(gelesen in der Moskauer Deutschen Zeitung, Nr. 7 (302), April 2011) Mitte der 90er Jahre investierte die Bundesregierung zehn Millionen D-Mark in ein Siedlungsprojekt, um Russland-Deutsche von einer Ausreise nach Deutschland abzuhalten. 50 Familien zogen nach Neudorf-Strelna – in der Überzeungung, die Häuser würden bald ihnen gehören. Elf Jahre später warten sie immer noch darauf.
(gelesen in der Moskauer Deutschen Zeitung, Nr. 7 (302), April 2011)
Mitte der 90er Jahre investierte die Bundesregierung zehn Millionen D-Mark in ein Siedlungsprojekt, um Russlanddeutsche von einer Ausreise nach Deutschland abzuhalten. 50 Familien zogen nach Neudorf-Strelna – in der Überzeungung, die Häuser würden bald ihnen gehören. Elf Jahre später warten sie immer noch darauf.
Neudorf-Strelna, einst als deutsche Mustersiedlung nahe St. Petersburg geplant und zur Hälfte gebaut, ist inzwischen zu einem deutsch-russischen Dauerkonflikt angewachsen. Redebedarf gibt es häufig nur auf einer Seite, auf der deutschen. Deshalb begehrten die deutschen Gäste auf, als russische Vertreter bei einem Ministerial-Treffen Anfang April in Moskau vorschlugen, das Thema Neudorf-Strelna beim nächsten Meeting gar nicht erst auf die Tagesordnung zu nehmen. Die Angelegenheit sei abgeschlossen, hieß es. Kopfschütteln bei den Entsandten aus Berlin. Sie baten um Informationen und Zahlen. Die Briefe aus Neudorf-Strelna, die auf dem Schreibtisch des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung landen, klingen nämlich gar nicht nach einer „abgeschlossenen Angelegenheit.“ Darin steht, dass viele Neudorfer für ihre Häuser bereits bezahlt haben. Eine Urkunde, die ihr Eigentum bestätigt, haben sie noch nicht bekommen.
Als der frühere Aussiedlerbeauftragte Horst Waffenschmidt und der St. Petersburger Gouverneur Wladimir Jakowlew 1996 den Grundstein für das Dorf Neudorf-Strelna legten, war die Welt noch in Ordnung. Von einer „Insel der Hoffnung“ war die Rede. Doch die SPD-geführte Bundesregierung stellte zum Beginn des Jahrtausends den Siedlungsbau im Osten ein. Von 170 geplanten Häusern für 1000 Russlanddeutsche wurden 38 Häuser fertig gestellt. Einrichtungen wie ein Begegnungshaus, eine Kirche, eine Schule und russlanddeutsche Betriebe gibt es zwar auf den Entwürfen der Architekten, in der Realität sind sie nie entstanden. Die 50 russlanddeutschen Familien aus Kasachstan, Sibirien und den Norden Russlands, die sich einst gegen über 1000 andere im Auswahlverfahren um einen Wohnplatz in Neudorf-Strelna durchgesetzt haben, fühlen sich hintergangen. Und bis heute ist ihr rechtlicher Status ungeklärt. Manch einer rechnet damit, dass jeden Moment ein Bescheid ins Haus flattern könnte, er müsse in eine städtische Notunterkunft umziehen.
„Die Frage Neudorf-Strelna ist erst dann vom Tisch, wenn jede Familie eine Besitzurkunde für die Häuser und für den Grund und Boden, auf dem sie stehen, besitzt“, sagt Lew Berg. Berg ist Vorsitzender einer Bürgerinitiative in Neudorf. Eine schriftliche Garantie, dass er sein Haus überschrieben bekommt, kann auch Lew Berg nicht vorweisen, das kann keiner der Bewohner in Neudorf-Strelna. „Aber es ist uns damals bei unserem Umzug im Namen der russischen Regierung versprochen worden“, sagt Berg. Dieses Versprechen war eines der ausschlagebenden Gründe dafür, dass sich der Russlanddeutsche vor elf Jahren für Neudorf bewarb. Fünf Häuser sind bislang in an ihre neuen Eigentümer überschrieben worden. „Von Grund und Boden war bis jetzt noch gar keine Rede.“
Seit dem Jahr 2000 gibt es zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass die Bewohner ihr Haus kaufen können. Personen, die in der Sowjetzeit unter Repressionen gelitten haben und Anspruch auf Rehabilitation haben – und dazu zählen die Russlanddeutschen – können ihr Haus für einen deutlich verminderten Marktpreis (rund 3500 Euro) erwerben. Stolpersteine sind geblieben. Zum Teil sind die ersten Bewohner Neudorfs schon verstorben. Nicht alle Familienmitglieder besitzen ein Dokument, das bestätigt, dass sie Angehörige eines Repressierten sind, Rehabilitationsnachweise sind verloren gegangen. Vor zwei Wochen erst schrieben die Bewohner der Neudorfer Zwei-Familienhäuser einen Brief an Präsident Dmitrij Medwedew. Sie befürchten, dass ihnen auf Grund von juristischen Spitzindigkeiten der Erwerb ihrer Doppelhaushälfte verwehrt bleibt.
Die deutsche Seite werde alles daran setzen, dass das Thema Neudorf-Strelne bei den deutsch-russsischen Regierungskonsultationen im Mai auf die Tagesordnung kommt, sagt Alexander Schuhmacher, als Referatsleiter im Innenministerium zuständig für die Russlanddeutschen. Einen Teilerfolg hat die deutsche Delegation während ihres jüngsten Besuches in Moskau erzielt. Die russische Seite hat zugesichert, dass der Erlös aus dem Verkauf der Häuser wieder in die Unterstützung der Russlanddeutschen fließt. Schuhmacher denkt da an soziale Projekte, etwa den Bau eines Spielplatzes. „Anderenfalls wäre das Geld wohl im städtischen Haushalt von St. Petersburg versickert.“ Bei einer anderen Sache kann Schumacher den russischen Gesprächpartnern allerdings nicht folgen. „Das Thema ist für uns erst abgeschlossen, wenn das letzte Haus an seine Bewohner übertragen wurde.“
Neudorf-Strelna, nur wenige Kilometer von der alten Zarenresidenz Peterhof entfernt, bleibt ungeachtet der Querelen ein beliebter Bauplatz – vor allem für St. Petersburger. Rund um die deutsche Siedlung sind in den vergangenen Jahren Vorstadtvillen hochgezogen worden. In der nahen Sonderwirtschaftszone haben sich Bosch und Siemens niedergelassen. Der Wert der Grundstücke hat sich vervielfacht, seitdem die ersten Russlanddeutschen vor elf Jahren in Neudorf einzogen. Lew Berg und seine Mitstreiter haben nichts davon. Sie wohnen weiterhin auf Abruf.
Von Diana Laarz