Wie fühlt man sich, wenn man in der undurchdringlichen Dunkelheit allein gelassen wird und sich die Grenze zwischen Himmel und Erde auflöst? Welche philosophischen Gedanken und Einstellungen zu Schwierigkeiten werden durch das Reisen geprägt? Wie hat ein Ersatzteilgeschäft in Deutschland dazu inspiriert, eine eigene Fahrradwerkstatt zu gründen? Über die Reise, Risiken und Entdeckungen, das Geschäft als Seelenheil, deutsche Wurzeln, die Tochter und vieles mehr im Gespräch zwischen zwei Reisenden.
Heute ist er Inhaber einer Fahrradwerkstatt, Erfinder von selbst gebauten Rollern, Motorrädern und Fahrrädern sowie Gründer der Produktionslinie, die das italienische Gegenstück in der Fabrik ersetzt. Ein Motorradtourist, der kürzlich 3.300 Kilometer in einer indischen Autorikscha durch Russland und die Mongolei gefahren ist. Geplant ist auch die Wüste Gobi. Er ist ehemaliger regionaler Koordinator des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur in Ostsibirien und im Fernen Osten, Tramper und Rollenspieler. In der Zukunft vielleicht ein „mürrischer“ Lehrer für russische Sprache und Literatur. All dies beschreibt den Helden unseres neuen Interviews, Iwan Koch: ein Russlanddeutscher aus dem Gebiet Krasnojarsk.
Was ist ein Tuk-Tuk?
Es ist ein dreirädriges motorisiertes Fahrzeug, das in Südostasien sehr beliebt ist. Normalerweise ist an einem Tuk-Tuk ein Fahrgastraum angebracht. Aber sie sind in Russland nicht zugelassen, also habe ich eine motorisierte Cargo-Rikscha aus Indien bestellt. Ich habe nur minimale Wohnbequemlichkeiten in die Karosserie eingebaut und auf der Reise habe ich darin gelebt, geschlafen und gekocht. Er beschleunigt nur auf 40-45 km/h. Das Ding ist natürlich ungewöhnlich für unser Land. Überall, wo ich anhalte, kommen Männer auf mich zu und sagen: „Oh, das ist doch unsere ‚Ameise‘!“. Wir alle kennen noch aus unserer sowjetischen Kindheit die dreirädrigen Motorroller „Murawej“ (dt.: Ameise), mit denen die Coolen durch die Stadt cruisten. Aber dies ist ein anderes Fahrzeug. Ich hatte auch ein „Murawej“, aber es wäre zu mühsam mit ihm zu reisen. So sah mein schönes Fahrzeug aus (zeigt ein Foto). Ich habe ihn an jemanden in Moskau verkauft und jetzt ist er irgendwo dort unterwegs.
Was hast Du sonst noch in Deinem Arsenal und auf Deiner Liste der von Dir meistgeliebten Fahrzeuge?
Nun, motorisierte Fahrzeuge habe ich ... (lange nachdenkliche Pause) fünf. Ich habe ein 400-ccm-Motorrad und ein kleines 150-ccm-Motorrad, das für Fahrten im Gelände gedacht ist. Ich plane zum Beispiel, damit in die Wüste Gobi zu fahren. Mein „Truck“. So nenne ich mein Tuk-Tuk. Das ist natürlich alles freudianisch. Und dann ist da noch das kleine selbstgebaute Motorrad, das den Namen „Koptschjonyj“ (dt.: Geräuchertes) trägt und zu technischen Wettbewerben mitgenommen wird. Ich bin damit auf dem Eis beim internationalen Rennen „Meile auf dem Baikal“ gefahren. Ein weiteres selbstgebautes dreirädriges Fahrzeug ist der Drift Trike „Orange“. Und ich habe mehrere Fahrräder. Ich trenne mich langsam von ihnen, damit ich nicht anfange zu horten. Die Maschinen sollten nicht herumstehen, sondern genutzt werden. Ich hatte ... (zählt nachdenklich im Kopf) zwölf Fahrräder.
Zwölf?
Ja, aber sie sind alle sehr unterschiedlich. Eines meiner Lieblingsfahrräder ist ein Lastenrad mit einem Trolley vorne dran. Meine Tochter und meine Nichte setzen sich da rein und wir machen eine Tour durch die Stadt. Wir fahren durch den historischen Teil von Minussinsk: Ich erzähle ihnen von den alten Gebäuden und motiviere die Mädchen, einen kleinen Vortrag vorzubereiten. Das bisherige Ergebnis der Tour: Wir wissen auf den Zentimeter genau, wo sich alle Eisdielen in der Altstadt befinden. Und natürlich auch die Schawarma-Stände.
Fährt Deine Tochter auch irgendetwas?
Sie und ich fahren Motorrad. Gestern haben wir fast hundert Kilometer zurückgelegt. Sie ist jetzt acht Jahre alt.
Ich sagte ihr: „Wenn du sechzehn bist, machst du deinen Führerschein, und dann können wir mit zwei kleinen Motorrädern zum Baikalsee fahren“. Ich denke, dass diese familiäre Aktivität so gut es geht, weitergeführt wird.
Solange meine Frau uns keine Steine in den Weg legt, haben wir Spaß.
Du bist vor kurzem von einer Reise nach Russland und in die Mongolei zurückgekehrt. Wie waren die Emotionen, die Begegnungen, die Entdeckungen?
Das Besondere an dieser Reise war die Route. Letzten Sommer hielt ich nach einem Radmarathon an einem Radposten in Bijsk. Ich unterhielt mich mit Igor, dem Afrikaner, so sein Spitzname, und zeigte ihm ein Foto von meiner Rikscha, und er sagte: „Ich wäre gerne damit hierhergefahren“. Wir haben gelacht. Als ich nach Hause kam, hatte ich diesen einen Gedanken im Kopf. Im Winter plante ich die Route für eine Rundreise: Chakassien, Tuwa, die Mongolei, das Altaigebirge. Und im Sommer bin ich auf die Reise gegangen!
Ich habe die Grenze zur Mongolei in Tuwa überquert. Ich verbrachte die Nacht am Grenzübergang und stellte mich gleichzeitig in die Schlange. Ich bin durch den Zoll gegangen und ich wurde durchsucht; alles hat problemlos funktioniert. Als ich den Kontrollpunkt verlassen habe, stieg ich den ersten Hügel hinauf und ein solches Tal öffnet sich (zeigt mit einer Handbewegung die Weite). Die Straße, die Berge, irgendwo in der Steppe verstreute Jurten und sonst nichts. Die ersten 100 Kilometer bis zur Stadt Ulaangom sind asphaltiert; eine Art solcher Asphalt (zeigt mit den Händen Wellen), aber er ist vorhanden. Dort habe ich die Währung umgetauscht. Nachdem ich in der Stadt war, fuhr ich 30 km zurück und das war‘s: Ich fuhr in die Steppe, in das straßenlose Gebiet. Nach dem ersten Gebirgspass begannen die Probleme mit der Navigation. Die Offline-Karte schlug mir vor, rechts um die Brücke herumzufahren. Ich bin in ein derartiges Dickicht gefahren. Dann stellte ich anhand der Satellitenbilder fest, dass ich entlang des Flussbettes fuhr, wo im Frühjahr Wasser in den See fließt. Dort waren riesige Felsbrocken, über die ich mit meinem Dreirad gehüpft bin.
Dann bin ich in einem breiten Kanal gelandet, den man nicht durchqueren kann. Und ironischerweise sehe ich, dass es auf der anderen Seite des Flusses einen zerfurchten Weg gibt. Buchstäblich nur hundert Meter von mir entfernt! Man konnte es zu Fuß überqueren. Aber mit meinem „Truck“ mit drei kleinen Rädern konnte man nicht rüberfahren. Ich hatte eine solche kognitive Dissonanz am Rande der Hysterie. Nun ja, ich habe es dennoch geschafft, rauszukommen und war um zehn Uhr abends erst zurück. Ich hielt es für gefährlich, über Nacht in der Steppe zu bleiben. Den zweiten Gebirgspass habe ich in der Nacht überquert und mich dabei mehrmals fast überschlagen.
Es herrschte absolute Dunkelheit. Bei uns ist es so, selbst wenn man nachts irgendwohin fährt und die Lichter ausschaltet, kann man trotzdem einigermaßen etwas durch das Licht der Stadt sehen. Aber dort hat man NICHTS gesehen. Man ist aus dem „Truck“ gestiegen, machte das Licht aus und man war verloren.
Ich habe mich auf das Navi verlassen und mit Ach und Krach habe ich es geschafft. Dann erreichte ich einen Untergrund mit Kieselsteinen und ich bin die ganze Zeit von einer Fahrspur auf die andere gewechselt. Die Springmäuse liefen in alle Richtungen! Ich habe es etwa eine Stunde lang mitmachen müssen. Plötzlich tauchte aus der Dunkelheit ein Zaun auf. Ich habe mich gefreut: Zivilisation! Dort war ein See. Es befand sich dort ein kleiner Campingplatz. Nur ein kleines Licht leuchtete in der Dunkelheit.
Als ich heranfuhr, sah ich in vier Kilometern Entfernung etwas brennen, und ich konnte nicht verstehen: Ist es ein Stern, ist es am Himmel oder auf dem Boden, wo bin ich? Man stellt sich plötzlich solche philosophischen Fragen.
Dann ging ich schlafen. Aber der Wind wehte mit solcher Kraft! Das Zelt schlug gegen die Zeltstangen und man hatte das Gefühl, in einer Trommel eingeschlafen zu sein. Dann fing mein „Truck“ an zu schwingen ... Er wiegt 700 Kilo und der Wind ist einfach so stark, dass er hin und her wackelte. Gegen Morgen änderte der Wind seine Richtung und mein Zelt wurde wie ein Ballon aufgepustet. Ich stieß das Zelt mit meinen Füßen weg, es kam wieder auf mich zu, ich stieß es weg und so die ganze Zeit. Mein Zelt und ich führten den nationalen Huresch-Kampf. Ich schlief erst im Morgengrauen ein.
Den nächsten Gebirgspass überquerte ich ein wenig ruhiger. Nach dem Gebirgspass eröffnete sich mir das größte Tal, das ich je gesehen hatte. Bis zu den Bergen an seinem Ende waren es fast hundert Kilometer. Man konnte also hundert Kilometer weit in die Ferne sehen! Man hat sich daran gewöhnt, dass man in der Stadt hundert oder dreihundert Meter weit sehen kann. Auf dem Land ein bisschen mehr – ein bis drei Kilometer. Aber dort waren es hundert Kilometer in die eine Richtung, hundert Kilometer in die andere!
Am nächsten See schlief ich allein. Ganz allein. T-Shirt aus, Unterhose aus und ab ins Wasser!
Das war sehr cool. Man ist allein in der Natur.
Am Morgen fuhr ich in Richtung Russland, ins Altaigebirge. Ich bin an einem Tag den ganzen Weg entlang des Tschuiski Trakts gefahren. Ich machte ein paar Tage Pause in der Nähe von Gorno-Altaisk. Und dann fuhr ich über die langweilige, asphaltierte Straße zurück. Dort gab es ein paar Probleme mit einem Lkw: Einer hat mich beim Überholen erwischt und mich von der Straße geschleudert. Dann fuhr ich langsam und entspannt nach Hause. Das war meine Reise, die 3.300 km lang war.
Wow! Iwan, was denkst Du, wie sich das auf Dich auswirkt? Solche Abenteuer und die Schwierigkeiten, mit denen Du konfrontiert warst und die Du bewältigtest.
In manchen Situationen müsste man eigentlich ausflippen: „Warum bin ich überhaupt hierhergefahren?“. Aber man bewahrt die innere Ruhe.
Wenn man allein ist, weiß man, dass niemand helfen wird; wenn einem selbst oder der Technik etwas zustößt, wird niemand helfen können.
Man geht höchstens auf fremde Menschen zu. Wenn man vierzig Kilometer wandert, etwas zu trinken und zu essen dabeihat, wird man überleben.
Aber dieses Gefühl, dass man keine Fehler machen darf, spornt einen an, alles mit Bedacht zu tun. Und wenn man in die Stadt zurückkehrt, denkt man über einige arbeitsbedingte Fragen einfach nur: „Was sind das überhaupt für Probleme? Setze dich einfach hin, zeichne und gut ist. Man muss nicht darüber nachdenken, wie man überlebt.“
Es lehrt einen, dass man nie in Panik geraten darf. Man muss denken, analysieren und handeln. Oder manchmal hält man inne und tut nichts und beruhigt sich.
Ein weiterer wichtiger Moment ist, wenn man allein ist und in zwei Tagen nur zwei Menschen trifft, die noch nicht einmal deine Sprache sprechen.
Man wird mit einer Person allein gelassen, die unangenehme Fragen stellt. Und das ist man selbst.
Und diesen Fragen kann man nicht ausweichen. Das ist eine interessante Art der Selbstreflexion und Therapie. Es geht eine Person auf eine Reise und eine andere kommt wieder zurück.
Ich hatte eine Reihe von philosophischen Beiträgen über meinen Freund Prjanja (dt.: Lebkuchen). Der Lebkuchen war mit mir unterwegs und ich habe Fotos mit ihm gemacht. Und am Ende hatte ich folgenden Gedanken: „Ich weiß doch, dass es der letzte Tag der Reise für mein Lebkuchen ist, und er wird verschwinden. Und wer weiß, wann es mein letzter sein wird ...“. Somit habe ich ihn gegessen.
Iwan, ich reise und wandere allein. Und ich werde oft gefragt: „Ist es nicht beängstigend, allein zu reisen?“. Am Anfang hat es mich verärgert, aber jetzt reagiere ich gelassen darauf. Aber ich möchte Dir die gleiche Frage stellen.
Manchmal ist es beängstigend. Aber es gibt viel mehr Momente, die stärkere Emotionen auslösen als die Angst. Es ist der ästhetische Genuss, die Entdeckung neuer Dinge. Zum Beispiel, wenn man auf eigene Faust zu Fuß die Grenze zu einem anderen Land überschreitet. Zum ersten Mal im Leben. Ohne Straßen und ohne Kenntnisse der Landessprache.
Es ist eine Reise am Rande des Motorradtourismus und des gesunden Menschenverstands.
Aber die Grenze der Vernunft sollte vorhanden sein. Andernfalls könnte man das eigene Leben ruinieren oder es ganz beenden. Und einige Ängste wirken sogar beruhigend und lassen das Gehirn arbeiten.
Machst Du seit Deiner Jugend solche Reisen?
Oh, nein, meine Jugend habe ich mit Rollenspielen verbracht. Gereist bin ich nur auf den Fahrten zu Spielen. Damals war es noch das Trampen. Man hat am Straßenrand geschlafen, den Rucksack umarmt und man ist an Orten eingeschlafen, wo die Nacht einen nun mal hinführte. Das findet wahrscheinlich seither seinen Ursprung.
Und das Reisen mit dem Motorrad begann erst nach der Universität. Jetzt ist es einfach nur ein Teil meines Lebens.
Wir waren mit meiner Familie in Thailand und China – an Touristenorten, wo man ein Hotel, einen Swimmingpool und Palmen hat. Meine Tochter genoss es. Für mich ist es irgendwie auch schön gewesen, aber es ist so, als würde man mich in einem Zoo halten, denn ich hatte nicht das Gefühl des Reisens. Es wäre was anderes, wenn man selbst nach Thailand reisen würde. Wie vorher schon erwähnt, sprang ich in der Mongolei hinten aus dem Wagen, schmiss meine Kleider beiseite und rannte in den See. Und es macht nichts, dass es keine Palmen gibt. Du wirbelst um dich selbst wie ein Nilpferd auf den Wellen.
Das ist aufregend! Ich bin vollkommen Deiner Meinung. Ich frage mich auch, was es mit dem Interesse an Fahrzeugen auf sich hat. Woher kommt es?
Das kommt von meinem Vater. Seit ich sechs Jahre alt bin, half ich ihm mit dem Motor. Wir hatten einen „Murawej“, dann einen „Saporoschez“, mit dem Papa im Winter in seine Heimat im Gebiet Nowosibirsk fuhr: den Stadtkreis Kupinski, wo ethnische Deutsche dicht angesiedelt leben.
Erzähl uns von Deinem Engagement in der Selbstorganisation der Russlanddeutschen.
Ich war bei der allerersten Veranstaltung der „Avantgarde“ dabei, als das Konzept selbst erst entstand. Davor gab es Zentren, in denen getanzt, gesungen, gekocht und gebastelt wurde – alles wie immer.
Durch die „Avantgarde“ gab es aber einen Durchbruch; zumindest im Kopf.
Zu diesem Zeitpunkt trat ich dem Internationalen Verband der deutschen Kultur als regionaler Koordinator bei und betrachtete die Tätigkeit aus einer anderen Perspektive. Ich habe von 2010 bis 2013 gearbeitet. Jetzt bin ich leider weniger an den Aktivitäten der Russlanddeutschen beteiligt. Hauptsächlich ist es die Arbeit, Arbeit, Arbeit: die Fabrik und meine eigene Fahrradwerkstatt.
Und was machst Du beruflich?
Wenn man es mit der Harry-Potter-Welt vergleicht, gibt es zwei Horkruxe, in denen meine Seele eingeschlossen ist. Ein Teil meiner Seele gehört der Fabrik in Minussinsk, die Gegengewichte für Fahrzeuge herstellt. Die Fabrik verfügt über eine Produktionslinie, die ich selbst gegründet habe. Es handelt sich um eine Halterung: eine flache Feder, die an der Felge befestigt wird. Die Fabrik kaufte dieses Teil früher aus Italien. Innerhalb eines Jahres hatte ich meine eigene Linie ausgearbeitet. Ich habe es selbst berechnet und zusammengebaut, natürlich mit Hilfe von Fachleuten. Die halbe Fabrik ist mein eigenes Werk. Ich habe eine Tochter und meine Maschinen, die auch wie Kinder für mich sind.
Und der andere Teil meiner Seele gehört der Fahrradwerkstatt. Mittlerweile habe ich zwei davon: in Abakan und in Minussinsk. Alles begann mit einem Traum, als ich nach Deutschland reiste. Meine Verwandten leben in Heilbronn. Dort bin ich in eine Werkstatt gegangen und habe mich einfach verliebt. Es ist ein kleiner Raum, in dem die Fahrräder dicht an dicht stehen und die Wände mit Accessoires behängt sind. Eine Frau in einer Arbeitsschürze aus Jeansstoff tritt ihr Fahrrad. Ich habe auch so eine.
(Iwan steht auf und zieht seine Arbeitsschürze an).
Mir verschlug es die Sprache. Es war unglaublich! Es hat lange gedauert, bis ich meinen Traum verwirklichen konnte. Zunächst waren wir in einer Garage untergebracht, dann zogen wir näher an das Stadtzentrum. Ich begann eine enge Zusammenarbeit mit dem Zentralstadion von Abakan. Jetzt arbeiten wir das ganze Jahr über: Wir arbeiten nicht nur mit Fahrrädern, sondern auch mit Skiern und Schlittschuhen.
Ich kann nicht sagen, dass es ein Unternehmen ist. Es ist eher etwas für die Seele.
Es handelt sich um eine Menge manuelle Routinearbeiten. Man arbeitet auch mit Menschen und manchmal muss man mit Konflikten umgehen. Aber wenn ich in die Werkstatt komme, freut sich meine Seele.
Woher besitzst Du diese Fähigkeiten? Hast Du eine Art Ausbildung gemacht?
Ich bin Lehrer für russische Sprache und Literatur.
Wirklich?
Ja. Die Reparaturfähigkeiten habe ich selbst erlernt. Als ich in der Fabrik die Produktionslinie gründete, nahm ich sowjetische Lehrbücher zur Hand und studierte viel über Wärmebehandlung von Metallen, Druckverarbeitung, Pressen und galvanische Prozesse.
Du hast das alles also selbst erlernt?
Ja, ich habe alles selbst erlernt. Dabei denke ich immer daran, dass ich ein Pädagoge bin. Und ich versuche, dies auch in meiner Arbeit umzusetzen. Wenn auch nicht im Hinblick auf den Wortschatz, denn in der Werkstatt und in der Fabrik ... ist die russische Literatursprache unnütz. Die Sprache hat andere Formen. Und ich als Profi kann sie ohne Skrupel einsetzen, um bestimmte Ausdrücke und extreme Erregung zu vermitteln (lacht). Aber der Wunsch, zur Schule zu gehen, ist auch da.
Wenn ich alt genug bin, komme ich vielleicht als mürriger Lehrer zurück und unterrichte Kinder in russischer Sprache und Literaturanalyse.
Du hast erwähnt, dass Dein Vater aus dem Gebiet Nowosibirsk stammt. Erzähl uns mehr über Deine deutschen Wurzeln.
Die Heimat meines Vaters war das Kirchdorf Stekljannoje im Stadtkreis Kupinski des Gebiets Nowosibirsk. Russlanddeutsche lebten dort auf engem Raum. Doch in den 1990er-Jahren wanderten sie massenhaft nach Deutschland ein. Sie sind ethnische Deutsche aus der deutschen Kolonie in Georgien. Von dort aus gelangten sie nach Kasachstan. Mein Großvater Albert und sein Vater waren Schmiede. So ein geschickter Mann; ich bin ihm wahrscheinlich sehr ähnlich. Ihre Freunde aus Russland haben sie nachts einfach auf Karren gepackt und die ganze Familie hierher nach Sibirien gebracht. Mein Traum ist es, in das ehemalige Gebiet der deutschen Kolonie in Georgien zu gelangen. Die Heimat zu besuchen, in der meine Großmutter aufgewachsen ist.
Erzählst Du Deiner Tochter von Deinen deutschen Wurzeln und den Russlanddeutschen?
Ja. Sie weiß, dass sie einen deutschen Nachnamen hat. Wir lernen nach und nach deutsche Wörter:
Hallo, Tschüß, Auf Wiedersehen. Meine Mutter ist zwar Russin, aber sie interessiert sich für deutsche Traditionen, zum Beispiel macht sie Adventskalender mit Geschenken.
Dies sind gute und bewährte Traditionen. Und egal, was jetzt passiert, Menschen bleiben Menschen. Und es ist wichtig, die gemeinsame Kultur und Geschichte zu bewahren sowie die Sprache zu erhalten. Es ist wichtig zu kommunizieren.
Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge