Ein Kochbuch erobert Russland Wie die Deutsche Helene Molochowetz mit ihren Rezepten russische Ehen rettete In St. Petersburg gibt es ein edles Restaurant mit dem Namen „Molochowetz‘ Traum“. Helene Molochowetz – das ist ein Name, der in Russland schon seit fast 150 Jahren einen guten Klang hat. Die Betreiber des Petersburger Restaurant zählen sie sogar zu den fünf Frauen, die den größten Einfluss auf die russische Gesellschaft hatten. Und das alles wegen eines Kochbuches. Ein Kochbuch, das so erfolgreich war, dass es zu seiner Zeit in vielen Haushalten neben der Bibel das einzige Buch war. Helene Molochowetz entstammte einer deutschen Familie, sie starb im Jahre 1918. Nach ihren Rezepten wird heute noch gekocht.
Ein Kochbuch erobert Russland
Wie die Deutsche Helene Molochowetz mit ihren Rezepten russische Ehen rettete
In St. Petersburg gibt es ein edles Restaurant mit dem Namen „Molochowetz‘ Traum“. Helene Molochowetz – das ist ein Name, der in Russland schon seit fast 150 Jahren einen guten Klang hat. Die Betreiber des Petersburger Restaurant zählen sie sogar zu den fünf Frauen, die den größten Einfluss auf die russische Gesellschaft hatten. Und das alles wegen eines Kochbuches. Ein Kochbuch, das so erfolgreich war, dass es zu seiner Zeit in vielen Haushalten neben der Bibel das einzige Buch war. Helene Molochowetz entstammte einer deutschen Familie, sie starb im Jahre 1918. Nach ihren Rezepten wird heute noch gekocht.
Wenn Buchstaben Geschmack hätten, müssten diese hier nach mariniertem Schweinebraten schmecken. Nach einem Rehbraten, der in Wacholdersud brutzelt, nach Lachspiroggen, verfeinert mit knusprigen Zwiebackkrümeln oder nach Vanillepudding, mit echter Vanilleschote selbstverständlich, schwarz und betörend duftend. Tun wir so, als säßen wir an einer festlich gedeckten Tafel, Kerzenschein spiegelt sich im Weinglas, aus der Küche nebenan klingt Tellergeklapper. Was das Menü betrifft, halten wir es ganz mit Helene Molochowetz. Die Grand Dame der russischen Küche empfiehlt für ein Mittagsmahl im Juli als Vorspeise einen Borschtsch aus Sellerie, gefolgt vom Huhn in Stachelbeersauce, grünen Erbsen mit Pilzkoteletts, Rinderbraten-Roulette, dazu Salat und zum Abschluss Gefrorenes aus Erdbeeren. Wenn wir den letzten Happen verputzt haben, lehnen wir uns satt zurück, seufzen und denken voller Dankbarkeit an eine Zeit vor 150 Jahren. Als eine Beamtentochter in Kursk, zehnfache Mutter und strenggläubige Protestantin die russische Kochbibel niederschrieb.
Helene von Molochowetz war nicht die Erste, die ein russisches Kochbuch schrieb, und sie war bei Weitem nicht die letzte. Doch ihr Ratgeber ist Kassenschlager und Evergreen zugleich. 1861 kam die Sammlung zum ersten Mal heraus – einbändig mit 1500 Rezepten. Der Erfolg war überwältigend. Bis zur 29. Ausgabe im Jahr 1917 war das Werk auf zwei Bände angewachsen, über 2500 Rezepte, vom Zitroneneis bis zum berühmten Beef Stroganoff, waren enthalten. Eine halbe Million Exemplare wurden zu jener Zeit verkauft. „Für die damaligen Verhältnisse war das eine riesige Zahl, das kam gleich hinter der Bibel“, sagt Christine Engel. Die Slawistik-Professorin aus Innsbruck hat sich lange mit Helene von Molochowetz und deren Wirken beschäftigt und ist zu dem Schluss gekommen: Die Baltendeutsche Helene Molochowetz hat die Tradition des russischen Kochbuches, und damit auch ein wenig die heutige russische Küche begründet.
Wenn es 1866 schon Marketingexperten gegeben hätten, sie hätten ob des sperrigen Titels wohl die Hände über den Kopf zusammen geschlagen: „Geschenk für die junge Hausfrau oder Mittel zur Verringerung der Haushaltsausgaben“. Dabei meinte die Verfasserin es nur gut. Und sie meinte es vor allem ernst. Dass die gute Hausfrau ihrem Mann und den Kindern allabendlich ein reichhaltiges Mahl vorsetzen konnte, war quasi nur die Spitze des Eisberges. Sparen sollte die Herrin des Hauses und durch die souveräne Haushaltsführung erst gar keinen Eheunfrieden aufkommen lassen. „Die Zeit der Unerfahrenheit kommt oft und besonders jungen Hausfrauen teuer zu stehen“, schreibt Molochowetz in ihrem Vorwort. „Und nicht selten hört man, dass zerrüttete Vermögensumstände und durch sie oft Misshelligkeiten im Familienleben selbst größtenteils der Hausfrau zuzuschreiben sind.“ Wen wundert es also, dass Molochowetz in späteren Ausgaben die Ratschläge zu Haushalt und Hygiene immer weiter ausbaut. Im Stil einer strengen Gouvernante empfiehlt sie da, vor dem Kochen alle Zutaten bereit zu stellen, da man sonst wohl etwas vergesse, „wodurch ein wiederholtes Hin- und Hergehen in die Vorratskammer veranlasst würde.“ Ganze Menüs stellt die Kochbuchschreiberin zusammen, und rechnet auf den Rubel genau aus, was die Beköstigung kostet. Bei Suppe, Bouillon, Frikadelle und Pastetchen ist mit zwölf Rubeln pro Person zu rechnen. Da weiß die Hausfrau, woran sie ist. Molochowetz war die erste, die sich nicht mit einem „ungefähr“ begnügte, sondern genaue Maßeinheiten angab, Schritt für Schritt beschrieb. „Sie hat eine sehr stimmige Kombination gefunden aus der gewissen Großzügigkeit, der das russische Lebensgefühl anhaftet, und dem Gestus der Sparsamkeit“, sagt Christine Engel.
Über das Leben der Helene Molochowetz ist wenig bekannt. Zu wenig für ihren damaligen Stellenwert. „Sie muss schließlich auch geschäftlich einigen Erfolg gehabt haben“, sagt Christine Engel. Es existiert eine Aufnahme aus einer Leningrader Zeitung, 1911 erschienen. Das Bild zeigt eine in Würde gealterte Frau, streng schwarz gekleidet, mit weißem Kragen und kühlem Blick. Helene Molochowetz, Mädchenname Burmann, stammt aus einer brandenburgisch-preußischen Familie. 1831 wird sie in Archangelsk geboren, ihr Vater arbeitet im dortigen Zollamt. Später heiratet sie den Architekten Franz Molochowetz, mit ihm zieht sie nach Kursk, das Ehepaar bekommt zehn Kinder. Nur zwei von ihnen sind noch am Leben, als Helene Molochowetz 1918, vermutlich im Dezember, stirbt. Einige Quellen berichten, sie sei am Hunger gestorben. Ihr Grab befindet sich neben dem ihres Vaters auf dem lutheranischen Friedhof in St. Petersburg.
„Ein kleines aber fettes Ferkel wird gereinigt, der Länge nach durchgeschnitten, die Knochen ausgenommen. gesalzen, mit englischem und einfachem Pfeffer.“ Dazu noch in Streifen geschnittener roher Schinken, geräucherte Speckschnittchen, drei hart gekochte, in Stücke zerschnittene Eier, marinierte grüne Bohnen, Pilze, marinierte Röthlinge, zerschnittene Cornichons und je nach Geschmack Trüffel. Das alles zusammengerollt, in eine Serviette gewickelt, mit Zwirn umbunden und in einer Brühe aus Ferkelknochen, Kopf und Ferkelfüßen, Möhren, Gewürz, Salz und Essig mindestens drei Stunden gekocht. Fertig ist die Ferkelroulade. Helene Molochowetz hatte ein passendes Rezept für jeden Anlass. Sie wusste, wie man Aal einlegt und wie man Pfefferkuchen backt. Ihre Küche ist international. Bei ihr gibt es ungarische Pflaumen, italienische Makkaroni, Gänsebraten mit Äpfeln auf litauische Art. Natürlich, sie hatte damals keinen Quirl, keinen Mixer, keine Küchenmaschine. Niemand würde wohl heute noch den Pudding wie empfohlen eine halbe Stunde mit dem Holzlöffel umrühren. Aber geschmacklich haben die Rezepte auch fast 150 Jahre nach ihrem Erscheinen nichts an Anziehungskraft verloren. Deshalb steht das „Geschenk für die junge Hausfrau“ auch heute noch in vielen russischen Küchen. Manchmal noch ein alter Druck, überliefert von der Urgroßmutter. Manchmal auch eine Neuauflage. Denn Helene Molochowetz ist längst wieder en vogue.
Die Sowjetjahre, in der das Buch – als dekadent gebrandmarkt – in der staatlich verordneten Versenkung verschwand, hat das Werk unbeschadet überstanden. Eine Originalausgabe vom Ende des 19. Jahundert kostet 350 Euro. In den Jahren nach der Jahrtausendwende brachten gleich mehrere russische Verlage Neuauflagen heraus. 1992 veröffentlichte die US-amerikanische Autorin Joyce Stetson Toomre eine englische Übersetzung. In Online-Foren preisen Leser von Russland über Deutschland bis in die USA die zeitlose Weisheit der „Großmutter Molochowetz“. Ihre Tipps zum selbst gebrannten Wodka sind zeitlos gut. Das Werk von Helene Molochowetz hat längst Russlands Grenzen überwunden. Heute rettet es vielleicht keine Ehen mehr, aber bringt Menschen überall in der Welt die russische Küche näher. Vom russischen Exil-Schriftsteller Jewgenij Samjatin ist folgender Satz überliefert: „Für russische Emigranten gibt es fern der Heimat zwei wichtige Autoren: Puschkin und Molochowetz.“
Helene Molochowetz selbst hat ihr Kochbuch ins Deutsche übersetzt. Eine digitale Version der Auflage von 1877 steht als pdf auf den Seiten der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek Dresden zum Download bereit. Digital.slub-dresden.de
Von Diana Laarz