Neue Kommunikationsebene und Akzeptanz des eigenen Körpers: Gespräch mit Referentin des Art-Labors, Ksenia Petrenko


Am 20. Mai ist in Sankt Petersburg ein Art-Labor für zeitgenössische Kunstformen eröffnet worden. Wir hatten im Vorfeld des Labor-Starts mit einer der Referenten der Workshops und der Schauspielerin, Regisseurin, Choreografin, Pädagogin und Preisträgerin mehrerer internationaler Preise und Auszeichnungen, Ksenia Petrenko, gesprochen.

Das diesjährige Projekt des Art-Labors ist eine Zusammenarbeit zwischen Theater und Choreografie und soll den Vertreterinnen und Vertretern von kreativen Berufen unter den Russlanddeutschen zeitgenössische Kunstformen näherbringen. Wir haben Ksenia gebeten, uns ihre Erwartungen an die kommenden kreativen Tage in der nördlichen Hauptstadt (Anm. d. Übers.: Sankt Petersburg) mitzuteilen.

Ksenia, wir freuen uns sehr, dass Sie sich bereit erklärt haben, an dem Projekt teilzunehmen. Sie haben schon viele Male an kreativen Werkstätten, Kursen und Aufführungen teilgenommen. Was denken Sie, was eine solche Tätigkeit den Schauspielern und denjenigen, die gerade erst anfangen, geben?

Sie ermöglichen es den Schauspielern, sich nicht in ihrem Beruf und ihrem Umfeld zu verschließen, sondern neue Kommunikationsebenen zu erreichen. Das erweitert natürlich den beruflichen Horizont und fördert die Kommunikationsfähigkeit.

Und auch diejenigen, die sich gerade auf diesen Weg begeben, werden motiviert, an dem Projekt teilzunehmen. Vielleicht durch ein interessantes Thema.

Die Hauptsache ist, dass man sich keine Sorgen macht, dass man keine schauspielerischen Fähigkeiten hat. Wenn man sich auf das Thema konzentriert, wird man nicht merken, wie man anfängt zu tanzen und zu schauspielern. Das Zusammentreffen von verschiedenen Schauspielern, die begrenzte Anzahl von Tagen und das zusammenhängende Thema schaffen ein großes Feld für Kreativität.

Können Sie uns sagen, was Sie im Rahmen dieses Art-Labors machen wollen? Worauf werden Sie sich in Ihren Workshops konzentrieren?

Als ich anfing, mich mit dem Art-Labor zu beschäftigen und die Materialien – die Manifeste Katharinas der Großen und die Geschichte der Umsiedlung der Deutschen nach Russland – zu studieren, wurde mir klar, dass ich an diesem Projekt teilnehmen muss.

Mein Großvater wurde in Wolgograd geboren und ist Deutscher. Leider ist mir dieser Teil des Lebens meiner Familie nicht sehr gut bekannt. Aber eine solche Affinität zu diesem Thema macht es mir nicht schwer, mich der Geschichte zu widmen.

Natürlich freue ich mich darauf, die Teilnehmenden kennenzulernen. Ich hatte zwar schon von der Existenz einer großen deutschen Diaspora in Sankt Petersburg gehört, wusste aber nicht so recht, wie sie entstanden ist. Jetzt habe ich die Chance, dieses Thema zu studieren.

Am Ende werden wir ein figuratives und plastisches Produkt schaffen: einen plastischen Essay. Wir werden uns auf Erfahrungen, Gespräche und Diskussionen über das Thema konzentrieren und choreografische Proben machen.

Wir werden über die Reise eines Menschen sprechen, der sein Land verlässt, in der Hoffnung, in einem anderen Land sein Glück zu finden. Was hat es mit dem Begriff der Heimat und der Bedeutung der Verbindung zu den Vorfahren heutzutage auf sich? Wie verbinden sich die Menschen heutzutage?

Es gibt eine Vielzahl von Methoden und Hilfsmitteln, mit denen Sie in Ihrer pädagogischen Praxis arbeiten können. Haben Sie schon einen „Stundenplan“ erstellt?

Für mich ist es sehr wichtig, welche Gruppe genau kommt. Ich mache mir schon seit einigen Jahren keine Gedanken mehr im Voraus. Ich habe Ideen und ich schreibe sie auf, aber ich arbeite immer ohne ein vorgeschriebenes Programm. Ich mag es, mit bestimmten Menschen zu interagieren. Es sind Menschen aus verschiedenen Städten, die sich und mich nicht kennen.

Ich freue mich auf unsere gemeinsame Arbeit. Alles weitere nimmt seinen Lauf.

All die Übungen werden uns helfen zusammenzukommen. Da viele der Teilnehmenden auf die eine oder andere Weise mit Tanz zu tun haben, bin ich sehr daran interessiert, was sie zu bieten haben.

Ich sehe mich eher in der Rolle eines Mentors als in der eines strengen Lehrers, der uns sagt, wie etwas „richtig“ gemacht wird.

Sehr interessant! Wie sich zeigt, wird dieses Projekt auch Ihnen einige neue Erfahrungen bringen. Es gibt die Meinung, dass wirkliches Lernen erst dann beginnt, wenn man selbst jemanden unterrichtet. Was halten Sie von diesem Gedanken?

Oh, jedes Mal ist es wie ein Neuanfang (lacht)! Es ist erstaunlich, dass in verschiedenen Gruppen diese oder jene Übung mit einer neuen Bedeutung erblüht und sich zu entwickeln beginnt. Das passiert sehr oft und ich schreibe es mir sofort auf und behalte es im Auge. Meine Erfahrung hat mich gelehrt, mehr auf die Gruppe zu hören und ihr zu vertrauen, als mich nur von meiner inneren Stimme leiten zu lassen. Manche Ideen passen vielleicht nicht in die eine Gruppe, aber vielleicht in die andere.

Wie ist die Idee zu Ihrem intuitiven Tanzprojekt „Dein Körper und Du selbst“ entstanden?

Ich arbeite oft mit Studierenden in verschiedenen Kunstwerkstätten. Die Teilnehmenden fragten mich oft, welche Kurse sie sonst noch bei mir machen können. Nach und nach gab es immer mehr solcher Anfragen und meine älteste Tochter schlug vor, all diese Anfragen in einem Projekt zusammenzufassen. So entstand der Name „Dein Körper und Du selbst“. Die Kurse sind für absolut jeden geeignet; sie zielen darauf ab, den eigenen Körper zu fördern, zu akzeptieren und zu spüren.

Meistens werden die Kurse von Frauen besucht. Einmal hat eine ganze Generation, und zwar die Tochter, die Mutter und die Großmutter, den Workshop besucht. Das Projekt bringt also wirklich Menschen zusammen und hilft ihnen, „loszulassen“ und sich so zu bewegen, wie es der Körper will. Es stellt sich heraus, dass er sprechen kann – man muss ihm nur die Gelegenheit dazu geben! Daran werden wir auch im Rahmen dieses Art-Labors arbeiten.

Sie wählen oft nicht-triviale Orte für Ihre Stücke und Aufführungen wie zum Beispiel Fabriken, Bahnhöfe, Felder, Galerien und so weiter. Das Stück „Liquidation“ (Anm. d. Red.: gewann 2009 die „Goldene Maske“) wurde in einer Fabrikhalle aufgeführt. Was bedeutet dieser „Verzicht“ auf die klassischen Räumlichkeiten und Dekorationen für das Stück, für das Publikum und für Sie persönlich?

Das ist eine ausgezeichnete Frage! An der Suche nach Orten bin ich nicht persönlich beteiligt, diese erfolgt durch das Team von „Liquid-Theater“, es beschäftigt sich mit der Auswahl von Feldern und Fabriken aus. Und das Phänomen der Begegnung zwischen Raum und Mensch ist genau das, was an solchen Orten existiert. Wenn man in die übliche Theater-“Kiste“ kommt, weiß man, wo und wer jeder einzelne ist. Aber wenn man sich in einem nicht-traditionellen Raum befindet, gibt es mehr Spielraum. Die Luft, Geräusche und das Publikum selbst werden zu Beteiligten.

Sie sind beeindruckt von dem Vertrauen, das zwischen dem Schauspieler und dem Zuschauer entsteht. Es gibt weniger Unzugänglichkeit zwischen ihnen.

Die Inszenierung „Liquidation“ erwies sich als ziemlich düster. Die bildliche Gestaltung wurde mit Taschenlampen durchgeführt. Das Publikum befand sich in einem dunklen Vakuum und wusste nicht, wo und wann die Geschichte spielen würde. Plötzlich blitzte etwas auf.

In solchen Momenten merkt man, dass das Leben überall ist. Nicht unbedingt dort, wo man seine Aufmerksamkeit hinlenkt. Es ist nur ein kurzes Aufblitzen aber all diese Bilder existieren immer um dich herum. Und es ist wunderschön!


Das Projekt wird mit Unterstützung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur im Rahmen des Unterstützungsprogramm der Russlanddeutschen durchgeführt.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

Rubriken: Eliteförderung/AvantgardeInterviewVeranstaltungen