Ein Investor für Asowo: Deutsche Millionen für den deutschesten Teil Russlands

Ein kleiner deutsch-russischer Lichtstreifen am Horizont: Im Deutschen Nationalrajon Asowo wird ein Mittelständler aus Bayern demnächst Holzhäuser für Sibirien produzieren. „Business as usual“ oder Abenteuer? (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 11 (402), Juni 2015). 

Ein kleiner deutsch-russischer Lichtstreifen am Horizont: Im Deutschen Nationalrajon Asowo wird ein Mittelständler aus Bayern demnächst Holzhäuser für Sibirien produzieren. „Business as usual“ oder Abenteuer? (Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 11 (402), Juni 2015).

Schicke Häuser und glatter Asphalt auf den Straßen – ungewöhnliche Spuren der 1990er Jahre in der russischen Provinz. 100 Millionen Euro an deutschen Geldern sind seit 1992 in dieses Fleckchen sibirischer Erde unweit von Omsk geflossen, Bundesmittel, mit denen der gerade erst gegründete „Deutsche Nationalrajon Asowo“ auf die Beine kommen sollte. Die Absicht dahinter: Nachdem sich abzeichnete, dass die Russlanddeutschen nicht auf die Wiederherstellung ihrer Wolgarepublik aus der Vorkriegszeit hoffen können, sollte ihnen zumindest ein kompakter Siedlungsraum mit ordentlicher Infrastruktur angeboten werden.

Zwei solcher mit dem Prädikat „deutsch“ versehenen Gebilde wurden im noch jungen Russland gegründet, in Asowo und ein gutes Stück weiter östlich in der Region Altai. Bis heute leben in ihnen große deutsche Minderheiten – in Asowo versteht sich jeder Fünfte der gut 25 000 Einwohner als deutsch. Jetzt fließen erneut Millionen deutscher Gelder nach Asowo, allerdings als privatwirtschaftliche Investitionen. Ein Mittelständler aus Niederbayern errichtet hier eine Fabrik für technologisch ausgereifte Fertighäuser. Anfang Juni wurde neben einem der gut 20 Dörfer des Nationalrajons der Grundstein für die Fabrik der Wolf System GmbH aus Osterhofen gelegt.

Michael Stadler ist Geschäftsführer von Wolf System. 2013 hatte er mit dem Gouverneur von Omsk eine Vereinbarung für das Projekt geschlossen und danach eine russische Tochterfirma gegründet. Nun soll das Werk nach einigen Verzögerungen bis Ende des Jahres stehen, im Frühjahr will man mit der Produktion der Fertighäuser beginnen.

In Asowo herrscht Euphorie, seitdem Gouverneur Nasarow persönlich das Projekt unter seine Fittiche nahm. Nur dadurch habe es umgesetzt werden können, meint Viktor Sabelfeld, der Leiter des Nationalrajons. Die Aussicht, künftig deutsche Qualität „Made in Asowo“ anpreisen zu können, fügt sich in das Eigenmarketing des Landkreises: „Deutsch“ ist in ganz Russland eine angesehene Marke, und Asowo hat sogar die deutsche Fahne in seinem Wappen. Sabelfeld, der sich demnächst erneut um sein auslaufendes Mandat bewerben muss, schwärmt von den Perspektiven für die deutschen Fertighäuser: Ministerien wie das für Verteidigung oder Katastrophenschutz seien mögliche Abnehmer, dazu Kunden aus ganz Westsibirien und dem benachbarten Kasachstan. „Wenig“ seien angesichts dessen die 200 Häuser, die Wolf System zunächst jährlich in seinem Landkreis produzieren will. „Unsere Gemeinde wird wahrscheinlich nicht viele davon abnehmen können, weil nicht genug Häuser für alle übrigbleiben“, meint Sabelfeld ausgesprochen optimistisch.

Michael Stadler ist nüchterner. Das geplante Werk, in das Wolf System fast drei Millionen Euro investiert, sei für 200 Stück ausgelegt, man müsse aber abwarten, wie viele davon auch verkauft werden können. Bei entsprechender Nachfrage kann er sich einen Ausbau des Werks bis zum Vierfachen der Startkapazität vorstellen. Seine Vorsicht ist verständlich: Seine Firma hat mit Fertighäusern in Russland bisher kaum Erfahrung. Nur 15 davon habe sie bisher in Russland errichtet, sagt er. Und dann muss auch noch der Preis für die Produktion aus Asowo stimmen. Stadler will hier keine „weiteren Zahlen in den Raum werfen“. Etwa 30 000 Rubel für den Quadratmeter Wohnfläche habe im vergangenen Jahr im Raum gestanden, sagt Sabelfeld – beim damaligen Rubelkurs um die 600 Euro. Zu viel, meinten damals Experten. Stadler gibt zu bedenken, dass es viele Faktoren gebe, die auf den Endpreis wirkten. In der Komfort-Ausstattung könne der Preis durchaus auch höher sein, für den sozialen Wohnungsbau werde es eine abgespeckte und kostengünstigere Variante der Häuser geben.

Damit spricht Stadler einen weiteren potenziellen Kunden an: den Sozialstaat. Wie andere Regionen hat Omsk ein Programm aufgelegt, das etwa junge Familien mit Wohnraum versorgen soll. Auch in Asowo gibt es Bedarf – so leben hier immer noch Menschen in Containern, die Anfang der 1990er Jahre von Deutschland als Notunterkünfte bereitgestellt wurden (siehe Beitrag unten). Dass Wolf System jetzt in Asowo investiert, hänge auch damit zusammen, erzählt Sabelfeld. Er habe der Firma angeboten, sich an dem Umsiedlungsprogramm für die Container-Bewohner zu beteiligen. Die Deutschen hätten dann ein komplettes Wohnhaus nach Asowo geschafft, in dem zwei Familien überwintern durften. Im Vergleich zu Häusern „nach traditioneller sibirischer Fertigung“ sei nur die Hälfte an Heizungskosten angefallen. So sei die Wahl auf die Investoren aus Deutschland gefallen.

Auf den ersten Blick scheinen Fertighäuser auch ohne den Staat als Käufer eine interessante Perspektive für die russischen Regionen zu eröffnen. Die Häuser vom Fließband sind in wenigen Tagen bis Wochen errichtet, an verfügbaren Grundstücken herrscht ohnehin kein Mangel, wie übrigens auch an Versprechen der Politik, für mehr bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Eine reizvolle Vorstellung: Man sucht sich ein Stück Land aus und bestellt ein Häuschen von der Stange – schon ist das Wohnproblem gelöst. Doch die Realität ist eine andere. Abgesehen vom Hauspreis gibt es ein entscheidendes Hindernis, sagt Anna Sykowa vom Immobilien-Beratungsunternehmen Omex in Omsk: den Gas- und Wasseranschluss. Anders als der Strom müssten die Rohre aufwendig unterirdisch verlegt werden. Neue Wohngebiete entstünden daher vor allem in größeren Ansammlungen. Immerhin gebe es in der Region Omsk mehrere große Reihenhaussiedlungen, die mit Hunderten Fertighäusern aus Holzpanelen errichtet wurden, berichtet Sykowa. Die Preise dort beliefen sich zuletzt auf 36 000 bis 42 000 Rubel pro Quadratmeter bezugsfertiger Wohnfläche, also durchaus vergleichbar mit den erwarteten Preisen für die deutschen Fertighäuser.

Warum drängt Stadler auf diesen entfernten Markt? Er erklärt seine Entscheidung für Asowo vor allem wirtschaftlich: Sein Unternehmen ist schon in Kaluga präsent und baut von dort zum Beispiel Kuhställe in Sibirien. Der Standort in Asowo könne neben Fertighäusern auch diese Projekte mit Holzteilen versorgen. Und dann habe durchaus auch der deutsche Anstrich des Nationalrajons eine Rolle gespielt, etwa wenn es darum geht, die gut 50 Arbeitsplätze zu besetzten. Zumindest sprachlich würde es keine Barrieren geben, glaubte Stadler damals. Heute räumt er ein, dass er diesen Standortfaktor etwas zu optimistisch eingeschätzt habe.

Aber nicht nur wirschaftliches Kalkül spielte für den Österreicher eine Rolle, der seit 43 Jahren in Deutschland lebt. „Natürlich ist da auch eine gewisse Liebe zu Russland“, gesteht er. Seine Firma habe schon seit Anfang der 1980er Jahre in dem Land Geschäfte gemacht. Was zurzeit in Deutschland über Russland gesagt werde, gefalle ihm nicht. „Wenn ich die Stimmung hier sehe, muss ich sagen, dass ich weitgehend auf der russischen Seite bin.“

Wohnraum extrem: Leben im Container

Made in Germany ist die Containersiedlung im „Deutschen Nationalrajon Asowo“. Vor über 20 Jahren lieferte die deutsche Regierung Wohncontainer, in denen dann russlanddeutsche Übersiedler aus Kasachstan vorübergehend wohnen sollten. Sie sind später fast alle nach Deutschland ausgesiedelt, gut ein Dutzend der Blechquadrate stehen heute noch in der Rajon- Hauptstadt Asowo. Ihre Bewohner warten seit Jahren auf normalen Wohnraum, den die Behörden ihnen versprechen. Im vergangenen Winter sprach die MDZ mit einigen Bewohnern einer Containersiedlung, die – so hieß es damals – auch dank der Häuser von Wolf System aufgelöst werden würde. Nadeschda Iwanowna lebt seit sechs Jahren in einem der deutschen Wohncontainer in Asowo.

Der Blechkasten ist innen überraschend gemütlich. Nadeschda wartet nicht wie ihre Nachbarn auf richtigen Wohnraum, sie ist Eigentümerin und hat daher in ihr 24-Quadratmeter-Haus investiert. Billig kommt aber auch sie nicht davon: Im Winter zahlt sie 6000 Rubel Stromkosten, weil mit Strom geheizt wird – in normalen Einfamilienhäusern mit Gasanschluss betragen die Nebenkosten höchstens 2000 Rubel. Die Rajon-Verwaltung verlangt dafür fast keine Miete: nur 500 Rubel im Jahr. Nadeschda hat den Container als Arbeitslohn erhalten – zwei Monate Bauarbeiten für die Stadt reichten dafür. Auch wenn die Russin wohl niemals in den neuen deutschen Häusern wohnen wird, die künftig in ihrer Nachbarschaft gefertigt werden sollen – auch sie profitiert schon von der ausländischen Investition: Ihr Lebensgefährte arbeitet als Wachmann auf dem Baugrundstück von Wolf System.

Im Winter bleiben die Container zwar warm, wenn man den Strom bezahlen kann, dafür werden die Sommer zur stickigen Hölle. Und auch das Kochen ist dann fast unmöglich. Damit hat sich Nadeschda offenbar abgefunden – und ist offenbar auch noch eine Patriotin geblieben, wovon eine russische Flagge im Container zeugt. „Ich bin Kommunistin“, präzisiert sie. In der Sowjetunion habe sie ein „wunderbarer Leben“ geführt. Nach dem Zusammenbruch sei sie gezwungen gewesen, ihr Haus in einer Nachbargemeinde zu verkaufen – als der Rubel absackte, wurde ihr ein Devisenkredit über 1000 US-Dollar zum Verhängnis.

Bojan Krstulovic
Moskauer Deutsche Zeitung, Ausgabe Nr. 11 (402), Juni 2015

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