Wladimir Auman ist ein Mann mit einem bemerkenswerten Schicksal. Schon als Kind wurde er aus ethnischen Gründen diskriminiert: Als Junge wurde er von einem Kommandanten schwer verprügelt und als „kleiner Faschist“ bezeichnet. Ein Kindheitstrauma und die Suche nach einer Antwort auf die Frage „Warum bin ich ein kleiner Faschist?“ waren für ihn der Anstoß, seine Identität zu definieren und die Geschichte der Russlanddeutschen zu erforschen.
Wladimir Auman hat mehr als 300 Publikationen und Reden über nationale Beziehungen und die Geschichte der Russlanddeutschen sowie eine Reihe von Büchern über bekannte Kasachstandeutsche veröffentlicht. RusDeutsch sprach mit dem Historiker über seine deutschen Wurzeln, den Nationalstolz, das historische Gedächtnis und die Verbindung zwischen den Generationen.
Wladimir Auman, wer waren Ihre Vorfahren?
Meine Vorfahren kamen lange vor dem Manifest von Katharina der Großen in die Ukraine. Mein Großvater, Mennonit Michael Auman, war ein gewöhnlicher Schmied. In den 1930er-Jahren wurde er verhaftet und niemand hat je wieder von ihm gehört. Auch meine Recherchen brachten keine Ergebnisse. Nach seiner Verhaftung wurde eine große Familie mit elf Kindern hinterlassen. Einer von ihnen war mein Vater Andrej Auman. Er war ein Schuldirektor. Nach dem Deportationserlass im August 1941 wurde er zur Arbeitsarmee geschickt. Der Rest meiner Verwandten schaffte es nicht, zu fliehen und wurde nach Deutschland getrieben. Meine Mutter wurde mit zwei Kindern nach Kasachstan deportiert. Eine Schwester meines Vaters, die 92 Jahre alt ist und in Deutschland lebt, ist die einzige Überlebende der großen Familie.
Auch das Schicksal der Familie meiner Frau ist tragisch. Sie wurde in Halbstadt im deutschen Nationalrajon im Altai geboren. Ihr Vater, ein Physiklehrer, wurde im Jahr 1937 verhaftet und 1943 in Magadan erschossen. Die Mutter meiner Frau ging mit einem kleinen Kind zu Verwandten in die Ukraine.
Die Angehörigen akzeptierten die Familie eines Volksfeindes nicht. Mit Beginn des Krieges wurden sie nach Kasachstan deportiert.
Eine meiner Enkeltöchter beschäftigt sich nun mit dem Stammbaum. Sie lebt in Deutschland, recherchiert gründlich in Archiven und schreibt Anfragen an die Kirche.
Wer hat Ihnen Deutsch beigebracht und Sie mit der deutschen Kultur bekannt gemacht?
Die Sprache hat mir meine Großmutter beigebracht, hauptsächlich durch Gespräche und das Lesen von Gebeten. Nach dem Abschluss des pädagogischen Instituts besuchte ich das Institut für Fremdsprachen in Alma-Ata in Form eines Fernstudiums. In meinem zweiten Lehrjahr sagte mir ein Deutschlehrer, den ich kannte: „Ich gehe in den Ruhestand, und Du sollst meinen Platz einnehmen“. Also wurde ich Lehrer an einer Schule in der Stadt Qostanai, zunächst für Deutsch, daraufhin auch für Literatur und Russisch.
Sie haben gesagt, dass Sie das Material für das Buch „Geschichte der Russlanddeutschen anhand von Dokumenten“ Stück für Stück gesammelt haben. Ihnen als Russlanddeutscher war es sogar während Ihrer Tätigkeit im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Kasachstans und im Zentralkomitee der KPdSU verboten, sich mit diesem Thema zu befassen und sich an die Archive zu wenden. Wie haben Sie es geschafft, Informationen zu sammeln?
Von Zeit zu Zeit wurde das „deutsche“ Thema im Zentralkomitee diskutiert, und es wurden die sogenannten Beschlüsse „zur weiteren Verbesserung der ideologischen Arbeit unter Deutschstämmigen“, „zur weiteren Verbesserung der atheistischen Arbeit unter Deutschstämmigen“ und „zum Kampf gegen ausländische Einflüsse“ verabschiedet.
Und ich hatte die Gelegenheit, die Vorbereitung dieser Dokumente zu beobachten, war aber nicht an ihrer Ausarbeitung beteiligt. Ich hatte kein Recht, mit ihnen zu arbeiten, aber ich konnte mich mit ihnen vertraut machen. So sammelte ich 30 Jahre lang Materialien.
Zunächst dachte ich nicht daran, sie zu veröffentlichen, aber das Material hatte sich so sehr angesammelt, dass Professorin Walentina Tschebotarewa und ich beschlossen, sie in zwei Bänden zu veröffentlichen.
Vor Kurzem wurde mir durch die Abreise der meisten Russlanddeutschen nach Deutschland klar, dass es heute einen Prozess des Vergessens der Deutschen gibt, die auf russischem Boden leben. Die Deutsche Gesellschaft in Kasachstan hat beschlossen, eine Reihe von Büchern über bekannte Deutsche herauszugeben. Ich wurde zum wissenschaftlichen Betreuer dieses Projekts und habe in den letzten Jahren vier Bücher geschrieben, und zwar über H. Belger, A. Eirich, E. Gossen und B. Rauschenbach.
Erzählen Sie uns ein wenig über die Personen in Ihren Büchern.
Herold Belger war ein einzigartiger Mann. Er war äußerst bewandert in der kasachischen Sprache. Als er schwer krank war, schrieb er etwa 100 Bücher in drei Sprachen. Eduard Eirich ging in der Arbeitsarmee durch die Hölle und wurde später zum legendären Trainer des Hockey-Teams der Sowjetunion. Boris Rauschenbach war ein brillanter Wissenschaftler und einer der Begründer der sowjetischen Kosmonautik. Auch er war in der Arbeitsarmee und dem Gulag, aber trotz aller Entbehrungen leistete er einen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung nicht nur der Kosmonautik, sondern auch einer Reihe anderer Wissenschaftszweige.
Edwin Gossen ist Träger des Leninpreises, Akademiker sowie herausragender Wissenschaftler im Bereich der Landwirtschaft.
Haben Ihrer Meinung nach Kasachstandeutsche eine Besonderheit?
Deutsche, die vor dem Zusammenbruch der UdSSR dort lebten, wurden als Sowjetdeutsche bezeichnet. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind Russlanddeutsche nur noch in Russland und Kasachstandeutsche nur noch in Kasachstan. Das gilt auch für die Deutschen in Moldawien, Kirgisistan und der Ukraine.
Sind Sie glücklich?
Ich bin mittlerweile 84 Jahre alt. Ich habe ein hartes, aber glückliches Leben geführt. Ich habe 53 Jahre mit meiner Frau verbracht. Wir haben drei Kinder, sechs Enkelkinder und sechs Urenkelkinder.
Unsere große Familie ist sehr international. Wir haben sowohl Russen als auch Ukrainer, Tataren und Koreaner. Die Basis unserer Familie sind natürlich in erster Linie deutsche Traditionen.
Für die meisten Mitglieder dieser großen Familie sind Russland und Kasachstan die hauptsächlichen Heimatländer. Kasachstan wurde zu meinem ersten und zweiten Heimatland. Hier wuchs ich auf und reifte als Gelehrter und als Mensch.
Am Ende unseres Gesprächs würde ich gerne etwas über Ihre kreativen Pläne erfahren.
Ich erzähle euch ein Geheimnis. Seit mehr als fünf Jahren arbeite ich an einem Buch über mich selbst, darüber, wie ich mich trotz der Repressionen selbst verwirklicht habe und sogar Mitarbeiter des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans und des Zentralkomitees der KPdSU wurde. Meine Freunde rieten mir, das Buch „Der Russlanddeutsche im Kreml“ zu nennen.
Im Dezember 2022 nahm Wladimir Auman am Runden Tisch „Russlanddeutsche. Historisches und kulturelles Erbe“ beim jährlichen Kulturhistorischen Seminar der Russlanddeutschen in Moskau (5.-9. Dezember) teil. Hier können Sie mehr darüber erfahren, wie das Seminar verlief.
Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge