Vom 3. bis zum 12. September wird in Uljanowsk an allen Ecken Deutsch gesprochen. Die Stadt an der Wolga steht dann ganz im Zeichen eines Veranstaltungsmarathons unter dem Titel „Russland – Russlanddeutsche – Deutschland“. In diesem Rahmen finden drei Festivals statt: das Kulturfestival der Russlanddeutschen „Wir sind Teil deiner Geschichte, Russland! Wir sind dein Volk!“, das Festival der deutschen Kultur und das russisch-deutsche Jugendfestival „Brücken, Liebe und Flugzeuge“.
Uljanowsk im Zeichen der deutschen Kultur
Vom 3. bis zum 12. September wird in Uljanowsk an allen Ecken Deutsch gesprochen. Die Stadt an der Wolga steht dann ganz im Zeichen eines Veranstaltungsmarathons unter dem Titel „Russland – Russlanddeutsche – Deutschland“. In diesem Rahmen finden drei Festivals statt: das Kulturfestival der Russlanddeutschen „Wir sind Teil deiner Geschichte, Russland! Wir sind dein Volk!“, das Festival der deutschen Kultur und das russisch-deutsche Jugendfestival „Brücken, Liebe und Flugzeuge“.
Dieses Ereignis ist eng mit dem Deutschen Theater in Temirtau (Kasachstan) und seinem damaligen Leiter Jakob Fischer verbunden: Die Idee, das erste Festival der deutschen Folkloregruppen in Temirtau durchzuführen, stammte in erster Linie von ihm. Peter Warkentin, der von 1980 bis 1994 als Schauspieler am Deutschen Theater Temirtau tätig war, erinnert sich: „Als Theater, eine geschlossene Gruppe junger, enthusiastischer Künstler, waren wir bereit alles zu unternehmen, um den Zustand unserer Volksgruppe zu erkunden. Wir alle waren damals emotional ziemlich aufgeladen. Bis zum Schluss mussten wir bangen, ob dieses Festival überhaupt stattfindet. Doch es fand statt! Und es war ein großer Erfolg“.
Über die Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen zum Festival erzählt Rose Steinmark, damalige Dramaturgin am Deutschen Theater Temirtau: „Diese Initiative wurde nicht gleich von den örtlichen Behörden akzeptiert. Das Organisationskomitee des Festivals musste viel Kraft investieren, damit die Parteifunktionäre die Erlaubnis zur Laienkunstschau erteilen. Unsere Überzeugungsversuche hinsichtlich des Kulturerbes der Russlanddeutschen wurden überhaupt nicht wahrgenommen; es wäre besser Theaterstücke zu spielen, anstatt sich mit der Laienkunst abzugeben – hielt der KGB dem Theater unzufrieden vor. Nichtsdestotrotz kämpfte das Theater bis zuletzt um die Genehmigung“.
Nicht alle Laienkollektive haben es geschafft, zum Festival zu kommen. Die Einen saßen bereits im Zug, als sie aufgefordert wurden, umzukehren, den Anderen hatte man noch vor Ort abgesagt. Eine von den Gruppen, die der Einladung folgen konnten, war die Folkloregruppe „Morgenrot“ aus dem Dorf Podsosnowo im Altai: Sie kam mit zwei Bussen in der Festivalhauptstadt an, mitten in der Januarkälte. Larissa Schmidt erinnert sich heute: „Ich nahm als Tänzerin der Deutschen Tanz- und Gesanggruppe „Morgenrot“ an dem 1. Festival der deutschen Kultur in Temirtau teil. Dort begegnete ich zum ersten Mal Jakob Fischer. Er begeisterte damals nicht nur mich, ein ganz junges Mädchen, sondern auch unsere etwas älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Da wo Jakob Fischer war, war es immer sehr interessant. Er kannte alle Lieder unserer Gruppe, sang begeistert mit und begeisterte immer mit seiner außergewöhnlich schönen Stimme. In seiner Gesellschaft waren Spaß, Freude und gute Laune vorprogrammiert. Er kümmerte sich rührend um alle Festivalteilnehmer und war die Seele dieser Veranstaltung“.
Im Rahmen des Festivals fand auch das erste theoretische Seminar statt. In seinem Festivalbericht für „Neues Leben“ schrieb Robert Korn: „Das vergangene Festival hat viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Erstens, es liegt klar auf der Hand, dass für die erfolgreiche Entwicklung der deutschen Laienkunst in unserem Land dringend fachkundige Leiter benötigt werden… Zweitens muss ein Koordinationszentrum für das Zusammentragen, die Bearbeitung und Aufbewahrung des folkloristischen Materials gegründet werden… Drittens müssen derartige Maßnahmen nunmehr zur Tradition werden. Dieser Umstand muss aber nicht nur als Anliegen der entsprechenden Behörden Kasachstans angesehen werden, wo nur die Hälfte aller Sowjetdeutschen lebt, sondern als das des Ministeriums für Kultur der UdSSR, damit sich auch die in anderen Republiken unseres Landes lebenden Sowjetdeutschen an derartigen Veranstaltungen beteiligen können“.
Bald begann Jakob Fischer zusammen mit seinen Kollegen mit den Vorbereitungen zum 2. Festival der deutschen Kultur, das zu einem einmaligen Erlebnis in der Geschichte der Volksgruppe werden sollte: Am Festival, das im Oktober
Im Jahre 1991 übersiedelte Jakob Fischer nach Deutschland. Auch andere Mitarbeiter des Deutschen Theaters begannen, ihre Koffer zu packen. Die von diesen Menschen angeregte Festivalbewegung konnte allerdings nicht mehr gestoppt werden. Die Initiative zur Durchführung des Festivals der deutschen Kultur übernahm der 1991 gegründete Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK). Das erste vom IVDK organisierte Festival fand während des 1. Kongresses der Sowjetdeutschen in Moskau statt (die zweite Etappe war vom 18. bis 20. Oktober 1991). Im Rahmen dieses Festivals der Sowjetdeutschen waren viele Kollektive sowie die Ausstellung „Kunst der Russlanddeutschen“, die im Zentralen Künstlerhaus stattfand, zu sehen.
Es folgten weitere – interregionale wie allrussische – Festivals. Am meisten in Erinnerung geblieben sind die folgenden Festivals:
Die Erinnerungen an die damaligen Festivals unterscheiden sich. Die Einen erzählen, wie die Einheimischen auf die Festivalteilnehmer in deutschen Nationaltrachten schimpften. Für die Anderen wiederum waren die Veranstaltungen Anlass zur Freude: Sie konnten sich mit Freunden und Gleichgesinnten treffen und austauschen. Die Musik-Ethnografin Elena Schischkina-Fischer war auf dem Festival 1992 zum ersten Mal – als Zuschauerin, zwei Jahre später nahm sie mit ihrem Kollektiv selbst teil. Sie erzählt: „Viele Kollektive sahen in Wolgograd 1992 komisch aus. Es war unklar, welche Kleider sie trugen, was sie mit ihrem Repertoire überhaupt repräsentierten. Zusätzlich wurden bloß zwei Genres der Musikfolklore präsentiert: Lyrik- und Tanzlieder. Die Kollektive verstanden damals leider ihre eigenen Texte größtenteils selbst nicht. Hervorragend wirkten nur das Tanzensemble von Julia Antonowa-Hoffmann aus Karaganda und das Deutsche Theater, in dem Peter Warkentin mitspielte. Die Schauspieler des Deutschen Theaters waren in schöne deutsche Trachten gekleidet, sie sprachen schönes Deutsch, spielten kleine Theaterstücke, sangen in vielen Genres. Ich erinnere mich an Jägerlieder… Ich denke, dass die mühevollen Anstrengungen der deutschen gemeinnützigen und russischen staatlichen Organisationen in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Aufschwung der verlorenen Nationalkultur erzielt haben. Heute hat die Erhaltung unserer Kultur einen ganz anderen Stellenwert eingenommen, deswegen ist es nicht korrekt, zu sagen, dass die deutsche Kultur in Russland niedergeht“.
Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts fanden zwei große Festivals statt:
Olga Silantjewa