„Weder deutsche Dörfer noch deutsche Bauern“  Seit der Ausreisewelle der 90er Jahre ist für die deutsche Diaspora in Usbekistan nichts mehr, wie es war     Auf der Suche nach einem besseren Leben hat es Tausende Deutsche im 19. Jahrhundert nach Usbekistan verschlagen. Auf der Suche nach einem besseren Leben haben ihre Nachfahren Usbekistan auch wieder verlassen, am Ende des 20. Jahrhunderts war das, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die meisten wanderten nach Deutschland aus, andere nach Russland. Geblieben sind geschätzte 6 000 bis 12 000 Menschen. Die deutsche Diaspora droht ihre Identität zu verlieren. Deutschland versucht, mit konkreter Hilfe gegenzusteuern.

„Weder deutsche Dörfer noch deutsche Bauern“

Seit der Ausreisewelle der 90er Jahre ist für die deutsche Diaspora in Usbekistan nichts mehr, wie es war

Auf der Suche nach einem besseren Leben hat es Tausende Deutsche im 19. Jahrhundert nach Usbekistan verschlagen. Auf der Suche nach einem besseren Leben haben ihre Nachfahren Usbekistan auch wieder verlassen, am Ende des 20. Jahrhunderts war das, nach dem Zerfall der Sowjetunion. Die meisten wanderten nach Deutschland aus, andere nach Russland. Geblieben sind geschätzte 6000 bis 12000 Menschen. Die deutsche Diaspora droht ihre Identität zu verlieren. Deutschland versucht, mit konkreter Hilfe gegenzusteuern.
Der Vater hatte ein Machtwort gesprochen damals, vor 20 Jahren. „Er sagte mir: Unsere Heimat ist hier, also bleiben wir hier“, erzählt Margarita Bendinger, Dozentin an der Medizinischen Akademie in Taschkent. Ihr Urgroßvater war bereits Ende des 19. Jahrhunderts in die Region gekommen, die damals Turkestan hieß und als Generalgouvernement zu Russland gehörte. Ihr anderer Urgroßvater, der Tischler Jakob Sattler, stammte von der Wolga, aber baute an der evangelisch-lutherischen Kirche in Taschkent mit. 1899 wurde sie eingeweiht, in den 30er Jahren geschlossen und in den 90er Jahren wieder eröffnet. Bei jedem deutsch-russischen Gottesdienst wird heute der Angehörigen gedacht, die Verfolgung und Vertreibung nicht überlebten. Die Zahl geht in die Tausende. 1942 wurden alle in Taschkent und anderen usbekischen Großstädten lebenden Deutschen aufs Land deportiert, darunter auch Margaritas Familie. Ihr Vater Nikolaj Bendinger musste Zwangsarbeit in der berüchtigten Trudarmee leisten, kehrte danach jedoch nach Hause zurück. Viele usbekische Deutsche traf es noch härter.
Die Oma von Anna Beutsch hat in Turkestan Zuflucht vor einer Hungersnot an der Wolga gesucht. Mit 15 000 anderen Wolgadeutschen machte sie sich seinerzeit auf den beschwerlichen Weg, sechs ihrer sieben Kinder starben auf der langen Reise. Enkelin Anna hatte in Usbekistan mit anderen Problemen zu kämpfen, sie konnte es irgendwann nicht mehr ertragen, als „Faschistin“ beschimpft zu werden. Bei der Angabe ihrer Nationalität im Pass verzichtete sie darauf, sich als Deutsche auszuweisen. Viel später, Ende der 80er Jahre, durfte Beutsch deshalb nicht nach Deutschland als ihrer historischen Heimat ausreisen. Heute lebt sie mit ihren Kindern und Enkelkindern in der Hauptstadt Taschkent. Während Anna regelmäßig das deutsche Begegnungszentrum besucht und deutsches Brauchtum pflegt, ist das bereits bei ihren Kindern nicht mehr der Fall. „Sie arbeiten von früh bis spät. Hier sieht es schlecht aus mit der Arbeit. Zu sowjetischen Zeiten war es viel besser“, so Beutsch.
Die massenhafte Ausreise der Deutschen in den 90er Jahren dezimierte eine der bis dahin größten Minderheiten in Usbekistan in einem Maße, dass das Eigenleben der Diaspora vielerorts zum Erliegen kam. Seit 1992 sind nach Angaben des Bundesverwaltungsamtes 27 000 usbekische Deutsche nach Deutschland umgesiedelt, ein paar Tausend zogen auch nach Russland. „Noch vor 15 Jahren gab es evangelisch-lutherische Gemeinden in den usbekischen Städten Tschirtschik, Angren, Gasalkent. Heute existieren sie nicht mehr, alle Deutschen sind weg“, erzählt Bischof Kornelij Wiebe. Auch Gulistan, wo 1995 dank finanzieller Unterstützung aus Deutschland eine Kranken- und Sozialstation für die deutsche Minderheit errichtet wurde, haben die Deutschen verlassen.
Die Familie von Gartwin Baumgärtner hat nach der Jahrtausendwende einen Neuanfang in Russland gewagt. Vorher war ein Ausreiseantrag nach Deutschland gescheitert. Baumgärtner begründet den Weggang aus Usbekistan vor allem mit „wirtschaftlichen Schwierigkeiten“. Seine Schwägerin Olga Medjajewa und ihre Familie sind noch in Taschkent. Sie erinnert sich, wie die ethnischen Deutschen früher auf Markt gar nicht wegzudenken waren. „Sie hatten ihre eigene Halle, wo es immer sauber war. Wir haben über Jahre Milchprodukte nur bei den Deutschen gekauft, die aus den deutschen Dörfern nach Taschkent kamen. Heute gibt es hier weder deutsche Dörfer noch deutsche Bauern.“
Die verbliebenen Deutschen versuchen, ihr Leben in Usbekistan zu meistern. „Ich will nicht mehr nach Deutschland“, sagt Emma Spadi in fehlerfreiem Deutsch. 1941 ist sie in Taschkent zur Welt gekommen. „In den 90er Jahren wollten wir ausreisen, damals hat es nicht geklappt. Heute kann man auch hier leben. Sonntags gehe ich in die Kirche, besuche das Begegnungszentrum. Leider kommen meine Enkelkinder nicht mit.“ Das bedauert auch Anna Schmidt aus Samarkand, wo ebenfalls ein Begegnungszentrum existiert. „Alles ist gut. Schade nur, dass ich mit niemandem Deutsch sprechen kann. Man vergisst die Sprache.“
Usbekistan unterhält keine eigenen Programme zu Gunsten der deutschen Minderheit. Rechtlich sind allerdings alle Einwohner des Landes unabhängig von ihrer Nationalität per Verfassung gleichgestellt. Damit die Deutschen ihre Sprache und Kultur pflegen können, unterstützt Deutschland die landesweit vier Begegnungsstätten. Dort werden unter anderem kostenlose Deutschkurse angeboten, es wird Jugendarbeit geleistet, ehemalige Trudarmisten und mittellose Familien erhalten Hilfe. Großer Beliebtheit bei der deutschen Diaspora erfreuen sich Kranken- und Sozialstationen, die darüber hinaus auch Nichtdeutschen offen stehen und gern genutzt werden. Die dafür aus Deutschland überwiesenen Gelder wurden 2009 von usbekischer Seite ohne Angabe von Gründen eingefroren. Doch im Rahmen einer Deutsch-Usbekischen Regierungskommission, die Ende Juni vor Ort tagte, bekannten sich beide Seiten zu den Hilfen für die deutsche Minderheit. Usbekische Stellen sagten mündlich zu, die offenen Fragen zur Weiterfinanzierung der Kranken- und Sozial­stationen kurzfristig zu klären. „Wir sind selbst daran interessiert, geholfen wird dort schließlich allen Bürgern Usbekistans“, sagte ein Vertreter des usbekischen Justizministe­riums.
Von Olga Silantjewa

Die Fotos von dem Besuch der BMI-Delegation in Usbekistan (hier)

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