Die Zeit der Jugend


Ihr kennt noch nicht ihre Namen? Dann lernen Sie sie jetzt kennen! Sie sind talentiert und ambitioniert, und trotz ihres jungen Alters haben sie schon einige Höhen erreicht, denken aber nicht daran, dort stehen zu bleiben.

Zum Neujahr erzählen wir Ihnen von Vertretern der neuen Generation der Russlanddeutschen, die „coole Dinge machen“: Sie veranstalten überwältigende Aufführungen, drehen konzeptionelle Videoclips, leiten ein Symphonieorchester und entwerfen Kleiderkollektionen im Ethno-Stil.

RD: Das Theater „Mimikrija“ kann als ein Phänomen in der Jugendtheaterkultur bezeichnet werden. Längst ist es auch außerhalb von Tjumen bekannt, und das nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland. Wie hat alles angefangen?

M. S.: Es begann so, wie es beginnen sollte. Genau zur gleichen Zeit und am gleichen Ort trafen sich die Menschen, die sich auch treffen sollten. Angefangen haben wir als Studententheater mit Miniaturen der Estrade, aber sehr schnell, am Ende des ersten Studienjahres wurden wir schon zum Theater „Mimikrija“. Dies geschah zweifellos dank des Traums unserer Regisseurin Ljubow Leschukowa vom Theater. Für uns damalige Studenten war es ein großes Abenteuer, das sich schnell zu etwas wirklich Bedeutendem entwickelte. In der Anfangsphase haben wir ausschließlich mit der Plastik und Pantomime gearbeitet. Es kam dazu, weil unser Regisseur bei Ilja Rutberg, dem Guru der Pantomime, studiert hat, das heißt, dass wir keine andere Möglichkeit gehabt haben. (Lacht). Auf eine gute Art und Weise versteht sich, denn wir wurden buchstäblich davon energisch aufgeladen. Daher ist in erster Linie die Plastik unser Verständnis des Theaters. Aber später, als uns die Plastik nicht mehr reichte, haben wir angefangen, es mit anderen Theatergenres zu kombinieren. Dann trat das Straßentheater in unser Leben und eröffnete uns neue, unerforschte Horizonte, die wir bis heute noch erforschen. Wir waren schon immer ein unabhängiges Theater, das sich eigene Aktivitäten schafft, daher gab es keine Möglichkeit, auf Tournee zu gehen oder zu reisen. Da wir nirgendwohin fahren konnten, kam uns die Idee auf, dass wir es den Leuten ermöglichen mussten, zu uns zu kommen. So entstand das internationale Straßentheaterfestival „Straßenträume“ und später das Jugendtheaterfestival „Revolution des Theaters“.

RD: Das von Ihnen inszenierte Stück „Onegin. Eine Sammlung von bunten Kapiteln“ hat am Festival „Revolution des Theaters“ teilgenommen und den Preis für „das beste Schauspielerensemble“ gewonnen sowie das Finale des Wettbewerbs um den nach S. Scheleskin benannten Theaterpreis erreicht. Warum haben Sie sich entschieden, Klassik zu spielen?

M. S.: In der Tat folgen unabhängige Theater wie das unsere oft dem Weg neuer Perspektiven. Wir hatten die Möglichkeit, am Wettbewerb um ein Zuschuss zur Finanzierung der Inszenierung teilzunehmen. Das Thema war die russische Klassik und klassischer als Puschkin geht nicht... Deswegen haben wir uns für Eugen Onegin entschieden. Und um ehrlich zu sein, hat sich seitdem meine Einstellung zu Puschkin dramatisch verändert. Vorher sah ich ihn als das „Goldene Zeitalter der russischen Poesie“ mit seinen hochtrabenden Silben und romantischen Versen. Aber im Gegenteil haben wir durch ihn vieles Neues für uns entdeckt... Wie viel Humor und Spiel in seinen Texten sind und so viel Theater. Im Allgemeinen hat seine Einstellung zum Theater den Stil und das Genre der Aufführung weitgehend vorgegeben. Das Theater von Puschkin ist spielerisch und offen. Somit haben wir ein Theater im Theater. Im Allgemeinen lieben wir diese Inszenierung gerade für diese Qualitäten, dass man im Inneren herumalbern und auch Witze machen kann, was Puschkin selbst so wunderbar gemacht hat.

RD: Sie haben den Preis „TEFI-Region“ für Ihren Film „Der zufällige Walzer“ gewonnen. Erzählen Sie ein wenig über dieses Projekt. Welche Emotionen haben Sie bei der Entgegennahme der Auszeichnung erlebt und was bedeutet sie für Sie?

M. S.: Der Film „Der zufällige Walzer“ ist den Liedern gewidmet, die mit dem Großen Vaterländischen Krieg verbunden sind. Die Handlung spielt in einer modernen Stadt während der Vorbereitung auf die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges.

Der Produzent unseres TV-Senders nahm den Preis für den Film entgegen. Ich selbst war bei der Zeremonie nicht anwesend. Aber natürlich gab es trotzdem eine Menge Emotionen. Es war unser kleiner Sieg und ein Hauch von Zufriedenheit – ein weiterer schöner Bonus, dass alles funktioniert hat. Der „TEFI“ steht bei uns allein im Büro und schreit förmlich: „Ich fühle mich hier einsam“.

RD: Ihre Vorfahren waren Wolgadeutsche. Was ist die Geschichte Ihrer Familie?

M. S.: Ich bin eine Russlanddeutsche väterlicherseits. Seine Eltern und seine Familie wurden aus dem Wolgagebiet deportiert. Mein Großvater war während des Krieges in der Arbeitsarmee und meine Großmutter blieb hier mit den Kindern. Ich denke, dass viele Geschichten ähnlich sind, denn jeder hat ungefähr die gleichen Torturen durchgemacht. Aber das Wichtigste ist, dass sie überlebt haben und gute Menschen geblieben sind.

RD: Wann haben Sie sich dazu entschieden, Designerin zu werden?

J. M.: Ich zeichne schon solange ich denken kann, seit ich ein kleines Mädchen war. Meine Mutter brachte mich immer zu einem Zeichenkurs im Palast der Kreativität in Petrosawodsk. Dann bin ich in die einzige Kunstschule der Stadt gegangen, in die Fachrichtung für bildende Kunst und beendete dort zeichnend 10 Klassen. Bei meinem Schulabschluss wurde mir die Frage gestellt: „Was willst du werden?“. Ich antwortete: „Designerin“. Meine Antwort wurde auf Video aufgezeichnet, wenn ich mich recht erinnere. Es wäre interessant gewesen, sie zu sehen, jedoch habe ich die Aufnahme dieser Veranstaltung verloren.

RD: Sie arbeiten in der Richtung des ethnischen Designs. Warum ist das Ihrer Meinung nach jetzt sehr in Mode und gefragt? Wie halten Sie die Balance zwischen Tradition und Aktualität?

J. M.: Das Weltkulturerbe in den Künsten, sowohl global als auch lokal, ist von großer Bedeutung für unsere Zukunft. Ich bin inspiriert von dem menschlichen Genie aller Zeiten und Völker aller Traditionen der Welt. Die Tradition wiederzubeleben ist für mich das Interessanteste. Zu sehen, wie sie sich in unseren Raum und unsere Zeit eingefügt hat. Ich bin gegen karikierte Traditionen in einer Vitrine hinter Glas oder in einem Souvenirladen. Für mich fließt die Materie — die Information — frei von einer Form zur anderen, von einem Zustand zum anderen, wobei sie ihre Funktionen und Bedeutungen ändert.

RD: Erzählen Sie uns ein wenig über Ihre Marke „Design und Handwerk“.

J. M.: Die Marke wurde 2017 von mir gegründet. Die Idee war, ein einzigartiges Design auf der Grundlage von Traditionen mit der Einbeziehung von viel Handarbeit zu schaffen. Am Anfang hatte ich Projekte zur Erneuerung der karelischen, pommerschen und wepsischen Traditionen. Im Jahr 2019 habe ich begonnen, mich über deutsche Traditionen zu erkunden und auch zu interpretieren, da dies nah an meinen Wurzeln ist. Ich bin Karelierin und Russlanddeutsche. Mit Lada Dymkina, einer karelischen Modedesignerin, wurden wir Partner, da wir der gleichen Philosophie folgen, dass modernes Design ein sinnliches Design ist, das dem alltäglichen einen Schritt voraus ist. Zusammen mit Lada haben wir bereits mehrere Kollektionen für die Marke „Design und Handwerk“ produziert, die auf der Wiederverwertung und Verschmelzung von nordischen und europäischen Traditionen basieren.

RD: Kennen Sie die Geschichte Ihrer deutschen Herkunft? Was bedeutet es für Sie, eine Russlanddeutsche zu sein?

J. M.: Ich bin Karelierin und Russlanddeutsche. Ein Familienzweig stammt von den Kareliern-Olonetzen aus dem Dorf Sona des Kreises Prjaschinsk. Meine Vorfahren des anderen Zweiges kamen unter Katharina der Großen aus Holland nach Russland. Die Art und Weise, wie ich denke, kommt sowohl vom karelischen Weltbild, das die Natur vergeistigt, als auch von der rationalen protestantischen Denkweise der Deutschen.

RD: Warum wird der Beruf als Dirigent immer noch traditionell als ein Männerberuf angesehen? Warum gibt es nicht so viele Frauen, die in diesem Bereich erfolgreich sind? Was sind die Schwierigkeiten? Und wie schwierig ist es für eine Frau, sich in diesem Bereich durchzusetzen?

D. G.: Diese Frage wird mir oft gestellt. Die Antwort darauf ist ganz einfach. Das ist eine reine Genderfrage. In Russland gibt es zwar weniger Dirigentinnen, aber mit jedem Jahr werden es mehr und mehr. Ein Dirigent ist in erster Linie ein Leiter. Ich kenne gleich viele gute und schlechte männliche Dirigenten. Und so ist es auch bei den Frauen.

Man muss so überzeugend sein und so interessante Dinge anbieten, dass alle anderen Musiker, die auf ihrem Gebiet sehr kompetent sind, innerlich denken müssen, dass das, was man anbietet, die beste Option ist. Musiker sollten dem Dirigenten wie einem Kriegsherrn folgen. Man muss viel wissen und viel können.

RD: War es ein Kindheitstraum, Dirigentin zu werden?

D. G.: Ich komme nicht aus einer musikalischen Familie. Als Kind bin ich nicht in die Philharmonie gegangen, habe nicht viel klassische Musik gehört und hatte wenig Ahnung, wer ein Dirigent ist. Aber von klein auf träumte ich davon, Musikerin zu werden. Zwei Dinge mochte ich von Kindheit an: Ich mochte Musik und ich mochte das Leiten, und zwar Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen.

RD: Sie dirigieren große Orchester in einem relativ jungen Alter. Wie kann Harmonie in der Arbeit erreicht und Konflikte vermieden werden und wie etabliert man sich im Team auf die richtige Art und Weise?

D. G.: Als Dirigent muss man von Anfang an als Musiker reif sein. Du machst in jungen Jahren deinen Abschluss an einem Konservatorium und gehst zu Musikern, die doppelt so alt sind wie du und sie müssen dich akzeptieren. Du kannst sie nicht dazu bringen, dass sie dich respektieren oder dir zuhören. Wichtig ist hier der Respekt vor den Musikern und ein gewisses Vertrauen.

Meine Musiker wissen, dass ich mich immer für sie einsetzen werde. Auf der einen Seite bin ich eine strenge Leiterin und kann hart sein, wenn es um Leistung geht, aber wenn es um Kommunikation geht, bin ich ein ganz einfacher Mensch.

RD: Sie haben das Orchester „Neues Moskau“ gegründet. Wie kam es zu der Idee und dem Entschluss, etwas „Eigenes“ zu schaffen?

D. G.: Das Orchester wurde auf der Grundlage des Moskauer Jugendorchesters gegründet. Die Geschichte der Gründung ist ganz einfach. Im dritten Jahr des Konservatoriums stand ich vor einer Situation, in der ich Praxis und Kontakt zu Musikern brauchte. Ich ging durch das Konservatorium und sprach buchstäblich Studenten in den Gängen an. Einige von ihnen wandten sich ab, und einige hörten zu. Wir haben geprobt und das erste Konzert gespielt. Zu meiner Überraschung erhielt ich ein angenehmes Feedback. Dann habe ich ein weiteres Konzert gegeben. Dann noch eins und noch eins. Ich verstand, dass schon eine ganze Menge Arbeit geleistet worden war und es eine Gruppe von Musikern gab, die es gewohnt waren, mit mir zu spielen. Heute machen wir eine Menge experimenteller Projekte und arbeiten mit Regisseuren zusammen. Wir haben mehrere Opern gespielt und sehr gute Kritiken bekommen. Wir versuchen zu experimentieren und die Entwicklung des Orchesters in ganz unterschiedlichen Genres zu sehen. Ich habe eine Vorliebe für Dinge, die mehrere Genres aufweisen.

RD: Erzählen Sie uns von Ihren deutschen Wurzeln. Half Ihnen Ihre Nationalität im Beruf?

D. G.: Mütterlicherseits haben wir zwei deutsche Familien. Es sind die Familie Gofman und die Familie von Klotz, die nach Russland gezogen sind. Einerseits muss man sich natürlich an seine Wurzeln erinnern und in bestimmten Momenten ist es wichtig, sich einer bestimmten Familie zugehörig zu fühlen. Das kann helfen und ein gewisses Vertrauen geben. Aber insgesamt denke ich, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn diese Grenzen verwischt werden würden. Eines der Ziele von Musik ist es, Menschen zusammenzubringen.

RD: Wann haben Sie zum ersten Mal eine Kamera in die Hand genommen und wann haben Sie beschlossen, dass es Ihr Ding ist?

M. M.: Vor ein paar Jahren, als ich endlich davon überzeugt war, dass es mir gefällt und ich es ein Leben lang machen will, habe ich mich entschlossen, an der Moskauer Filmschule zu studieren. Davor war es nur ein Hobby, zu dem ich mich von Zeit zu Zeit hinreißen ließ. Es gab Zeiten, in denen ich nicht filmte und die Kamera verstaubte, und Zeiten, in denen ich jeden Tag filmte.

Alles begann dadurch, dass mein Vater eine professionelle Kamera hatte und einmal beschloss ich, sie mit zu einer Veranstaltung zu nehmen. Es war das Jahr 2012. Ab diesem Moment hat alles angefangen. Einmal pro Woche habe ich kleine Videos gefilmt. Jetzt drehe ich schon seit acht Jahren.

RD: Sie haben schon einige Videos für junge russische Rapper gedreht. Was ist Ihr Interesse an dieser Arbeit, was ist ihre Besonderheit und was halten Sie von diesem Beruf?

M. M.: Ich bin kein Fan von russischem Rap oder Rap im Allgemeinen, aber ich verstehe, dass es eine aktuelle Kultur ist und es gibt nicht viele Leute, die diese Kultur besonders gut filmen. Wahrscheinlich versuche ich, etwas Anderes zu machen, etwas kinoreiferes, denn viele Leute, die Musikvideos für russischen Rap drehen, haben keine Ausbildung. Somit wird ausprobiert, wobei sie sich auf ihre Erfahrung verlassen, und deswegen sieht es nicht immer gut aus. Die musikalische Richtung ist mir eigentlich egal. Mir gefällt es einfach, Musikvideos zu drehen, weil man seine visuelle Energie in einer kurzen Zeitspanne konzentriert. Und das was rauskommt, ist ein vollständiges Produkt. Man steckt alles in ein einziges Video. Ich mag superkurze Formen, vor allem Clips, weil man nicht auf etwas beschränkt ist.

RD: Sie filmten die Werbung für Calvin Klein. Wie sind sie auf dieses Projekt gestoßen? Welche Eindrücke sind geblieben?

M. M.: Meine Kandidatur wurde den Kunden aufgrund von Budget, Fähigkeiten und meiner bisherigen Arbeit empfohlen. Alles war schon von Anfang an fertig. Deswegen kam ich zu einem schon fertigen Projekt. Wir mussten uns nur technisch vorbereiten und das drehen, was uns vorgeschlagen wurde. Es gab also keine besonders kreativen Momente, jedoch ist das Projekt in jeder Hinsicht sehr interessant, und wir haben es mit Bangen behandelt.

RD: Was inspiriert Ihre Kreativität?

M. M.: Manchmal sitze ich zu Hause und sehe das Licht, das aus dem Fenster kommt, oder die Sonne, die über dem Horizont untergeht und die Sonnenstrahlen, die in den Raum strömen. Es inspiriert mich, und ich erinnere mich immer wieder an diese Gefühle, denn diese Gefühle verwende ich später in meinen Aufnahmen.

RD: Half Ihnen die deutsche Nationalität und Familie in Ihrer Karriere?

M. M.: Sie half und störte nicht. Das Einzige ist, dass mein Vor- und Nachname sofort in Erinnerung bleiben, weil er ungewöhnlich klingt.

RD: Haben Sie selbst deutsche Charakterzüge?

M. M.: Ja. Das hängt damit zusammen, dass ich zwei Jahre in Deutschland gelebt habe. Es war zwar in meiner Kindheit, aber es hat mich wirklich beeinflusst: meinen Charakter, meine Erziehung und meine Einstellung zu einigen Dingen im Leben.


Das Team von RusDeutsch wünscht unseren Helden frohe Feiertage und kreative Siege sowie neue herausragende Projekte im kommenden Jahr.

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