Einer der Pioniere der Geschichtsschreibung

Anton Schneider (1798-1867) war Chronist, Schriftsteller, Dichter und Lehrer an der Wolga. Auf seine Aufzeichnungen über das Leben der Wolgadeutschen haben in der Vergangenheit alle bedeutenden Geschichtsschreiber der Wolgadeutschen wie Gottlieb Bauer, Gottlieb Beratz, Jakob Dietz oder David Schmidt zurückgegriffen. Und doch waren sein Verdienst im Bereich der Geschichtsschreibung und der Kulturerhaltung ebenso wie sein Name mit der Zeit in Vergessenheit geraten (Zeitung für Dich, Ausgabe Nr. 5 (3750), Mai 2015). 

Anton Schneider (1798-1867) war Chronist, Schriftsteller, Dichter und Lehrer an der Wolga. Auf seine Aufzeichnungen über das Leben der Wolgadeutschen haben in der Vergangenheit alle bedeutenden Geschichtsschreiber der Wolgadeutschen wie Gottlieb Bauer, Gottlieb Beratz, Jakob Dietz oder David Schmidt zurückgegriffen. Und doch waren sein Verdienst im Bereich der Geschichtsschreibung und der Kulturerhaltung ebenso wie sein Name mit der Zeit in Vergessenheit geraten (Zeitung für Dich, Ausgabe Nr. 5 (3750), Mai 2015).

Anton Schneider wurde am 26. März 1798 in der wolgadeutschen Kolonie Mariental am Großen Karaman geboren. Seine wissbegierige Natur und der eifrige Selbstunterricht, zusätzlich zur Schulausbildung, brachten ihm so viel Anerkennung, dass seine Mutterkolonie ihm das Schulmeisteramt übertrug. Diese Stelle verwaltete er 25 Jahre lang. Nachdem er aus dem beruflichen Leben ausschied, widmete er sich umso eifriger dem Schreiben. Er zeichnete alles auf, was er dem Vater und Großvater abgelauscht, selbst gesehen oder erfahren hatte - „zur Belehrung der Nachkommenschaft“.

Zu seinen Hauptleistungen gehören neben den bereits erwähnten Manuskripten auch die „Lebensbilder der Kolonisten im Saratowschen und Samarschen Gouvernement auf beiden Seiten der Wolga als wie auch deren Ansiedlung, Einrichtung und Wirtschaft derselben bis auf gegenwärtige Zeit“, niedergeschrieben 1863. Auch wenn seine Manuskripte subjektiv geprägt sind, bieten sie dennoch reichhaltigen und wertvollen Stoff zur Erweiterung des Wissens über die Geschichte der deutschen Ansiedler an der Wolga sowie aufschlussreiche Überlegungen über den Alltag seiner Landsleute, das damalige Leben und seine Werte.

Aus Schneiders Feder stammen darüber hinaus zahlreiche Beiträge für den von ihm herausgegebenen Haus- und Landwirtschaftskalender und Gebetbücher. Er trug Lieder zusammen für zwei Sammlungen von Kirchenliedern und ein Buch der Volkslieder, er schrieb die allererste Fassung der „Geschichte vom Kirgisenmichel und der schön‘ Ammi von Mariental“ nieder. Trotzdem blieb sein schriftlicher Nachlass, der sich seit Ende der 1980er Jahre zum größten Teil im Aktenbestand des Engelser Zentralmuseum der ASSR der Wolgadeutschen (Gebiet Saratow) befindet, der breiten Öffentlichkeit Jahrzehnte lang weder bekannt noch zugänglich.

Ändern konnte das erstmals die Publikation „Anton Schneider. Aus der Geschichte der Kolonie Mariental an der Wolga“ in deutscher Sprache, 1999 im Verlag des Instituts für Deutschland- und Osteuropaforschung in Göttingen in Bearbeitung von Victor Herdt erschienen. Sie umfasst die 1855 verfasste „Denkschrift über den Ansiedlungszustand der Einwanderer und die Geschlechterlinie unserer Stammfamilien in Russland als wie auch über die merkwürdigsten Begebenheiten und Ereignisse in und außerhalb unserer Familien von dieser bis in die gegenwärtige Zeit“ und die im selben Jahr niedergeschriebene Ansicht über den Kirchenbau der hiesigen Kolonie unter dem Titel „Himmelfahrt der allerseligsten Jungfrau Maria“.

Die einzigartigen Aufzeichnungen von Anton Schneider, die in erster Linie der Geschichte der Kolonie Mariental gewidmet sind, vermitteln zugleich aber einen Einblick in die allgemeine Entwicklung und Verwaltung der deutschen Kolonien und in die Geschichte der katholischen Kirche im Wolgagebiet bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit der Veröffentlichung der beiden Manuskripte unter dem gemeinsamen Titel „Aus der Geschichte der wolgadeutschen Kolonie Mariental“ erfüllte der Herausgeber und Bearbeiter einen Auftrag der Engelser Filiale des Gebietsarchivs Saratow und des Instituts für Deutschland- und Osteuropaforschung in Göttingen, deren Leiter, Jelisaweta Jerina und Dr. Alfred Eisfeld, sich einig waren, den Nachlass von Anton Schneider der modernen Forschung und der geschichtsinteressierten Öffentlichkeit zugänglicher zu machen.

Allerdings konnten das Buch nur diejenigen lesen, die der deutschen Sprache mächtig waren. „Ich wollte aber, dass auch meine Landsleute, die kein Deutsch beherrschen, vor allem in Russland, aber auch hierzulande, das Werk von Anton Schneider lesen können und so mehr über die Geschichte ihrer wolgadeutschen Vorfahren erfahren können“, beschreibt seine Urururenkelin Antonina Schneider-Stremjakowa (Berlin) ihre Motivation, den Nachlass ihres Vorfahren auch in russischer Sprache bekannt zu machen.

Seit Generationen wurden in ihrer Familie die Erinnerung und das Wissen über Anton Schneider und sein Erbe in Ehren gehalten und weiter gegeben. Schon damals, als sie 2003 nach Deutschland kam und das Buch des Göttinger Arbeitskreises gelesen hatte, war sie Feuer und Flamme, die Inhalte auch auf Russisch zu popularisieren. Immer wieder hatte sie auszugsweise Übersetzungen gemacht und Geschichten aus Schneiders Nachlass den Landsleuten bei verschiedenen Aussiedlerveranstaltungen in die Hand gedrückt.

Die positiven und dankbaren Rückmeldungen haben sie in ihrem Entschluss bestärkt, ein Buch daraus zu machen. Mit finanzieller Unterstützung von Verwandten und Freunden konnte sie die erste kleine Auflage in Barnaul/Russland drucken. 2014 ist das zweisprachige Buch „Mariental 18.-19. Jahrhundert (Wolgadeutsches Gebiet)“, im Berliner Verlag viademica erschienen. Den Grundstock bilden Schneiders Aufzeichnungen in Bearbeitung von Victor Herdt (Verlag Göttinger Kreis) in deutscher Sprache und die russische Übersetzung von Antonina Schneider-Stremjakowa, die den Lesern bereits durch ihre Bücher „Ein Leben wie Dickmilch“ (autobiografischer Roman, auch in deutscher Übersetzung von Viktor Heinz erschienen) und „Eisberge der Kolonisierung“ (historischer Roman, Russisch) bekannt geworden ist. Auch mit ihrer neuen Publikation, wobei sie den Text von Anton Schneider in großer Akribie ins Russische übertragen hat, bietet sie dem russischsprachigen interessierten Leser eine aufschlussreiche und spannende Lektüre.

Außerdem hat die Übersetzerin und Herausgeberin ihr Buch durch Kopien von Schneiders Manuskripten in gotischer Schrift, Gedichten und die Liebesgeschichte „Geschichte vom Kirgisenmichel und der schön‘ Ammi von Mariental“ ergänzt, die unter den deutschen Kolonisten im Wolgagebiet weit verbreitet war, vor allem in mündlicher Überlieferung.

Vorbereitet von Erna Berg
Nach „Volk auf dem Weg“

Zeitung für Dich, Ausgabe Nr. 5 (3750), Mai 2015

Rubriken: VerschiedenesWissenswertes