Deutsch gehört für viele Menschen in Russland zur gelebten Familiengeschichte. Auf der internationalen Konferenz „Deutsche in Russland: Sprache bewahren – Minderheiten entwickeln“ diskutierten die Teilnehmer, wie man die Sprache und Kultur der Russlanddeutschen zukunftsfähig gestalten kann.
Erhalt, Förderung und Entwicklung der deutschen Sprache und der russlanddeutschen Literatur, Erfahrungsaustausch zwischen öffentlichen Institutionen und Bildungseinrichtungen und die Einführung neuer innovativer Technologien beim Spracherwerb in der Arbeit ethnokultureller Organisationen. Die Fragen, die auf der 6. internationalen Sprachkonferenz „Deutsche in Russland: Sprache bewahren – Minderheiten entwickeln“ Anfang November gestellt wurden, waren ebenso breit gefächert wie wichtig für die Russlanddeutschen und Deutschsprachigen in Russland. Organisiert vom Internationalen Verband der deutschen Kultur (IVDK) und dem Institut für ethnokulturelle Bildung – BiZ diskutierten 250 Teilnehmer drei Tage lang in Arbeitsgruppen über Themen wie Minderheitenschulen, digitales Lernen, frühes Deutschlernen, Literatur der Russlanddeutschen, außerschulisches Deutsch und Deutsch im Beruf.
Ungeachtet aller institutionellen Einrichtungen sei die Familie das wichtigste Instrument für Spracherwerb und -erhalt. Ihr Stellenwert könne nicht hoch genug eingeordnet werden, betonten viele Redner zur Eröffnung der Konferenz. Deutsch müsse als Zweitsprache zur Stärkung der Identität der Russlanddeutschen dienen, lautete eine oft wiederholte Forderung.
Die herausragende Stellung der Sprache als Ausdruck eigener Kultur und Lebensweise erkannte auch Jan Kantorczyk, Leiter der Kulturabteilung der Deutschen Botschaft.
Dabei sei für das Deutsche in den vergangenen Jahren viel getan worden, erklärte Kantorczyk. So habe die Botschaft gemeinsam mit dem Goethe-Institut und dem russischen Bildungsministerium die Initative „Deutsch als erste Zweite“ gefördert. Es gebe in Russland mittlerweile 2000 Schulen, die einen verstärkten Deutschunterricht anbieten. Dies sei vor allem wichtig, da Fremdsprachen nicht nur den eigenen Horizont erweitern, sondern auch die Chancen in Bildung und Beruf deutlich verbessern, so Kantorczyk.
Welche Stellung das Deutsche in der Arbeitswelt deutscher Unternehmen in Russland hat, diskutierten am Abend des 1. November Vertreter der deutschen Wirtschaft und von Kultureinrichtungen unter dem Titel „Deutsch im Beruf“. Hansjürgen Overstolz, Präsident der Bosch-Gruppe in Russland, zeigte sich angetan, dass jeder siebte einheimische Mitarbeiter Deutsch spreche. Und viele davon auf hohem Niveau. Deutsch sei zwar keine Voraussetzung für eine Anstellung beim Mischkonzern. Man würde jedoch Bewerber mit Deutschkenntnissen
bevorzugen, so Overstolz. Sein Unternehmen fördert den Spracherwerb außerdem und bietet seinen Mitabeitern verschiedene Sprachkurse an. Auch Christian Harten, als stellvertretender Geschäftsführer der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer Vertreter vieler deutscher Unternehmer, teilte die Erfahrung, dass man in einem deutschen Unternehmen kein Deutsch können müsse, es aber „ungemein helfe“. Sergej Stortschak, stellvertretender Direktor der Serviceabteilung des Automobillogistikers Avilon versuchte, die Bedeutung von Sprache beispielhaft zu erklären. Man müsse ein Auto in der Sprache reparieren, in der es gebaut wurde, so Stortschak. Damit spielte er auf die kulturelle Komponente des Spracherwerbs an. Ein Punkt, in dem sich alle Wirtschaftsvertreter einig wahren. Für sie stehe die Sprache für das Verständnis einer Arbeitskultur.
Deutsch als Arbeitssprache sei sicher ein Teil der Motivation vieler Lernender, glaubt Ulrike Würz, Leiterin der Spracharbeit des Goethe-Instituts in Moskau. Sie erlebt in ihrem Alltag, dass sich viele Menschen mit Deutschkenntnissen mehr Chancen im Beruf erhoffen. Spezielle Fachkurse möchte das Institut dennoch nicht anbieten, da es dafür zu wenig Interessierte gibt. Wichtiger seien allgemeine Kurse wie „Deutsch am Arbeitsplatz“. Außerdem würden sich immer noch mehr Lernende aus persönlichen Gründen für Deutsch entscheiden.
Ein Problem sieht die Leiterin der Spracharbeit im sinkenden Sprachniveau der Deutschlerner und in der zu geringen Zahl gut ausgebildeter Lehrer. Dies seien Themen, die man angehen müsse, so Würz.
Auch die Arbeitsgruppen konnten zum Ende der Konferenz einen Forderungskatalog vorweisen. So sehen es die Konferenzteilnehmer als zwingend notwendig an, den frühen Spracherwerb für neue Zielgruppen zu öffnen und dabei auf regionale Besonderheiten Rücksicht zu nehmen. Außerdem müssen Lehrer im Bereich „Deutsch im Beruf fortgebildet werden. Weiterhin wird die Schaffung einer digitalen Plattform für ethnokulturelle Programme in der Schule und ein Schulungsvideo, das auf dem Methodenkurs „Deutsch mit Schrumdi“ aufbaut, gefordert.
Der Artikel erschien in der Moskauer Deutschen Zeitung Nr. 21 (58).