In einem Interview mit RusDeutsch sprach Arkadij German, Vorsitzender der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen und ehemaliger Mitglied des Rates der Föderalen National-Kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen, über die Rolle, welche die FNKA bei der Unterstützung von Forschern zur Geschichte und Kultur der deutschen Minderheit in Russland spielt.
Arkadij German, wie viele Jahre waren Sie Mitglied des Rates der Föderalen National-Kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen?
Ich war etwa 15 Jahre lang Mitglied des Rates der Föderalen National-Kulturellen Autonomie der Russlanddeutschen (FNKA) und vertrat in all diesen Jahren die Internationale Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen als Vorsitzender ihres Vorstands.
Von August 1941 an, als die Sowjetdeutschen des Hochverrats angeklagt und nach Sibirien, Kasachstan und Zentralasien deportiert wurden, bis Ende der 1980er-Jahre gab es in den Medien und in öffentlichen Reden der sowjetischen Führer aller Ränge keine Informationen über die Sowjetdeutschen und ihr Leben. Der Prozess ihrer Rehabilitierung, der während der „Tauwetter-Periode“ begann, verlief diskret und inkonsequent. Die Rehabilitationsdokumente wurden nicht veröffentlicht und nur in speziellen Publikationen mit begrenzter Verwendung gedruckt.
Informationen über das Leben und die Geschichte der deutschen Bevölkerung in der UdSSR gab es nur begrenzt in einer kleinen nationalen Presse, die während der „Tauwetter-Periode“ erschien. Sie veröffentlichte nur kurze Ausgaben, die von einem kleinen deutschsprachigen Leserkreis gelesen wurde. Den ersten Forschern der ethnischen Geschichte wurde der Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Archivdokumenten verwehrt.
Der Mangel an Informationen über die deutsche Bevölkerung in der UdSSR, die künstlich eingefügten Lücken in ihrer Geschichte, das jahrelange Verschweigen der Existenz einer so großen ethnischen Gemeinschaft in der UdSSR, die in den 1960er-Jahren zwei Millionen Menschen erreichte, ganz zu schweigen von der Existenz der Autonomen Republik der Wolgadeutschen in den Jahren 1918-1941, haben zu einer natürlichen Ignoranz gegenüber dem Beitrag der deutschen Ethnie zur Entwicklung unseres Staates geführt.
Diese Unkenntnis, verbunden mit der Erinnerung an den Krieg und an das Leid, das Millionen von Menschen durch die faschistischen Invasoren erlitten hatten, zu deren Widerstand die Sowjetdeutschen einen wichtigen Beitrag geleistet hatten, führte zu einer feindseligen Haltung gegenüber der deutschen Bevölkerung, die den grundlegenden zivilisatorischen Normen zuwiderlief.
Mit dem Beginn der Reformpolitik Perestroika und Glasnost gewann das Problem der Russlanddeutschen und ihrer Geschichte auch in der akademischen und historischen Gemeinschaft an Bedeutung. Die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen erschienen und die Autoren konnten nun miteinander kommunizieren.
Der Umfang und das Ausmaß der Aufgaben der wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte und Kultur der UdSSR und der postsowjetischen Länder machten es objektiv erforderlich, dass die Forscher ihre Kräfte bündeln. So wurde im Jahr 1995 nach mehreren internationalen Konferenzen, auf denen sich die Teilnehmenden kennenlernten und zusammenzuarbeiten begannen, die Internationale Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen gegründet.
Die Gründung des Vereins gab einen starken Impuls für die Entwicklung der Geschichtsschreibung der Russlanddeutschen.
Durch die Leitung der Assoziation entstand ein einheitliches Koordinationszentrum, der die Forschungssituation analysierte, die schwächsten Glieder der aktuellen Situation identifizierte und Themen für die nächsten Konferenzen vorschlug. Dies hatte eine mobilisierende Wirkung, wodurch die Entwicklung der Geschichtsschreibung gezielt vorangetrieben wurde.
Die „weißen Flecken“ in der Geschichte der Russlanddeutschen sind immer kleiner geworden. Heute sind sie praktisch verschwunden.
Dutzende von Monographien und wissenschaftlichen Konferenzberichten wurden veröffentlicht und die Zahl der Artikel beläuft sich auf Tausende. Die Veröffentlichung des Lehrbuchs „Geschichte der Deutschen in Russland“ war ein großer Erfolg der Assoziation. Im Jahr 2021 wurde eine zweite, überarbeitete Auflage veröffentlicht.
Wir, die Mitglieder des Vereins, sind stolz auf unsere Organisation, denn sie hat bisher über 120 Wissenschaftler aus zwölf Ländern erfolgreich zusammengebracht! Russland, Deutschland, Kasachstan und andere Länder haben Plattformen für Forschungskonferenzen bereitgestellt.
Wie würden Sie die Rolle der FNKA bei der Entwicklung der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen definieren?
Eine Zeit lang entwickelten sich die Föderale National-Kulturelle Autonomie der Russlanddeutschen und die Internationale Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen parallel und standen sich kaum im Weg. Der Wendepunkt kam mit der Wahl von Heinrich Martens zum Präsidenten der FNKA. Unter seiner Leitung begannen sich unabhängige und eher vereinzelte Organisationen zusammenzuschließen, was zweifellos auch für die Entwicklung von der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen eine positive Rolle spielte.
Die Föderale Autonomie hatte eine große Bedeutung innerhalb der russischen und deutschen Regierungen, was die Erweiterung des Horizonts jeglicher Aktivitäten, einschließlich der wissenschaftlichen, ermöglichte.
Unsere Vereinigung begann, Unterstützung zu erhalten, die nicht nur die Durchführung von Forschungsarbeiten, sondern auch die erfolgreiche Lösung von Problemen bei der praktischen Anwendung der erzielten Ergebnisse ermöglichte. Insbesondere wurde im Laufe der Jahre des Bestehens der Assoziation ein stabiles System jährlicher wissenschaftlicher Konferenzen aufgebaut, auf denen es möglich war, die wissenschaftlichen Interessen der Wissenschaftler zu regulieren und die erforderlichen Ergebnisse zu erzielen. Ein wichtiger Schwerpunkt der Tätigkeit unserer Assoziation war die Durchführung zahlreicher historischer und ethnographischer Ausflüge zu Siedlungen in verschiedenen Regionen des Landes, in denen die deutsche Bevölkerung vor der Deportation lebte. Während dieser Ausflüge sammelten wir Erinnerungen der Bewohner, Artefakte und einzigartige Exponate für unsere Museumssammlungen.
Ich möchte auch darauf hinweisen, dass mit der Wahl von Heinrich Martens die Tätigkeit der FNKA transparent geworden ist, was sich darin zeigt, dass die Mitglieder des Rates an den Sitzungen der Zwischenstaatlichen Deutsch-Russischen Regierungskommission für die Angelegenheiten der Russlanddeutschen teilnehmen.
Können Sie sich an die Höhepunkte der Arbeit der Zwischenstaatlichen Regierungskommission erinnern?
Für mich als Geschichtswissenschaftler waren die Treffen in Zerbst und in Sankt Petersburg im Jahr 2012, bei denen ich als Experte fungierte, unvergesslich. Anlass war der 250. Jahrestag des Manifests von Katharina der Großen, mit dem die Voraussetzungen für die massenhafte Umsiedlung von Deutschen nach Russland geschaffen wurden. Natürlich passten wir unsere Tätigkeiten auch an die allgemeinen Feierlichkeiten in Russland an. So wurde auf den wissenschaftlichen Konferenzen, die zu dieser Zeit stattfanden, intensiv daran gearbeitet, moderne Ansichten über die Prozesse der Umsiedlung, die Bildung deutscher Kolonien in verschiedenen Teilen des Russischen Reiches und die Anpassung der Deutschen an die neuen Lebensbedingungen zu entwickeln. Darüber hinaus konzentrierte sich die Konferenz in Kislowodsk (2013) auf die komplexesten und umstrittensten Fragen der Geschichte und Geschichtsschreibung. Die Konferenz in Marx (2015) befasste sich mit der Geschichte und dem Schicksal der deutschen Siedlungen in Russland.
Die enge Beziehung zwischen den beiden öffentlichen Organisationen – der FNKA und der Internationalen Assoziation zur Erforschung der Geschichte und Kultur der Russlanddeutschen – trägt also zur Bewahrung der Geschichte und Kultur der deutschen Ethnie bei?
Ganz genau.
Die FNKA hat viel Erfahrung in der Vertretung der Interessen der Russlanddeutschen in den staatlichen Strukturen. Ministerien und Behörden haben häufig ethnokulturelle Projekte unterstützt und tun dies auch weiterhin.
So wurde auf Ersuchen des Ministeriums für regionale Entwicklung der Russischen Föderation im Stadtkreis Marx im Gebiet Saratow ein ethnografischer Ausflug zu den ehemaligen deutschen Kolonien im Wolgagebiet durchgeführt. Ähnliche Ausflüge wurden auch in den Gebieten Omsk und Altai sowie in anderen Regionen durchgeführt. Die Teilnehmenden des Ausflugs in den Stadtkreis Marx sammelten Materialien für die Erstellung des Registers des erhaltenen materiellen Kulturerbes der Wolgadeutschen, identifizierten deren Zustand und entwickelten Empfehlungen für die Wiederherstellung und Restaurierung. Die Teilnehmenden, darunter erfahrene Geschichtswissenschaftler, Doktoranden und Studierende, untersuchten die Stadt Marx selbst und 31 Dörfer im Stadtkreis Marx. Anschließend entdeckten und beschrieben die Forscher in 26 Siedlungen Objekte des historischen und kulturellen Erbes. Zum Abschluss des Ausflugs fand ein Runder Tisch statt, an dem konkrete Maßnahmen zur Erhaltung von Kulturerbestätten erarbeitet wurden. Das Dokument wurde später an das Ministerium für regionale Entwicklung und an den Stadtrat des Stadtkreises Marx gesandt.
Zweifellos schafft die Föderale National-Kulturelle Autonomie der Russlanddeutschen günstige Bedingungen für uns Wissenschaftler und Forscher, um effektiv arbeiten zu können.
Wir möchten diese enge und produktive Zusammenarbeit bei der Erhaltung und Popularisierung unseres einzigartigen historischen und kulturellen Erbes auch in Zukunft fortsetzen.
Übersetzt aus dem Russischen von Evelyn Ruge