Dissertation: „Gekommen um zu bleiben – Die Integration von Aussiedlern und ihre Folgen für den Landkreis Emsland“

Etwa zwanzig Jahre nach den ersten großen Übersiedlungswellen der Deutschen aus den Nachfolgestaaten der Sojwetunion nach Deutschland geraten die Themen rund um die Integration der Spätaussiedler immer mehr ins Blickfeld der Forscher. Auch Britta Albers, junge Wissenschaftlerin von der Universität Osnabrück, widmet sich dieser Thematik in ihrer Doktorarbeit „Gekommen um zu bleiben – Die Integration von Aussiedlern und ihre Folgen für den Landkreis Emsland“, wobei sie ihr Augenmerk auf bisher wenig beachtete ländliche Gegenden richtet und dabei die Rolle der Spätaussiedler im kulturellen Leben der Region Emsland untersucht. 

Etwa zwanzig Jahre nach den ersten großen Übersiedlungswellen der Deutschen aus den Nachfolgestaaten der Sojwetunion nach Deutschland geraten die Themen rund um die Integration der Spätaussiedler immer mehr ins Blickfeld der Forscher. Auch Britta Albers, junge Wissenschaftlerin von der Universität Osnabrück, widmet sich dieser Thematik in ihrer Doktorarbeit „Gekommen um zu bleiben – Die Integration von Aussiedlern und ihre Folgen für den Landkreis Emsland“, wobei sie ihr Augenmerk auf bisher wenig beachtete ländliche Gegenden richtet und dabei die Rolle der Spätaussiedler im kulturellen Leben der Region Emsland untersucht.

Von Britta Albers
Universität Osnabrück

Disseration „Gekommen um zu bleiben – Die Integration von Aussiedlern und ihre Folgen für den Landkreis Emsland“

Mehr als zwanzig Jahre sind inzwischen vergangen, als die Zuwanderung von Russlanddeutschen, den so genannten Aussiedlern, nach dem Mauerfall in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte. Im Gegensatz zu anderen Zuwanderungsbewegungen betraf die Aussiedlerzuwanderung vorwiegend ländliche Gebiete, für welche die Integration der Neubürger eine erhebliche Veränderung bedeutete. Allerdings spielt der ländliche Raum in der Migrationsforschung eine bislang nur untergeordnete Rolle, im Fokus stehen die Großstädte und Ballungsräume mit einer Migrantenbevölkerung, die sich in erster Linie auf die Zuwanderung von „Gastarbeitern“ in den 1950er und 1960er Jahren zurückführen lässt.

Unter welchen Bedingungen Zuwanderung und Integration im ländlichen Raum ablaufen, und welche Veränderungen sich für diesen aus der Eingliederung neuer Bevölkerungsgruppen ergeben, war daher auch meine zentrale Fragestellung, mit der ich meine Dissertation im Oktober 2010 an der Universität Osnabrück im Fach Neueste Geschichte begann. Untersuchen wollte ich diese Frage anhand des Landkreises Emsland, wo ich selbst aufgewachsen bin und der besonders von der Aussiedlerzuwanderung in den 1990er Jahren betroffen war. Der Landkreis Emsland zählte, wie auch die benachbarten Kreise Cloppenburg und Vechta, mit zu den zuzugsstärksten Regionen in Niedersachsen, was vor allem auf so genannte Kettenmigrationen der Russlanddeutschen beruht. Dies bedeutet, dass eine Zuwanderung oftmals in größeren Familienverbänden erfolgte und sich an sozialen Netzwerken orientierte. Waren also bereits Bekannte und Verwandte an einem Ort ansässig, war dies ein ausschlaggebendes Kriterium um selbst an diesen Ort zu ziehen, da so gegenseitige Unterstützung möglich war. Andere Kriterien, wie etwa vorhandene Arbeitsmöglichkeiten, spielten demgegenüber eine weniger bedeutsame Rolle. Bis heute kamen etwa 22.300 Aussiedler in das Emsland.

Um aufzeigen zu können, wie sich das Emsland durch die Integration der Russlanddeutschen verändert hat, wählte ich drei Untersuchungsbereiche aus. Zum einen den Bereich „Arbeitsmarkt“, da eine erfolgreiche Integration in Arbeit zentral für eine eigenständige Lebensführung ohne staatliche Unterstützungsleistungen ist, zum anderen den Bereich des „Sports“, da es Sportvereinen vergleichsweise gut gelingt, junge Zuwanderer an sich zu binden, und zuletzt den Bereich der „Kultur“, wo das Emsland ganz besonders neue Impulse in der Musik und im Tanz durch die Zuwanderung von Aussiedlern erfuhr. Ich führte Interviews mit Personen verschiedener Einrichtungen im Emsland durch, wobei für mich besonders das Engagement der Russlanddeutschen in der Region von Interesse war. Aber auch Aktive aus der Integrationsarbeit mit Aussiedlern sollten zu Wort kommen und von den besonderen Herausforderungen ihrer Arbeit in einer ländlich geprägten Region wie dem Emsland berichten.

Die Versorgung der Russlanddeutschen mit Arbeitsplätzen war im Emsland eine zentrale Aufgabe der Integrationsarbeit. Infolge der Zuwanderung waren die Sozialhilfeausgaben, also die Unterstützungsleistungen bei Arbeitslosigkeit, stark angestiegen. Zum damaligen Zeitpunkt hatten die Städte und Landkreise für diese Kosten aufzukommen, denn die angespannte wirtschaftliche Situation hatte zu einem Rückzug des Bundes geführt, was zugleich bedeutete, dass die zunächst umfangreichen Eingliederungshilfen für Aussiedler schrittweise reduziert wurden. Dies betraf auch Maßnahmen wie Sprachkurse oder Umschulungen. Somit hatte der Landkreis Emsland eigene Wege zu entwickeln um möglichst rasch die Aussiedler aus der Sozialhilfeabhängig herauszuholen. Von Vorteil erwies sich hier die Wirtschaftsstruktur des ländlichen Landkreises mit vielen Agrarbetrieben sowie kleineren und mittleren Unternehmen in Handwerk und Industrie. Diese werden oftmals im Familienbetrieb geführt, was eine persönliche Atmosphäre schafft und die Integration erleichtern konnte. Da viele Russlanddeutsche bereits Vorerfahrungen in der Landwirtschaft sowie in Handwerk und Industrie mitbrachten, waren sie gesuchte Arbeitskräfte, wenngleich Umschulungen und Weiterbildungen meist unerlässlich waren. Besonders der Fleiß und Arbeitswille vieler Russlanddeutscher wirkten sich positiv auf ihre Integration aus, auch wenn häufig in der Bundesrepublik nicht wieder an den früheren beruflichen Status angeknüpft werden konnte. Dies betraf besonders hochqualifizierte Personen, deren Qualifikationen in Deutschland aufgrund anderer Arbeitsmarktanforderungen nicht anerkannt werden konnten. Aber auch bietet der Arbeitsmarkt in stark ländlichen Gebieten oftmals keine Berufsmöglichkeiten für diese Arbeitskräfte, so dass viele deutlich unterhalb ihres eigentlichen Qualifikationsniveaus beschäftigt wurden.

Der Sport im Emsland profitierte besonders im Bereich des Wettkampfsports von der Zuwanderung Russlanddeutscher. Dies zeigte sich unter anderem im Fußball, besonders aber auch im Tanz. Die Tanzsportabteilung der kleinen emsländischen Gemeinde Sögel etwa, die sich anfangs überwiegend aus russlanddeutschen Teilnehmern zusammensetzte, nahm Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre erfolgreich an zahlreichen Meisterschaften im lateinamerikanischen Tanz teil. Sie gewann zunehmend auch einheimische Kinder und Jugendliche für diese im Emsland bislang wenig bekannte Sportart. Durch Auftritte in der Umgebung zählte die Tanzsportabteilung mit einem eigens entwickelten Tanztheater auch kulturell als eine Bereicherung. Mit dem Wurfspiel „Gorodki“ kam eine weitere Sportart in das Emsland, die hier bislang unbekannt war. Unterstützt wird diese Sportgruppe durch das bundesweite Integrationsprojekt „Integration durch Sport“, das versucht, Zuwanderer unter anderem durch die Aufnahme von Sportarten aus ihren Herkunftsländern an die deutschen Sportvereine heranzuführen. Die deutschen Vereinsstrukturen sind insbesondere vielen Russlanddeutschen fremd, so dass es hier bis heute einer intensiven Vermittlungsarbeit bedarf.

Als besonders interessant erwiesen sich für meine Arbeit die Veränderungen im kulturellen Leben infolge der Aussiedlerzuwanderung. Dieses war im Emsland bislang eher von traditionellen Angeboten, etwa in der Brauchtumspflege oder im Volkstanz geprägt. Mit den Aussiedlern kamen neue Impulse besonders in der Musik und im Tanz in die Region. Ihren Ursprung hat dies in der hohen Musikalität vieler russlanddeutscher Familien. Musik bedeutete während der Zeit im russischen Reich beziehungsweise den späteren Sowjetrepubliken stets eine Stütze im sozialen Zusammenhalt und ermöglichte es, ein Stück der deutschen Kultur zu bewahren. Vor allem in den ländlichen Gebieten der Sowjetunion, wo die deutsche Bevölkerung vorrangig lebte, konnte das traditionelle deutsche Liedgut, das vor allem über den Gesang gepflegt wurde, aufrecht erhalten bleiben. Auch Instrumente spielten im Leben vieler russlanddeutscher Familien eine wichtige Rolle, gingen jedoch häufig infolge der Deportation 1941 und späteren Umsiedlungen verloren. Später investierten viele Familien in die musikalische Ausbildung ihrer Kinder, wie mir Nelly Heilmann vom Kulturkreis „Impulse“ in der emsländischen Gemeinde Freren berichtete. Frau Heilmann ist ein Beispiel dafür, wie dank der fundierten Ausbildung einer Aussiedlerin ein zusätzliches Angebot in der musikalischen Bildung geschaffen werden konnte, denn im Emsland gibt es nur wenige Musikschulen, die zudem nur in den größeren Gemeinden ansässig sind. Dies bedeutet für die Kinder meist weite Wege und ein wenig flexibles Angebot. Darüber hinaus engagiert sich Frau Heilmann aber auch in einem integrativen Chorprojekt, das eine Brücke zwischen einheimischer und zugewanderter Bevölkerung in der Gemeinde Freren schlagen möchte und sich besonders für die Integration von Aussiedlerfrauen einsetzt. Viele Russlanddeutsche würden auch heute noch Unterstützung brauchen, um sich in Deutschland am kulturellen Leben zu beteiligen und frühere Traditionen aufrecht zu erhalten, so Frau Heilmann. Die Isolation und Unterdrückung der deutschen Kultur hätten nicht nur zum einem allmählichen Verblassen kultureller Bräuche, sondern auch zu einer großen Verunsicherung geführt. Die hohe Musikalität unter Aussiedlern ist auch Teil einer Dauerausstellung im Kulturkreis „Impulse“, welche die Geschichte der Russlanddeutschen anhand des Beispiels der Familie Nelly Heilmanns aufzeigt. In vielen emsländischen Gemeinden gab es zur Zeit der Aussiedlerzuwanderung in den 1990er Jahren kleinere Ausstellungen, etwa in Rathäusern. Doch statt eines nur kurzfristigen Angebotes, das schnell wieder in Vergessenheit gerät, sollte im Kulturkreis eine nachhaltige Ausstellung eingerichtet werden, die nun zunehmend auch das Interesse der einheimischen Bevölkerung weckt. Ein solches Engagement von Aussiedlern und einzelnen Einrichtungen ist besonders bedeutsam, da die zentralen Einrichtungen der ländlichen Kulturarbeit, die vielerorts ansässigen Heimatvereine, sich bislang kaum mit diesem Thema beschäftigt haben. Neben der Musik fiel besonders der Tanz im Rahmen meiner Recherchen ins Auge, da dieser im wesentlich mit der Aussiedlerzuwanderung ins Emsland kam. In verschiedenen Gemeinden entstand nun ein neues Angebot an Tanzschulen, das bislang nur sehr eingeschränkt vorhanden war. Am Theaterpädagogischen Zentrum in Lingen, einer Fachakademie für Theater, Spiel, Tanz, Zirkus und Medien, konnte ein eigener Fachbereich Tanz aufgebaut werden, der von Irina Kempel geleitet wird. Frau Kempel war Solotänzerin am Opernhaus im kirgisischen Frunse und verfügt somit über eine professionelle Ausbildung als Balletttänzerin.

In meiner Arbeit zeigte sich, dass vor allem dem Engagement Einzelner, sowohl aus dem Kreise der Aussiedler als auch der Einheimischen, eine hohe Bedeutung zukommt, damit die Potenziale der Zuwanderer auch genutzt werden. Dies ist typisch für die Integrationsarbeit in ländlichen Gebieten mit insgesamt weniger ausgeprägten Strukturen. Die Aussiedlerzuwanderung bedeutete für viele ländliche Gemeinden, und so auch für das Emsland, zunächst eine Belastung. Weder die örtliche Infrastruktur, noch die Verwaltung konnte einen derartigen Bevölkerungsanstieg zunächst bewältigen. Schulen und Kindergärten mussten erweitert, Arbeitsmöglichkeiten gefunden werden. Für die Russlanddeutschen waren die unbekannten Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik sowie die fremde Sprache eine große Herausforderung. Durch den engagierten Einsatz von Personen in der Politik, der Integrationsarbeit sowie den Vereinen konnten Aussiedler jedoch Schritt für Schritt in die einheimischen Strukturen integriert werden und neue Impulse setzen, durch die eine ländliche Region wie das Emsland zugleich einen gewissen Modernisierungsschub erhielt. Dies hatte sich bereits bei der Integration der Vertriebenen nach Ende des Zweiten Weltkriegs gezeigt. Integration gelingt vor allem dann, wenn unterschiedliche Bevölkerungsgruppen offen aufeinander zugehen und ein Dialog entsteht. So gilt die Aussiedlerzuwanderung mittlerweile auch als ein Gewinn für die Region. Sowohl in der wissenschaftlichen als auch der öffentlichen Diskussion spielt die Integration der Russlanddeutschen mittlerweile kaum noch eine nennenswerte Rolle und gilt als „abgeschlossen“. Doch wurde während meiner Arbeit auch deutlich, dass es nach wie vor Bemühungen um ein gegenseitiges Verständnis und Engagement in der interkulturellen Arbeit bedarf, damit es zu keinem Nebeneinander der Bevölkerungsgruppen kommt.

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