Rose Steinmark: „Meine Zuschauer leben in Deutschland“


Für die meisten Russlanddeutschen ist der Name Rose Steinmark ein Begriff: 1981–1992 war sie beim Deutschen Dramentheater in Kasachstan als Chefdramaturgin tätig, dann moderierte sie die deutschsprachige Sendung „Guten Abend!“ im kasachischen Fernsehen, ihre Publikationen erschienen in der Presse. Anlässlich ihres 60. Geburtstages am 9. Januar präsentieren wir Ihnen ein Interview mit Rose Steinmark, geführt von Nadeschda Runde.


Für die meisten Russlanddeutschen ist der Name Rose Steinmark ein Begriff: 1981–1992 war sie beim Deutschen Dramentheater in Kasachstan als Chefdramaturgin tätig, dann moderierte sie die deutschsprachige Sendung „Guten Abend!“ im kasachischen Fernsehen, ihre Publikationen erschienen in der Presse. Anlässlich ihres 60. Geburtstages am 9. Januar präsentieren wir Ihnen ein Interview mit Rose Steinmark.



Als Dramaturgin des Deutschen Schauspieltheaters haben Sie sicher viel zu erzählen, was unsere Leser heute interessieren würde. Welche Rolle spielte das Theater in Ihrem leben?

Gute Frage! Vielleicht wäre ich auch heute noch als Chefdramaturgin am Theater tätig, wenn die Geschichte des Theaters sowie auch jedes einzelnen Russlanddeutschen in den ehemaligen Sowjetrepubliken sich nicht so unerwartet schnell geändert hätte. Das Theater war als Kulturstätte für unser Volk gedacht und diente den Russlanddeutschen, solange sie in Kasachstan und in den anderen Republiken zu Hause waren. Dann ging Groß und Klein nach Deutschland. Mit ihnen auch das Theater, ich meine die Schauspieler und Mitarbeiter. Traurig, aber im Laufe der Zeit, glaube ich, haben wir uns schon alle damit abgefunden. Aber es war eine tolle Zeit! Das Theater stand im Mittelpunkt der kulturellen und politischen Ereignisse unseres Volkes und wurde sehr schnell durch seine immense Tätigkeit auf diesem Gebiet berühmt.

Irgendwie fällt es mir schwer, über mich und meine Rolle im Theaterleben zu sprechen, weil ich mich als Teil des Ganzen fühlte. Ich war für die Dramaturgie, die Beziehungen zu den Autoren und Verlagen sowie Kontakte zu anderen Theatern und die Presse zuständig. Dabei habe ich auch selbst viel über das Theaterleben in Zeitungen, Radio- und Fernsehreportagen und Dokumentationen berichtet. Zuschauerkonferenzen, Theaterkorrespondenz und verschiedene Veranstaltungen gehörten auch zur Pflicht der Dramaturgen. Wir waren zu dritt – Lilly Kramer, Valentine Bolz und ich. Zusammen haben wir auch das Theaterarchiv angelegt, entwickelten Programmheftchen und Theaterplakaten. Damals war unser Theater nicht so gut technisch ausgerüstet, wie es heute der Fall ist, einen Kopierer bekamen wir erst Ende 1991, als man das Theater schon nach Almaty verlegt hatte. Aber welche Möglichkeiten sich uns mit diesem einfachen technischen Gerät eröffneten! Darüber könnte man tagelang sprechen.

Ich mag das Theaterleben und verstand mich auch gut mit allen. Das war eine Welt, in der man jeden Tag Überraschungen erlebte: auf der Bühne, im Zuschauerraum, in Gesprächen mit Regisseuren und Dramatikern. In den 10 Jahren, die ich im Theater verbrachte, habe ich sehr viele Leute kennen gelernt, ohne die es vielleicht dieses Theater gar nicht gegeben hätte. Vor allem waren es die Schriftsteller, die versuchten, Stücke für uns zu schreiben, darunter Ewald Katzenstein, Konstantin Ehrlich, Viktor Schnittke, Hugo Wormsbecher... und natürlich auch Viktor Heinz, dem es gelungen ist, zusammen mit dem Theater seine besten Stücke „Auf den Wogen der Jahrhunderte“ und „Jahre der Hoffnung“ zu verfassen. Dann waren es noch die Regisseure Erich Schmidt, Bulat Atabajew, Dieter Wardetzky, Wladimir Iontow, Alexander Hahn – dank ihnen wurden unsere Theaterplakate immer präsenter und koloritreicher.

Es gab ja einige interessante Berichte über das Schaffen des Theaters, auch von Ihnen. Es war eigentlich die Blütezeit der Russlanddeutschen Geschichte. Ist die in Vergangenheit versunken?

Es stimmt und stimmt auch nicht. Wir halten sie ja fest, diese Vergangenheit. Auf Papier, in Form von Büchern, Dokumentationen und in Erzählungen derjenigen, die diese Geschichte machten. Schließlich wird sie in unseren Erinnerungen weiter leben. Wenn das Theater heute noch in seiner damaligen Form existieren würde, könnten wir in diesen Tagen sein dreißigjähriges Jubiläum groß feiern. Aber dazu ist es nicht gekommen. Es ist niemands schuld. Es gehört zur Geschichte. Zur Geschichte der einzelnen Menschen sowie zur Geschichte der Länder...

Wer waren Ihre Eltern und woher stammt Ihre große Liebe zur deutschen Sprache, Kunst und Kultur der Russlanddeutschen?

Oh, diese Frage hat mir noch niemand gestellt! Geboren bin ich in Sibirien, in einem kleinen deutschen Ort mit einem schlichten russischen Namen Kamyschi. Meine Eltern waren Kinder, als sie von der Wolga mit ihren Familien dorthin verfrachtet worden sind. In diesem Dorf lebten ausschließlich Deutsche und als ich in die erste Klasse kam, konnte ich kein einziges russisches Wort. Die Lehrerin, ein junges russisches Mädchen, hatte riesige Probleme mit uns. Da musste schon öfter jemand von den Eltern den Dolmetscher spielen. Später zogen wir nach Kasachstan um. Da lernte ich „ordentlich“ Russisch sprechen, aber ich war damals schon 13. Zu Hause haben wir immer Deutsch gesprochen, klar, dass es kein klassisches Deutsch war, aber es war sehr reich an Redewendungen, Sprichwörtern und treffenden Ausdrücken. Meine Eltern stammen aus Bauernfamilien, waren auch selbst Bauern. Vielleicht hätten sie aus ihrem Leben auch mehr gemacht, aber dazu ist es nicht gekommen. Es war wieder der Lauf der Geschichte...

Allerdings konnten wir, Kinder, unser Leben so gestalten, wie wir es wollten. Ich habe in Nowosibirsk deutsche Sprache und Literatur bei Viktor Klein studiert: Seine große Liebe zum Deutschtum war so ansteckend, dass wir uns alle in die deutsche Sprache, Literatur und Kultur verliebten...

Längere Zeit waren Sie als Fernsehjournalistin tätig. Ihre Sendung „Guten Abend!“ war bei den Russlanddeutschen sehr populär. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an diese Zeit zurückdenken?

An die Menschen, denen ich begegnete, an die vielen Gespräche, die ich mit ihnen führte und an die langen Abende am Schnittplatz, wo aus kilometerlangen Streifen Bilder entstanden, die die Geschichte unseres Volkes festhielten. Ich war sehr viel unterwegs und habe hart arbeiten müssen. In den ersten Jahren war ich allein für alles zuständig: Für die Recherchen, die Aufnahmen, die Drehbücher, die Ausstrahlung, vor allem aber war es die Verantwortung vor dem Zuschauer. Fernsehen ist eine tolle Sache. Ich vermisse meine Sendung sehr. Aber für wen sollte ich heute dort noch deutsche Sendungen machen? Meine Zuschauer leben ebenfalls hier, in Deutschland.

Welche Erinnerungen an die russlanddeutsche Intelligenz sind Ihnen besonders viel wert?

Da muss ich wieder an das Theater denken, es war der Mittelpunkt des intellektuellen Lebens unseres Volkes. Sehr oft versammelten wir unter unserem Dach Schriftsteller, Komponisten, Künstler, Lehrer und unterhielten uns über die weitere Entwicklung der deutschen Kultur auf kasachischem Boden. Es waren Menschen, die genauso wie wir auf alles Deutsche besessen waren: Andreas Kramer, Waldemar Weber, Helmut Heidebrecht, Konstantin Ehrlich, Nora Pfeffer, Nelly Wacker, Johann Windholz, Artur Hörmann, Robert Leinonen, Wendelin Mangold – diese Liste ist unendlich lang. Aber besonders teuer sind mir die Erinnerungen an Herold Belger. An ihn denke ich sehr oft. Er war und bleibt für mich ein großes Beispiel. Sein multikulturelles Denken, sein vielfältiges Schaffen und sein enormer Fleiß sind faszinierend. Für mich ist er ein wahrer Held unseres Volkes. Dabei ist er so was von menschlich! Ich habe ihn auch öfter privat erlebt, am Teetisch, mit seiner Frau, wo wir längere Gespräche über das Bestehen der Literatur führten, im Deutschen Haus Almaty, in der deutschen Redaktion des kasachischen Fernsehens, wo er immer sehr sachlich, kompetent und ruhig seine Meinung äußerte...

Wie geht es Ihnen in Deutschland?

Danke, gut. Ich führe ein bescheidenes ruhiges Leben, bin als Dozentin an einer Sprachenschule in Münster (Nordrhein-Westfalen) tätig. Natürlich vermisse ich meine Arbeit in Kasachstan, natürlich denke ich sehr oft an alles, was ich dort erlebte, aber es ist vorbei. Ich versuche, meine innere Unruhe zu verbergen und mich in einer anderen Position wohl zu fühlen. Ich glaube, allmählich gelingt es mir.

Was bedeutet für Sie der Begriff ZEIT?

Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Vielleicht ist es auch gar nicht so wichtig. Aber, wenn ich jetzt so, auf Anhieb, die Frage beantworten sollte, würde ich sagen: Es sind Augenblicke. Und von denen hatte ich in meinem Leben eine ganze Menge. Aber ich denke, dass ich meine Augenblicke noch nicht alle bis zur Neige ausgekostet habe und erhoffe mir vom Leben noch viele schöne Begegnungen und Augenblicke. Allen Zuschauern des ehemaligen Deutschen Theaters und den Zuschauern von „Guten Abend!“ wünsche ich auch viele schöne Augenblicke in ihrer neuen alten Heimat Deutschland.

Welche Eigenschaften muss, Ihrer Meinung nach, ein Russlanddeutscher besitzen, wenn er sich in seiner neuen Heimat glücklich fühlen möchte. Sind Ihnen denn solche Menschen bekannt?

Dazu habe ich keine Antwort. Ich möchte auch nicht banal sein und irgendwas von „Wurzeln“ oder sonstige Begriffe erwähnen. Mir scheint, es ist sehr individuell. Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Es gibt keine Nationalität „Russlanddeutsch“, es gibt nur die Nationalität „Mensch“ und als Mensch kann man überall glücklich sein. Der Begriff Glück gehört eher zu einer anderen Kategorie, und es spielt keine Rolle, wo man damit beschert wird: Ob dort, woher wir kommen, oder hier, wo wir gelandet sind. Und meiner Ansicht nach, gibt es sehr viele unter denen, die sich als Russlanddeutsche bekennen, und genauso denken, wie ich.

Danke für das Gespräch!

Das Interview führte Nadeschda Runde.

Das Interview führte Nadeschda Runde.

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