Jedes Jahr am 1. Oktober wird auf der ganzen Welt der Internationale Tag der Musik gefeiert. Er wurde 1975 auf Initiative des Internationalen Musikrates der UNESCO gegründet.
Die Helden unseres Artikels wurden Russlanddeutsche unterschiedlichen Alters - diejenigen, die heute in Russland leben und diejenigen, die nach Deutschland auswanderten. Welche Art von Musik ist für jeden von ihnen ein untrennbarer Bestandteil des Lebens? Wie beeinflusst der heutige multikulturelle Raum den Musikgeschmack? Stehen ihnen Lieder auf Russisch oder Deutsch eher seelisch nah? Welche Art von Musik weckt Erinnerungen an das Heimatland? Über all das wird in diesem Artikel gesprochen.
Yulianna Martens (30 Jahre, Berlin)
„Ich liebe Musik nur dann, wenn sie besondere Erfahrungen und Emotionen hervorruft. Ich bin ein absoluter Musikliebhaber. Jeden Tag ändert sich meine Playlist. Unter den klassischen Komponisten liebe ich Bach und Vivaldi und einer meiner Lieblings-Electromusiker ist Ishome. Mir ist wichtig, dass die Musik bis in die tiefsten Tiefen meiner Seele dringt, sodass sich die Gänsehaut auf meinem ganzen Körper ausbreitet. Deswegen höre ich zu 90 % Lieder ohne Text (Ambient, Electro, Techno). Nils Frahm, Burial, Anton Belov und Vacant sind nur ein kleiner Teil. Ich glaube, dass meine Playlisten von 300 bis 700 KünstlerInnen ganz unterschiedlicher Stile und Richtungen umfasst.
Ich erinnere mich noch ganz genau, dass im Alter von 10-11 Jahren die Musik zu einem wichtigen Teil meines Lebens wurde. Ich habe draußen, auf dem Weg zu und von der Schule, immer meinen Player angehabt. Für mich war Musik der Soundtrack des Lebens, als würde die Realität beim Zuhören gemalt werden. Es ist ein Eintauchen in eine andere Welt und diese eine Welt ist oftmals besser als die Realität selbst.
Jeder Teil meines Lebens ist mit diesem oder jenem Lied verbunden. Wenn ich jetzt etwas von vor drei Jahren höre, kann ich vollkommen in die Empfindungen von damals eintauchen. Jedes Ereignis in meinem Leben wird von einem Lied begleitet, welche die Atmosphäre von damals vollständig vermittelt. Ich kann mir ein Leben ohne Musik überhaupt nicht mehr vorstellen.
Niemand hat mich die Musik zu lieben gelehrt. Das war ich selbst. Als Kind spielte ich Klavier, habe dies aber leider aufgegeben. Vielleicht war das auch richtungsweisend für meine Liebe zur Musik. Ich habe seit meiner Kindheit eine starke Liebe zur Orgelmusik und es ist genau das, was die stärksten Emotionen in mir hervorruft. Seit meiner Kindheit habe ich auf die besonderen Übergänge in den Kompositionen geachtet und nur eine Note oder ein Akkord konnte mich im positiven Sinne verrückt machen.
Es ist so passiert, dass ich keine Vorstellung eines Heimatlandes habe. Ich bin in einem Land geboren worden, lebte dann in einem anderen und lebe jetzt in einem ganz anderen. Und keines von diesen Ländern ist für mich das Heimatland. Die Heimat ist unsere Welt im Ganzen. Es ist eine Welt mit der gleichen Luft überall. Das Lied „Paradise“ von Coldplay ist ein Lied, welches mehr oder weniger meine Liebe für unseren Planeten vermittelt“.
Vitalij Brodhauer (42 Jahre, Berlin)
Vitalij wurde in Kasachstan geboren, mit 14 Jahren zog er mit seinen Eltern in die Ukraine und mit 21 Jahren verließ er das Land, um in Moskau beim Jugendring der Russlanddeutschen unter der Leitung von Olga Martens zu arbeiten. Heute lebt Vitalij in Berlin bei der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Minderheiten bei der FUEN.
„Meine Lieblingskomponisten und -interpreten sind Bedřich Smetana, Dmitri Schostakowitsch, Antonín Dvořák, Conchita Wurst, Jamala, Julia Neigel und Taisija Powalij. Oft höre ich die Lieder „1944“ und „Балада про мальви“ in verschiedenen Variationen von Jamala sowie das Lied „Ich wünsche dir Liebe ohne Leiden“ von Udo Jürgens. Die Musik tauchte bewusst in meinem Leben in der frühen Kindheit auf, da meine Großmütter – sowohl die ukrainische als auch die deutsche – sangen sehr oft mit einer schönen Stimme. Mein Musikgeschmack formte sich durch meine Familie, meine Schule, das Theaterstudio und das Leben in der Ukraine. In meiner Playlist befinden sich sowohl viele ukrainische als auch deutsche Lieder. Meine Lieblingslieder über die Heimat sind „Волга“ von Ljudmila Sykina und „Мама-мамочка“ von Taisija Powalij. Heute ist die Musik beim Joggen sowie unterwegs dabei, und manchmal höre ich auch abends viel, wenn die Seele danach ruft“, sagt Vitalij.
Wir haben die Lieblingslieder der emigrierten Russlanddeutschen in der Playlist gesammelt.
Nina Henkel (18 Jahre, Omsk)
Nina wurde in Bremerhaven an der Nordsee geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie in Deutschland. Sie ging dort in den Kindergarten, zur Schule, besuchte Kurse und Tanzunterricht. Im Jahr 2015 zog Nina mit ihren Eltern nach Russland in die Region Omsk. Deutsch ist ihre Muttersprache. Sie hat sie seit ihrer Kindheit gesprochen, jedoch fiel ihr Russisch etwas schwerer, obwohl Nina es schon seit dem Kindesalter versteht.
„Deutsche Lieder gehören zu meiner Lieblingsmusik. Darunter fallen die SängerInnen Pietro Lombardi, Luca Hänni und Helena Fischer. Sie füllen zum größten Teil meine Playlist. Die Musik wurde zum Teil meines Lebens, als ich mit fünf Jahren angefangen habe, den Tanzunterricht zu besuchen. Da wurde mir klar, dass die Musik für immer bei mir bleibt. Meine musikalischen Vorlieben sind Pop und Latino. Sie sind mit dem Tanz verbunden und sobald ich ein Lied höre, fange ich sofort an zu tanzen. Meine Familie schenkte mir die Liebe zur Musik. Mein Großvater sang und spielte gut Gitarre, und meine Mutter singt schön. Mein Lieblingslied über die Heimat ist „Домик окнами в сад“ von den Brüdern Radtschenko“.
Alexander Erlich (46 Jahre, Sankt Petersburg)
Alexander ist Regisseur, Schriftsteller, Schauspieler im Theater und Kino sowie Liedermacher.
„Ich kann alle Musikrichtungen hören, aber wenn ich jemanden aus einer anderen Galaxie von der Musik der Erdlinge erzählen müsste, dann wären es Klassik, Jazz und Blues. Zu den Lieblingen gehört Bach sowie auch die Impressionisten Maurice Ravel und Claude Debussy. Ich liebe mittelalterliche deutsche Musik, wie die von Konrad Paumann. Ich besitze zwei Kompositionen von Bach, die ich als meine eigenen betrachte: „Choralvorspiel in f-Moll“ und „Partita Nr. 2 d-Moll für Violine solo, BWV 1004 - 3. Sarabande“. Obwohl ich schon als Kind zu spielen begann, wurde mir die Musik erst mit dreißig Jahren bewusst, nachdem ich meine Regieausbildung absolviert hatte. Nach meinem Verständnis ist der Musikgeschmack untrennbar mit der allgemeinen kulturellen Ebene eines Menschen, seiner Weltanschauung im Allgemeinen und der Richtung seiner spirituellen Bestrebungen verbunden. Dadurch wird bestimmte Musik für ihn ein Spiegelbild davon.
Mein Lieblingslied über die Heimat ist „Тёмная ночь“.
Die Liebe zur Musik habe ich schon lange. Noch vor der Schule hatte ich einen Freund (Artur) in der Gemeinschaftswohnung und im Kindergarten. Er war ein paar Jahre älter als ich und spielte Akkordeon. Auch spielte er auf Festen im Kindergarten. Ich selbst schaute nur fesselnd zu und dachte nicht daran, jemals das Spielen eines Akkordeons zu beherrschen. In der zweiten Klasse jedoch hörte ich nach dem Unterricht Musik und öffnete die Tür eines kleinen Zimmers neben der Sporthalle. Dort saß ein Junge, der kaum hinter einem Akkordeon hervorschaute, sowie ein imposanter Lehrer. Seitdem verliebte ich mich in das Akkordeon und meine Großmutter kaufte mir von ihrer Rente eines der besten sowjetischen Akkordeons „Заря-2“. Ich habe es immer noch, jedoch benötigt es ein paar kleine Reparaturen.
Mit 13-14 Jahren spielte ich das erste Mal Gitarre. Es war genau das, was Mädchen gefiel. Ein Akkordeon war in dem Fall nicht gut genug. Und auch hier war Artur der erste, der anfing Gitarre zu spielen. Er war ein Perfektionist und nahm akribisch Solos verschiedener Rock-Bands auf. Wir hatten einige Jahre ein Hofduett: Artur spielte Solo und ich war für den Rhythmus und Gesang zuständig. Einen besonderen Erfolg hatten wir durch die Lieder von „Kino“ und „Nautilus Pompilius“. Heute noch singe ich sehr gerne das Lied „Пачку сигарет“. Nach der Jugend verschwand die Musik für eine lange Zeit aus meinem Leben. Oder besser gesagt, hab ich sie verlassen. Die Gründe sind banal und zu prosaisch. Erst mit dreißig Jahren nahm ich wieder meine Gitarre und einige Jahre später das Akkordeon in die Hand. Danach fing ich langsam an, Lieder zu schreiben“, erzählt Alexander.
Das Album „Элегия mit den Liedern von Alexander Erlich hören Sie sich hier an.
„Es gibt eine lustige Tatsache über die Liebe zur Gitarre. Eines meiner Lieder aus dem Album handelt von dieser Liebe. Die Frauen jedoch hören in ihr die Liebe zur Frau. Ich werde ihre Ansicht nicht ändern“, belächelt Alexander.
Arnold Rainik (71 Jahre, Perm)
Arnold ist Choreograf, Gründer des deutschen Kindertanz-Theaters „Ljallen“ und Vorsitzender der Künstlervereinigung der Russlanddeutschen.
„Mein Verhältnis zur Musik ist kompliziert. Erst mit 26 Jahren konnte ich auf mich selbst acht geben und mich mit der Struktur der inneren Welt auseinandersetzen. Ab dem Alter von 16 Jahren arbeitete ich, um meine Familie – zwei Brüder und unsere Mutter – zu ernähren. Nach dem Dienst in der Armee trat ich in die Regionale Hochschule für Kultur und Bildung in Tjumen ein. Im ersten Jahr wurden uns die Grundlagen der Musik beigebracht. Damit hat alles angefangen. Ich muss zugeben, dass ich bis zu diesem Zeitpunkt glaubte, dass die Menschen symphonische Musik nur um des Äußeren willen hören und damit der Mode Tribut zollen. Nach meinem ersten Jahr hatte ich ein Praktikum in einem kleinen Dorf, und jeden Abend legte ich Tschaikowskys „Schwanensee“-Platte auf und versuchte, die wahre Musik zu verstehen. Schließlich fing ich an, nur klassische Musik zu hören! Danach erhielt ich eine Platte von Beethoven. Ich hatte Angst, mich ihr zu nähern, weil ich wusste, dass das Gleiche wieder passieren würde. Jedoch geschah ein Wunder: Von den ersten Akkorden an schmolz ich dahin und vergaß meine Existenz. So fand ich meine Musik und meinen Lieblingskomponisten.
Mir gefallen Lieder mit Sinn. Die Kunst muss tief sein und Neues entdecken. Mir gefällt zum Beispiel das gleichnamige Lied über die Heimat „Родина“. Zusammen mit meinen Studenten im Theater tanzten wir einen Tanz zu diesem Lied“, erzählt Arnold.
Was hören heutzutage die Russlanddeutschen? Die Lieblingslieder sind in unserer Playlist.
Künstlervereinigung der Russlanddeutschen
In der sozialen Bewegung der Russlanddeutschen entstand die Kreative Vereinigung, die zusammen mit anderen eine musikalische und choreografische Richtung entwickelt. Die Künstlervereinigung der Russlanddeutschen verbindet Künstler der klassischen und modernen Musik, Vokalgruppen der Folklore und des Pops sowie Tanzgruppen, DJs, Entertainer, Drehbuchautoren, Regisseure und Moderatoren von Massenveranstaltungen.
Eines der jüngsten Projekte, „Kreativ-Akademie für junge Russlanddeutsche“, weckte bei den Teilnehmern besonderes Interesse an der musikalischen Richtung. 21 Personen aus Moskau, Pjatigorsk, Omsk, Tjumen, Kaliningrad, Toljatti, Orenburg, Kaluga, Sankt Petersburg, Jekaterinburg, Engels, Tomsk und anderen Städten Russlands nahmen an dem Projekt teil, das vom 24. bis 27. September stattfand.
Maja Schulz, Teilnehmerin der Kreativ-Akademie: „Die Aufgabe für die Teilnehmer der musikalischen Richtung der Akademie bestand darin, ein eigenes Lied zu schreiben. Ein Lied ist das Werk von weit mehr als einer Person. Als Ergebnis erstellten wir Demoversionen von sechs Liedern: eine individuelle und gemeinsame Arbeit in russischer und deutscher Sprache. Die Ergebnisse unserer Arbeit finden Sie in der Gruppe der „Avangarde“ in VKontakte. Wir verfolgten das Ziel, das etablierte Team innerhalb und außerhalb dieses Projekts zu vereinen und mit ihm zu kommunizieren. Dies hat bei uns funktioniert. Die Musik hat uns verbunden!“.