Am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, wurde in der nach Nekrasow benannten Bibliothek in Moskau eine Feier zum offiziellen Start der App „Deutsche Spuren“ veranstaltet. Das Projekt wird im Rahmen des Deutsch-Russischen Jahres der Hochschulkooperation und Wissenschaft in Russland 2020/21 durchgeführt.
Wo sind die Spuren der deutschen Kultur zu finden? Das Goethe-Institut stellte sich diese Frage und organisierte ein Projekt, aus dem ein mobiler Führer zu Orten mit Bezug zum deutschen kulturellen Erbe hervorging.
Es stellte sich heraus, dass solche Orte in vielen Ländern zu finden sind: in Griechenland, Israel, Irland, Kanada, Lettland, der Slowakei, der Ukraine und Schweden und sogar in Brasilien. Jetzt ist diese App auch in Russland verfügbar. Es wird in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Verband der deutschen Kultur durchgeführt. Durch das Herunterladen der App können Sie sich mit interessanten Geschichten aus verschiedenen Teilen Russlands vertraut machen. Übrigens können Sie dadurch Ihr Deutsch verbessern, da sie zweisprachig ist.
„Die Geschichte des Projekts begann im Jahr 2013. Die ersten Länder auf ihrem Weg zur Vollendung waren Brasilien, Israel und die Slowakei. Dieses Projekt ist also global und hat in diesem Jahr Russland erreicht, wo wir mehr als hundert Spuren der deutschen Kultur entdeckten", sagte Ulrike Würz, stellvertretende Direktorin des Goethe-Instituts in Moskau, in ihrer Eröffnungsrede.
Aufgrund der Coronavirus-Pandemie konnte Olga Martens, die erste stellvertretende Vorsitzende des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur, nicht persönlich an der Veranstaltung teilnehmen. Ihre Begrüßungsrede wurde von Pjotr Schiffelbaen, Leiter der PR-Abteilung des IVDKs, verlesen. Es wurde gesagt:
Für uns Russlanddeutsche war es wichtig, an diesem gemeinsamen Projekt mit dem Goethe-Institut teilzunehmen, um der Welt von den bedeutenden Beiträgen und ‚Spuren‘ zu erzählen, die herausragende Menschen mit deutschen Wurzeln in der russischen Geschichte, Architektur, Wissenschaft, Medizin, Industrie, Kunst und im Handel Russlands hinterließen.
„Trotz der Tatsache, dass ich jetzt Tausende von Kilometern von Ihnen entfernt sein muss, sind dank der Anwendung die Grenzen ‚verwischt’ und ich kann in Sekundenschnelle die Orte, die mir seelisch nahestehen, sehen und auch ohne Internetverbindung eine kurze Information über sie erhalten. Es genügt ein Smartphone mit dieser App, denn sie funktioniert auch offline“.
Natalja Leonowa, eine der Gründerinnen des Projekts „Deutsche Spuren“, erzählte über die Geheimnisse des „deutschen“ Moskau:
Es war sehr angenehm, an der Arbeit an den Texten für diese App teilzunehmen, zumal ich mich schon sehr lange mit dem Thema der Russlanddeutschen beschäftige.
„Auf Anfrage des Deutsch-Russischen Hauses in Moskau und des Internationalen Verbandes der deutschen Kultur habe ich den Reiseführer ‚Mein kleines Moskau. Berühmte Deutsche in der russischen Hauptstadt‘ geschrieben. Aber seither habe ich viel mehr Spuren gefunden, die über die im Reiseführer aufgeführten hinausgehen. Und ich habe immer noch nicht aufgehört, nach weiteren zu suchen.“
Während der Arbeit an der App wählte die Journalistin eine Vielzahl von Objekten aus, die entweder von Architekten deutscher Herkunft gebaut wurden oder einen Bezug zu allem Deutschen in Moskau haben. Solche Objekte sind z.B. die ‚deutsche‘ Post (zu Zeiten des Peters des Großen war dies der Name der regulären Post, die ins Ausland verschickt wurde) oder der berühmte, in ganz Moskau verbreitete deutsche Markt. Natalja Leonowa stellt fest, dass nach der Volkszählung von 1913 die Vertreter deutscher Nationalität in Moskau nach den Russen an zweiter Stelle standen.
Das Thema wurde von Nikita Brusilowskij, Geschichts-Archivar und Moskau-Experte, fortgesetzt, der interessante Fakten zum deutschen Unternehmertum in Moskau anführte.
Seiner Meinung nach erhielt keine Sphäre in Moskau, besonders in den späten 19. bis frühen 20. Jahrhunderten, einen so starken deutschen Einfluss wie die Wirtschaft, das Business sowie das Unternehmertum, und in diesem Sinne hatten die Deutschen unter anderen ausländischen Diaspora, die sich in Moskau niedergelassen haben, einfach keinen vergleichbaren Einfluss.
Der Historiker erzählte über die herausragendsten Persönlichkeiten unter den deutschen Unternehmern, darunter den gebürtigen Bremer Gustav List, Sohn eines Buchhändlers. Nach seiner Ausbildung in Berlin versuchte er sein Glück im Russischen Reich und arbeitete bei seinem älteren Bruder in der Zuckerproduktion im Gouvernement Woronesch. Zu dieser Zeit war ein Leben in Russland ohne Zucker nicht vorstellbar. List war einer der ersten Unternehmer, der den sogenannten Würfelzucker anbot. Anschließend errichtete er seine eigene Fabrik zur Herstellung von Strahlrohren. Später produzierte er Pumpen, Feuerlöscher und andere Materialien, die im Zusammenhang mit dem Feuerlöschen stehen.
Der ideenreiche Deutsche übernahm die Führungsposition in Moskau und erhielt mehrere Medaillen.
Es wird sogar eine Familienlegende erzählt, dass Alexander III. persönlich einmal in der Fabrik von List erschien. Da er ein Mann von großer Stärke war, begann er, verschiedene Teile auszutesten und zerbrach einige von ihnen. Und dann sagte er zu List, dass in Russland alles gut gemacht werden müsse, gab aber dem deutschen Unternehmer eine Goldmünze, welche er vorher in ein Röhrchen drehte.
Über die Aktivitäten und das Leben der Deutschen unserer Zeit diskutierten die Experten der Diskussion „Moskau auf Deutsch“ aus der Reihe „Moskauer Gespräche“, an dem die Direktorin des Goethe-Instituts, Dr. Heike Uhlig, die Schriftstellerin, Historikerin, Kandidatin der Geschichtswissenschaften und Dozentin am Staatlichen Moskauer Kulturinstitut Olga Jelisejewa sowie die Generaldirektorin der Firma „Interpont“, Anke Petsch, teilnahmen.
„Seit Anfang der 1990er-Jahre haben wir unser Netzwerk von Kontakten und Institutionen erweitert und ausgebaut“, sagt Heike Uhlig. „Alles begann mit den Zentren für das Erlernen der deutschen Sprache. Auch haben wir Lesesäle eröffnet und jetzt gibt es solche Zentren in mehr als 16 Städten Russlands. Es handelt sich um Kulturzentren, Zentren für das Erlernen der deutschen Sprache, Prüfungszentren und Lesesäle. Dies ist sehr wichtig und zeigt, dass das Interesse an der deutschen Sprache und Kultur in Russland sehr groß ist und es zeigt auch, wie viele verlässliche Partner wir haben, die wir sehr schätzen und mit denen wir viele verschiedene Projekte organisieren.“
Bei der Beantwortung der Frage, ob die deutsche Sprache ihre Position in Russland verliert, antwortete Frau Uhlig optimistisch, dass laut dem Bildungsministerium der Russischen Föderation 2.700.000 SchülerInnen die Sprache an russischen Schulen lernen und nach diesen Angaben steht Russland an erster Stelle weltweit.
Andererseits ist die Direktorin des Goethe-Instituts der Meinung, dass jeder für sich selbst entscheiden muss, wofür er oder sie die deutsche Sprache braucht.
Die Zeiten, in denen Deutsch gelehrt wurde, um das Original von Goethe zu lesen oder ein Bier in Deutschland zu bestellen, sind lange vorbei. Im besten Fall werden Sie Goethe in der Übersetzung lesen und schlimmstenfalls haben Sie kein Interesse an seinen Romanen. Um ein Bier zu bestellen, gibt es Google.
Deshalb muss es laut Frau Uhlig ein Verständnis dafür geben, aus welchem Grund man Deutsch lernt. Dies könnte vielleicht an dem Wunsch liegen, eine Hochschulausbildung in Deutschland zu erhalten oder in einem deutschen Unternehmen zu arbeiten.
Es gab auch eine Diskussion darüber, wie Deutsche in der klassischen russischen Literatur dargestellt werden.
„Die russische klassische Literatur hat ein stetiges Bild eines deutschen Helden, in das alle übertriebenen nationalen Züge einfließen. Er existiert, um einen Kontrast zu dem Protagonisten herzustellen. Stolz in „Oblomow“ war einer der wenigen positiven Charaktere. Davor gab es praktisch keine positiven deutschen Helden in der russischen Literatur“, so Olga Jelisejewa, Dozentin am Staatlichen Moskauer Kulturinstitut.
Nach Ansicht der Historikerin ist die Rückkehr des deutschen kulturellen Erbes in die russische Kultur, nachdem sie das harte 20. Jahrhundert überstand, ein sehr wichtiger Faktor und die einzige Möglichkeit für unsere Kultur, sich auf die eine oder andere Weise als Teil der europäischen Kultur zu positionieren.
Bei der Feier wurden auch die Gewinner des Online-Quiz „Deutsche Spuren“ ausgezeichnet und Preise des Quiz über Deutschland und die deutsche Sprache verlost. Einer der Preise – ein volles Stipendium für einen zweiwöchigen Deutschkurs an einem Goethe-Institut in Deutschland – ging an Natalja Ramich, eine Russlanddeutsche aus Tjumen.
Die App „Deutsche Spuren“ können auch Sie im App Store oder Google Play herunterladen.
Sie können sich auch hier die vollständige Präsentation anschauen.