Welt und eigene Wurzeln entdecken: Ethnokulturelle Sprachtreffen für Jugendliche in Omsk


Vom 11. bis 18. Juli hat in Omsk das Projekt „Ethnokulturelle Sprachtreffen für junge Menschen aus dem Kreis der Russlanddeutschen“ stattgefunden, organisiert vom Kultur- und Geschäftszentrum „Deutsch-Russisches Haus in Omsk“. Rund 40 Teilnehmer aus verschiedenen Städten und Gemeinden des Gebietes Omsk nahmen an einer einzigartigen Veranstaltung teil, die auf der Idee einer Weltreise auf den Spuren der Russlanddeutschen – Wissenschaftler, Forscher, Reisende – basierte.

Jeder Tag war neuen Entdeckungen, Recherchen und Forschungen gewidmet – im wörtlichen und im übertragenen Sinne. Die Teilnehmer lernten den Beitrag der Russlanddeutschen zur Welt- und russischen Wissenschaft und Kultur kennen, verbesserten ihre Deutschkenntnisse, arbeiteten in Teams und setzten kreative Projekte um. Dies wurde zu ihrer persönlichen Reise zu ihren eigenen Wurzeln.

Das zentrale Konzept des Projekts war eine imaginäre Weltreise: Die Teilnehmer stellten sich als Forschungsexpedition vor, die die Spuren der Russlanddeutschen in verschiedenen Ländern und Regionen erforschte. Jedes Team entwickelte sich zu einer Art Reiseclub mit eigener Route, Flagge, eigenem Namen und eigenen Zielen. Dieses Reisebild wurde nicht nur zu einer Spielform, sondern zum semantischen Zentrum des Programms: Indem die Teilnehmer die Geografie und die Entdeckungen der Russlanddeutschen entdeckten, entdeckten sie gleichzeitig sich selbst.

Jewgenija Gamowa, Organisatorin der ethnokulturellen Arbeit, teilt mit:

„Dies ist nicht nur ein Projekt, es ist eine Reise. Manche kamen hierher, um Geschichte zu lernen, manche, um ihre Sprache zu verbessern, manche, um sich in Projekten zu versuchen. Und jeder fand etwas Eigenes auf dieser Reise.“

Deutsch als Wissenschafts- und Forschungssprache

Die Spracharbeit im Projekt war in das Gesamtkonzept integriert: Das Üben der deutschen Sprache konzentrierte sich auf die Themen Wissenschaft, Geographie und Biografien von Wissenschaftlern und Forschern. Deutsch wurde für die Teilnehmenden zu einem Arbeitsinstrument für Forschungsarbeiten und Projektaktivitäten. Durch das Kennenlernen neuer Begriffe, das Verfassen von Texten und das Führen von Dialogen tauchten die Teilnehmenden ganz natürlich in die Sprachumgebung ein.

Die Koordinatorin der Spracharbeit, Kristina Holland, betont:

„Wir wollten zeigen, dass es im Deutschen nicht nur um Grammatik geht. Es ist die Sprache der Wissenschaft, der Entdeckungen und der Kreativität. Es bietet die Möglichkeit, der Welt von sich selbst, seinen Ideen und seiner Kultur zu erzählen.“

Filmclub: Die Geschichte Rauschenbachs im Format der Zukunft

Einen besonderen Platz im Programm nahm der Filmclub ein – einer der neuen Projektblöcke des Treffens. Junge Menschen arbeiteten an der Erstellung eines Dokumentarfilms über Boris Rauschenbach – einen herausragenden russischen Wissenschaftler deutscher Herkunft. Rauschenbach, der an der Entstehung des sowjetischen Raumfahrtprogramms beteiligt war, wurde für die Teilnehmer zu einem Symbol dafür, wie persönliche Geschichte und Beitrag zur Weltwissenschaft eng miteinander verknüpft sein können.

Im Rahmen des Filmclubs schrieben die Teilnehmer ein Drehbuch, suchten Bildmaterial, studierten Fakten aus Rauschenbachs Biografie, vertonten den Text und nutzten neuronale Netzwerktechnologien für den Schnitt. Dies wurde Teil der Projektidee – über die Vergangenheit mit modernen Mitteln zu sprechen, durch die Sprache der Medien und digitaler Technologien.

„Wir machen keinen Film nur um einen Film zu erstellen. Wir schaffen eine neue Art, über unsere Helden zu sprechen. Wir nutzen neuronale Netzwerke, um zu zeigen, dass die Geschichte der Russlanddeutschen nicht nur Vergangenheit, sondern auch Zukunft ist“, sagt Filmclubmitglied Matwei Renier.

Das Projekt ermöglichte den jungen Teilnehmern zu erkennen, dass das Erbe der Russlanddeutschen nicht nur aus Archivseiten besteht, sondern aus lebendigen Geschichten, die in einer modernen Sprache erzählt und neu gedacht werden können.

Deutsche Sprache durch die Natur

Einer der wichtigsten Momente des Projekts war eine Exkursion zum dendrologischen Herbert-Hense-Garten, der für die Teilnehmer nicht nur ein Beispiel für das wissenschaftliche Erbe der Russlanddeutschen, sondern auch eine lebendige Bestätigung des Themas Reisen und Entdecken wurde.

Herbert Hense ist eine bedeutende Persönlichkeit für das Gebiet Omsk und die gesamte Geschichte der Russlanddeutschen. Obwohl er während des Krieges deportiert wurde, gelang es ihm nicht nur, unter schwierigsten Bedingungen zu überleben, sondern sein Leben auch der Landschaftsgestaltung und Entwicklung von Omsk zu widmen. Als Züchter, Botaniker und Dendrologe züchtete er Dutzende einzigartiger Baum- und Straucharten, von denen viele noch heute die Straßen der Stadt schmücken. Dank seiner Arbeit fanden Blaufichten, Pyramidenpappeln, Frottee-Flieder und sogar Nadelbäume, die zuvor in Sibirien nicht angebaut wurden, in Omsk Fuß.

Die Exkursion zum dendrologischen Park bot den Teilnehmern die Gelegenheit, die Spuren dieser wissenschaftlichen Arbeit mit eigenen Augen zu sehen. Einzigartige Pflanzenarten, eine durchdachte Parkstruktur und die Geschichten der Ausflugführerin über das Schicksal von Herbert Hense schufen eine Atmosphäre der Auseinandersetzung mit Geschichte und Wissenschaft.

Besonders wertvoll war, dass die Kinder während der Exkursion direkt Deutsch üben konnten: Sie notierten Pflanzennamen, verfassten kurze Beschreibungen und diskutierten das Gehörte. So konnten sie Sprachpraxis mit lokaler Geschichte und wissenschaftlichen Inhalten verbinden.

„Eine Exkursion zum Garten ist keine typische Schulstunde. Das ist echte Forschungsarbeit: Kinder studieren, fotografieren und erstellen Wörterbücher. Gleichzeitig kommen sie mit dem Schicksal einer konkreten Person in Berührung, eines Russlanddeutschen, der die Welt um sie herum grüner und schöner gemacht hat“, sagt Kristina Holland.

Die Exkursion zum Hense-Garten war für viele Teilnehmer einer der unvergesslichsten Momente des Projekts. Anschließend bereiteten die Kinder Mini-Präsentationen über neue Pflanzen vor.

Von der Recherche zum Projekt: Kreativität durch Reisen

Im Rahmen des Weltreisekonzepts engagierten sich die Teilnehmenden in verschiedenen Bereichen: in ethnokulturellen Clubs, Forschungs-Miniprojekten und kreativen Vereinen. Sie arbeiteten an einem Denkspiel, literarischen Comics und Scrapbooking-Arbeiten über deutsche Entdecker und Geographen.

All diese Projekte vereinte eine Idee: die Welt und Kultur der Russlanddeutschen als Teil ihrer persönlichen Geschichte zu entdecken.

Ein wichtiges Ergebnis waren nicht nur die Ergebnisse der Projektarbeit – ein Videofilm, Präsentationen, Comics –, sondern auch eine Atmosphäre des bewussten Umgangs mit den eigenen Wurzeln. Die jungen Menschen erkannten, dass sie nicht nur Muttersprachler sind, sondern Erben von Geschichten und Traditionen, die es wert sind, erzählt zu werden.

„Dieses Projekt hat mir geholfen zu verstehen, dass es beim Russlanddeutschsein nicht nur um die Vergangenheit geht. Es geht darum, was man heute schaffen kann. Und darüber in der eigenen Sprache und im eigenen Format sprechen“, berichtet Teilnehmerin Jelisaweta Muchina.

Der Wandel als Raum der Einheit

Die Arbeit im Team wurde zu einem besonderen Wert. Die Teilnehmenden trafen sich nicht nur bei Projekten, sondern auch im Schichtalltag: bei Suchspielen, Sportspielen und allgemeinen Diskussionen. Das Treffen wurde zu einem Ort, an dem sie offen über ihre Identität sprechen, sich für Geschichte interessieren, ihre Medienkompetenz entwickeln und keine Angst haben konnten, sie selbst zu sein.

Bei der abschließenden Verteidigung der Projekte präsentierten die Teilnehmenden ihre Filme, Comics, Leitfäden und kreativen Arbeiten. Der Projektabschluss wurde zu einem wahren Fest und bildete den Höhepunkt des persönlichen und gemeinschaftlichen Weges, den sie in diesen sieben Tagen zurückgelegt hatten.

Tag des Jugendrings der Russlanddeutschen

Ein besonderes Ereignis des Projekts war der Tag des Jugendrings der Russlanddeutschen (JdR), der im Rahmen ethnokultureller Sprachtreffen organisiert wurde. Dieser Tag war der Geschichte der Russlanddeutschen und der Rolle der Organisation bei der Bewahrung kultureller Identität gewidmet.

Der Morgen begann mit einem symbolischen Moment: Die Teilnehmer sangen feierlich die Hymne des Jugendrings der Russlanddeutschen und schufen so eine Atmosphäre der Einheit und des Engagements für eine gemeinsame Bewegung. Diese Aktivität erinnerte daran, dass die moderne Gemeinschaft der Russlanddeutschen auf einem gemeinsamen Gedächtnis und gemeinsamer Verantwortung aufbaut.

Den Höhepunkt bildete das historische Quiz „Zeitwanderer“, bei dem die Teilnehmer eine Reise durch die Jahrhunderte unternahmen. Die Fragen deckten wichtige historische Etappen ab: vom Manifest Katharinas II. bis zur Gründung des JdR als Jugendorganisation. Das Quiz war nicht nur ein Denkspiel, sondern bot eine Möglichkeit, in die Geschichte einzutauchen: Die Jugendlichen erfuhren etwas über das Leben der ersten Siedler, Deportationen, schwierige Sowjetjahre und die Wiederbelebung der Kultur in unserer Zeit.

Eine feste Tradition dieses Tages war die „JdR-Post“ – eine spezielle Postecke, in der die Teilnehmer Briefe, Postkarten und herzliche Worte der Unterstützung austauschten. Eine einfache, aber bedeutsame Geste – eine Nachricht für einen Freund, einen älteren Mentor oder sich selbst zu hinterlassen – erinnerte daran, wie wichtig es ist, Verbindungen zu pflegen und eine Gemeinschaft auf Vertrauen und Fürsorge aufzubauen.

Wie die Organisatoren betonten, bot der JdR-Tag den Teilnehmern nicht nur die Gelegenheit, mehr über die Geschichte und Moderne der Russlanddeutschen zu erfahren, sondern sich auch als Teil dieser freundlichen Bewegung zu fühlen, in der jeder wichtig ist und jeder das Recht auf seine Stimme und seine Geschichte hat.

Ein Blick in die Zukunft

Die Organisatoren betonen, dass das Projekt seine Relevanz und Nachfrage bewiesen hat. Der Filmclub, der mit neuronalen Netzen arbeitet, zeigte, wie junge Menschen bereit sind, sich sinnvoll und kreativ mit dem Thema historische Erinnerung auseinanderzusetzen. Es werden bereits Pläne diskutiert, die Arbeit des Filmclubs fortzusetzen und ihn in die laufende Medienarbeit mit jungen Menschen zu integrieren.

„Wir schaffen ein neues Modell ethnokultureller Arbeit. Kein Denkmal, keine Retrospektive. Sondern ein lebendiges, kreatives. Wo Sprache zum Handlungsmittel wird. Wo Geschichte in Medienprojekten lebendig wird. Wo Russlanddeutschsein bedeutet, Autor der eigenen Geschichte zu sein“, fasst Projektleiter Andreas Dell zusammen.

Die „Ethnokulturellen Sprachtreffen für Jugendliche aus dem Kreis der Russlanddeutschen“ in Omsk wurden mehr als nur ein Projekt. Es war eine Reise zu den Wurzeln, zur Sprache, zu sich selbst. Eine Reise, die gerade erst beginnt.


Das Projekt wurde mit Unterstützung des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur im Rahmen des Unterstützungsprogramms für Russlanddeutsche in der Russischen Föderation realisiert.

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