Uljanowsk im Zeichen der deutschen Kultur


Vom 3. bis zum 12. September wird in Uljanowsk an allen Ecken Deutsch gesprochen. Die Stadt  an der Wolga steht dann ganz im Zeichen eines Veranstaltungsmarathons unter dem Titel „Russland – Russlanddeutsche – Deutschland“. In diesem Rahmen finden drei Festivals statt: das Kulturfestival der Russlanddeutschen „Wir sind Teil deiner Geschichte, Russland! Wir sind dein Volk!“, das Festival der deutschen Kultur und das russisch-deutsche Jugendfestival „Brücken, Liebe und Flugzeuge“.

Uljanowsk im Zeichen der deutschen Kultur

Vom 3. bis zum 12. September wird in Uljanowsk an allen Ecken Deutsch gesprochen. Die Stadt an der Wolga steht dann ganz im Zeichen eines Veranstaltungsmarathons unter dem Titel „Russland – Russlanddeutsche – Deutschland“. In diesem Rahmen finden drei Festivals statt: das Kulturfestival der Russlanddeutschen „Wir sind Teil deiner Geschichte, Russland! Wir sind dein Volk!“, das Festival der deutschen Kultur und das russisch-deutsche Jugendfestival „Brücken, Liebe und Flugzeuge“.

Das Festival ist ein Fest für die Teilnehmer und ein Fest für die Zuschauer. Ein Festival ist, wenn man so will, ein Barometer, das die Lebensqualität der Volksgruppe widerspiegelt, über den seelischen Zustand aussagt“, sagt Peter Warkentin, Hauptregisseur des Festivals der russlanddeutschen Kultur in Uljanowsk im Jahr 2010, und fügt hinzu: Von daher war damals, 1988, das erste Festival der deutschen Kultur so wichtig, so aufregend.“

Dieses Ereignis ist eng mit dem Deutschen Theater in Temirtau (Kasachstan) und seinem damaligen Leiter Jakob Fischer verbunden: Die Idee, das erste Festival der deutschen Folkloregruppen in Temirtau durchzuführen, stammte in erster Linie von ihm. Peter Warkentin, der von 1980 bis 1994 als Schauspieler am Deutschen Theater Temirtau tätig war, erinnert sich: Als Theater, eine geschlossene Gruppe junger, enthusiastischer Künstler, waren wir bereit alles zu unternehmen, um den Zustand unserer Volksgruppe zu erkunden. Wir alle waren damals emotional ziemlich aufgeladen. Bis zum Schluss mussten wir bangen, ob dieses Festival überhaupt stattfindet. Doch es fand statt! Und es war ein großer Erfolg“.

Über die Schwierigkeiten bei den Vorbereitungen zum Festival erzählt Rose Steinmark, damalige Dramaturgin am Deutschen Theater Temirtau: Diese Initiative wurde nicht gleich von den örtlichen Behörden akzeptiert. Das Organisationskomitee des Festivals musste viel Kraft investieren, damit die Parteifunktionäre die Erlaubnis zur Laienkunstschau erteilen. Unsere Überzeugungsversuche hinsichtlich des Kulturerbes der Russlanddeutschen wurden überhaupt nicht wahrgenommen; es wäre besser Theaterstücke zu spielen, anstatt sich mit der Laienkunst abzugeben – hielt der KGB dem Theater unzufrieden vor. Nichtsdestotrotz kämpfte das Theater bis zuletzt um die Genehmigung“.

Nicht alle Laienkollektive haben es geschafft, zum Festival zu kommen. Die Einen saßen bereits im Zug, als sie aufgefordert wurden, umzukehren, den Anderen hatte man noch vor Ort abgesagt. Eine von den Gruppen, die der Einladung folgen konnten, war die Folkloregruppe Morgenrot“ aus dem Dorf Podsosnowo im Altai: Sie kam mit zwei Bussen in der Festivalhauptstadt an, mitten in der Januarkälte. Larissa Schmidt erinnert sich heute: Ich nahm als Tänzerin der Deutschen Tanz- und Gesanggruppe Morgenrot“ an dem 1. Festival der deutschen Kultur in Temirtau teil. Dort begegnete ich zum ersten Mal Jakob Fischer. Er begeisterte damals nicht nur mich, ein ganz junges Mädchen, sondern auch unsere etwas älteren Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Da wo Jakob Fischer war, war es immer sehr interessant. Er kannte alle Lieder unserer Gruppe, sang begeistert mit und begeisterte immer mit seiner außergewöhnlich schönen Stimme. In seiner Gesellschaft waren Spaß, Freude und gute Laune vorprogrammiert. Er kümmerte sich rührend um alle Festivalteilnehmer und war die Seele dieser Veranstaltung“.

Im Rahmen des Festivals fand auch das erste theoretische Seminar statt. In seinem Festivalbericht für Neues Leben“ schrieb Robert Korn: Das vergangene Festival hat viel Stoff zum Nachdenken gegeben. Erstens, es liegt klar auf der Hand, dass für die erfolgreiche Entwicklung der deutschen Laienkunst in unserem Land dringend fachkundige Leiter benötigt werden… Zweitens muss ein Koordinationszentrum für das Zusammentragen, die Bearbeitung und Aufbewahrung des folkloristischen Materials gegründet werden… Drittens müssen derartige Maßnahmen nunmehr zur Tradition werden. Dieser Umstand muss aber nicht nur als Anliegen der entsprechenden Behörden Kasachstans angesehen werden, wo nur die Hälfte aller Sowjetdeutschen lebt, sondern als das des Ministeriums für Kultur der UdSSR, damit sich auch die in anderen Republiken unseres Landes lebenden Sowjetdeutschen an derartigen Veranstaltungen beteiligen können“.

Bald begann Jakob Fischer zusammen mit seinen Kollegen mit den Vorbereitungen zum 2. Festival der deutschen Kultur, das zu einem einmaligen Erlebnis in der Geschichte der Volksgruppe werden sollte: Am Festival, das im Oktober
1990 in Alma-Ata (Kasachstan) stattfand, nahmen etwa 120 Laienkunstensembles teil. Der Andrang war so groß, dass in der Stadt nicht mal alle Teilnehmer untergebracht werden konnten“, so Peter Warkentin.

Im Jahre 1991 übersiedelte Jakob Fischer nach Deutschland. Auch andere Mitarbeiter des Deutschen Theaters begannen, ihre Koffer zu packen. Die von diesen Menschen angeregte Festivalbewegung konnte allerdings nicht mehr gestoppt werden. Die Initiative zur Durchführung des Festivals der deutschen Kultur übernahm der 1991 gegründete Internationale Verband der deutschen Kultur (IVDK). Das erste vom IVDK organisierte Festival fand während des 1. Kongresses der Sowjetdeutschen in Moskau statt (die zweite Etappe war vom 18. bis 20. Oktober 1991). Im Rahmen dieses Festivals der Sowjetdeutschen waren viele Kollektive sowie die Ausstellung Kunst der Russlanddeutschen“, die im Zentralen Künstlerhaus stattfand, zu sehen.


Es folgten weitere – interregionale wie allrussische – Festivals. Am meisten in Erinnerung geblieben sind die folgenden Festivals:
1992 in Wolgograd und in Moskau, 1993 in der Region Krasnodar, 1994 im Gebiet Omsk. Im Jahre 1994 empfingen gleich mehrere Städte in der Wolga-Region die Teilnehmer des Internationalen Festivals der deutschen Kultur. Auf einem Vierdeckschiff machten sich über 300 Teilnehmer auf den Weg – von Moskau nach Samara, dann nach Uljanowsk und danach weiter nach Wolgograd. Das abschließende Galakonzert fand in Saratow statt. Die Teilnehmer hatten die Möglichkeit, sich nicht nur die Städte, sondern auch weitere Ortschaften in den jeweiligen Regionen anzuschauen. Im Gebiet Samara besuchten die Teilnehmer die für Übersiedler aus Kasachstan und Zentralasien gebauten Dörfer Makarjewka, Wysotino und Solowjowo; im Gebiet Uljanowsk waren sie in Bogdaschkino und Oktjabrskij und in Wolgograd fuhren alle zusammen nach Sarepta. Neben Saratow waren die Festivalteilnehmer auch in Engels: Die Stadt war von 1922 bis 1941 die Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik.

Die Erinnerungen an die damaligen Festivals unterscheiden sich. Die Einen erzählen, wie die Einheimischen auf die Festivalteilnehmer in deutschen Nationaltrachten schimpften. Für die Anderen wiederum waren die Veranstaltungen Anlass zur Freude: Sie konnten sich mit Freunden und Gleichgesinnten treffen und austauschen. Die Musik-Ethnografin Elena Schischkina-Fischer war auf dem Festival 1992 zum ersten Mal – als Zuschauerin, zwei Jahre später nahm sie mit ihrem Kollektiv selbst teil. Sie erzählt: Viele Kollektive sahen in Wolgograd 1992 komisch aus. Es war unklar, welche Kleider sie trugen, was sie mit ihrem Repertoire überhaupt repräsentierten. Zusätzlich wurden bloß zwei Genres der Musikfolklore präsentiert: Lyrik- und Tanzlieder. Die Kollektive verstanden damals leider ihre eigenen Texte größtenteils selbst nicht. Hervorragend wirkten nur das Tanzensemble von Julia Antonowa-Hoffmann aus Karaganda und das Deutsche Theater, in dem Peter Warkentin mitspielte. Die Schauspieler des Deutschen Theaters waren in schöne deutsche Trachten gekleidet, sie sprachen schönes Deutsch, spielten kleine Theaterstücke, sangen in vielen Genres. Ich erinnere mich an Jägerlieder… Ich denke, dass die mühevollen Anstrengungen der deutschen gemeinnützigen und russischen staatlichen Organisationen in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Aufschwung der verlorenen Nationalkultur erzielt haben. Heute hat die Erhaltung unserer Kultur einen ganz anderen Stellenwert eingenommen, deswegen ist es nicht korrekt, zu sagen, dass die deutsche Kultur in Russland niedergeht“.


Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts fanden zwei große Festivals statt:
2000 in Moskau und 2004 in Saratow. Das Festival in Saratow war dem 240-jährigen Jubiläum der Gründung der ersten deutschen Siedlungen an der Wolga gewidmet. Interregionale Festivals, vor allem in Sibirien, wo über 50 % der Russlanddeutschen wohnhaft sind, finden jährlich statt und wurden somit zu einem wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens der deutschen Minderheit in der Russischen Föderation. Regelmäßig organisiert auch der Jugendring der Russlanddeutschen allrussische Jugendfestivals der deutschen Kultur Zwischen den Grenzen? Ohne Grenzen!“. Ein Festival bietet eine gute Gelegenheit, um zusammenzukommen und zu schauen, was in der Zeit bereits gemacht worden ist, welches Niveau auf der Professionalitätsskala dieses oder jenes Kollektiv erreicht hat, sowie den seelischen Zustand der Volksgruppe“ (Peter Warkentin) zu messen.

Olga Silantjewa

Rubriken: Veranstaltungen