Geschichte und deutsche Wurzeln vereinbaren sich in den Designerlöffeln des Moskauer Goldschmiedes Jewgeni Miller zu einem einzigen Kunstwerk. Wir sprachen mit ihm über die Kunst, die Familienbeziehungen sowie über die Traditionen, Fertigkeiten und Fähigkeiten, die sorgfältig bewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Nach dem Umzug von Barnaul nach Moskau vor fast 20 Jahren begann Jewgeni Miller bei einem Schmuckhersteller zu arbeiten, der sich auf die Fertigung kunstvoller Schmuckstücke mit Diamanten, Saphiren und Smaragden spezialisierte. In Barnaul absolvierte er die Musikschule in Bereich „Gesang und Chorleitung“ und machte eine Berufsausbildung im Bereich „Maschinen und Technologien für die Gießereiproduktion“.
Heute ist Jewgeni Technischer Direktor bei einer Firma und seine Arbeit führte ihn zu Weltklasse-Ausstellungen in Hongkong, Istanbul und Dubai. Vor einiger Zeit begann er – einfach aus Leidenschaft für Kaffee – Kaffeelöffel herzustellen. Seitdem fertigt Jewgeni Miller verschiedene Löffeln an. Seinen ersten Messinglöffel bewahrt er wie einen Schatz.
Das Geheimnis von Jewgeni Millers Löffeln liegt nicht nur in seinem Können, sondern auch in seinen deutschen Wurzeln. Jeder Löffel ist ein einzigartiges Kunstwerk, das von Jewgeni für die Ewigkeit geschaffen wurde, mit Blick auf die Zukunft und die Vergangenheit: Der Markenname „Löffel“ unterstreicht dies. Die Familie des Goldschmiedes stammt von einer deutschen Dynastie ab, die nach der Einladung von Katharina der Großen in die Wolgaregion ansiedelte. 1937 wurde Jewgenis Urgroßvater Jakob, der mit Fischen seinen Lebensunterhalt verdiente, hingerichtet. 1941 wurden seine Frau und seine neun Kinder in den Altai zwangsumgesiedelt. Jewgenis Großvater wurde in die Arbeitsarmee eingezogen und arbeitete in der Holzindustrie in der Region Molotow (heute Region Perm). Später wurde er nach Kasachstan versetzt. Erst in den 1960er Jahren konnte er nach Russland zurückkehren, wo er als Werklehrer arbeitete und sein Handwerk mit Freude an seine Enkelkinder weitergab.
Als ich ungefähr zehn Jahre alt war, brachte Opa Jakob mir und meinem Bruder bei, wie man echte Hirtenpeitschen aus vier Ledersträngen flicht. Das waren noch Zeiten, als alles Wissen und Können von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Das werde ich wohl nie vergessen! Es war für mich auch sehr nützlich.
Diese Technik übertrug Jewgeni auf Metall und wiederholte sie bei der Herstellung von Löffeln.
- Jewgeni, wir möchten gerne von Ihren Familiengeschichte beginnen: Sie lassen sie in Ihre Löffelherstellung einfließen. Wessen Beispiel hat Ihnen zu diesem kreativen Werk inspiriert?
- Nun, es war eindeutig mein Großvater Jakob. Er war wirklich ein außergewöhnlicher Mensch, nicht nur handwerklich begabt, sondern auch spirituell, intellektuell und moralisch. Ein anderer, der ein so schweres Leben hatte, hätte aufgegeben, wäre verbittert geworden und hätte ein trostloses, bitteres Leben geführt. Aber Jakob tat es nicht. Er ging einen anderen Weg: Er sprach nie über sein schwieriges Leben, sondern war immer positiv und schuf etwas Kreatives mit den Händen. Das lag eindeutig an seiner Kindheit, denn die ganze Familie war sehr kreativ und musikalisch. Alle seine Brüder spielten Musikinstrumente: einige Akkordeon, andere Blasinstrumente. Und natürlich waren sie nicht nur musikalisch, sondern auch handwerklich sehr begabt: Sie arbeiteten mit Holz, wussten, wie man Öfen baut und vieles mehr. So war auch das Leben damals: Es gab keine Läden oder Ähnliches, jeder musste das meiste für sich selbst herstellen können.
- Sie haben sich lange Zeit mit Musik beschäftigt. Gibt es eine Verbindung zwischen Ihren Anfängen als Sänger und ihrem Kunstwerk heute?
- Natürlich gibt es einen Zusammenhang, aber vielleicht keinen direkten. Ich sage immer, der „Löffel“ ist nicht einfach nur ein Löffel; er hat auch eine gewisse Musikalität – nun ja, nicht im Sinne von musikalischen Elementen, sondern eher eine Art äußere Philosophie: Ich lasse unbewusst Musik in sein Erscheinungsbild einfließen. Das heißt, ein Löffel kommt von Herzen, er entsteht im Geiste, von Hand gefertigt. Ich benutze keine modernen Maschinen, Werkzeuge oder Drehbänke. Ich nehme ein Messingblech, einen Hammer und fange an, damit zu arbeiten. Mit ganz gewöhnlichen Werkzeugen: Hammer, Amboss und Brenner. Genauso, wie die Menschen es vielleicht vor 500 oder 300 Jahren gemacht haben.
- Also ist jeder Löffel ein Unikat, das nicht wiederholt werden kann?
- Ein Löffel spiegelt eine bestimmte Stimmung, einen bestimmten Denkprozess während seiner Herstellung wider. Das heißt, es handelt sich jedes Mal um eine andere Phase in meinem Leben.
– Wurden Sie durch Kaffee zu der Herstellung der Löffel inspiriert? Welche Kaffeesorte trinken Sie gern?
– Einfach nur Kaffee, purer Kaffee, mit kochendem Wasser aufgebrüht. Also kein Kaffee aus der Kaffeemaschine. Zuhause trinke ich ausschließlich gemahlenen Kaffee. Ich besitze eine sehr einfache türkische Kaffeekanne, die ich mal aus Istanbul mitgebracht habe.
Die Geschichte, wie der erste Löffel entstand, ist simpel: Ich hatte auf der Arbeit nichts, um mir den Kaffee in die Tasse zu geben, aber ein paar Messingstücke. Das war der erste Löffel, mit dem die Geschichte von der Marke „Löffel“ begann. Er ist bereits fünf Jahre alt. Der Löffel ist zwar sehr einfach, aber er war der allererste, den ich je gemacht habe.
- Sind die Inschriften, die Sie auf den Löffeln machen, erst später entstanden?
- Nein, ich habe sie schon auf dem ersten Löffel gemacht. Mir kam auch sofort die Idee ein Etui zu den Löffeln zu schaffen.
- Gibt es in Ihrer Familie irgendwelche Bräuche rund um Löffel?
– Ja, natürlich. Ich schenke meiner Familie, meinen Verwandten und auch meinen Freunden gerne Löffel zu den Feiertagen. Diesen hier habe ich extra für meine Frau zum 8. März angefertigt.
Ich habe auch meinem Sohn einen Löffel geschenkt. Er ist sehr flach, weil mein Sohn keinen Kaffee trinkt und seinen Tee nicht heiß mag. Der Löffel wurde als eine Art „Kühlschrank“ für ihn gedacht, weil Kupfer sehr gut Wärme absorbiert.
- Sagen Sie, gibt es irgendwelche besonderen Rituale bei der Herstellung der „Löffel“?
- Nein, nicht wirklich. Ich bin nicht sehr abergläubisch. Für mich ist die Herstellung eines Löffels eine ziemlich heikle Angelegenheit. Die Arbeit mit Metall erfordert ständige Anstrengung für die Hände – das ist auch der schwere Hammer und die sehr hohen Temperaturen des Brenners. Wenn ich einen Löffel herstelle, denke ich als Erstes daran, vorsichtig zu sein, weil man sich leicht verbrennen und verletzen kann.
- Was gefällt Ihnen am besten bei dieser Arbeit?
- Ich glaube, am besten gefällt mir, wenn ich den Löffel genau richtig gemacht habe. Und das passiert oft nicht sofort, weil es keine Zeichnungen, keine Pläne gibt. Aber wenn ich ihn dann genau richtig „verdreht“ habe und ihn mir ansehe, merke ich, dass er genau so sein muss – so fühle ich mich gut, indem ich verstehe, dass ich es genauso wollte.
- Wie entstehen Ihre Ideen?
- Ich lasse die Idee mehrere Tage reifen; sie ist nicht spontan. Ich lasse sie einfach in meinem Kopf reifen und fange dann an, sie umzusetzen. Manchmal zeichne ich sogar – ich habe ein spezielles Notizbuch, aber wie die Erfahrung gezeigt hat, ist aus Dutzenden von Zeichnungen kein einziger Löffel entstanden. Zeichnen ist für mich also eine Art Übung, eine Visualisierung, aus der ich mich später vielleicht an einige Elemente erinnern kann. Es erfolgt alles sehr spontan.
- Ihre Löffel befinden sich in einem Museum in Wladimir und in einer Privatsammlung in Sankt Petersburg. Wo würden Sie Ihre Löffel sonst noch gerne ausstellen?
- In der Staatliche Tretjakow-Galerie in Moskau natürlich, in der Gemäldegalerie Alte Meiste in Dresden, im Museum Louvre in Paris. Warum eben nicht? Und es ist auch nicht unbedingt, dass die Besucher überhaupt wissen, dass ich diesen Löffel angefertigt habe. Es solle einfach bekannt sein, dass es so eine Marke „Löffel“ gibt. Diese stammt von unseren Vorfahren, sie hat Geschichte, die Geschichte der Russlanddeutschen.
- Was bedeutet die Marke „Löffel“ für Sie als Künstler? Wie entstand die Idee dazu?
Als ich beschloss, Löffel herzustellen, wusste ich bereits, wie sie aussehen würden. Ich brauchte nur noch einen Namen dafür. Und der kam mir sofort in den Sinn: Löffel heißt auf Deutsch „Löffel“. Ich fand es sehr einfach, archaisch und schön. Ich musste nichts mehr ausdenken – der Löffel ist „Löffel“.
Meine russlanddeutschen Vorfahren waren größtenteils Handwerker. Ich hatte das Glück, sie kennenzulernen und mit ihnen zusammen zu leben. Es waren meine Großeltern, die in der Wolgaregion geboren wurden. Sie waren sehr in sich verschlossen und zurückhaltend, sehr ruhig. Niemand in unserem Dorf sprach so offen Deutsch. Ich erinnere mich, dass bei uns zuhause oft Gäste waren, wir gingen auch ab und zu zu jemandem zu Besuch, aber Deutsch sprachen wir nur zu Hause, untereinander.
Der Löffel selbst ist also einfach ein Löffel mit einer Inschrift in deutscher Sprache in einer schönen gotischen Schriftart.
Ich habe in meiner Tasche ein Buch mit den Werken von Heinrich Heine. Ich lese es gern. Es ist ein altes, sehr gutes Buch, eben in dieser Schriftart. Es ist etwa 130 Jahre alt, aus dem frühen 20. Jahrhundert. Ich kenne diese Schriftart und, weil sie so schön ist, wollte ich, dass auf meine Löffel eben diese Buchstaben stehen. Es ist bedauernd, dass meine Großeltern mir gar nichts, keine Familienreliquien, weitergeben konnten. Als sie 1941 in die Züge gesetzt wurden, durften sie, laut meines Großvaters, gar nichts mitnehmen – gar nichts, nicht einmal Dokumente, soweit ich kenne.
Im „Löffel“ steckt nicht nur meine Kunst, die Fähigkeit, etwas mit den Händen zu schaffen, sondern auch der Geist der Bücher. In meine Werke ist auch meine Mentalität drin. Ein Löffel ist ein Buch. Der andere Löffel ist Musik. Ich habe ja eine Musikschule beendet und wir haben Klassik studiert, ich kenne deutsche Klassiker – Johann Sebastian Bach, diese Musik liegt mir sehr nahe. Oder die Oper „Fürst Igor“ von Alexander Borodin – das ist die russische Klassik. Ich liebe diese Oper sehr, ich höre sie sehr oft, und sie kommt auch in „Löffel“ vor.




