“Respekt für Russlanddeutsche”: Gespräch mit Regisseurin Anna Hoffmann

Regisseurin Anna Hoffmann ist eine in Kasachstan geborene Russlanddeutsche, die 1990 mit ihrer Familie in die Bundesrepublik ausgewandert ist. Schon während ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg hat sie sich in ihren Werken mit der Identitätsfrage der eigenen Volksgruppe beschäftigt. Im Herbst wird ihr erster Spielfilm „Poka – Heißt Tschüss auf Russisch“ dem großen Publikum des ZDF vorgestellt. Vor der Erstausstrahlung haben wir mit Anna über die Wichtigkeit von Identität, über die Heimatgefühle und natürlich über ihren neuen Film gesprochen (Medienblick Bonn, Daria Prokhorova).

Regisseurin Anna Hoffmann ist eine in Kasachstan geborene Russlanddeutsche, die 1990 mit ihrer Familie in die Bundesrepublik ausgewandert ist. Schon während ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg hat sie sich in ihren Werken mit der Identitätsfrage der eigenen Volksgruppe beschäftigt. Im Herbst wird ihr erster Spielfilm „Poka – Heißt Tschüss auf Russisch“ dem großen Publikum des ZDF vorgestellt. Vor der Erstausstrahlung haben wir mit Anna über die Wichtigkeit von Identität, über die Heimatgefühle und natürlich über ihren neuen Film gesprochen (Medienblick Bonn, Daria Prokhorova).

Anna, Ihr neuer Film „Poka – Heißt Tschüß auf Russisch“ wurde schon bei mehreren Festivals präsentiert. Wie hat das Publikum darauf reagiert?

Die Reaktion ist ja immer unterschiedlich. Zum Beispiel haben die Russlanddeutschen den Film in Moskau gesehen und bei ihnen kommt er sehr gut an, was mir wichtig war. Es freut mich, weil es immer schwierig ist, eine Gruppe darzustellen, ohne, dass sie sich irgendwie verraten fühlt. “Poka…” ist an einigen Stellen eine Komödie und es ist immer problematisch, ob die Leute über sich selbst lachen können.

Warum, denken Sie, wurde der Film so gut angenommen?

Vielleicht weil wir schonungslos waren. Sowohl die positiven, als auch die negativen Seiten der Russlanddeutschen wurden in unserem Film dargestellt. Wie gesagt, wir haben versucht, sie dazu zu bringen, über sich selbst zu lachen. Und haben gleichzeitig ihre Naivität, also die Vorurteile, mit denen sie nach Deutschland gegangen sind, gezeigt. Es gab nicht die bösen hiesigen Deutschen und die guten Russlanddeutschen. Wir haben versucht fast dokumentarisch zu arbeiten und klarzustellen, dass es einfach absurd ist zu denken, dass man in ein Land kommt und einem alles vom Himmel fällt. Und genau so absurd ist es zu denken, dass man die Leute aus einem fremden Land aufnimmt und sich nicht um sie kümmern muss. Es ist ja schwierig, in einem fremden Land anzukommen und erstmal nicht zu wissen, wo man wohnt. Dann kommt irgendwie das erste Konto, der erste Konsum, dann die erste Enttäuschung, dass man hier beruflich nicht wieder anknüpfen kann. Die Erkenntnis, dass man unterschiedlich zu den hiesigen Bewohnern ist. Das hat ja fast jeder erlebt. Und solch eine Arbeit wie „Poka…“, die die Identität von Russlanddeutschen ins Licht rückt, die gab es bisher in dieser Form noch nicht.

Aus welchem Grund ist diese Identitätsfrage so wichtig?

Wenn Sie die Geschichtsbücher von deutschen Schülern hier aufschlagen, kommt die Geschichte von Russlanddeutschen überhaupt nicht vor. Jedes Kind kann Ihnen natürlich etwas über Hitler und über den Holocaust sagen, aber keiner wird über Russlanddeutsche, Stalinismus und den GULAG sprechen können. Deshalb beobachte ich nach 20 Jahren, dass sich die Russlanddeutschen, die hier in Deutschland leben, fast damit abgefunden haben, dass ihre Geschichte nicht vorkommt, obwohl sie eine sehr absurde und sehr unfaire Behandlung während des Zweiten Weltkriegs erlebt haben. Und hier kommt der Film ins Spiel, der wenigstens diese Ausreisewelle dokumentiert, sie ins Licht rückt und sagt „Ihr seid wahnsinnig wichtig und das ist eure Identität, das war euer Schicksal“. Irgendjemand hat es „Identitätsstiftende Maßnahme“ genannt. Auf den Festivals habe ich auch Zuschauer aus Rumänien und Polen gehabt. Und wenn ein Bulgare zu mir kommt und sagt „Ja, genau so habe ich das erlebt“, dann haben wir doch irgendwas in unserem Film richtig gemacht.

Es ist nicht Ihr erster Film, der sich dieser Problematik widmet. Sie sind mit 9 Jahren nach Deutschland gekommen und wohnen schon den Großteil ihres Lebens hier. Was macht dieses Thema trotzdem so wichtig für Sie?

Mir ist das Schicksal der Russlanddeutschen bekannt, die in zwei Welten sozialisiert sind, aber sich in keiner Welt komplett eingegliedert fühlen. Und ich bin davon überzeugt, dass Frieden nur dann möglich ist, wenn man die Unterschiedlichkeit der Menschen respektiert und schätzt. Und sobald man auf diese Unterschiedlichkeit auch stolz sein kann, ist es möglich sein Leben friedlich zu gestalten. Als Schülerin bin ich für ein Jahr nach Amerika gefahren und das war das erste Mal, dass die Leute sich wirklich für meine Herkunft interessiert haben.

Ich kam in den 90er Jahren nach Deutschland und da war die Ausländerfeindlichkeit noch ziemlich hoch. Da habe ich erlebt, dass man lieber nicht so laut sagt, dass man z.B. aus Kasachstan kommt. Und in Kalifornien galt: je exotischer, je verrückter, je verwinkelter die Herkunft ist, desto besser. Auf einmal hatte ich einen Exotenstatus, wurde plötzlich beliebt. Und so leben viele in diesem Land – sie sind Amerikaner, aber jeder ist unterschiedlich. Und als ich dann wieder hier her zurück kam, war es mir ein Bedürfnis die existierende Lage zu ändern, zumindest in meiner Familie und in meiner Umgebung. Wenn mich jetzt jemand fragt, wer der Russlanddeutsche ist, kann ich wenigstens sagen „Guck mal den Film an“. Und nach dem Film es ist eigentlich sehr deutlich, sehr klar – das ist meine Volksgruppe, das ist meine Zugehörigkeit, das ist meine Herkunft und das ist meine Identität. Und ich glaube, es ist ein Bedürfnis jeder Volksgruppe, dass es wenigstens erkannt wird, dass man existiert und von woher man kommt. Denn, ich kann nicht sagen: „Ich bin Russin“. Ich kenne Russen, ich habe viele Freunde und ich weiß, was für ein Unterschied da ist.

Und wo liegt für Sie der Unterschied?

In der Geschichte. Wir sind einfach Verfolgte während des Zweiten Weltkriegs gewesen. Und meine Großväter durften nicht an die Front und für die Sowjetunion kämpfen. Und mit diesem Hintergrund, dass wir nicht gewollt sind, sind wir aufgewachsen. Die deutsche Sprache hatte damals einen ganz anderen Wert, sie war verboten. Plötzlich sieht man die Auswanderung nach Deutschland in einem anderen Licht. Gleichzeitig ist der Unterschied nicht so groß, denn alle haben im selben Land gelebt, wir sind alle sowjetisch aufgewachsen, wir haben alle die roten Halstücher getragen, dieselben Musik gehört und dasselbe Essen gegessen.

Seit der Auswanderung nach Deutschland waren Sie schon mehrmals in Kasachstan. Inwieweit hat sich das Land, aus Ihrer Sicht, in diesen 25 Jahren entwickelt?

Enorm. Alma-Ata ist nicht mehr die Hauptstadt. Sie haben in Astana, das aus dem Boden gestampft mitten in der Steppe liegt, radikalen Kapitalismus über Nacht eingeführt und das ist, glaube ich, überall in der ehemaligen Sowjetunion der Fall. Dann gibt es plötzlich in Kasachstan eine gewisse nationalistische Bewegung, sodass man dort auf die Nationalität noch viel mehr Wert legt und ein bisschen feindlich gegenüber Fremden ist, was ich während der Sowjetunion nicht so erlebt habe.

Kasachstan an sich ist eine eigene Geschichte. Das ist ein sehr junges Land, welches unter der Sowjetunion seine Identität verloren hat und nun was ganz Besonderes sein will. Die müssen ihre Geschichte jetzt einfach erleben und ihre Identität suchen. Wirtschaftlich wollen sie sich nicht von Russland distanzieren, doch sie wollen sich identitätstechnisch als eigenständiges Land positionieren. Aber was ich erlebt habe, am 9.Mai: eine Parade genauso wie in der Sowjet-Zeit, nur dass die Halstücher jetzt blau sind. Und dafür, dass es so ein riesiges sowjetisches Land so lange gab, sind die 25 Jahre im Vergleich dazu nichts. Aber es ist auch sympathisch, dass sie es versuchen. In Alma-Ata sieht alles wie in Europa aus. Sobald man aus Alma-Ata rausfährt – Sowjetunion. Und das zeigt, dass die einfachen Leute, die Dorfbewohner von der freien Marktwirtschaft noch nicht profitieren. Aber das ist wahrscheinlich ein normaler Prozess.

Anna, was würden Sie auf die Frage, was Ihre Heimat ist, antworten?

So was gibt es nicht. Das ist ein Gefühl. Heimat ist so etwas wie Liebe. Wenn Sie mich fragen, was Liebe ist, dann könnte ich es Ihnen auch nicht so einfach erklären. Oder was ist Vertrauen, was ist Wahrheit. Es ist ein Konstrukt in meinem Kopf, mehr nicht. Ich fühle mich heimisch. Heimat ist für mich ein Ort, wo ich mich wohl fühle und wo ich definitiv frei entscheiden kann, was ich mache. Und das ist zurzeit hier in meiner Straße, in Deutschland, welche mir große Möglichkeiten bietet. Aber wenn ich über die Grenze fliege und z.B. in Moskau aussteige und auf dem Flughafen die russische Sprache höre, dann fühle ich mich auch ganz heimisch. Oder manchmal, wenn ich Leute aus Russland kennenlerne, dann entsteht eine Beziehung innerhalb von 5 Minuten und das entsteht mit den Leuten, die hier im Westen aufgewachsen sind, halt nicht. Aber ich könnte jetzt nicht sagen, dass Alma-Ata meine Heimat wäre. Wenn ich da hinfahre, das sieht ja alles schon anders aus. Das Land, aus dem ich ausgewandert bin, gibt’s ja gar nicht mehr. Ich bin aus der Sowjetunion ausgewandert, fahre aber jetzt nach Kasachstan zurück.

Sie wohnen schon mehrere Jahre in Deutschland und sprechen bestimmt derzeit meistens Deutsch. Sagen Sie, welche Sprache würden Sie jetzt als Muttersprache nennen?

Ich habe immer gedacht, dass ich auf Russisch besser spreche als auf Deutsch. Aber seit ein paar Jahren merke ich, dass mein Wortschatz im Deutschen entwickelter ist, weil ich mehr im Deutschen arbeite. Allerdings empfinde ich mich als bilingual und kann mich sowohl im Russischen, als auch im Deutschen adäquat ausdrücken, ohne dass die Sprache für mich eine Behinderung wäre. Meine Muttersprache ist für mich definitiv Russisch, weil ich mit meiner Mutter auf Russisch spreche. Aber mit meinen Kindern schaffe ich es nicht ganz auf Russisch zu sprechen. Es ist auch schwierig das aufrecht zu erhalten, wenn man selber nicht mehr hundertprozentig in der Sprache sicher ist. Aber ich wünschte mir, dass meine Kinder Russisch sprechen würden.

Inwieweit ist es Ihnen wichtig, einen Teil der russischen Kultur Ihren Kinder beizubringen?

Ich glaube es ist essentiell und es passiert automatisch, dass man die Kulturwerte, die man selber hat, weiter vermittelt. Ich finde es wahnsinnig wichtig. Wenn ich nicht wüsste, woher meine Eltern kommen, würde ich auch nicht wissen, wer ich bin. Das wäre dann wieder diese Identitätsfrage. Bei meinen Kindern ist es mir umso wichtiger, weil ich wieder finde, dass es den Frieden sichert. Besonders in den heutigen Zeiten sollten wir das wirklich hinbekommen, dass die Leute, die beide Länder kennen, anderen Leuten erzählen, wie normal und wie liebenswert beide Kulturen sind. Vor allem, weil die politische Lage zurzeit eine Katastrophe ist. Je mehr Wissen man hat, je mehr man selber die Kulturen kennenlernt, umso mehr ist man gegen manche mediale Propaganda geschützt.

Daria Prokhorova,
Medienblick Bonn

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