Er ist ein Deutscher, aber durch des Schicksals Fügung lebte er erst in einem deutschen Dorf, dann in einer ukrainischen Siedlung, mehrere Jahre war auch die Republik Kasachstan sein Zuhause. Er ist Musikant und mit seinem innigen Spielen auf der Knopfharmonika kann er die Stimmung eines beliebigen Menschen kultivieren, ungeachtet seiner Nationalität. Er heißt Roman Bomm und lebt heute im Dorf Michajlowka des Rayons Burla in der Altairegion.
Die Eltern von Roman Bomm waren Kaukasusdeutsche, die während der Stolypin-Reformen, und zwar 1913, in den Rayon Burla aus der Südrepublik kamen. Der Vater war damals erst fünf Jahre alt. Roman Bomm kam im schönen lutherischen Dorf Zwetopol zur Welt. Diese Siedlung unterschied sich von den Nachbardörfern nicht nur durch ihre geraden und breiten Straßen, sondern auch durch die freundliche deutsche Einwohner und ihren schönen Namen, der auf Deutsch Blumenfeld lautet.
In den Vor- und Nachkriegsjahren waren die meisten russlanddeutschen Familien kinderreich. Auch die Familie Bomm war keine Ausnahme: In den Jahren von 1929 bis 1955 erblickten neun Kinder das Licht der Welt. Leider starben Anfang der 1930er zwei von ihnen an Hunger.
Am Anfang des Zweiten Weltkrieges 1941 wurde der Vater Johann Bomm für die Arbeitsarmee mobilisiert. Hinter einem Stacheldrahtzaun und unter Aufsicht musste er wie ein Gefangener hart in einer Kohlengrube bei Tula arbeiten. Und schuldig war er nur deswegen, weil in der Spalte „Nationalität“ „Deutsch“ angegeben war.
Nach dem Kriegsende übte man gegenüber den Deutschen Nachsicht: 1948 durfte Johanns Ehefrau mit den Kindern in die Stadt Tula fahren. Ab dem nächsten Jahr durfte der Mann infolge der Amnestie zum 70. Geburtstag von Joseph Stalin mit seiner Familie in der Stadt der berühmten Samoware leben. 1955 kehrte die Familie Bomm in ihr Heimatdorf Zwetopol zurück. Aber kurz danach wurde der Vater als Fachmann-Tierarzt in die Zentralabteilung der Kolchose in das Dorf Kochanowka geschickt. Hier beendete Roman Bomm seine Bildung an der Abendschule.
1970 übersiedelte die Familie Bomm nach Kasachstan, zu dieser Zeit begann auch schon der Zerfall des Dorfes Kochanowka. In der Nachbarrepublik arbeitete Roman Bomm in einem salzproduzierenden Betrieb. Nach 21 Jahren kam er in den Rayon Burla zurück.
„Roman Iwanowitsch, wann begannen sie auf der Knopfharmonika zu spielen?“, interessiert sich der Verfasser des Berichtes bei seinem Gesprächspartner.
„Unsere ganze Familie war musikalisch begabt. Meine Oma väterlicherseits spielte die Saratower Ziehharmonika. Sie starb sogar hinter diesem Instrument. Alle meine Brüder, außer Wassilij, spielten Knopfharmonika. Dafür konnte er auf der Gitarre spielen“, erzählt Roman Bomm.
Seine erste Ziehharmonika erhielt er von seinem ältesten Bruder, er hatte sich ein neues Instrument bestellt. „Er spielte an einem Ende des Dorfes, und am anderen tanzten die jungen Leute. So eine wunderbare, klangvolle und kräftige Lautung hatte seine neue Ziehharmonika“, erinnert sich Roman Iwanowitsch mit einem innigen Lächeln. Als Roman selbst sich eine Knopfharmonika beschaffte, schenkte er die alte Ziehharmonika einem der jüngeren Brüder. Die Brüder Bomm sind alle autodidaktischen Musiker, nur Wladimir spielt nach Noten.
„ICH GEHE NICHT IN DIE KIRCHE, GLAUBE ABER“
Der Vater von Roman Bomm wandte sich nach Worten des Letzteren in seinen letzten Lebensjahren zu Gott und spielte fast nicht mehr. Aber seinen erwachsenen Kindern kaufte er die Musikinstrumente. „Mein Vater lernte mich den Tanz Krakowiak spielen. Den habe ich für mein ganzes Leben behalten. Er spielte sogar oft auf Dorfhochzeiten. Unsere Mutter war mit der Musik nicht befreundet, sang aber gut und gern unter Begleitung des Vaters. Aber es waren meistens Gotteslieder“, erinnert sich Roman Bomm an seine Eltern.
Er selbst besucht keine Kirche, zählt sich aber zu den Gläubigen.
„Ich wurde während des Krieges von einer alten Frau getauft. Ich war noch klein, erinnere mich aber noch gut daran. In unserem Dorf gab es keinen lutherischen Pastor, nach Slawgorod zu fahren, hatten wir damals keine Möglichkeit“, teilt Roman Iwanowitsch mit.
Heute haben sich die Menschen verschiedenen Glaubens in Familien vermischt. Früher heirateten meistens jungen Leute einer gleichen Religion. Roman Iwanowitsch erinnert sich daran, wie sein Bruder, der heute in Deutschland lebt, eine Katholikin heiratete. Die Mutter des Mädchens war sehr dagegen, weil der junge Mann sich zu einem anderen Glauben bekannte. „Derzeit ist alles anders, Hauptsache ist, dass man ein guter Mensch sei“, meint der Senior.
MIT MUSIK DURCH DAS LEBEN
Ohne seine Knopfharmonika kann sich Roman Bomm sein Leben nicht vorstellen. Musik begleitet ihn überall. Wie nämlich sein Schicksal es wollte, lebte er unter Deutschen, unter Ukrainern sowie unter Kasachen und Russen. Er kann Melodien verschiedener Nationen meisterhaft spielen. Als er in Zwetopol lebte, waren es meistens deutsche Volkslieder und -tänze. In Kochanowka, wo nach Worten des Musikers am meisten Ukrainer aus Wolhynien wohnten, lernte er den hinreißenden Hopak spielen. In den 21 Jahren in Kasachstan wurde Bomm oftmals sogar zu kasachischen Hochzeiten eingeladen, wo er auch die Volksmusik dieser Nation gut spielte.
Der heute schon hoch betagte Musiker Roman Bomm spielt nicht nur Volksmusik, sondern komponiert auch selber Melodien. Da er die Noten nicht kennt, hält er seine eigene Musik im Gedächtnis. „Vor einigen Jahren waren ich und mein Freund Sergej Zerr im Zentrum der deutschen Kultur in der Stadt Alejsk. Dort brachte ich einem professionellen Musiker einige meiner Melodien bei und er schrieb sie in Noten auf. Es ist sehr schön zu wissen, dass auch andere Musikliebhaber jetzt die von mir verfassten musikalischen Werke spielen können“, freut sich darüber Roman Bomm.
Am meisten liebt der Michajlowkaer Musikant die Lieder seiner Jugend, die er früher stets auf deutschen Hochzeiten innig erfüllte. Zwetopol, Ludwischtsche, Burla, Podsosnowo, Bursol, Michajlowka und viele andere Dörfer wie im Rayon Burla und den naheliegenden Rayons so auch in der Republik Kasachstan hörten das innige Knopfharmonikaspiel von Roman Bomm. Ohne sein Musikinstrument konnte und kann er sich sein Leben nicht vorstellen.
Er spielte nicht nur auf Hochzeiten seiner Landsleute, sondern beteiligte sich auch an verschiedenen Konzerten, Wettbewerben und Festivals. All das war ein untrennbarer Teil des schöpferischen Lebens des deutschen Volksmusikers Roman Bomm.
Das Leben bleibt nicht unverändert, so ändern sich auch die musikalischen Bevorzugungen der Menschen. Leider hört man immer seltener auf Hochzeiten oder verschiedenen musikalischen Veranstaltungen die wohlklingenden Tönungen der Knopfharmonika. „Oft versammelten sich die jungen Leute früher in Kochanowka in einem am Dorfrand liegenden Birkenhain, auf dem improvisierten Tanzplatz. Bis spät in die Nacht hinein tanzten die Mädchen und Jungen flott die deutsche Polka und andere Tänze, und es schien, als ob sich die schlanken Birken mit ihnen im Kreise drehten“, in den Augen des Alten glänzen Tränen der Aufregung.
ÜBER DIE FAMILIE
„Meine Eltern sind schon lange nicht mehr am Leben. Die Mutter starb 1981, der Vater verschied 2002. Er starb in Deutschland, wo er noch keinen Monat lebte.“ In der Familie von Roman Bomm wuchsen vier Kinder auf. Der Sohn Sergej mit der Schwiegertochter Margarita wohnt in Michajlowka. Wassilij mit Ehefrau Swetlana übersiedelte nach Krasnodar. Die Tochter Antonina mit Familie ist in Deutschland zu Hause, die andere Tochter lebt in Ekibastus, Republik Kasachstan.
Leider hat niemand von ihnen die Liebe zum Musikinstrument des Vaters geerbt. „Sergej kann ein wenig spielen, tut es aber nicht gern. Heute wird andere Musik bevorzugt. Einer meiner Enkeln – Dima Tschumakin – spielt Gitarre“, teilt der Vater und Großvater mit.
Die Stunde des Gespräches verflog im Nu. Der Verfasser des Berichtes lernte nicht nur die Lebens- und Schaffensgeschichte des Michajlowkaer Musikers Roman Bomm kennen, sondern genoss auch sein wunderbares Spiel auf der Knopfharmonika, war doch auch in seiner Jugend in den 1970er Jahren diese Musik sehr beliebt und in besonderer Ehre. Schade, dass sie heute nicht gefordert ist, bleiben doch immerhin diese Klänge für die Seele so aufregend.
Deutsch von Maria ALEXENKO
*Dieser Artikel erschien zuerst in der „Zeitung für Dich“ Nr. 7, 26. Juli 2019