl sie auswendig gelernt werden müssen, eine Art Ausgangspunkt. Bei einer Vokalise muss man die fehlenden Worte erfinden, ‚neu erschaffen‘, denn einfach nur nach Noten zu singen ist todlangweilig.“
So machten Schätzer des musikalischen Erbes von Nikolai Medtner das Publikum des Deutsch-Russischen Hauses mit seinem intellektuell anspruchsvollen und kontrastreichen Werk vertraut. Doch die Organisationspläne von Maria Kladowa-Stokmanns enden hier nicht. „Es wird bald die Anmeldung für das nächste Konzert eröffnet“, lacht die Pianistin. Am ersten Freitag im Dezember findet im Saal „Berlin“ ein Konzert zum 255. Geburtstag des weltberühmten deutschen Komponisten Ludwig van Beethoven statt. Die von Maria eingeladenen Musiker freuen sich darauf, das Publikum wiederzusehen.
Das Projekt wurde mit Unterstützung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur im Rahmen des Förderprogramms der Russlanddeutschen realisiert.






