Worauf weist die Birke hin? Künstlerin Inessa Koroljowa über eine neue Version der Visitenkarte Russlands


Welche Geschichten können mit der Birkenrinde assoziiert werden? Ein Beispiel dafür wäre die kriegerische und geflügelte Magura, deren Herz mutigen Kriegern geschenkt wird. Oder die Liebe und Fruchtbarkeit in Anlehnung an die slawische Göttin Siva. Das verbindet die Russlanddeutsche Inessa Koroljowa (Schulz) mit der Birkenrinde. Sie ist Malerin, Dekorateurin, Designerin, Expertin für Computergrafik und Lehrerin an der Moskauer Schule für Design „Details“.

Inessa verbrachte ihre Kindheit in einem Dorf in der Nähe von Tomsk, inmitten von Zedern und Birken und die Liebe zur Natur trägt die Künstlerin durch ihr ganzes Leben. Sie lebt jetzt in der Umgebung Moskau in Nähe des Flusses Sinitschka und eines Waldes, wo man auf Rehe treffen kann. Wenn man die Inspiration des Waldes, das Interesse an Folklore und mehrere Ausbildungen in Fremdsprachen, Webdesign und Innenarchitektur kombiniert, erhält man Inessas ungewöhnliche Werke. Es handelt sich um Gemälde, große Wandbilder und Installationen aus Birkenrinde und modernen Materialien, in denen alte Gottheiten und kulturelle Symbole verschiedener Völker der Welt zum Leben erweckt werden.

„Eine neue Version der Visitenkarte Russlands“, so beschreibt die Künstlerin ihre Werke. Ihre Arbeiten wurden in Gruppen- und Einzelausstellungen in Moskau, Kaliningrad sowie in Berlin und Bayreuth ausgestellt. Wie können Business und Kunst verbunden werden? Ist es möglich, moderne Inneneinrichtungen in Millionenstädten mit unmoderner Birkenrinde zu dekorieren?

Worum geht es in den Märchen „Kolobok“ oder „Hänsel und Gretel“ wirklich, und wie lehrte das Spiel „Laduschki“ die Kinder, ihre Vorfahren zu ehren? Welche Übungen können dabei helfen, kreatives Denken zu entwickeln und jeden Lebensbereich mit Kreativität zu verbinden? Mehr dazu erfahren Sie in unserem Interview mit Inessa Koroljowa.

Inessa, Sie vertreten gleichzeitig die Künstlervereinigung der Russlanddeutschen und den Businessklub der Russlanddeutschen. Sie sind Künstlerin und Dekorateurin, und Sie wissen, wie man das alles verkauft und vermarktet. Die erste Frage, die ich stellen möchte, lautet also: Wie wird ein Künstler satt? Entgegen der geläufigen Redewendung [Anm. d. Übers.: Redewendung: Am Hungertuch nagen].

Ich denke, dass dieser Ausdruck, dass ein Künstler am Hungertuch nagt, völlig überholt ist. Denn wenn man hungrig ist, denkt man darüber nach, wie man seine Grundbedürfnisse befriedigen kann. Somit gelangt die Kreativität in den Hintergrund. Aber das übermäßige Sättigungsgefühl ist auch nicht gut. Man muss das richtige Gleichgewicht finden. Wie man Business und Kunst miteinander verbindet, ist natürlich eine schwierige Frage.

Oft ist ein Künstler ein großer Egoist, denn er folgt seinen Gefühlen und Impulsen. Es ist auch eine Kunst, das innere „Ich“ und das Interesse eines zukünftigen Käufers, dem das Werk des Künstlers gehören wird, zu verbinden.

Mit meiner Kunst möchte ich das, was ich gefunden habe, weitergeben. Ich freue mich, wenn ein Dialog zwischen mir und der Person entsteht, die mein Gemälde oder mein großes Wandbild gut findet. Dank meiner Arbeit habe ich viele interessante Menschen kennengelernt.

Erzählen Sie, wen Sie durch Ihre Bilder kennengelernt haben?

Es gab viele Situationen, und hier ist eine davon. Eine Kollegin von mir, ebenfalls eine Designerin und Dekorateurin, bat mich um eines meiner Werke, um ein fertiges Designprojekt aufzunehmen. Es war das Bild „Siva“ in Form eines Kreises mit Birkenrinde und blauen Verzierungen. Siva ist die slawische Göttin der Liebe, Fruchtbarkeit und Schönheit.

Später erhielt ich einen Anruf, in dem mir mitgeteilt wird, dass das Bild der Kundin gefallen hat und sie es gerne behalten möchte. Während wir die Lieferung und die technischen Aspekte besprachen, fragte mich die Frau beiläufig: „Wie heißt das Gemälde?“. Ich sagte, dass Siva ein Symbol für Fruchtbarkeit und Leben ist. „Oh, dann brauche ich es unbedingt! Denn ich bin schwanger“, sagt sie.

Die Frau kaufte das Gemälde und stellte es bei ihr zu Hause auf. Einige Zeit später schickt sie mir Bilder eines Fotoshootings von sich mit ihrem Baby im Arm und vor meinem Gemälde „Siva“. Ich war sehr bewegt!

Bei den Ausstellungen kommt es auch vor, dass sehr junge Besucher auf mich zukommen und fragen: „Was ist Birkenrinde und was ist das für ein Wort? Ist es eine Möbelfirma?“. So etwas kommt auch vor.

Die Geschichte von der Frau mit dem Baby hat mich sehr bewegt. Sie kannte den Bildtitel nicht, aber irgendwie hat das Gemälde sie intuitiv angesprochen. Es stellt sich heraus, dass es sich bei dieser Art von Kunst nicht nur um etwas Dekoratives, sondern auch um etwas Heiliges handelt.

Ja, es ist hundertprozentig etwas Heiliges! Zunächst hatte ich keine solchen Gedanken. Ich hatte intuitive Impulse und kombinierte einerseits unsere russischen Birken damit (ein sehr symbolträchtiger Baum und Ziermaterial in Russland) und andererseits fügte ich neue Techniken und den modernen Lebensstil hinzu. Ich habe begonnen, die nicht miteinander verbundenen Dinge zu verbinden.

Dann begann ich, Märchen, Legenden und Mythen zu studieren. Ich entdeckte, wie viel die Russen, die germanischen Stämme, die baltischen Slawen und andere Völker gemeinsam hatten. Und man stellt fest, dass den Menschen überhaupt nichts von den anderen unterscheidet. Jeder ist so sehr mit dem anderen verbunden.

Ich danke Ihnen für diese wertvollen Gedanken. Kommen wir nun zur russischen Birke. Sie erstellen Gemälde aus Birkenrinde, einem traditionellen Material, das für die Herstellung von Tujes [Anm. d. Übers.: Vorratsbehälter aus Birkenrinde] und Weidenkörbe verwendet wird. Und Sie kombinieren sie mit anderen Materialien, stellen sie in Galerien aus und sie werden von anderen gekauft, um damit ihre Wohnungen in Großstädten zu dekorieren. Wie kam es zu der Idee, ein so „volkstümliches“ Material für zeitgenössische Kunst zu verwenden?

Als Kind habe ich immer darunter gelitten, dass ich keine Freunde hatte, weil wir weit weg von der Zivilisation lebten. Aber in der Nähe meines Hauses gab es einen Wald, und so habe ich meine gesamte Kindheit in der Natur verbracht, worüber ich sehr froh bin. Ich habe einen Abschluss in Sprachen und darauffolgend noch einen in Design und Dekoration. Man fängt an, eine Erfahrung mit einer anderen zu kombinieren, und im Endeffekt erhält man etwas Neues und Ungewöhnliches. Birkenrinde ist wie Papyrus. Sie wurde sogar russischer Papyrus genannt, weil darauf geschrieben wurde. Zuerst habe ich versucht, der Birkenrinde die Eigenschaften von Papier und Plastizität zu verleihen, wie beim japanischen Origami. Aber dann habe ich angefangen, eine andere Birkenrinde zu verwenden als die, die für das Handwerk gedacht ist und üblicherweise konserviert, gekocht und aufgeweicht wird. Ich verwende Birkenrinde, die vieles durchgemacht hat. Ich selbst sammle sie von umgestürzten Bäumen. Die Birkenrinde variiert von Region zu Region. Unsere Sibirische leuchtet förmlich. Einmal bin ich in den frühen Morgenstunden nach Tomsk geflogen. Es ist Winter, die Sonne geht gerade auf, ich betrachte die Bäume und ich sehe, wie sie glänzen und funkeln! Birken wachsen überall, aber nur in Sibirien sind sie so weiß und glänzend. Ich habe früher in Kaliningrad gelebt. Dort sind die Birken moosig, grau, meerig und geheimnisvoll wie im Märchen „Kalevala“. Auch die Birken in den Moskauer Vorstädten sind anders.

Ich sammle Birkenrinden und schaue sie mir an: Auf jedem Stück sind andere Muster zu sehen. Wenn man genau hinschaut, verrät das Material selbst etwas über sich. Und das Wissen eines Designers und Dekorateurs hilft bei der Suche und Zusammenfügung anderer Materialien.

Ich habe folgende Losung: „Eine neue Version der Visitenkarte Russlands“. Die Visitenkarte Russlands ist natürlich die Birkenrinde und bei der neuen Version geht es darum, dass das russische Dekorationsmaterial modern sein kann, uns jeden Tag begleitet und nicht geschmacklos aussieht.

In Ihren Interviews und Beschreibungen Ihrer kreativen Arbeiten sprechen Sie oft über Märchenfiguren und Gottheiten, zum Beispiel aus der heidnischen Kultur oder anderen Glaubensrichtungen. Und ganz allgemein verbreiten Sie den Gedanken, alte Archetypen und kulturelle Bilder zu bewahren. Wie kam es zu diesem Interesse?

Ich fange mal ganz von vorne an. Ich habe an der Staatlichen Pädagogischen Universität Tomsk Fremdsprachen studiert, und dieses Interesse wurde damals schon geweckt.

Eine Sprache spiegelt eine Kultur wider. Zum Beispiel gibt es im Russischen keine eindeutige Positionierung von Satzgliedern, in der deutschen Schriftsprache hingegen schon. Rahmenkonstruktionen sind visuell wie rechte Winkel, alle 90 Grad und man kann keinen Grad mehr oder weniger einstellen. Diese Ordnungsliebe spiegelt sich auch in der deutschen Kultur wider.

Aber die russische Kultur und Sprache ist völlig anders. Sie ist sanft und fließend. Manchmal hilft uns diese Gelassenheit, manchmal behindert sie uns. Märchen und Bylina [Anm. d. Übers.: mittelalterliches russisches Heldenlied/Volkslied] spiegeln auch unsere kulturellen Werte wider. Man kann die Symbole, den Aufruf der Helden zu den Elementen wie Wasser, Sonne und Wind finden. Dies sind die Dinge, welche die Menschen umgaben, als sie näher an der Natur lebten. Und das ist sowohl für europäische als auch für slawische Legenden charakteristisch.

Als ich anfing, dies zu studieren, war ich erstaunt, wie unser Volk mit großer Sorgfalt mit der Natur interagieren konnte! Und das Volk war sehr klug, ihre Weisheit war eben nicht belehrend und akademisch, sondern das Leben betreffend. Wir wissen zum Beispiel über Yoga und Chakren Bescheid. Und auch unsere Vorfahren hatten dieses Wissen. Welche Bedeutung trägt der Satz „Ich gehe auf ein sauberes Feld“? Es ist ein meditativer Raum, in dem man sich auf einen Zustand der inneren Reinheit und des Friedens einstellt. Märchen und Lieder können auf ganz unterschiedliche Weise gelesen werden. Nehmen wir als Beispiel das Märchen „Kolobok“. Haben Sie seine Interpretation gelesen?

Nein, ich kenne die Interpretation von „Kolobok“ nicht.

Der Großvater und die Großmutter sind die Götter, die den Kolobok geknetet haben. Einigen Quellen zufolge ist es die Sonne, anderen zufolge der Mond. Nimmt man die Sonne, so ist sie der Kolo (Zyklus) des Jahres, wobei die vier Punkte die Tage der Sonnenwenden und Tagundnachtgleichen darstellen. Es kommt zu Veränderungen in der Größe und der Aktivität des Leuchtkörpers. Ich bin eher für die Version mit dem Mond. Es gab die Sternbilder Schwan, Hase, Bär und Fuchs. Ab dem Zeitpunkt des Vollmonds bewegte sich der Mond weiter, traf auf jedes Sternbild und nahm so mit der Zeit ab. Vom Kolobok wurde jedes Mal ein Stück abgebissen. Im Sternbild des Fuchses verschwand er und es kam der Neumond.

Wir prägen uns diese Geschichten ein und erzählen sie unseren Kindern, aber wir messen ihrer Symbolik keine Bedeutung mehr bei. In dem Märchen „Repka“ werden in der vorrevolutionären Version „nOgi“ [Anm. d. Übers.: hier: Schenkel; mit Betonung auf das „O“] erwähnt. Und nogi sind nicht einfach nur nogi, sondern „nOgami“. Die Schenkel sind der Neigungswinkel des Daches. Man war der Meinung, dass man spitze Dächer braucht, wenn man einen Energiezufluss haben will. Deshalb hatten einige Räumlichkeiten im Haus spitze Dächer, während Scheunen und Ställe flache hatten.

Sie haben viel über den slawischen Kontext gesprochen, der Sie beeinflusst. Und auf welche Weise manifestieren sich deutsche Traditionen in Ihrer Arbeit? Gibt es eine solche kulturelle Komponente?

Wissen Sie, wir stehen uns alle sehr nahe. Nun, wenn wir jetzt das Beispiel der Stickerei nehmen, dann kann von meinem Projekt „Kreuzstich – krestik“ gesprochen werden [Anm. d. Red.: Inessa hat mit diesem Projekt den Förderwettbewerb „Russlanddeutsche in der Zukunft“ im Jahr 2019 gewonnen]. Ich wollte Geschichte zum Leben erwecken. Ein Museum ist großartig, aber wir gehen dort ... nun ja, nicht sehr oft hin. Wir gehen hin, schauen es uns an und gehen wieder. Und wie stellen wir sicher, dass unsere russlanddeutsche Geschichte und die der anderen Völker jeden Tag in unserem privaten Leben präsent ist? So entstand dieses Projekt mit der Idee, moderne Kleidung oder Haushaltsgegenstände mit Ornamenten zu verzieren. Wir haben Stickerei-Sets entwickelt. Doch wegen der Pandemie wurde die Idee nicht weiterverfolgt. Aber ich denke, dass ich darauf zurückkommen werde. Wir haben es geschafft, ein Muster auf einen Pullover zu bringen, und als ich ein Foto des Pullovers in den sozialen Medien veröffentlichte, schrieben mir viele Leute, dass sie auch einen haben wollen. Ich erhielt Anfragen aus verschiedenen Regionen Russlands und sogar aus den GUS und Deutschland.

Es ist das Ornament „Baum des Lebens“, dessen Elemente in verschiedenen Völkern zu finden sind. Der Boden zeigt die Ahnen und die Linie mit den Dreiecken steht für Wasser, weiter unten für die Erde. Oben sind die Äste des Baumes, die sich nach oben strecken – das sind wir, unsere Gegenwart. Und oben sind oftmals Vögel zu sehen. In diesem Fall stehen sie für unsere Vorfahren, die bereits verstorben sind.

Wenn Interesse besteht, können die Vorträge von Sofia Agranowitsch auf YouTube gefunden werden. Sie erzählt interessante Dinge über Kinderreime wie „Guli, guli poleteli, na golowku seli“ [Anm. d. Übers.: wörtlich: Guli, guli sind losgeflogen und landeten auf deinem Kopf] oder „Tschto my jeli – kaschku, tschto my pili – braschku“ [Anm. d. Übers.: wörtlich: Was wir aßen – Brei, was wir tranken – Maische]. Wie kann man mit einem Kind über Maische sprechen? Es stellt sich heraus, dass dies alles die Bekanntschaft eines jungen Menschen mit dem Tod ist.

Früher wurde der Tod als Teil des Lebens wahrgenommen. Der Brei und die Maische gehören zu einer rituellen Speise. Und die Vögel sind die Seelen der Vorfahren, die einflogen, „sich auf deinen Kopf setzten“ und so das Kind kennenlernten. Oh, ich könnte eine Menge gruseliger Dinge erzählen! (lacht)

Ich erinnere mich an meine Kindheit, als mir meine Großmutter im Dorf von diesem Brei und der Maische vorgesungen hat. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es um Tod und rituelles Essen geht! Ich bin erstaunt.

Ja, es ist ein Ritual der Bekanntschaft und des Gedenkens an die Vorfahren. Im Westen zum Beispiel ist Thanksgiving im Herbst, bei dem man sich an seine Verwandten erinnert. Alle Märchen, ob russisch oder deutsch, sind zunächst sehr unheimlich. „Hänsel und Gretel“ oder unser „Gusi-Lebedi“ drehen sich um die Unterwelt.

Wie lässt sich all diese kulturelle Erfahrung, die Sie haben, in Ihre Arbeit als Künstlerin, als Dekorateurin übertragen? Wie lässt sich dies visuell umsetzen? Können Sie ein Beispiel für ein bestimmtes Gemälde oder ein Wandbild nennen?

Eines der jüngsten Werke ist der „Baum des Lebens“. Bei den Slawen heißt es Praw, Naw und Jaw. Ich habe bereits erwähnt, dass dieses Bild in der Stickerei vorkommt. Ich habe ein Bild des Baums des Lebens aus Birkenrinde gemacht.

Dann noch ein anderes Werk mit dem Titel „Magura“. Es ist schon ein paar Jahre alt. Magura ist eine slawische Kriegsgöttin, vergleichbar mit den Walküren. Sie fliegt über das Schlachtfeld, ermutigt die Krieger, fliegt zu den gefallenen tapferen Männern und gibt ihnen ein magisches Elixier zu trinken, küsst sie auf ihre kalten Lippen und nimmt sie mit zu ihr nach Irij. Dies ist der slawische Name für das Paradies.

Die Handlung ist aus dem Werk selbst ersichtlich. Ich benutzte Bernstein, der die Tränen des Meeres darstellen soll, Birkenrinde und Gold. Und das Werk hat die Form eines Kreises wie ein Kampfschild.

Mich interessiert, was Ihrer Meinung nach Kreativität ist. Kann man es messen? Das ist kreativ und talentiert, und das ist Unsinn?

Was ist Kreativität...? Ich glaube, dass man bei jeder Tätigkeit, egal ob man Suppe kocht, den Boden wischt oder ein Bild malt, versucht, sich von Stereotypen zu lösen.

Man kocht eine Suppe nach einem Rezept, aber wenn man die Komponenten ändert, beginnt man zu kreieren.

Heutzutage spricht jeder davon, bewusst zu leben, und in diesem Fall ist man bewusst und verschmilzt die Routine mit etwas Neuem. Genauso ist es, wenn man einen anderen Weg zur Arbeit geht oder ein Buch nicht von Anfang an, sondern in der Mitte zu lesen beginnt. Wenn jede Tätigkeit ein Element des Chaos enthält, ist es bereits Kreativität.

Können Sie als Künstlerin und Lehrerin für Design den Lesern Tipps für Praktiken und Übungen geben? Wie können das kreative und unkonventionelle Denken sowie die Fähigkeit, Bekanntes auf eine neue Art zu betrachten, entwickelt werden?

Es ist wichtig, dass sich der Betrachter nicht überrumpelt fühlt. Man sollte im Hier und Jetzt sein. Es ist sehr aufschlussreich, wenn man seine Heimatstadt für längere Zeit verlässt, zurückkommt und alles mit neuen Augen sieht.

Man kann den Blickwinkel auf vertraute Objekte ändern, zum Beispiel nicht auf den Baum schauen, sondern auf die Lücken, durch die man den Himmel sehen kann. Oder man sieht sich einen Film an, aber man achtet nicht auf die Hauptdarsteller, sondern auf die Peripherie des Bildes. Und da gibt es bereits eine Menge interessanter Entdeckungen.

Oder eine andere amüsante Übung: Man schaltet den Fernseher ein, den Ton aus. Anstelle dessen wird das Radio oder eine andere Tonquelle eingeschaltet. Es kommt zu einer Trennung zwischen dem Visuellen und dem Klang, und dies hilft auch, das Gehirn ein wenig aus der gewöhnlichen Wahrnehmung der Welt herauszubewegen. Vielleicht sind diese Übungen ein wenig seltsam. Aber sie funktionieren.

Was betrachten Sie als Ihre größte kreative Leistung?

Wenn du anfängst, interessante Menschen zu treffen und wenn deine Botschaft in den Herzen der anderen ankommt. Das ist die wichtigste Errungenschaft. Wenn Menschen, nachdem sie mit mir interagiert haben, Interesse darin finden oder eine Tür öffnen, um diesen Bereich zu erkunden. Es bedeutet, dass ich es nicht grundlos mache. Es bedeutet, dass das Thema weiterleben wird.

Inessa, ich danke Ihnen! Ich habe heute definitiv eine große Tür geöffnet und werde jetzt die Geschichte all dieser Kinderreime und Märchen googeln.

Ich beneide Sie sogar. Es werden sich Ihnen sehr interessante Dinge und Bedeutungen offenbaren.

Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge

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