Die Kehrseite der Medaille Frank Willenberg gibt sein Abschiedsinterview     Deutschland führt seit Anfang der 90er die Hilfenpolitik zugunsten der deutschen Minderheit in der Russischen Föderation durch. Seitdem hat sich viel verändert: Dreimal wechselten die Aussiedlerbeauftragten, zweimal die von ihnen erklärten Prioritäten der Hilfenpolitik. Eine Mittlerorganisation (Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland, VDA) räumte den Vorrang einer anderen Mittlerorganisation ein – der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Die Förderung hat sich fünfmal verringert. Die verantwortlichen Beamten kamen und gingen. Es blieb nur Frank Willenberg. Seit 1992 bis Ende 2009 beschäftigte er sich im Bundesinnenministerium mit der Problematik der Russlanddeutschen. Am 31. Dezember ging der Leiter der Unterabteilung „Spätaussiedler und nationale Minderheiten“ in Rente. Beim Abschied hat er unsere Fragen beantwortet.

Die Kehrseite der Medaille
Frank Willenberg gibt sein Abschiedsinterview
Deutschland führt seit Anfang der 90er die Hilfenpolitik zugunsten der deutschen Minderheit in der Russischen Föderation durch. Seitdem hat sich viel verändert: Dreimal wechselten die Aussiedlerbeauftragten, zweimal die von ihnen erklärten Prioritäten der Hilfenpolitik. Eine Mittlerorganisation (Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland, VDA) räumte den Vorrang einer anderen Mittlerorganisation ein – der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Die Förderung hat sich fünfmal verringert. Die verantwortlichen Beamten kamen und gingen. Es blieb nur Frank Willenberg. Seit 1992 bis Ende 2009 beschäftigte er sich im Bundesinnenministerium mit der Problematik der Russlanddeutschen. Am 31. Dezember ging der Leiter der Unterabteilung „Spätaussiedler und nationale Minderheiten“ in Rente. Beim Abschied hat er unsere Fragen beantwortet.
Herr Willenberg, fast 20 Jahre sind vergangen. Können Sie sich erinnern, wie der Anfang war?
Ich hatte von der Problematik der Russlanddeutschen vor 1992 noch nie etwas gehört. Ich wusste gar nicht, dass es Russlanddeutsche gibt, ich wusste nicht, dass es eine deutsche Minderheit in der ehemaligen Sowjetunion gab. Mir ist diese Thematik erst bewusst geworden aufgrund des Anrufes des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs, Herrn Dr. Waffenschmidt, der mir sagte: Wir bauen jetzt eine neue Projektgruppe auf, die sich unter anderem damit befasst, den Russlanddeutschen eine Perspektive für die Zukunft zu geben, insbesondere ihnen auch eine Bleibehilfe zu geben, dort, wo sie gegenwärtig wohnen, völlig unabhängig davon, dass wir weiterhin das Tor nach Deutschland offen halten. Dies sollte keinen dazu zwingen, drüben in den Herkunftsgebieten zu bleiben. Aber wir wollten sie natürlich in ihrem bisherigen Kulturkreis, wo sie über viele Jahre hinweg gelebt und sich dort auch integriert hatten, zum Bleiben bewegen. Wir wollten ihnen ein Angebot machen. Diese Überlegungen fand ich faszinierend. Ich hatte mir gesagt: Über Tausende Kilometer hinweg in der ehemaligen Sowjetunion entsprechende Projekte zu planen, zu organisieren und durchzuführen, hat etwas Besonderes, was normalerweise dem Bundesinnenministerium nicht so anhaftet: Das Innenministerium ist letztendlich für alle Aufgaben zuständig, die sich auf das innere Territorium beziehen, während für die auswärtige Politik das Auswärtige Amt zuständig ist. Dr. Waffenschmidt gab mir die Erklärung, warum wir für diesen Bereich zuständig sind: Einerseits die Aufnahme der Volksdeutschen nach Deutschland zu organisieren und entsprechende Voraussetzungen im Inland zu schaffen und die Kehrseite der Medaille war eben die Überlegung, ihnen Möglichkeiten, ihnen Angebote zu geben, in ihren bisherigen Herkunftsgebieten zu verbleiben.
Was waren die ersten Schritte in der Hilfenpolitik zugunsten der Russlanddeutschen?
Wir haben unsere Hilfepolitik damals immer so beschrieben, dass wir gesagt haben: „Wir wollen Leuchtürme, wir wollen Signale setzen“. Wir haben uns bei unseren Hilfen auf historische Gebiete der Russlanddeutschen konzentriert. Da kam natürlich die Wolgaregion als erstes in Betracht, dann kam Westsibirien hinzu, weiterhin St. Petersburg mit Strelna und in Kasachstan vor allem Nordkasachstan und die Region um Alma-Aty, damals die kasachische Hauptstadt. Ferner kamen noch die Ukraine, Kirgisien und Usbekistan hinzu, aber dort leisteten wir in der Anfangsphase nur relativ geringe Hilfen. Es ging dabei darum, mit welchen markanten Projekten wir den Russlanddeutschen dieses Angebot zum Verbleib vermitteln können. Wir kamen auf die Idee, z.B. Häuser zu bauen sowie kleinere Wirtschaftsbetriebe zu erstellen, die gleichzeitig auch dazu dienen sollten, die wirtschaftliche Situation und auch die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln vor Ort zu verbessern. Dies erfolgte dann in den angestammten Gebieten der Russlanddeutschen. Anfang der 90er Jahre hatten sich auch zwei deutsche Nationalrayons gegründet, einer in Halbstadt, der schon historische Wurzeln hatte, und einer in Asowo, der praktisch keine historische Basis hatte und aus fünf verschiedenen Rayons zusammengelegt wurde. Deshalb gab es dort natürlich keine Infrastruktur. Uns war klar, dass wir in der Anfangsphase erhebliche Mittel bereitstellen mussten, um dort die notwendige Infrastruktur zu schaffen.
Anfang der 90er Jahre waren Sie als Referatsleiter tätig. Mit welchen Schwierigkeiten haben Sie sich auseinandergesetzt?
Ich habe in der Anfangsphase die Regionen besucht und mir einen Eindruck verschafft über die Notwendigkeiten der Förderung. Ich war zunächst als Referatsleiter für Russland und Ukraine zuständig, danach weitete sich mein Aufgabenbereich auf Kasachstan aus. Wir hatten dann die Überlegung, mit wem wir diese Projekte realisieren können. Da kam uns nur der VDA in den Sinn, der über Herrn Schlameicher und Herrn Eisfeld damals die Möglichkeit hatte, auch in die noch geschlossenen Städte und Gebiete zu kommen. Und so kam es dazu, dass wir in der Wolgaregion Häuser bauten und landwirtschaftliche Betriebe geschaffen haben. Dann kamen die Projekte in Westsibirien dazu. Halbstadt und Asowo waren natürlich die Hauptschwerpunkte unserer Förderpolitik, auch Barnaul, Nowosibirsk und Tomsk. Das alles zusammengenommen schaffte dann eine große Palette von investiven Maßnahmen. Wir haben aber auch nicht den Aufbau von Begegnungsstätten vernachlässigt, wobei die ethnokulturelle Aufgabe darin bestand, den Leuten zumindest etwas an Traditionen und deutscher Kultur näher zu bringen. Das wurde sehr systematisch betrieben.
Im Jahr 1999 änderte die Bundesregierung diese Prioritäten der Hilfenpolitik. Was war der Grund dafür?
Da kam ein Paradigmenwechsel durch den neuen Aussiedlerbeauftragten Welt, der gesagt hatte: Wir können nicht Infrastruktur und investive Projekte über eine so lange Wegstrecke kontrollieren, auch fehlt uns das Geld dazu. Wir müssen uns deshalb verabschieden von diesen investiven Maßnahmen. Herr Welt hatte sich vor allem auf einen neuen Gesichtspunkt der Hilfenpolitik konzentriert: Man muß vor allem den jungen Russlanddeutschen eine profunde Berufsausbildung, vor allem in den handwerklichen Bereichen geben, damit sie auch eine feste Anstellung in Betrieben erhalten und damit auch ihr Aus- und Fortkommen sowie Perspektiven auch für die Zukunft gesichert ist. Gerade ab 1999 begann man im übrigen, mit dem Begriff Nachhaltigkeit zu arbeiten, d.h. die Projekte zu schaffen, die nachhaltig für die Zukunft der Russlanddeutschen auch Bestand haben. Durch unsere Hilfsmaßnahmen in verschiedenen Bereichen und in verschiedenen Gegenden ist ein Vertrauen zu den Russlanddeutschen geschaffen worden ist nach dem Grundsatz „Deutschland ist unser Freund. Sie haben uns mitgeteilt, dass ihnen unsere Maßnahmen weiterhelfen würden, so dass viele zu der Einsicht kamen: Warum sollen wir nach Deutschland gehen, wenn uns Deutschland hilft, auch in der Zukunft, dann können wir in unseren gegenwärtigen Lebensräumen bleiben?
Wodurch kennzeichnet sich die gegenwärtige Etappe in der Hilfepolitik?
2005 trat dann der neue Parlamentarische Staatssekretär und Aussiedlerbeauftragter, Herr Dr. Bergner, sein Amt an mit der Überlegung: Die Aus- und Fortbildung für die jungen Russlanddeutschen ist nicht Sache von Deutschland. Denn Deutschland fördert nur sekundär, was die Titularnation aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen nicht leisten kann und will. Die Berufsausbildung ist aber Sache der Titularnation. Nach seiner Ansicht lag und liegt unsere Aufgabe gerade im ethnokulturellen Bereich, was bedeutet: Wie können wir jetzt über die Förderung der bisherigen Traditionspflege der Russlanddeutschen hinaus ihre Kultur und Bildung nachhaltiger fördern? Dabei ist zu berücksichtigen, dass gerade während und kurz nach dem Krieg sehr viele russlanddeutsche Intellektuelle, von Ausnahmen abgesehen, umgekommen waren. Auch bildungsmäßig haben die Russlanddeutschen am längsten darunter gelitten, dass sie Deutsche waren. Das war der Hauptaugenmerk bei der Überlegung: Wie können wir die ethnokulturellen Aufgaben lösen? Natürlich immer über die Begegnungsstätten, aber auch gleichzeitig im Rahmen der Sprachausübung, denn Sprache und ethnokulturelle Entwicklung kann man nur als Einheit betrachten. Deshalb sind die Projekte gerade auf diesen Gebieten vorangetrieben worden. Es kam aber auch eine weitere Überlegung von Herrn Dr. Bergner hinzu. Ihn trieb die Sorge um, was passiert, wenn wir uns irgendwann einmal in Zukunft aus der Förderung ausklinken oder ausklinken müssen: Werden dann alle Projekte in sich zusammenfallen oder aber gibt es viele überlebungsfähige Projekte, die auch die Nachhaltigkeit zum Ausdruck bringen? Und deshalb war es für uns auch eine sehr wichtige Aufgabe, die Strukturen der Selbstverwaltungsorganisationen der Russlanddeutschen sowohl in Russland wie auch in Kasachstan, aber auch in der Ukraine und in Kirgistan zu stärken. Wir hatten eine Situation in Kasachstan, Kirgistan und der Ukraine vorgefunden, die relativ geordnet war. Wir hatten eine Assoziation der deutschen Minderheit in Kasachstan und der Ukraine sowie einen Volksrat in Kirgistan mit starken Persönlichkeiten an der Spitze, aber was wir in Russland nicht hatten, war ein einheitlicher Dachverband. Es gab zwei Verbände: die FNKA, die auf Grund der russischen Gesetzte entstanden war, und den IVDK. Wir haben viele Jahre bedauert, dass diese Verbände nicht miteinander, sondern gegeneinander gearbeitet haben. Wir haben in zahlreichen Gesprächen und Briefen immer wieder deutlich gemacht: Es hat keinen Zweck, auf der Landesebene konkurrierende Verbände zu haben, die sich gegenseitig das Wasser abgraben.Darüber kann sich nur die Titularnation freuen, kann sich zurücklehnen und sagen: Sollen sie sich erstmal einigen und dann können sie zu uns kommen mit ihren Anträgen. Diese Situation hat sich erfreulicherweise heute in Russland zum Guten verändert. Wir haben heute an der Spitze der FNKA und des IVDK die gleichen Personen, die eine identische Politik betreiben und gleiche Ziele verfolgen. Für uns ist es deshalb wichtig, dass wir diese Selbstverwaltung stärken und Führungspersönlichkeiten ausbilden, die später diese Selbstverwaltungsorganisationen leiten. Eine Moglichkeit war und ist die so genannte Eliteforderung, das heißt, Personen, vor allem Jugendliche fortzubilden, die Führungsaufgaben übernehmen können, sei es, dass man sie über Stipendien oder Seminare fördert. Das war nun die neue Variante unserer Hilfenpolitik. Wir hatten uns außerdem geeinigt, dass wir einmal im Jahr in Russland, aber auch in Kasachstan, Kirgistan und in der Ukraine einen Kongress der jeweiligen Dachverbände fördern, wobei wir uns nie in die innere Streitigkeiten eingemischt haben, sondern uns immer gesagt haben, dass die Russlanddeutschen selbst nachdenken müssen, wie sie Streitigkeiten beilegen. Sie sollen sich etablieren, sie sollen nachweisen, dass sie legitimiert sind, zumindest für einen großen Teil der Russlanddeutschen zu sprechen und dann kann man solche Veranstaltungen finanziell fördern. Ein weiteres sehr positives Moment kam ab 2005 hinzu: Die russische Seite, vertreten durch das Regionalministerium, hatte auch erkannt, dass man über die Schiene der Förderung der Russlanddeutschen gleichzeitig Synergieeffekte dadurch erreicht, dass die Förderung von Russland und Deutschland für gleiche Zwecke erfolgen kann, so dass man nicht alleine solche Projekte finanzieren muss. Daraus entstand der Gedanke der Gemeinschaftsprojekte, wobei die deutsche und die russische Seite fortan gemeinsame Zielsetzungen haben, was ihre Hilfenpolitik angeht und wir im Rahmen dieser gemeinsamen Zielsetzung die Projekte gemeinsam finanzieren. Die Verantwortung wird von der russischen und deutschen Seite klar und deutlich manifestiert: Jeder trägt seinen Teil dazu bei, dass die Russlanddeutschen in Russland ihre Chancen bekommen.
Was sind aus Ihrer Sicht die Aufgaben für die Zukunft?
Wir müssen zukünftig noch viele Aufgaben erledigen, die wir gemeinsam bewältigen müssen. Dazu zahlt u.a. die weitere Stärkung der Selbstverwaltungsorganisationen, die ein ganz wesentliches Element unserer Hilfenpolitik darstellt. Das bedeutet auch, dass wir die Projekte, die wir früher mit unserer Mittlerorganisation GTZ geplant, organisiert und durchgeführt haben, schrittweise in die Verantwortung der regionalen Selbstverwaltungsorganisationen übertragen. Die Kontrolle der Projekte und der Finanzen bleibt aber beim gegenwärtigen Mittler GTZ. Die Selbstverwaltungsorganisationen sollen die Projekte konzipieren und durchführen. Über eines muß man sich aber im Klaren sein: Es wäre gefährlich, davon auszugehen, dass über mehrere Jahrzehnte hinweg die Hilfenpolitik fortgesetzt würde. Für die nächsten vier Jahre ist die Finanzierung unserer Hilfenpolitik festgeschrieben. Die Höhe ist aber immer abhängig von den finanziellen Möglichkeiten, die wir als Staat haben. In den nächsten vier Jahren müssen deshalb ganz wichtige Überlegungen vorgenommen werden: Wie können wir unsere Hilfen so positionieren, dass auch Strukturen vorhanden sind, die diese Aufgaben dann später weiter durchführen können? Das wird eine sehr schwierige Aufgabe, die wir in den nächsten vier Jahren zu bewältigen haben. Ich bin dennoch zuversichtlich, dass wir diese Aufgabe schaffen, weil ich glaube, die russische Seite hat auch ein großes Interesse daran, diese Hilfen für die Russlanddeutschen weiter zu finanzieren. Denn eines ist deutlich geworden, das hat die russische Seite uns in vielen Gesprächen zum Ausdruck gebracht: Sie werden eine Staatlichkeit der Russlanddeutschen nicht akzeptieren. Aber was sie akzeptieren werden, ist dass über das Gesetz der Föderalen Kulturautonomie und deren Erweiterung, was auch im Gespräch ist, sie eine ethnokulturelle Basis für die Russlanddeutschen schaffen wollen, um ihnen Chancen für die Zukunft zu geben. Das ist natürlich keine Alternative zur Staatlichkeit, aber es ist zumindest eine Überlegung, die im Rahmen der realistischen Politik zu betrachten ist und deren Chancen man ergreifen sollte.
Sie haben die Staatlichkeit angesprochen. Warum ist es nicht passiert?
Wir haben 1992 in dem Protokoll, das zwischen dem damaligen Bundeskanzler Kohl und Präsident Jelzin verabredetet worden ist, die schrittweise Herstellung der Wolgarepublik propagiert. Aber es ist nicht passiert. Es lag meines Erachtens daran, dass die russlanddeutschen Verbände uneinig waren, aber auch daran, dass Russland in einer sehr schwierigen Phase der Nationalitätenbewegung war. Es wurde uns immer wieder ein Argument vorgetragen: Wenn wir die Wolgadeutsche Republik zulassen, dann werden andere Nationalitäten kommen, die ähnliche Forderungen stellen. Es wird möglicherweise unseren Vielvölkerstaat zerreißen. Die deutsche Seite hat die Wiederherstellung der Staatlichkeit in den Kommissionssitzungen immer wieder angesprochen, aber wir haben auch nicht die Augen vor der Realitität verschlossen. Ein stetiges Beharren nur auf diese Forderung hätte dazu geführt, dass man auch in den anderen Bereichen mit der russischen Seite nicht weiter gekommen wäre. Deshalb ist es wichtig, dass man mit Diplomatie, mit Behutsamkeit diese Frage anspricht, aber auch versucht, auf anderen Feldern erfolgreich mit der russischen Regierung zugunsten der Russlanddeutschen zu arbeiten. Man kann dadurch letztlich mehr erreichen. Würden wir diese Forderung immer massiv vertreten wollen, dann ergibt sich auf der russischen Seite eine Abwehrhaltung. Deshalb sind wir auch der Meinung, ohne dass wir jetzt den Anspruch auf eine wie auch immer geartete Staatlichkeit vollständig aufgeben, dass dieses Protokoll von 1992 in eine aktuelle Fassung einmünden muss und kann.
Gab es einen anderen Weg für die Russlanddeutschen als die Wiederherstellung der Wolgarepublik?
Damals hatten wir überlegt, aus den beiden Deutschen Nationalen Rayons Okrugs zu schaffen, das heißt also größere regionale Einheiten, die zwar nicht mit der Wolgarepublik vergleichbar sind, aber letzt endlich doch zu einer gewissen Staatlichkeit für die Russlanddeutschen führen, das wurde aber auch nicht verwirklicht. Aber eine größere kulturelle Autonomie der Russlanddeutschen zu schaffen auch gerade im Zusammenhang mit der Stärkung der ethnokulterellen Entwicklung der Russlanddeutschen, das bleibt unsere Aufgabe auch weiterhin. Man muss nicht mit einem Idealziel – die Wiederherstellung der Staatlichkeit – nur die Projekte angeben, sondern man muss versuchen, schrittweise bestimmte Bereiche auch der Autonomie der Russlanddeutschen zu stärken und dann eine einvernehmliche Lösung auch auf diesem Gebiet zu erreichen, die die Situation der Russlanddeutschen dauerhaft stärkt.
In Ihrer Abschlussrede haben Sie nicht nur über Erfolge, sondern auch Misserfolge gesprochen. Was haben Sie genannt?
Jeder Mensch erreicht bei seinem Handeln nicht nur Erfolge, sondern es gibt auch Misserfolge. Gerade in der Anfangsphase, als es darum ging, investive Projekte schnell und effektiv auf die Beine zu stellen mit einem Mittler bis 1996 – dem VDA, der in dieser Beziehung noch nicht die Erfahrung hatte, wie die anderen Mittler etwa die GTZ oder die KfW, die in der Entwicklungsarbeit schon über viele Jahre hinweg tätig waren und sind, waren Fehlschläge auch nicht zu vermeiden. Es gab Projekte im Deutschen Nationalen Rayon Asowo, in Halbstadt und an der Wolga, die bei weitem nicht so gelaufen sind, wie wir uns das vorgestellt haben. Zum Beispiel, das Hausbau-Programm an der Wolga ist mit Sicherheit nicht zu unserer Zufriedenheit verlaufen. Es gab Bauvorhaben in Asowo, zum Beispiel das Ziegeleiprojekt, das bei der Durchführung nicht unseren Ansprüchen genügte und wir die Finanzierung gestoppt haben. Einige Projekte wurden eben schwer kontrollierbar aus der Entfernung. Hinzu kam natürlich auch die gewisse Eigenwilligkeit der russischen Mentalität. Auch die war nicht unbedingt förderlich unserer Aktivität gegenüber. Aber insgesamt bleibt festzuhalten, dass wir eine gute Arbeit geleistet haben, ich denke u.a. nur an den Straßenbau in Asowo, an die Stromversorgung in Halbstadt, die heute noch gute Früchte tragen. Dies gilt auch für den Auf- und Ausbau des Begegnungsstättennetzes und der Errichtung von deutschen Häusern, vor allem in Westsibirien. Auch außerhalb der investiven Maßnahmen haben wir viele Erfolge erzieht, die sich sehen lassen können.
Sie sind im Rahmen Ihrer Tätigkeit viel gereist. Was ist in Erinnerung geblieben?
Ich habe es immer für wichtig gehalten, mich auf den Reisen mit den Betroffenen unmittelbar zu unterhalten. Dabei habe ich auch mitbekommen, dass ein Großteil der Russlanddeutschen in bestimmten Gebieten noch in einer Situation lebt, die aus meiner Sicht nicht gerade lebenswert ist. Das müssen wir auch in Zukunft noch zu verbessern versuchen. Deshalb war und ist auch die humanitäre Hilfe, ein weiteres wesentliches Element unserer Maßnahmen, so wichtig. Wir haben mit unserer Hilfenpolitik den Menschen immer gezeigt, dass wir ein verlässlicher Partner sind. Die Solidarität zu diesen Menschen hat mich andererseits immer bei der Erledigung meiner Aufgaben beflügelt. Dabei hat mich immer wieder beeindruckt, mit welchem Engagement und mit welcher Freude die Russlanddeutschen ihre Kultur pflegen und sehr dankbar für die Hilfeleistung sind.
Das Gespräch führte Olga Martens.

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